Samstag, 05.01.2008

Die Retrospektive mit Filmen von Hou Hsiao-Hsien im Sommer 2007 in Berlin im Babylon Mitte

Die Retrospektive mit Filmen von Hou Hsiao-Hsien im Sommer 2007 in Berlin im Babylon Mitte. Oft im kleinen Studiokino mit der defekten Lüftung, und die rückseitigen Fenster waren geöffnet. Daher kamen dann die Stadtsounds, die sich auf die der Filme legten. Der eine Lieblingsfilm, PUPPETMASTER, ist voller traditioneller Melodien im Dienste des Rhythmus. Von Streichinstrumenten, die wie verstimmte Flöten klingen. Halbtonlastigkeit. Für Momente, drei- oder viermal, ein eigens komponierter Score: etwas Ambientiges mit dominanten Saiteninstrumenten. Das wird dann auch als Tonbrücke genutzt, Bilder miteinander zu kombinieren. Die einzelne Sequenzen werden durchweg durch langsame Aufblenden eingeführt und ausgeleitet durch langsame Abblenden. Manchmal hörst du den Berliner Sommernachtregen als Parallelgeräusch aus den geöffneten Fenstern, das ist schön, das passt irgendwie.

Viele Szenen in Innenräumen. Ist ein bestimmter Aufnahmewinkel einmal etabliert, wird er meist auch in späteren Szenen innerhalb eines Settings wiederverwendet. Selten Gegenschüsse, die eine Orientierung über die Raumverhältnisse ermöglichen würden. Lichtquellen unterschiedlicher Intensität. Im Bildhintergrund meist eine Art Öffnung, ein definiertes Off, aus dem häufig Leute aus diffusem Licht in die Szene treten. Ein meist schwaches Oberlicht. Es beleuchtet einen kleinen Kegel in der Bildmitte. Dazu schwaches Seitenlicht, häufig von rechts. Im Bildvordergrund befinden sich Vorhänge, Mauervorsprünge, halb geöffnete Türen, Tücher. Die behindern den Blick und verbinden sich mit den Schatten im Bildmittelpunkt zu einer besonderen Flächigkeit. Sie staffeln. Keine repräsentative Perspektive. Aufgrund dieser Staffelungen und Bewegungen im Bild dessen Tiefe. Die Theater- und Puppenspielaufführungen sind ganz anders strukturiert. Das Puppenspiel in einer schön aufwändigen, tragbaren Bühne. Die gibt zunächst den Rahmen. Später langes Zuschauen in Seitenblicken, angeschnitten, hinter die Szene.

Der Puppenspieler in PUPPETMASTER häufig aus dem Off zu hören, erst nach einer ganzen Weile sieht man ihn dann, am Ort des gerade gesehenen Geschehens. In unterschiedlichen Jetzt-Kleidungen tritt der dann noch 5 oder 6 mal in den Film, immer aus der eben noch die Vorher-Fiktion erfassenden Perspektive an den gerade noch aufgeladenen Schauplätzen gefilmt. Eine erschreckende Gelassenheit kommt daher.

Landschaftstotalen mit transistorischen Funktionen. Ihr Bewegungsinhalt handelt von Reisen, Passagen, Bewegungen von einem Ort zum anderen. Selten wird dabei klargemacht, wohin es geht. Über eine schmale Hängebrücke wandert eine japanische Militärkapelle, gerade noch kann man sie anhand ihrer weißen Uniformen und einer kleinen Standarte mit der japanischen Flagge erkennen.

Oft ist Rauch oder Staub im Bild, sei es von den offenen Feuerstellen in den Häusern, aus den langen Pfeifen mit den kleinen Köpfen, oder es ist vom Wind aufgewirbelte Erde vom Rand der Wege.Die Landschafts- und Außentotalen gerne am frühen Morgen oder am späten Abend. Lange Schatten, eine Art Lichtfilmeindruck. Ein Licht aus starken Strahlen, geschichtet. Die Umrisse der Berge am Horizont.

Gewaltigkeit, Ausbrüche.

Die Zigarettensequenz. Er nimmt eine Zigarette und steckt sie quer zwischen seine Lippen. Sie entzündet einen Streichholz und bewegt ihr Gesicht neben seines. Wange an Wange mit ihm entzündet sie nun das eine Ende der Zigarette und inhaliert am anderen, ihm ganz nah. Das ist eine von ihnen eingeübte Routine, ein Stunt, den sie hier, unbeteiligt routiniert, einem Zuschauer, der mit am Tisch sitzt, vorführen. Ich erinnere mich daran, dass diese Szene eine Sequenz aus Shanghai darstellt.

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SUMMER AT GRANDPAS

Gewaltige Bilder des Offiziellen, militärisch anmutende Formationen, Chorgesang aus hunderten von Kehlen. Die offizielle Verabschiedung aus der Grundschule. Eine Art Rede eines kleinen Mädchens: Erinnerung an die Einschulung und die Größe der zurückgelegten Schulzeit. Emphatischer Dank an die aufoperungsvollen Lehrer. Schule des Lebens.Der Junge, von dieser Verabschiedung vom Vater abgeholt. Die Mutter im Krankenhaus. Eine schwere Operation steht an, die Mutter ist schwach. Erinnerung an die Pflichten des Aufenthalts beim Großvater. Szenisches Diktat der Auflösung. Die Inszenierung in Einheiten. Die alten Grammatiken. Totalen, Halbtotalen, Halbnahe. Die beiden Kinder, das Mädchen ist vielleicht 5, der Sohn vielleicht 10, sollen den Sommer über beim Großvater verbringen auf dem Land. Fahrt mit dem Bruder der Mutter und dessen Freundin im Zug aufs Land. Das rhythmische Geräusch der Passage über die Schienen. Bahnhöfe, Transiträume. Deren Weite und Funktionalität. Deren Durchlässigkeit. Die Szenen sind hier wichtiger als die einzelnen Bilder. Die Einzelbilder sind der Kitt, die Zwischenfälle der Werkstoff. Das Mädchen macht sich in die Hose. Der Onkel verpasst den Anschlusszug. Warten der beiden Kinder auf dem ländlichen Bahnhofsvorplatz. Er spielt mit seinem fernsteuerbaren Modellauto und tauscht es gegen eine Schildkröte der zuschauenden Dorfjugend. Der Film ist eine Romanverfilmung. Viel Licht, wenig Dunkel, was an der Wahrnehmung und den Wachzeiten der Kinder liegen wird. Der Großvater ist ein stiller und autoritärer Arzt. Die Großmutter umsorgend. Patienten. Spiel im Inneren des Haus. Spiel im Äußeren, als die anderen Kinder ihre Schildkröten gegen weitere Spielzeuge eintauschen wollen. Episoden, Anekdoten, lockere Verknüpfungen. Die Milde des Sommers ist kaum von einer eingebauten Vergänglichkeitsanmutung unterspült (wie in The Boys…). Stattdessen formative Ereignisse. Deren Formbildung wird jeweils szenisch registriert. Es ist, als ob die Szenen am Ende jeweils einen Vollzug annoncieren: Wir haben hier gesehen, wie der Junge dies oder jenes gelernt hat. Beispiel: Mit seinen neuen Freunden macht sich der Junge auf zum Spiel in der Gegend. Die kleine Schwester will mit. Die anderen wollen es nicht. Sie beschließen, ihr zu enteilen. Sie rennt hinter den Davoneilenden her. Sie verfängt sich in den Schienen. Das sieht der Junge von weitem. Die Verrückte aus dem Dorf rettet das Mädchen. Sie schleppt sie huckepack die Schienen entlang laufend zurück und die Jungen folgen ihr und wollen das Mädchen herausgegeben wissen. Aber die Verrückte hört nicht auf sie. Rumpelige 16mm-Kopie, ausgebleichte Untertitel. Kleine Aufmerksamkeiten, Zwischenschnitte auf Details. Sie müssen im vorliegenden Roman eine Besonderheit bedeutet haben. Wie der Onkel verstoßen wird vom Großvater und sich versteckt in der kleinen Stadt in einer kleinen Wohnung. Dort beherbergt er fliehende Kleinverbrecher. Die kennt er noch aus seiner Jugend. Der Junge erkennt sie bei einem Besuch. Die Polizei befragt ihn. Er denunziert den Onkel.

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MILLENIUM MAMBO

Erinnerung an die Marktvorführung des Films während der Berlinale 2002. Wir hatten ein paar der Filme von HHH in den Berliner Kinos gesehen, die Geschichtsfilme. Eine Video-CD mit schlechter Bildqualität von GOODBYE SOUTH, GOODBYE war im Umlauf. Das Porträt von Assayas. Im überfüllten Studiokino des Babylon. Dichte Luft. Leute mussten an den Wänden stehen. Nebenan im großen Saal wurde vor wenigen Zuschauern ein Bergmannfilm gezeigt, weil Bergman tot war. Wieder gab es eine Panne bei einem Aktwechsel. Jack Kao in der Sauna, man sah nur die untere Hälfte des Bildes. Der Vorführer hatte den Bildstand nicht korrigiert, es dauerte diese ganze Szene, bis man die Sache richtig anschauen konnte. Jack Kao spielt in vielen Filmen HHHs. Die Frau spielt in einigen, zuletzt in 3 TIMES. Die Erzählzeit, die Filmzeit, deren Auswirkungen auf die Realzeit. In MILLENIUM MAMBO unterspülen sich die Verhältnisse. Eine heimelige Irritation. Der Off-Text der Erzählerin, die nicht identisch ist mit der Frau. Drei Figuren im heutigen Taiwan. Taipei, das sind Innenräume, eine kleine Wohnung, in der sie mit Hao-Hao wohnt, eine Disco, eine Sauna, die Wohnung Jacks. Es gibt wenig Außen, eine Brücke, Jacks Auto. Die strömende Musik, ambientiger Techno. Hao-Hao steht oft vor den Plattenspielern und versorgt den Film damit. Dann aber verselbständigt sich diese Musik. Sie bildet den Kitt. Jemand nannte diese Filme HHHs (Millenium Mambo, Goodbye South Goodbye) seine „Zeitgeistfilme“. Die Musik versorgt die Bilder mit einer sanft pulsierenden Wärme. Die Kamera in den Innenräumen. Meist steht sie zu Beginn fix, arretiert. Doch innerhalb der Szene bewegen sich die Akteure. Die Akteure scheinen sich der Kamera nicht bewusst. Oft sind sie angeschnitten gezeigt, ein relatives Off entsteht aufgrund ihrer Bewegungen aus der fixen Kadrierung heraus. Nach einer Weile des Verharrens beginnt die Kamera anscheinend neugierig zu werden. Sie verharrt nicht mehr. Sie sucht sich Sachen aus dem Bild, die sie neukadriert. Die Kamera ist aber schnell wieder gelangweilt, sieht stumm, resignierend, die Beharrlichkeit, mit der sich die Figuren ohne ausreichende Mittel bekriegen.

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DAUGHTER OF THE NILE

Problem der Parallelmontage. Kaum etwas verstehe ich hier. Taipei. Ein junges Mädchen, ohne Mutter, der Vater über weite Strecken des Films nicht anwesend. Später erfährt man, dass er bei einem Wachdienst arbeitet. Kriminelle Vergangenheit. Das Mädchen aber ist die Hauptfigur. Sie kümmert sich um die kleine Schwester. Sie arbeitet bei Kentucky Fried Chicken als Bedienung. Ihr Bruder, kriminelle Machenschaften, nachts begeht er Diebstähle. Die schiefe Bahn. Bodyguard für einen Gangster. Leiter eines Restaurants. Die Unterwelt, die schiefe Bahn. Das Mädchen hat Schwierigkeiten in der Schule. Gewalt. Der Großvater, wohl Vater der toten Mutter, wird vom Puppetmaster gespielt. Auch hier wieder: ein Feuerwerk (wie in Summer at Grandpa’s und Puppetmaster).

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FLOWERS OF SHANGHAI möchte ich gerne wiedersehen.

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