Amerikanische Kinos (2)
Das „Zeitgeist“ in New Orleans ist kein Kino, es nennt sich Multi-Disciplinary Arts Center. Was nach unterkühltem Kunstort klingt, ist ein angenehm provisorischer, großer Raum mit zusammengewürfelten Sitzmöbeln. Seit 1986 gibt es „Zeitgeist“, sie haben nie einen Dollar Subventionsgelder erhalten, betont der stämmige Mann in Shorts, der vor den Filmen ein paar Worte sagt. Vorher verkauft er Bier an der Theke. Er weist auch darauf hin, dass man, wenn man während der Vorstellung aufs Klo gehe, das Licht erst dann anmachen soll, wenn die Klotür zu ist, sonst scheint es in den Projektionssaal hinein. Bevor er das Wort an den Organisator des Abends übergibt, macht er Werbung für die Filme von Helen Hill, die man – auf DVD – an der Kasse für 20 Dollar kaufen kann. Mit dem Geld soll eine Filmkopie finanziert werden, damit ihr letzter Film fertiggestellt und auf einem Festival gezeigt werden kann. Helen Hill ist am 4. Januar 2007 in ihrem Haus in New Orleans ermordet worden, sie war 36 Jahre alt.
An diesem Abend werden zwei Projektionsperformances von Luis Recoder und Sandra Gibson gezeigt. Die beiden haben ihre Arbeiten nachmittags auf der Konferenz vorgestellt, dies ist nun der praktische Teil. Ich habe vergessen, wie die beiden Performances heißen, aber beide basieren (wie die meisten Arbeiten von Recoder/Gibson) auf kleineren oder größeren Modifikationen der 16mm-Projektoren. Bei ihrer Präsentation nachmittags gab es eine Arbeit zu sehen, bei der in einer Galerie ein Projektor steht, dem die Auffangspule fehlt. Das Filmmaterial fällt auf den Boden der Galerie und türmt sich dort zu einem verknäulten Berg, solange die Ausstellung dauert.
Die Eingriffe bei den beiden Arbeiten heute abend sind komplizierter. Bei der ersten, etwa 30 Minuten lang, kommen zwei Projektoren zum Einsatz, die unscharfe und an den Rändern ausgefranste Farbflächen projizieren. Die beiden Bilder lagern sich übereinander, lösen sich von der Wand ab, bekommen eine flüchtige Räumlichkeit, geraten ins Flattern. Wie der atmosphärische elektronische Klang damit zusammenhängt, ist nicht ganz klar. Als eines der Bilder zwischendurch einmal etwas an Schärfe gewinnt, merkt man, dass den abstrakten Farbflächen ein konventioneller Erzählfilm zugrundeliegt, man kann Schuss- Gegenschuss-Passagen ausmachen. Ein besonders gut präparierter Filmkonferenzteilnehmer wird später in der Lage sein, den Film zu identifizieren. Die beiden Künstler sagen aber, dass ihnen der Film egal ist, es gehe ihnen nur um die Farben und Rhythmen (Komisch, denke ich, was soll denn Film anderes sein als Farben und Rhythmen).
In der zweiten, stummen Performance hat das Bild zwar rechts und links Grenzen, aber oben und unten setzen sich seine Farben als bunte, vertikale Streifen auf dem Boden und die Decke entlang wie ein langer, schmaler Vorhang fort, der sich wogend nach links und rechts bewegt. Ich bin mir nicht sicher, ob dies der perfekte Film für Tapetenverkäufer oder im Gegenteil ihr Alptraum ist. Man könnte, sollte oder müsste bei dieser Performance vielleicht aufstehen und im Raum umhergehen. Aber um mich herum steht niemand auf und geht im Raum umher, und also stehe auch ich nicht auf und gehe im Raum umher.
[Freitag, 11. März, Zeitgeist Multidisciplinary Arts Center, 1618 Oretha Castle Haley Blvd., New Orleans, LA 70113-1311]