Sonntag, 17.12.2006

All In The Present Must Be Transformed – Wieso eigentlich?

In der Kunst / Kino-Entwicklung, von der hier kürzlich im Zusammenhang mit dem neuen Weerasethakul-Film die Rede war, ist die New Yorker Gladstone Gallery ein Global Player. Sie vertritt neben einer Reihe von Bildenden Künstlern, darunter Rosemarie Trockel, Thomas Hirschhorn, Gregor Schneider, Kai Althoff, auch die Kino-Künstler Bruce Conner, Sharon Lockhart und Matthew Barney. Conners Found Footage-Filme sind zwischen 1958 („A Movie“) und 1982 („America is Waiting“) entstanden, seitdem hat er sich eher aufs Zeichnen verlegt und nur noch vereinzelt mit Film gearbeitet. In New York sah ich vor Jahren eine Ausstellung mit Schwarz-Weiß Blättern, die ein bisschen an Raoul Tranchirers Abenteuer erinnerten. Auf der Viennale 2005 lief ein Film, der Filmmaterial von 1967 neu aufbereitet: „Luke“, ein Besuch am Set von „Cool Hand Luke“ mit Paul Newman und Dennis Hopper. Sharon Lockharts Filmstudien zu Darstellung, Schauspiel und kinematographischer Dauer kann man häufiger in Berlin sehen, der neu gegründete Verleih „arsenal experimental“ hat einige von ihnen im Programm. „Pineflat“, eine 140-minütige Slow-Motion-Resemantisierung von Techniken des strukturellen Films, war eine der Oasen bei der letzten Berlinale.

Kunst und Kino. Schnittpunkte, Zwischenraum, Austausch: In den Begriffen ist eine strukturelle Gegenüberstellung mitgedacht, an der man zweifeln kann. Bildende Kunst und Kino so voneinander abzugrenzen, dass sich ihre Bewegungsvektoren schneiden können oder einzelne Arbeiten in „Zwischenräumen“ interagieren, ist eher ein wackliges gedankliches Modell als eine gesicherte Diagnose. Immerhin, um vom Status Quo der Aufführungsorte auszugehen, sind aber Kino und Museum auch weiterhin verschiedene institutionelle Räume, und diese Räume gehorchen unterschiedlichen Gesetzen der Produktion, Distribution und Rezeption. Da wäre zuallererst Rekonstruktionsarbeit zu leisten.

Vielleicht ist der Begriff „Verhandlung“ geeignet, das Mit- und Gegeneinander, die Verwischungen und Vermischungen, die meist begrüßte Interaktion zwischen Kunst und Kino zu bezeichnen. Denn damit ist weniger ein habermassches kommunikatives Aushandeln gemeint, sondern vor allem das knallharte Ringen um Produktionsgelder und Aufmerksamkeit. Wo von Verhandlungen die Rede ist, da sind feindliche Übernahmen mitgedacht, Börsennotierungen und Spekulationen, ein Spiel mit Verknappung und Nachfrage (während „Weltkino“ via DVD und Filesharing immer leichter zugänglich wird, ist der Zugriff auf „Installationen“ u.ä. weiterhin schwierig; cf. pirate cinema). Was die derzeitige Konjunktur und die von ihr begünstigte Absorption filmgeschichtlicher Positionen bedeuten, scheint mir noch unklar.

Ein paar Ereignisse im Jahr 2006; Akteure, die aus ungleichen Positionen, mit unterschiedlichen Motiven und verschieden hohen Einsätzen am Kunst/Kino-Tisch mitverhandeln: The Art of Projection (Stan Douglas et al. curated by Friedrich Christian Flick) – Ausstellung im Hamburger Bahnhof, Filmreihe + Symposion im Arsenal-Kino. Barney/Beuys (Guggenheim). Jean-Luc Godard (Centre Pompidou) – Ausstellung und Retrospektive mit 140 Filmen. Le Mouvement des Images (Centre Pompidou). Agnès Varda (Fondation Cartier). Kino wie noch nie (Farocki/Ehmann; Generali Foundation). arsenal experimental (verleih, freunde der deutschen kinemathek), „forum expanded“, Kunst-Beiboot des Berlinale-Forums, Matthew Barney als Mitglied der Jury bei der Berlinale 2006.

Hab ich grad Matthew Barney gesagt? Im Babylon-Mitte, das seit ein paar Monaten ziemlich aufdreht (Kinderwagen-Kino, Around the World in 14 Films incl. Anmoderation durch lokale Prominenz, Kunst und Kino, Nachwuchsfestival, Konzerte), kann man zurzeit Sonntag nachmittags Beuys und Barney-Filme in gemeinsamen Programmen sehen. Ausstellung und Filmprogramme verdanken sich dem Modell der Elefantenhochzeit („Zwei Heroen der Gegenwartskunst“; DB artmag) und sind ein schönes Beispiel für kurzschlüssige Analogiebildung. Wenn Beuys bei der Aktion „Celtic“ 1971 eine langwierige Fußwaschung vollzieht, dann ist es nicht verboten, an Barneys und Björks Reinigungsrituale auf dem Hochzeits-Walfangschiff in „Drawing Restraint 9“ (2005)* zu denken. Es bleibt aber das offensichtliche festzuhalten: Es sind andere Füße, es ist anderes Wasser, es ist ein anderer Zeitpunkt, kurz: es hat nicht viel miteinander zu tun.

In „De Lama Lamina“, dem ersten Filmprojekt nach Fertigstellung des Cremaster-Zyklus, fügt Barney seinem globalen Schwellkörper-Projekt den Kontinent Südamerika hinzu. Das konkreteste Bild bekommt man, wenn man sich den Film als Dokumentation einer ethnografisch hochgepitchten Love-Parade vorstellt, die durch den Barneyschen Idiosynkrasie-Fleischwolf gedreht wurde. “I was in the mood to make a more overtly political work as a reflection of my confusion with the current political landscape.” (Barney)

Um einen dunkel dräuenden Monstertruck herum marschieren brasilianische Tänzer und Trommler. Es ist der Carnaval do Bahia im nordbrasilianischen Salvador; Arto Lindsay spielt mit Band hoch auf dem schwarzen Wagen, während sich Gefährt und Entourage langsam durch die Straßen schieben. Vor den großen Bagger – „Drei Meter hohe Reifen!“ (Barney) – ist ein entwurzelter Baum gespannt, auf dem eine langhaarige Aktivistin herumkraxelt und kleinere Arbeiten verrichtet. Das Eigentliche jedoch spielt sich unten im Bauch des monströsen Gefährts ab, da, wo die Maschine mächtig rumpelt. In einer horizontal knapp über der Fahrbahndecke schwebenden ergonomisch geformten Schale liegt ein dreckverkrusteter Nackedei. Seinen Penis, so reimen wir uns im Laufe des Films zusammen, haben wir schon im Vorspann wie einen unheimlich anschwellenden Blutegel in den Bildrahmen hineinwachsen sehen. Dieser Penis ist der Protagonist des Films.

Die Mund- und Nasengegend des Nackten ist durch einen Schnabel gekennzeichnet, aus dem Hintern, der immer wieder vorteilhaft durch die gespreizten Beine hindurch ins Bild gesetzt wird, wächst ihm eine dicke Zwiebel. Es könnte allerdings auch eine keimende Kartoffel sein – die semantischen Implikationen wären dann selbstverständlich andere. Jedenfalls schmiert dieser Erdmann die unmittelbar über ihm in permanenter Rotation befindliche Antriebswelle des wuchtigen Nutzfahrzeugs zunächst mit Fett – „Beuys!“ (Nancy Spector) – ein und lässt dann immer neue Wattefäden um sie herum wickeln. Das ergibt eine glitschige Masse, wie an einer Töpferscheibe immer rund gestrichen, im Umfang stetig wachsend. Die Aktivistin vorne auf dem Baum hat übrigens auch mit solchen Wattefäden zu tun, es gehört zu Barneys Allmachtskosmologie, dass die Dinge auf untergründigen Wegen miteinander kommunizieren. (Das universale Raunen ist Barneys Vatersprache.)

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle kurz darauf hinweisen, dass der Erdmann, bevor er mit seinem talgigen Tagwerk begann, ein kleines, vertrocknetes Äffchen im Arm hielt, das er zärtlich durch die Haare und über das mumifizierte Gesichtchen streichelte. Dieses Äffchen ist jetzt nämlich plötzlich wieder da, aber irritierenderweise streichelt der Erdmann das Tier jetzt nicht mehr, sondern zerquetscht es mit einigen gezielten Bewegungen, so dass ihm das eher flüssige als feste Exkrement entgegenspritzt. Auch diese Masse wird nun noch auf die inzwischen auf Körperumfang angeschwollene Antriebswelle aufgebracht. Jetzt ist soweit alles vorbereitet, und der Erdmann stemmt sich von seinem bequemen Platz hoch, um seinen Penis in direkten Kontakt mit der rotierenden Stange zu bringen. Das Organ dankt es ihm durch allmähliche Größenzunahme. Barney beschreibt das folgendermaßen: „Later, the Greenman has an interaction with an endangered golden lion tamarin monkey (a doll), whose shit, which is crucial to the production of certain antibiotics, is used to lubricate the driveshaft the Greenman masturbates on. It’s quite explicit“.

Dieser masturbatorische Höhepunkt ist auf eher undeutliche Weise damit verbunden, dass eine Reihe von klinisch weißen Instrumenten, die wie Zangen und sonstige Werkzeuge aussehen, aus einer milchigen Masse herausgedrückt wird. Mit diesem Geburtakt endet der Film nach knapp einer Stunde.

„De Lama Lamina“ liegt konsequent auf der Linie solcher auch im Cremaster-Zyklus reichlich vorhandenen rein männlichen Geburtsphantasien, hinter denen der Good Old Künstlermythos im popkulturell aufgepimpten Maßanzug daherkommt. Dicke-Eier-Kunst in bestechender Formvollendung. Wäre es nicht so unsäglich langweilig, könnte das teuerste Hochzeitsvideo ever, das Barney / Björk im Anschluss drehten, das mit den größten Säugetieren der Welt, beinah wie ein Fortschritt wirken. There she blows. Heiße Luft.

* Zu „Drawing Restraint 9“ auch weiterhin das vorausschauende Standardwerk: Rembert Hüser: Wale malen, in: Dirk Baecker / Rembert Hüser / Georg Stanitzek: Gelegenheit. Diebe. 3x Deutsche Motive, Bielefeld: Haux 1991, S. 101-166. Dort auch Hinweise auf Walverwandschaften zwischen Matthew Barney und Frank Schirrmacher.

– Volker Pantenburg –

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