The Greatest Show on Earth
Sign of the Cross (1932 Cecil B. DeMille)
Vor dem Palast werden Esel gemolken. Deren Milch, in Eimern weitergereicht und in einen Zulauf gegossen, fließt durch eine Leitung und füllt einen kleinen Pool, in dem Neros Gattin Poppaea (Claudette Colbert) ein Bad nimmt. Am Beckenrand zwei durstige Kätzchen.
James Agee lobte (in Time, 1947, anlässlich Unconquered) „die Überschwänglichkeit, die der 66jährige DeMille sich als fast einziger seines Faches aus den alten Tagen bewahrt hat, als selbst die Leute, die über das Kino lachten, nicht umhin konnten, es zu genießen.“
The Godless Girl (1929 Cecil B. DeMille)
Ein Flugblatt und dessen Kehrseite. Provokationen zwischen den Geschlechtern.
Er ist Anführer einer wilden Horde gläubiger Christen. Sie leitet den Klub der Gottlosen.
„Mr. Cecil B. DeMille: über diesem warmherzigen und sentimentalen Heilsbringer lag immer ein Hauch von Genie, aber auch von Absurdität.“ (Graham Greene, im Spectator, 1937, begeistert von The Plainsman)
Weitere Bewunderer: Sadoul und Sarris und Scorsese („His miniatures were as powerful as his frescos“). Die Jamaikaner… (Basil Wright hat das John Grierson erzählt) …“went crazy over The Sign of the Cross„.
DeMille war „by far the most popular director that ever lived“, sagt Hawks (im Gespräch mit Bogdanovich). Aber „auch derjenige“, meint Luc Moullet (in den Cahiers du Cinéma), „dessen Werk am unbekanntesten und am verkanntesten ist.“
Claudette Colbert in Four Frightened People (1934 Cecil B. DeMille), beim Kartenspiel im Dschungel, eine Schlange neben ihr.
Kurz danach, während sie unter einem Wasserfall duscht, klaut ihr ein Affe sämtliche Kleidung. Aus Blättern schneidert sich die Lehrerin dann in der Not ein schickes, bauchfreies Abendkleid.
Ihre Gefährtin, die lustige Mary Boland, wird von einem wilden Stamm verschleppt. Als der Häuptling ihre Hinrichtung ankündigt, erschallt Protest der Stammesfrauen. Denn mit denen hat sie sich angefreundet, ihnen beigebracht, wie man verhütet.
The Story Of Dr. Wassell (1944 Cecil B. DeMille), Bluttransfusion und Tanzperformance für Soldaten.
Einen so großen Papagei hatte ich nie zuvor gesehen. Der Nachtklubbesitzer, dessen Pornokino wir für einen Abend gemietet hatten, lud uns zu sich nach hause ein, in seinen Bungalow, der mit farbenfrohen Lackmöbeln aus Italien im Stil eines Antikfilms ausgestattet war. Er führte uns in den kargen Garten und ließ uns von dort durchs Fenster ins leerstehende Kinderzimmer schauen, in dem die Tapeten in Fetzen von den Wänden hingen.
Die wankende Gangart, mit der sich der Riesenvogel aus seinem Zimmer heraus über den Flur uns näherte, ließ mich an Boris Karloff denken, wohl wegen der gleichzeitigen Empfindung von Bedrohung und Traurigkeit. Die an allen Türen der Wohnung abgenagten Oberkanten verrieten, dass es dem flügelgestutzten Wesen trotz täuschender Schwerfälligkeit nicht unmöglich war, Höhen zu erklimmen. Sein Schnabel war so groß wie die Schneide einer Axt.
Im Keller, dem einzigen Raum, aus dem der Papagei ausgesperrt blieb, fühlte ich mich sicher. Außerdem war dort ein Schatz versteckt: Ein 35mm-Projektor, dazu ein paar Sessel vor einer kleinen Leinwand, und schmale Gänge mit Regalen voll Filmkopien. Herzstück der Sammlung waren Filme mit Brigitte Bardot, der unser Gastgeber vor langer Zeit, als junger Mann, für einen kurzen Moment im Garten ihrer südfranzösischen Villa gegenübergestanden hatte, unbefugt eingedrungen und zu schüchtern irgendwas zu sagen.
In der leicht bedrückenden Atmosphäre dieses – wie wohl aller – Privatkinos durften wir uns etwas zum Lachen ansehen, den letzten Akt eines W.C.-Fields-Films, die Autofahrt zur Frauenklinik aus Never Give a Sucker an Even Break (1941 Edward Cline). Aber „der beste Film, der je gemacht wurde!“ – den wollte Peter Hübner uns, wegen der Länge, ein andermal zeigen. Sein Lieblingsfilm – „in Technicolor!“ – das war (vor nunmehr einem Vierteljahrhundert, und ist, wenn er noch lebt, bestimmt bis heute) The Greatest Show on Earth (1952 Cecil B. DeMille).
Überblendung in Four Frightened People (Kamera: Karl Struss)
Cocteau nannte DeMille einen Prinzen der Leinwand, und pries „seinen Stil, seine kühne, kindliche Handschrift, in Großbuchstaben“.
Züge und Schiffe, und Wracks von Zügen und Schiffen. Kerker und Tempel, und Ruinen davon. Dschungel, Wüste, Ozean. Drei Manegen.
Wolkenwände, Nebelschwaden, Blitze und Feuer. Schleier aus Tinte und Blut.
Man muss das Wort „Aufladung“ ins Feld führen, wie Theweleit es tut in einer Fußnote im „Buch der Könige“, um dem Gedanken, die Kunst käme aus „Versagung“, noch einmal das Misstrauen auszusprechen.
DeMilles Cutterin bei allen seinen Filmen war Anne Bauchens. Die Story eines Films unbemerkt in ständigem Fluss, unter Strom zu halten, daran sah sie ihre Hauptaufgabe. Sie stritt viel mit DeMille.
Ein Leopard und ein Schwan geraten tatsächlich aneinander, gleich zu Beginn von The King of Kings (1927). In Sign of the Cross bekämpfen sich „Pygmäen“ und „Amazonen“ mit Fackeln und Spießen. Der Riesenoktopus in Reap the Wild Wind (1942) ist knallrot.
Reap the Wild Wind (1942 Cecil B. DeMille)
„Over the years, DeMille handled every existing film genre and formulated some that never existed before.“ (Ephraim Katz)
„DeMille, dieses Hollywoodmonument, war gegen das Starsystem. Er machte mit Massen Filme fürs große Publikum. Kollektivbauten, wie die Eisenbahnlinie, die von Osten nach Westen alle Amerikaner miteinander verband, das waren seine Sujets.“ Frieda Grafe, 1979 in der SZ, anlässlich einer Münchner Nachmittagsvorstellung von Union Pacific (1939).
3. August 1956: Charlton Heston, per Telefon über die ersten Reaktionen auf The Ten Comandments informiert, schreibt in sein Tagebuch: DeMille was full of quotes from people like Rabbi Magnin and Cardinal McIntyre. It made for a happy afternoon.
Gary Cooper richtet ein Gebet an einen fremden Gott in The Story Of Dr. Wassell (1944). Hat er damit Erfolg? Wie geht die Geschichte weiter? Always entertaining – Das ist die Quintessenz aller, auch der herablassendsten Bewertungen von DeMilles Schaffen.
Seine Autobiographie berichtet, Sign of the Cross sei auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise ins Kino gekommen, als während des „Bank Holiday“, um einen Kollaps des Bankensystems zu verhindern, jede Bank im Land geschlossen war, und der Bargeldmangel die Kinobesitzer veranlasste, von den Besuchern an der Kasse auf Papierfetzen handgefertigte Schuldscheine zu akzeptierten. Nahezu alle wurden eingelöst, schreibt DeMille, when cash began to flow again.
The Godless Girl (1929 Cecil B. DeMille)
Ein Unglück bringt beide, das gottlose Mädchen und den Fundamentalisten hinter Gitter. Auf gemeinsamer Flucht, ausruhend am Ufer eines Gewässers, genügt dem Insassen Nr. 7734 ein Bleistiftstrich, um in der umgedrehten Zahlenfolge, im Wäschekragen, dem Mädchen zu lesen zu geben, was die Haft aus seinem Dasein machte. Widerborstig korrigiert sie dararufhin ihre eigene Nummer 3107 zur entgegengesetzten Botschaft. „LOVE“ versus „HELL“. Er hat seinen Glauben verloren, sie ihren gefunden, über Kreuz und aneinander vorbei, so tragen die Liebenden ihre Vierbuchstabenwörter auf dem Leib und teilen das Wesentliche, ihre Art sich auszudrücken.
DeMilles Lieblingsmaler war übrigens Lawrence Alma-Tadema.
Mehr zur Wiederentdeckung des populärsten Regisseurs aller Zeiten: von Susan Doll, Dave Kehr, Craig Keller und Michel Mourlet.
27.05.2012 00:46
Hach! In den ersten 20, 30, 40 Minuten von Sign of the Cross lenken mich die Kostüme und deren Freilegen und Verdecken von Körperdetails immer wieder ab. Mitchell Leisen hat sie für den Film entworfen. Gucken, Standbild, weitergucken, Standbild, so geht das die ganze Zeit. Es macht einen irre, die Jamaikaner, von denen Basil Wright erzählt, kann ich gut verstehen. Das Bild von Claudette Colbert im Eselmilchbad gibt einen guten Eindruck. Man kann sich nicht sattsehen an den Dekadenten, auch weil der Schnitt einem deren Anblick immer so genüßlich vorenthält, um dann aber doch nochmal kurz zurück zum gerade Entzogenen zu kommen.
27.05.2012 14:03
Die Sichtung gestern von The Sign of the Cross gibt natürlich noch mehr zu erinnern als mein Irrewerden an den Kostümen. Klar, die berüchtigte Vergewaltigung der gefesselten Nackten durch den Gorilla, aber auch die Ganzkörperbehaarungen der römischen Christenjäger, und wie Charles Laughton als Nero seine Beine anwickelt beim manifesten ennui. Von der Szene mit der lesbischen Verführung hatte ich hin und wieder gelesen, deren musikalische Kernidee wird aber selten erwähnt: dass der Kulturkampf zwischen römischer Mondversessenheit und christlichem Jenseitsglauben durch einen Singstreit entschieden wird. Gegen den christlichen Chor aus dem Hintergrund mit seiner repetitiven, höhepunktlosen Struktur muss die freie Improvisation des Gesangs an den Mond einpacken. Aber wie beides in ein Bild gepackt wird! In Hugo Fregoneses Apache Drums (1951) gibt es etwas ähnliches, da ist es ein zupackendes walisisches Kirchenlied, das die Belagerten dem mürbe machenden Indianertrommelrhythmus entgegenschmettern.
31.05.2012 18:41
Am Morgen – zurück aus Istanbul – hör ich als erste Musik ( via Mario Mentrup: http://derweisseshaiistgut.blogspot.de/2012/05/momentaufnahmen-aus-einem_27.html ) Ray Davies von den Kinks mit seinem Shangrila. Sah gestern noch die Hagia Sofia. Ihr herrliches Alter. Wie überflüssig die Kämpfe zwischen Religionen, wie unvermeidlich die Schlachten im Innern. In jedem Bilderstreit, in jedem song contest, ist neu zu klären: Ob einer weiß – „too scared to think about how insecure you are“ – mit anderen umzugehen, mit dem anderen Geschlecht? Gute Tage, wenn die Arenen und Basiliken populäre Museen werden. Darin der Einzelne, euphorisch resigniert, gemeinsam mit gemischtem Chor sich kampflos aufschwingt.