August 2006

Mittwoch, 30.08.2006

Feedbackloopertests

Der Kölner Künstler und Palmonika-Virtuose Andreas Hirsch aka Oskar Baumgeschwindigkeit hat auf seiner Netzseite ein paar schwindelerregende Kurzvideos zugänglich gemacht. Besonders „grünwald“ und „poller wiesen“ haben es in sich.

Freitag, 25.08.2006

*

Man muss nur sehen, dass es immer zu jeder Zeit alle Möglichkeiten gibt. Man glaubt nur, man könne die im Moment nicht nutzen, weil die Mode anders ist. Das ist genau wie mit den gelben Telefonzellen, die ja angeblich deutschlandweit durch die grau-magenta Säulen ersetzt worden sein sollen. Aber man muss nur ein paar Kilometer aus den Städten rausfahren, dann stellt man fest, dass die gelben Zellen noch überall stehen. Die Telekom hat es mit ihrer Kampagne nur geschafft, sie aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen. Wir sind während der Dreharbeiten sogar Dorfbewohnern begegnet, vor deren Haustüren gelbe Telefonzellen standen und die felsenfest davon überzeugt waren, dass es sie nicht mehr gibt.

Die Interviews [artechock; Freitag] von Rainer Knepperges und Christian Mrasek anlässslich ihres klasse Films Die Quereinsteigerinnen.

Mittwoch, 16.08.2006

* Parallel Film, Notizbuch Christoph Hochhäusler

Dienstag, 15.08.2006

In case you happen to be in Portland today

Who I’d like to meet:
Teenagers including but not limited to: skaters, honor roll, cheerleaders, punks, drama kids, musicians, artists, student council, athletes, award winners, class skippers, photographers, band members, leaders, followers, shy kids, class clowns, foreign language speakers??

[Gus van Sant casting for „Paranoid Park“; via Knörer-FURL]

File under Naturtheater von Oklahoma.

Montag, 14.08.2006

Auf der Insel

I.
Am ersten Tag holten wir uns den merkwürdigsten Sonnenbrand unseres Lebens. Zwischen Kindern, die von ubiquitären Nackedei-Eltern „Kevin“, „Kimberley“ und „Johnny“ gerufen wurden (wir waren an der Ostsee), verteilten wir die hochprozentige Apotheken-Sonnenmilch auf unseren Körpern. Offenbar etwas fahrig und unregelmäßig, denn am Abend zeichneten sich auf meiner linken Schulter, außerdem in Höhe der vierten Rippe von unten und auf einem der beiden Oberschenkel scharf konturierte dunkelrote Flächen ab. An den Grenzen des Flecks auf der Schulter, an dem mittlerweile die Häutung eingesetzt hat, war deutlich der Umriss meiner eincremenden Hand zu erkennen.

II.
Weil ein Text fertig werden musste, hatte ich den Computer dabei. Eher wahllos hatte ich auch das rote Etui mit DVDs eingesteckt, das gerade griffbereit lag. So kamen wir dazu, neben „Toutes les nuits“, „The magnificent Ambersons“ und „Schlesisches Tor“ ein paar filmanalytische Filme anzuschauen. Ältere, verschüttete Sachen, deren Status im VHS-Zeitalter ganz ungeklärt gewesen sein muss und die auf der DVD als Bonusmaterial wiedergeboren werden.
Winfried Günther hat eine Analyse zu „Pursued“ von Raoul Walsh gemacht, „‚Action, action, action – logische Dinge in logischer Abfolge‘. Aspekte der Inszenierungsweise von Pursued“ heißt der Film, und er zeigt ganz sachlich, dass das Monument Valley in „Pursued“ kaum etwas mit dem Monument Valley in den Filmen John Fords gemein hat. Da ist keine Freiheit und Weite, fast immer nehmen die Felswände die ganze Bildfläche ein.
Einmal schneidet er alle Szenen aus Walshs Film hintereinander, in denen jemand einen Raum betritt und man sieht, wie unterschiedlich das ist, von links, von rechts, in leichter Untersicht, mal mit Schwenks oder Dollyfahrt, mal ganz ohne Bewegung. Walshs von vielen dankbar wiederholte Aussage, es gebe nur eine Art, jemanden zu zeigen, der in ein Zimmer kommt, wird von den Bildern widerlegt. „In der Tat gibt es zweifellos eine Vielzahl von Möglichkeiten, einen Vorgang zu zeigen. […] Richtig ist aber auch, dass er bestimmte Mittel vermeidet, etwa den Vorgang aus dem Kamin heraus durch die Flammen hindurch zu fotografieren, oder einen Mann mit der Kamera in der Hand um den Darsteller herumwackeln und ihn dabei mehr oder weniger vergeblich die Schärfe nachziehen zu lassen. Walshs Inszenierungsweise bestimmt die technischen Mittel so präzise und transparent wie möglich, nach Maßgabe des Vorgangs, der gezeigt werden und dessen Sinngehalt sich möglichst plastisch entfalten soll. Das ist eine im klassischen Sinne funktionale Ästhetik, welche immer dann als gelungen anzusehen ist, wenn sie die jeweils getroffene künstlerische Entscheidung als die richtige und angemessene erscheinen zu lassen vermag. In diesem Sinne gibt es im Nachhinein dann wirklich nur eine Art und Weise, etwas zu zeigen. Die Kunst des Kinos ist es, Kontingenz in ästhetische Notwendigkeit zu verwandeln und darin war Walsh ein wirklicher Meister.“

III.
Wir hatten umziehen müssen in ein muffiges Souterrain-Zimmer, in dem es nach dem Heizölkessel nebenan roch. Ich schaltete den Fernseher ein und sah Robert Mitchum auf einer Insel. Von einer Schildkröte war die Rede, die man mit einer notdürftig zusammengebastelten Harpune erlegen könne. Er schien gestrandet zu sein und tat sich mit einer Nonne zusammen. Während Mitchum sprach, hörte ich die Stimme, die ich später als die von Curt Ackermann identifizierte. Ackermann spricht nicht nur Mitchum, sondern wie die meisten Synchronsprecher, gleich eine ganze Armada von Schauspielern: Dana Andrews, Stewart Granger, Cary Grant, Sterlyng Hayden, Burt Lancaster, David Niven, Vincent Price, George Sanders, das sind nur ein paar. Ein Beweis für das drückende Übergewicht des Bildes gegenüber dem Ton: Alle würden die Wände hochgehen, wenn in der deutschen Fassung von „Der Seemann und die Nonne“ ein anderes Gesicht als Robert Mitchums zu sehen ist; bei den Stimmen ist es den meisten wurscht.
Was ist das für ein Gefühl, seine Stimme diesen Leuten zu „leihen“ (ein etwas einseitiges Leihgeschäft).
Und wie ist es für einen Blinden, der nacheinander die Synchronfassungen von „The Night of the Hunter“, „Über den Dächern von Nizza“, „Der rosarote Panther“ und „Johnny Guitar“ sieht? Für den muss ganz klar sein, dass Harry Powell, John Robie, Sir Charles Lytton und Johnny Guitar von ein und demselben Menschen verkörpert werden. Dem setzten sich die Filme zu einer akustischen statt optischen Filmgeschichte zusammen, deren Stabslisten ganz anders sortiert sind, weil in ihnen das Gesicht eines Stars als Währung nicht in Betracht kommt.

IV.
Auf einem Plakat hatten wir gelesen, es gebe einen Kino-Club in der Stadt, der immer Freitags einen Film zeigte. Für diese Woche war „Alles ist erleuchtet“ angekündigt. Das Buch hatte ich nicht gelesen, der Film interessierte mich nicht besonders, aber weil es eigentlich immer Spaß macht zu sehen, wie Filme gezeigt werden, aus welchen Gründen, wer das macht, was für Leute kommen, gingen wir hin.
Der Kino-Club war ein DVD-Club, und er befand sich in etwas Evangelischem, in dem mittags Vollwertsachen gekocht werden. Aber sehr modern alles, gar nicht eng oder stickig.
Als der Leiter des Filmzirkels, ein Mittdreißiger mit Pferdeschwanz, auf die Bühne trat und den Film lobte, den wir gleich sehen würden, wurde mir mulmig. Als er, von innen glühend, Werbung für den Film machte, den sie in zwei Wochen zeigen würden – „Cinema paradiso“, („Ich bin ein bisschen stolz, dass wir den bekommen haben“) – sackte ich ein paar Zentimeter in meinem Sitz zusammen. Der Film, der dann kam, soviel muss man anerkennend sagen, passte bestens ins Programm. Wir gingen zügig während des Abspanns, aus Angst, per Handschlag verabschiedet und zur Begeisterung ermahnt zu werden.

V.
Kann sein, dass es an dem Freitagabend lag, dass ich am Samstagabend so aufatmete, als unser Zapping nach der Tagesschau auf der Helikopteraufnahme von Jim Carrey zum Stehen kam, der auf dem Polizeimotorrad in sein bescheidenes Heim in Rhode Island zurückfährt. „Me Myself and Irene“ hatte ich länger nicht gesehen und fast alles vergessen. Zwar funktioniert mein Lieblingsdialog in der deutschen Fassung nicht („So, what’s your tale, Mother Goose? Where you from ?“ fragt Hank, nachdem sie den Fluchtwagen im See versenkt haben, und Irene antwortet: „Oh, all over.“ Darauf er, mit seiner lässigsten Machostimme: „Omnipresence – I like that in a woman.“) Trotzdem sind die Farrellys gegenüber der gefühlsduseligen Bewältigungsfolklore von „Everything is illuminated“ die entschieden besseren Christen.
Weil ich sonst nie einen Film auf den Privaten gucke, war mir bisher nicht aufgefallen, dass relativ lange Passagen, bestimmt 10 Sekunden, nach den Werbeblöcken wiederholt werden. So sahen wir zu unserer großen Freude den State Trooper, dem von den hochbegabten drei „Söhnen“ Jim Carreys das Hühnchen in den Arsch gesteckt wird, gleich zweimal, und auch wie Irene sich im Schrank unter dem Waschbecken versteckt, wurde uns noch mal in der Wiederholung präsentiert. Wahrscheinlich, reimten wir uns nachher zusammen, wird durch diese Verlängerungen der Film auf eine Ausstrahlungslänge gestreckt, die einen weiteren Werbeblock erlaubt.

Freitag, 11.08.2006

Grass Valley Viper

Miami Vice (Michael Mann) USA 2006

Der Film vibriert unterhalb des Gefrierpunktes. Darin ist er groß, makellos ohnehin. Die Handlungsträger sind keine (warum auch) und erfahren eine Verdinglichung der besonderen Art: wie Objekte geführt, nach rein bewegungsdynamischen Parametern in die glamourös-zwielichtigen set pieces eingepasst. Es sind die schönsten ihrer Art. Kapitalintensive Star- und Bildpolitik: teure Dinge hantieren mit teuren Dingen. Surplus entsteht durch ästhetische Koppelung spekulativer und spektakulärer Bewegungen: Gong Li (motorische Exotik) + go-fast boat (exotische Motorik). Kinetische Schauspielerführung und postklassisch-dislozierte Kontinuitätsmontage als Modulation hybrider Bewegungs- und Farbanschlüsse. In Perfektion: Timing, Drive, Dynamik; wie sich die alternierend einmontierten 35mm-Bilder an der hyperrealistischen HD-Flächigkeit aufrauen. Und doch: eine audiovisuelle Fabrik, die in den Neon-Noir-Clubszenen zu sich kommt und im Vexier-Screen-Casino ihre gleichmütige Metapher findet. Das unheimliche kulturindustrielle Regime des Blockbusters wird bei Mann radikal veräußerlicht und zum ästhetischen Prinzip verdichtet. Konsum der Welt in Bildern war gestern; der Blockbuster umgibt sich nicht mehr mit einer Welt – der Film wird zu Ende sein, wenn kein Geld mehr da ist… Kolumbien, Paraguay, Tahiti, Kuba, you name it. Es soll ja Filme geben, die nur drei Farbfilter brauchen, um den internationalen Drogenverkehr zu sortieren. Die Emotion ist bei Mann besonders; sie ist immer gestiftet durch eine Identifikation mit den Aggregatszuständen des Bildes (die tropisch-fluoreszierenden Nachtansichten von Biscayne Bay und Downtown Miami), in die sich sein Wert verkleidet. Jeder Blick ist sein Geld wert. Mindestens das unterscheidet Michael Mann von Raoul Walsh – he had money to burn and the flames are beautiful to behold.

*

Fabelhafte Sachen macht Dion Beebe mit der am gefährlichsten klingenden HD-Kamera der Gegenwart: der Grass Valley Viper von Thomson. Der in Cape Town aufgewachsene Australier gilt seit den dunkel-pulsierenden Bewegungsblöcken von In the Cut als Hollywoods experimentellster Kameramann. 2004 holte ihn Mann zum Set von Collateral, um Paul A. Cameron zu ersetzen. In der immer großartigen Fachzeitschrift American Cinematographer sind die Experten zwar stellenweise sehr unter sich („The filmmakers discovered that any levels below 20 IRE at +3dB or 30 IRE at +6dB on the actors‘ faces rendered an unacceptable amount of noise on the projected film image. Respectively, 20 and 30 IRE are roughly equivalent to 21/3 stops and 11/2 stops below medium gray (about 55 IRE) on a video signal.“); der Artikel über den Collateral-Dreh veranschaulicht aber zumindest ansatzweise die handwerkliche Komplexität der digitalen Praxis und gibt außerdem Einblicke in den kühlen Professionalismus von Michael Mann.

Freitag, 04.08.2006

Parallax Gap

The Unbearable Heaviness of Being Divine Shit
Burned by the Sun.
Pick Up Your Cave!
Copernicus, Darwin, Freud and Many Others.
Toward a New Science of Appearances.
Resistances to Disenchantment.
When the God Comes Around.
The Desublimated Object of Post-Ideology.
Danger?
What Danger?!

Ontic Errance, Ontological Truth.
Gelassenheit? No Thanks!
Toward the Theory of the
Stalinist Musical.

The Obscene Knot of Ideology, and How to Untie It
The Academic Rumspringa,
or,
the Parallax of Power and Resistance.
Human Rights versus the Rights of the Inhuman.
Violence Enframed.
The Ignorance of the Chicken.
Who’s Afraid of the Big Bad Fundamentalism?
Over the Rainbow
Coalition!…

(Kapitelüberschriften aus: Slavoj Zizek: The Parallax View. MIT Press 2006)

Wen das nicht abschreckt: Die Einleitung gibt es hier; eine vorbereitende Publikation ist bereits 2004 in der New Left Review erschienen; von Pakula ist nirgends die Rede.


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