Montag, 23.06.2008

Euro 2008

Ich bin weder ein besonders geübter noch ein besonders konzentrierter Fussballzuschauer, aber beim Spiel der Niederlande gegen Russland hat man die chauvinistische Bildregie kaum übersehen können.

Wann immer der russische Fanblock zu sehen war, orientierten sich die Bilder an der Ikonographie der Horde: barbäuchige, nicht besonders hübsch anzusehende Grölende, wippend im Takt ihrer Trommeln. Als pars pro toto für „Niederlande“ dagegen wurden jeweils Großaufnahmen von traurig-ätherisch dreinblickenden Blondinen (die Niederlande lagen zu diesem Zeitpunkt zurück) mit Fähnchen auf den zarten Wangen gezeigt. Diese Form der dubiosen Emotionalisierung der Übertragung scheint mir viel stärker zu sein als noch vor zwei Jahren. Auch sonst kommt es mir vor, als seien die medialen Player von der Nationalisierungswelle 2006 (selbst wenn sie aktiv daran mitgearbeitet haben), zu sehr überrascht worden, um seinerzeit im Vorhinein ihre geballten Kollateralmaßnahmen darauf abzustimmen. Heute jedoch arbeitet jeder Auto-, Bier- und Sonstwasfabrikant genauso wie die Berichterstattung selbst am laufenden Meter mit den Fahnen. Dass „Europa“ dabei kein Korrektiv, sondern ein zusätzliches, nur scheinbar metanationales Signifikat sein würde – die Summe, nicht das Gegenteil der Fahnen –, war absehbar.

Wahrscheinlich verhält es sich so, wie Saskia Sassen es in ihrem Buch über die Globalisierung beschreibt: Das Globale ist nicht als Überwindung oder Abbau des nationalen Prinzips zu verstehen, sondern als seine Modifikation. In der heutigen SZ steht eine Besprechung ihres Buchs, aber in der gleichen SZ schämt man sich nicht, auf Seite 2 die widerliche Formulierung, dass „das Boot“ „voll“ sei, nicht nur zu benutzen, sondern gleich gut europäisch in den Plural zu versetzen. Zwar sind hier ganz wörtlich die Flüchtlingsschiffe gemeint, aber mit der Formulierung handelt man sich die Metapher ein und mit der Metapher das Ressentiment.

Ein Kommentar zu “Euro 2008”

  1. Volker Pantenburg schreibt:

    Ich muss vielleicht hinzufügen, dass ich das Spiel in Budapest sah.

    Aufgrund der Praxis des sogenannten „Weltbilds“ („Über die Bildauswahl bei der EM entscheiden nicht die TV-Sender, sondern der Veranstalter Uefa. 30 Kameras hat dessen Tochter Umet (Uefa Media Technologies) in jedem Stadion verteilt. Alle TV-Sender bekommen das gleiche Livematerial geliefert – das sogenannte Weltbild.“) war ich der Meinung, dass es schlicht egal ist, wo man das Spiel sieht. Allerdings heißt „Livematerial“ ja, dass die Übertragung, die aus diesem Material zusammengestellt wird, von Sender zu Sender unterschiedlich sein kann. Das ZDF-Spiel sieht daher unter Umständen (und sehr wahrscheinlich) anders aus als das bei M6, auch wenn es aus dem gleichen Bildpool zusammengestöpselt ist.

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