Februar 2012

Donnerstag, 09.02.2012

Fernsehhinweis

Heute, 23.15 – 00.45 Uhr im WDR: Die Stämme von Köln (2011 Anja Dreschke)

Mittwoch, 08.02.2012

Bakelitperücke und hölzerner Umhängebart

über Masken, Brillen, Schleier und Helme (Teil 1)

Welche Erwartungen, Wünsche und Träumereien ein einzelnes Bild auslösen kann, davon erzählt Scorsese am Anfang seiner Reise durch den amerikanischen Film. Mit einer gewissen Nostalgie sprach auch Michael Althen von der Zeit, in der das einzige, was man von einem Film besitzen konnte, ein einziges Standfoto aus dem Reclam-Filmführer war. Ein einzelnes Bild, zu dem man sich Gott-weiß-was vorgestellt hat.

Dainah la metisse (1931 Jean Gremillon), der an Bord eines Schiffes spielt, das zwischen Marseille und der Ile Rousse verkehrt, ist einer jener Filme, die in der Literatur womöglich nur deshalb abgetan werden, weil die betreffenden Autoren keine Gelegenheit mehr hatten, sie zu sehen. (Peter Nau: Auf den Spuren von Gremillon, Filmkritik, Juni 1982). Aber es gibt da dieses Szenenfoto: Eine Frau im Abendkleid, mit vier maskierten Männern an einem Tisch, starrt durch einen merkwürdigen metallenen Schleier, der einer Fechtmaske ähnelt, auf etwas, das ihren Blick leuchten lässt.

The Woman Who Came Back (1945 Walter Colmes) schaute ich mir nur wegen dieses Bildes* an und wurde nicht enttäuscht. Obwohl die maskierten Kinder keine sonderlich große Rolle spielen, durchzieht den Film im ganzen, was mich aus dem Bild heraus anlachte: eine gewitzte Finsternis. Mittels beherzter Perspektivwechsel wird das Sujet, der Verlust der vertrauten Gewissheiten, zum schaurigen Effekt der Erzählung. Was Nancy Kelly, die Hauptrollen bei Henry King, Allan Dwan und Mervyn LeRoy gespielt hat, hier in diesem feinen kleinen B-Film wiederfährt, das ist, verwandt mit den Stoffen des genialen Val Lewton, eine dunkle Vorwegnahme von Carnival of Souls.


Judex (1963 Franju)*

Der Maskenball ist ein filmischer Topos. Aber Filme können sich nicht wirklich für das Bad in der Menge erwärmen, ihre Helden oder Bösewichter müssen doch immer zumindest uns Zuschauern kenntlich bleiben. Ohnehin kündigt die Musik von Maurice Jarre unmissverständlich an, dass hier nicht mit fröhlicher Ausgelassenheit, sondern mit dem Tod zu rechnen ist.


Lady in a Cage (1964 Walter Graumann)

Einbrecher, die bei Tag in ein Haus eindringen, dessen Bewohnerin in einem steckengebliebenen Aufzug, hinter Gitterstäben, wie in einem Käfig gefangen ist. Links, im offenen Hemd, James Caan, in seiner ersten Kinoperformance. Neben ihm, das ist Jennifer Billingsley. Die beiden zusammen sind furchteinflößend sexy, purer Punk.


Fantomas (1964 André Hunebelle)

Zwischen diesen beiden Bildern gibt es, um unbemerkt vom dem einen (Jean Marais) zum anderen Darsteller (Louis de Funes) zu wechseln, eine Überblendung. Als ich den Film als Kind sah, stürzte mich das Offensichtliche, dass nicht Marais, sondern De Funes den als Inspector Juve maskierten Fantomas darstellte, und also etwas Schminke die Maske nur vortäuschte, in eine unauslöschlich komplizierte Verwirrung. Auch etwas Angst war dabei im Spiel. Um so lauter mein Lachen.


Santo y Blue Demon contra Drácula y el Hombre Lobo (1972 Miguel M. Delgado)

Die überaus populären Darsteller Santo und Blue Demon spielen sich selbst. Das mexikanische Publikum kannte ihre Gesichter nicht, nur ihre Masken.

Loki Schmidt testet Aufbauten, so lautet die offizielle Bildunterschrift zu diesem Foto von Engelbert Reineke aus dem Jahr 1980.

Dienstag, 07.02.2012

Fritz Lang au travail

Da jetzt in jedem zweiten Artikel über Babelsberg und die deutsche Filmgeschichte der Name Fritz Lang genannt wird und weil im Zeughaus die beeindruckende Fritz Lang Retro gezeigt wird, könnte man sich fragen, wo denn das neue, tolle Buch über Fritz Lang bleibt.

Es ist ja schon da, man muss es nur finden – unsere deutschen Exegeten lesen aber keine französischen Bücher. Die Franzosen, wir wollen gerecht bleiben, lesen noch weniger deutsche Filmbücher.

Bernard Eisenschitz hat an „Fritz Lang au travail“ lange Jahre gearbeitet; er hat deutsche, amerikanische und französische Archive durchforstet – dann kamen die Cahiers du Cinema in eine Krise, der Verlag wurde von Phaidon übernommen, die Lektorin erkrankte und dann: ja, dann hatte Eisenschitz auch keine Lust mehr, dann zieht sich alles so furchtbar hin und dann muss es doch sein und jetzt hat Eisenschitz das schönste Buch über Lang gemacht, das man sich vorstellen kann.

Das „Metropolis“-Cover hätte man sich schenken können, aber dann gibt es kaum eine der 272 Seiten, auf der man nicht erstaunt ist über die Fotos, die Dokumente, die Entschlüsselungen, die vielen Querbezüge. Man mag das Buch gar nicht aus der Hand legen und nimmt es nach jedem Fritz Lang Film wieder vor. Auch ohne Französisch-Kenntnisse kann man sich gut zurechtfinden; das Buch ist nach Filmtiteln und chronologisch geordnet.

Nein, ich verleih das Buch nicht, auf gar keinen Fall. Es ist 2011 bei Phaidon Paris erschienen, heißt „Fritz Lang au travail“, ist teuer und jeden cent wert.

Eisenschitz kann man hier auch sehen und hören.


[12. Oktober 1979]

Sonntag, 05.02.2012

Kinohinweis (Berlin)

Mittwochnachmittag um halb Fünf gibt’s im Arsenal ein Programm mit kurzen und mittellangen Filmen aus dem Archiv der Kurzfilmtage Oberhausen, auf das bin ich gespannt.

Gezeigt werden:
Die Finanzen des Großherzogs Radikant Film Max Linz D 2011 HDCAM 32 min
Hexenschuss Riki Kalbe BRD 1979 16 mm 30 min
Führung René Frölke D 2011 Blu-ray OmE 37 min
Crni Film Želimir Žilnik Jugoslawien 1971 35 mm OmU 14 min

Madeleine Bernstorff, die programmiert hat, führt ein; Max Linz und René Frölke, die Regie führten, sind da.

link

Hitler als Mussolini

Selbst der gründliche Forscher Norbert Aping kann in seinem Buch „Liberty Shtunk!“ die Frage nicht beantworten, ob Hitler sich in Chaplins Diktator Hynkel wieder erkannte. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, glaubwürdige Zeugen oder Belege dafür, dass er den Film „The Great Dictator“ sah.

Allerdings hat Hitler, wenn man Albert Speers Erinnerung glauben darf, 1937 Mussolini auf eine Weise nachgeahmt, die der komischen Version als Napaloni im Film entspricht: „das vorgereckte Kinn, die charakteristisch in die Hüfte gestemmte Rechte, den gespreizten Stand. Dazu rief er, unter dem beflissenen Gelächter der Umstehenden, einzelne italienische oder italienisch klingende Wörter wie ‚Giovinezza’, ‚Patria’, Victoria’, ‚Makkaroni’, ‚Belleza’, ‚Belcanto’ und ,Basta’.“

Apings beeindruckende, übergenaue Studie über Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten zeigt, wie der Künstler schon vor 1933 diffamiert wurde, als dafür nur die eigenen Presseorgane genutzt werden konnten und dass er schon lange vor Bekanntwerden des Diktator-Projekts Filmfeind Nummer Eins war.

Norbert Aping, Liberty Shtunk! Die Freiheit wird abgeschafft. Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten, Vorwort von Kevin Brownlow, 2011, Schüren Verlag, 424 Seiten, viele Abbildungen, 38 €

Freitag, 03.02.2012


[23. September 1979]

Filme der Fünfziger III

Georg Bruckbauer und Willy Winterstein führen die Kamera, Rolf Zehetbauer ist der Architekt, Willi Forst hatte die Idee und Bert Grund ist neben Peter Kreuder der Komponist in „Alle kann ich nicht heiraten“. Das ist – für das Jahr 1952 – keine schlechte Besetzung.  Hans Wolff, kein sehr bekannter Name, führt Regie.  Und dann ist alles ganz banal.

Hardy Krüger und Adrian Hoven sind zwei  junge Pianisten, die in einem Instrumentengeschäft ihr Leben fristen.  Das ist endlich mal ein Laden, der sich Personal leisten kann:  eine einheitlich gekleidete Mädchengarde (ganze fünf), der Chef, die zwei Klavierspieler und mindestens noch zwei Arbeiter. Es gibt ein ganzes Regiment von Mitarbeitern. Krüger und Hoven (blond und schwarz) streiten sich nicht um Mädchenbekanntschaften  – sie würfeln sie aus. 1952 herrscht offensichtlich Mangel an Männern; die jungen Frauen sind Beutegut.
Die Musiker wohnen in einem Zimmer und schlafen in zwei fast nebeneinander stehenden Betten. Sie haben einen Bekannten (Joachim Brennecke), der beim Radio arbeitet und die Glücksfee des Films ist. Er nimmt die beiden Pianisten beim Spielen eines flotten Stückes heimlich auf; das Stück gewinnt in einem Wettbewerb des Rundfunks den ersten Preis. Vom Preisgeld fahren die beiden Pianisten nach St. Moritz, wo sie ohne Sinn und Verstand ihr kleines  Geld ausgeben und Bräute aufmischen wollen.
Die Bar des Royal Engadin sieht aus wie ein Studentenlokal; mindestens eine Bar muss es im Film der fünfziger Jahre immer geben. In St. Moritz gibt es noch eine zweite,  draussen im Schnee vorm Hotel. Ins Hotel kommt Sonja Ziemann als türkische Gräfin – sie schweigt sich aus, tut schön und geheimnisvoll. Später stellt sich heraus, dass sie einfach ein Mannequin  ist, das schöne Kleider trägt. Ziemann singt in der Bar: Warte bis Dein Stern sich wendet/ und verliere nicht den Mut/ Denn sobald Dein Stern sich wendet/ Geht es Dir bestimmt ja wieder gut. Wir befinden uns in einer Aufmunterungsphase;  den Musikern geht das Geld aus.
Gut, dass die Glücksfee vom Radio wieder kommt. Sonja Ziemann singt mit den Musikern und zieht sogar bei ihnen ein. Nun wohnen sie zu dritt in einer Wohnung. Das kann nicht gutgehen; der Freund aus dem Radio nimmt Gott sei Dank die Ziemann zur Braut. Zwischendurch war sie verloren gegangen; der Freund vom Radio hat dann einfach eine Suchmeldung über den Äther geschickt. Man hörte doch täglich Meldungen von Vermissten, warum dann nicht auch mal die Freundin suchen lassen?
Reichlich penetrant spricht hier mal der eine, mal der andere von einer „grossartigen Idee“ und plappert den Wehrmachtsjargon der vierziger in Zivil nach. Zehetbauer hat Nierentische und mit Luftballon-Motiven bedruckte Sessel in die Dekoration gestellt; die Kamera versucht ein, zwei Fahrten und leuchtet einige Grossaufnahmen ganz professionell aus.
Zum Schluss gehen die Buddies Hardy Krüger und Adrian Hovenwie am Anfang auf Mädchenjagd; aber es gibt keinen Nachfolgefilm.  Hoven spielte dann in Veit Harlans Indienfilmen und Hardy Krüger übte sich als maskuline, blonde Versuchung.

Donnerstag, 02.02.2012


Zeile 6: „Hierbei“, lies „Hierher“
[23. September 1979]

Mittwoch, 01.02.2012

Bresson forever

 

 

 

 

 

 

 

 

Balthazar und die beiden Männer erreichen eine Hügelkuppe, bleiben stehen, hören Stimmen, dann Warnrufe: “Stehenbleiben! Zoll!” Die Männer kehren schnell um und laufen zurück den Hang hinunter. Balthazar steht wie angewurzelt. Er schaut und horcht, nah sein Kopf, die großen Augen. Mehrere Schüsse fallen. Bei einem zuckt er zusammen, läuft los, auch den Hang hinunter. Später, die Sonne ist aufgegangen, steht er reglos in einem Unterholz, trabt langsam heraus, man sieht die Wunde an seinem rechten Vorderschenkel. Er trabt über steinige Bergwiesen, das erste Mal im Film eröffnet sich eine weite Landschaft. Das erste Mal im Film ist der Esel allein, ohne den Menschen, der ihn ankettet, tritt, prügelt. Er bleibt stehen, wirkt verloren, aber auch frei. Ein idyllisches Bild. Seine Ohren lauschen in den Wind. Entfernte Glöckchen werden hörbar. Weiter unten am Hang trippeln Schafe hinter Gebüsch hervor, von den Hunden bellend dirigiert. In der nächsten Aufnahme sind im Vordergrund Schafe und verhüllen den nun halb liegenden Balthazar. Er befindet sich inmitten einer Herde, einige Schafe beschnuppern ihn, ziehen weiter, der Kreis um ihn öffnet sich wieder. Die Hunde treiben die Schafe weiter. Unablässig läuten die Glöckchen. Dazu die Schubert-Sonate. Balthazar liegt ausgestreckt und stirbt.

Zum soundsovielten Mal kommen mir die Tränen mit den Schafen. Es ist der Tod, wie im Himmel. Erst mit den wuscheligen Lämmern nimmt die Trauer ihren Lauf. Das Handeln der Menschen in diesem Dorf zu sortieren, kommt später.

Als einziger Film Bressons zeigt dieser einen kompletten ‘Lauf des Schicksals’ – das gesamte Leben Balthazars. Das macht ihn fast lehrfilmhaft, die Kette der Stationen spult sich ab, in unabwendbarer Eigendynamik.
Warum ist Gérard von Anfang an so böse? Warum reizt Marie von Anfang an seine Verwegenheit, warum will sie weg aus dem Dorf? Warum ist der Vater so stolz und stur? Warum trinkt Arnold? Warum ist der Händler geizig? Alle Todsünden sind vertreten. Materielles Denken, Egoismus, Mißachtung von Nächstenliebe und Gemeinsinn sind die gemeinsamen Nenner. Auch die Bäckersfrau behandelt Gérard nur gut, weil sie sich einen Sohn wünscht. Und hofft, ihn mit Geschenken zu gewinnen. Die Menschen behandeln sich untereinander nicht anders als den Esel. Hierarchien und Standesunterschiede, das Streben nach materiellen Gütern und seine Konsequenzen, bilden die unüberwindlichen Barrieren zu einem besseren Leben. Ein Esel ist nur das Vehikel im Stall.

Indem Bresson nicht erklärt und deutet, sondern konkrete Abläufe zeigt, muss der Zuschauer seine eigenen Urteile fällen. Das gezeigte Universum läßt wenig Hoffnung auf das Gute im Menschen. Aber in den Bildern, den Gesichtern, Handlungen leuchten auch immer wieder ganz konkret Unschuld, Schönheit, Mut, Mitempfinden, Unsicherheit… Es überträgt sich ein Impuls der Empörung auf den Zuschauer und diesen will der Regisseur erreichen. Und dazu hat er seine speziellen Methoden entwickelt.

Als ich die Filme Bressons vor etwa 30 Jahren zum ersten Mal sah, empfand ich die gleiche Bewunderung, damals gepaart mit Irritation und Ratlosigkeit über den schrecklichen Taten und aussichtslosen Perspektiven. Seine formale Radikalität zog mich in den Bann und beeinflusste mich, auch nach Strukturen zu suchen, gegen die konventionellen Dramaturgien. Und trennte mich von Leuten, die nicht affiziert wurden von diesen Filmen. Heute sehe ich hinter ihnen bewußter den Mann aus einer anderen Generation, behalte eine größere Distanz zu den Inhalten, sehe und genieße die Klarheit seiner Werke, die Koordinaten seines Denkens, die sich für mich nur etwas anders formulieren. Es ist nur der Lauf der Zeit, eine historische Oberflächenveränderung, das religiöse Vokabular kann übersetzt werden. Wie ketzerisch ist das Ende von LE PROCES DE JEANNE D’ARC – ein kleiner Hund schaut verwundert hoch zu Jeanne und den Menschenreihen rechts und links und dann geht das Kreuz selbst in Rauch auf. Und wie beeindruckend ist Bressons eigener Weg der Radikalisierung besonders mit seinen letzten Filmen, die zeigen wie sehr er in der Gegenwart lebte. Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass in USA mehr Leute im Gefängnis sitzen als jemals in Stalins Gulags – denke ich an Bresson.


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