Montag, 21.03.2011

Lindtberg & Sirk

Die beiden haben wirklich nicht viel gemeinsam, und doch möchte ich sie hier zusammen nennen, weil ich niemals Regisseuren begegnet bin, die so unprätentiös und legendendistanziert über ihr eigenes Werk zu sprechen vermocht haben. Es war nicht nur ein Vergnügen, es war eine Wohltat.

Ich selbst gehöre zu den Menschen, die allergisch auf Kulteinrichtungen und Kultpersonen reagieren, noch mehr auf ihre Anhänger, ob es in Österreich „unseren Wolfi Bauer“ betrifft oder einen so schlechten Kicker wie Horst Krankl (zugegeben mit einer Ausnahme: Oskar Werner). Ist die Legende einmal geboren und wird sie von jenen, die mal dabei sein durften, in der Heiligsprechung weiter genährt, scheint offensichtlich nichts mehr zu machen zu sein. Das betrifft das Bauhaus genauso wie das Zürcher Schauspielhaus oder das kommunistische Nachkriegstheater „Scala“ in Wien. Seit Jahren hegte ich schon meine Bedenken gegenüber dem Mythos Zürich. Die angeblich geglückte Allianz zwischen KP-Mitgliedern und „fortschrittlichen Bürgerlichen“ für ein „humanistisches Theater“ des Volkes, wie es im kommunistischen Jargon heißt, wurde besonders in der DDR und in Linkskreisen als Beispiel für eine Art kulturelle Volksfront über Gebühr gelobt. Am ehesten ließ man die angefrechte Bemerkung zu, daß im Zürcher Schauspielhaus sich viel einfand, gewiß aber nicht das „Volk“. Konnte man mit den „Zürchern“ in Wien und in der DDR nicht einmal in Ansätzen darüber reden, war es bei dem Star der Show ganz anders, bei Leopold Lindtberg. Bei ihm bedurfte es nicht einmal eines vorsichtigen Anstoßes, und der große Zampano packte sozusagen persönlich aus, wie selten eine Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus wirklich gelungen war, wie sehr die extrem kurzen Probenzeiten und die hohe Premierenzahl das verunmöglichten, wie heterogen das Ensemble war, keine Einheit, lauter Einzelkönner. Als ich ihm gegenüber Marion Wünsche zitierte, Witwe nach Heinrich Gretler, die das Sprechgemisch aus jiddisch und halb erlerntem Schwyzerdütsch zum „Schuheausziehen“ empfand, stimmte er mir schallend lachend zu und befand alle Elogen über das Zürcher Schauspielhaus als falsch und peinlich, die Leute wären eben nicht dabei gewesen und die, die mitgemacht hätten, in einem Mythos befangen. Was hätte er sich Schaubühnenbedingungen gewunschen. Die Klage führte zum geizigen Filmproduzenten Lazar Wechsler über, für den Lindtberg seine berühmten und wirklich nicht schlechten schweizer Spielfilme machen mußte. Es dürfte weniger bekannt sein, daß Lindtberg in Berlin kurz vor den Nazis seinen ersten Kurzspielfilm drehte, finanziert ausgerechnet von Sam Spiegel, der Komponist war Berthold Goldschmidt. Ich befragte Lindtberg nach seinen signierenden wie illegalen Drehbuchautoren, nach seinen „Negern“, nach Horst Budjuhn, Wilhelm Treichlinger oder Hans Weigel. Und urplötzlich begann er von der Fernsehserie Der Kommissar zu schwärmen, von der Crew, der exzellenten Vorbereitung bis ins kleinste Detail, am allerliebsten inszeniere er für den Ringelmann, das mache wirklich Spaß (warum dann nur eine Folge?). Ich hatte Lindtberg zweimal interviewt, dazwischen ein paar Jahre lagen (er konnte sich an mich ohnehin nicht mehr erinnern), was stets von großem Erkenntnisinteresse ist und bemerkenswerte Widersprüche wie auch neue Informationen und Einsichten zu Tage fördert, und was ich nur jedem Oral-Historiker zur Pflicht auferlegen möchte. Konstant blieb an beiden Gesprächen in Zürich und Wien seine Haltung zum Zürcher Schauspielhaus und seine Bitte, ich möge nicht publizieren, daß er als Leopold Lemberger geboren wurde. Es schien mir diese Bitte absurd, weil die meisten Lexika es bereits veröffentlich hatten, nur für Lindtberg war und blieb der Lemberger die Herzensangelegenheit.

Douglas Sirk war natürlich ganz anders. Ich hatte von ihm, so unglaubwürdig das klingen mag, bereits als sechzehnjähriger in Graz gehört, denn in meiner theatralischen Pubertätsphase war ich von Friedrich Forsters Der Graue (1931) ganz hingerissen, und dieses Schülerselbstmorddrama war einem Detlef Sierck gewidmet, vermutlich dem Regisseur der Uraufführung. Jahrzehnte später dann hatte ich mit Sirk viele Briefe gewechselt, er war von meinem Filmkritikheft Straschek Westberlin 1963-74 (das Handke als die „verlogenste Selbstdarstellung des Vorjahres“ bezeichnet hatte) absolut begeistert und schrieb mir gleich eine Empfehlung für seinen vormaligen Produzenten Al Zugsmith in Hollywood. Persönlich gesprochen habe ich Sirk nur einmal, das war am 23. II. 1975 in seiner münchner Absteige, der Pension Biederstein am Englischen Garten. Es war nahezu amikabel und Sirk „konfessionierte“ sogleich, daß er zu all dem Ruhm gekommen sei wie die Jungfrau zum Kind und daß er die Kritik der Cahiersleute absolut nicht verstehe. Ich glaube nicht, daß das eine Attitude war. Sirk war ein richtiger craftsman mit einem unbestechlichen Gefühl für Stil und Rhythmus, zugleich aber auch metaphysikresistent. Wir tratschten am meisten über Universal und seine Filme für diese Firma. Am wichtigsten war für ihn der Produzent, und da stand ihm der am nächsten, der ihm eigentlich am fremdesten war, ihn aber arbeiten ließ, nur auf die Einhaltung von Budget und Terminen achtete, eben Al Zugsmith. Problematischer schon war es mit Ross Hunter, denn der kannte Paris, war schwul und empfand sich als „europäischer“, was für Sirk bedeutete, er redete drein, gab Ratschläge, war ständig dabei etc. Sirk fühlte sich dem hervorragenden Kamera- und Editingpersonal von Universal eng verpflichtet, wobei er Kameramann Russell Metty und Editor Russell Schoengarth heraushob. Gossip gab’s natürlich auch, das eigenartige Benehmen von George Sanders gegenüber Frauen (er war ja mit zwei Gaborschwestern verheiratet), nämlich nichts, überhaupt nichts zu tun, so wie er bestenfalls seinen Text lernte, nie ein Drehbuch las, von einer russischen Leere und Absurdität durchdrungen; daß er sich so spät suizidierte, wunderte Sirk am meisten. Und dann kam er auf seine Schwierigkeiten mit Dorothy Malone zu sprechen, die sich extrem prüde benahm und in christlich strenger Moral. Welch ein Glück, daß wir Cinéasten das nicht gewußt hatten, damals, als wir uns zigmal The Big Sleep angesehen hatten mit unserer Lieblingssequenz im Buchladen gegenüber von Geiger, wo sie für Bogey die Brille abnahm und das Haar öffnete…
Sirk ist nicht nur der Meister von Written On the Wind und „A Time To Love And A Time To Die“ (für mich sein chef d’oeuvre), seine Könnerschaft manifestiert sich auch in den „kleineren“ Filmen wie Has Anybody seen My Gal. Sirk konnte natürlich nicht selbst besetzen, aber er versuchte stets, exilierte Schauspieler wie Lotte Stein oder Hermine Sterler oder Gisela Werbezirk unterzubringen. Wenn Fred Nurney so oft dabei war, dann nicht primär aus besonderer Freundschaft, sondern weil Nurney als Fritz Nuernberger in Des Moines, Iowa, geboren wurde und als Achtzehnjähriger nach Deutschland gekommen war, mit anderen Worten, weil er ein akzentfreies Amerikanisch sprach. Der oft von exilierten Schauspielern und Schauspielerinnen gegenüber ihren ebenfalls exilierten Produzenten und Regisseuren gemachte Vorwurf, sie kümmerten sich nicht um sie, ist insofern ungerecht, als es für diese Produzenten und Regisseure ein „Aufstieg“ war, sich thematisch aus Europa zu verabschieden und die kruden Antinazifilme aufzugeben und sich ur-amerikanischen Sujets zu widmen. Und dafür waren die Exilierten ihres dicken Akzentes wegen meist völlig ungeeignet.
Sirk bereitete es auch keine Schwierigkeiten, in einem gewissen Sinne zuzugeben, daß er vom Filmexil zunächst einmal profitiert habe, denn die Filmstudios suchten ab Mitte der 30er Jahre nach Regieneulingen und durchforsteten die Theater. So kam er zum Film. Das Leben wurde ihm, dem »Arier«, von den Nazis schwergemacht, die ihn bedrängten, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen. Lieber gab er die Leitung des Alten Theaters in Leipzig auf. Und nicht zuletzt von der Mutter seines Sohnes Claus Detlef Sierck [wurde ihm das Leben schwergemacht]. Selbst die Nationalsozialisten mußten zugeben: „Es ist bekannt, dass Sierck von seiner ersten Frau erheblich verfolgt wurde und dass sie an allen Plätzen seiner Tätigkeit und bei allen möglichen Personen versuchte, Sierck zu schaden. Von welch rachsüchtiger und niederträchtiger Sinnesart diese Frau besessen ist, geht aus dem Scheidungsurteil hervor, das sich in den Händen meines Abstammungsnachweises befindet.“ (Akte Sierck im vormaligen BDC). Im Dezember 1937 hatte Sirk genug und exilierte mit seiner jüdischen Frau zunächst über Wien nach Italien. Während Sirk im Zweiten Weltkrieg in Hollywood für Nebenzahl den Lidicefilm Hitler’s Hangman dreht, kämpfte sein Sohn für das Deutsche Reich. Er ist am 6. VI. 1944 „als Angehöriger des Regiments ‚Großdeutschland‘ im Osten gefallen.“

Es waren die an obigem Antinazifilm beteiligten Brüder Albrecht Joseph und Rudolph S. Joseph, die mir, neben vielen anderen unsympathischen Zügen, durch die ersten Despektierlichkeiten gegenüber Sirk auffielen. Das steigerte sich bei jedem Treffen, ob in Spoleto, London oder Berlin [West] zu einer Art Hetze gegenüber Sirk, den sie für blöd und feige hielten. Der unerquickliche Briefwechsel der Gebrüder miteinander kann in der Exilabteilung der DNB zu Frankfurt am Main eingesehen werden. Albrecht Joseph erklärte mir eine Szene aus seinem Drehbuch, die Sirk, feige wie dieser gewesen sein soll, sich weigerte zu drehen. Ich konnte Sirk nur Recht geben. Das Problem mit den Brüdern Joseph bestand darin, daß beide eine Art Schlattenschames von bekannten Leuten waren, darunter furchtbar litten, und sich entweder in ihrem Tun maßlos überschätzten (Rudolph S.) oder die Prioritäten falsch setzten; Albrecht Joseph las in der Universalkantine Proust, während seine Cutterkollegen den Namen noch nie gehört hatten und bei Micky Mouse blieben. Dieser Hochmut, nicht untypisch für Exilanten im allgemeinen und für einen Dr. phil., verheiratet mit Gustav Mahlers Tochter, im besonderen, verkannte die Tatsache, daß Schoengarths Befähigung im gekonnten Filmschnitt zu liegen hatte und nicht in Kenntnis französischer Literaturgeschichte.
Auch wenn die Josephs mit ihrer Feindschaft gegenüber Sirk nicht hinter dem Berg hielten, war es eine große Überraschung und Enttäuschung für mich, daß andere Exilierte ihm nicht gewogen waren, genauer gesagt, ihm seinen Ruhm neideten. Ich erinnere mich momentan an keine Namen, aber mehrere fragten in der Art „Sagen Sie, stimmt es, daß Sirk in Europa direkt berühmt ist?“. Auf mein Bejahen reagierten sie mit Unverständnis und Kopfschütteln. Sirk war für sie ein „traffic warden“, eine Art Verkehrspolizist für Rock Hudson, der für Universal einen Kitschfilm nach dem anderen abdrehte, hanebüchene Trivialitäten, und sich gar noch als Däne ausgab (was Sirk mir gegenüber lachend zugab, aber es sei damals in Hollywood immens schwierig gewesen sein, als nichtjüdischer Deutscher arbeiten zu können – allein, daß er sich drei Jahre jünger machte, hatte er auch mir gegenüber verschwiegen). Um Sirk zu treffen, lobte man Wyler, Zinnemann oder Kazan, den pseudorealistischen Problemfilm, das Nachdenkkino für den kleinen Mann.

Als ich Sirk fragte, ob ich irgendetwas für ihn in Hollywood tun könne, antwortete er mit „Ich habe damals, als ich fortging, alle Bande vorsätzlich zerschnitten, die Filmvorhaben, die mir später angetragen wurden, ignoriert oder abgelehnt, und auch nie wieder alte Verbindungen neu geknüpft.“ (Douglas Sirk an G. P. Straschek, Brief vom 18. IX. 1974; Privatarchiv Straschek).

– Günter Peter Straschek –
(geschrieben im Sommer 2009)

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