2012
Dienstag, 07.02.2012
Sonntag, 05.02.2012
Kinohinweis (Berlin)
Mittwochnachmittag um halb Fünf gibt’s im Arsenal ein Programm mit kurzen und mittellangen Filmen aus dem Archiv der Kurzfilmtage Oberhausen, auf das bin ich gespannt.
Gezeigt werden:
Die Finanzen des Großherzogs Radikant Film Max Linz D 2011 HDCAM 32 min
Hexenschuss Riki Kalbe BRD 1979 16 mm 30 min
Führung René Frölke D 2011 Blu-ray OmE 37 min
Crni Film Želimir Žilnik Jugoslawien 1971 35 mm OmU 14 min
Madeleine Bernstorff, die programmiert hat, führt ein; Max Linz und René Frölke, die Regie führten, sind da.
Hitler als Mussolini
Selbst der gründliche Forscher Norbert Aping kann in seinem Buch „Liberty Shtunk!“ die Frage nicht beantworten, ob Hitler sich in Chaplins Diktator Hynkel wieder erkannte. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, glaubwürdige Zeugen oder Belege dafür, dass er den Film „The Great Dictator“ sah.
Allerdings hat Hitler, wenn man Albert Speers Erinnerung glauben darf, 1937 Mussolini auf eine Weise nachgeahmt, die der komischen Version als Napaloni im Film entspricht: „das vorgereckte Kinn, die charakteristisch in die Hüfte gestemmte Rechte, den gespreizten Stand. Dazu rief er, unter dem beflissenen Gelächter der Umstehenden, einzelne italienische oder italienisch klingende Wörter wie ‚Giovinezza’, ‚Patria’, Victoria’, ‚Makkaroni’, ‚Belleza’, ‚Belcanto’ und ,Basta’.“
Apings beeindruckende, übergenaue Studie über Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten zeigt, wie der Künstler schon vor 1933 diffamiert wurde, als dafür nur die eigenen Presseorgane genutzt werden konnten und dass er schon lange vor Bekanntwerden des Diktator-Projekts Filmfeind Nummer Eins war.
Norbert Aping, Liberty Shtunk! Die Freiheit wird abgeschafft. Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten, Vorwort von Kevin Brownlow, 2011, Schüren Verlag, 424 Seiten, viele Abbildungen, 38 €
Freitag, 03.02.2012
Filme der Fünfziger III
Georg Bruckbauer und Willy Winterstein führen die Kamera, Rolf Zehetbauer ist der Architekt, Willi Forst hatte die Idee und Bert Grund ist neben Peter Kreuder der Komponist in „Alle kann ich nicht heiraten“. Das ist – für das Jahr 1952 – keine schlechte Besetzung. Hans Wolff, kein sehr bekannter Name, führt Regie. Und dann ist alles ganz banal.
Hardy Krüger und Adrian Hoven sind zwei junge Pianisten, die in einem Instrumentengeschäft ihr Leben fristen. Das ist endlich mal ein Laden, der sich Personal leisten kann: eine einheitlich gekleidete Mädchengarde (ganze fünf), der Chef, die zwei Klavierspieler und mindestens noch zwei Arbeiter. Es gibt ein ganzes Regiment von Mitarbeitern. Krüger und Hoven (blond und schwarz) streiten sich nicht um Mädchenbekanntschaften – sie würfeln sie aus. 1952 herrscht offensichtlich Mangel an Männern; die jungen Frauen sind Beutegut.
Die Musiker wohnen in einem Zimmer und schlafen in zwei fast nebeneinander stehenden Betten. Sie haben einen Bekannten (Joachim Brennecke), der beim Radio arbeitet und die Glücksfee des Films ist. Er nimmt die beiden Pianisten beim Spielen eines flotten Stückes heimlich auf; das Stück gewinnt in einem Wettbewerb des Rundfunks den ersten Preis. Vom Preisgeld fahren die beiden Pianisten nach St. Moritz, wo sie ohne Sinn und Verstand ihr kleines Geld ausgeben und Bräute aufmischen wollen.
Die Bar des Royal Engadin sieht aus wie ein Studentenlokal; mindestens eine Bar muss es im Film der fünfziger Jahre immer geben. In St. Moritz gibt es noch eine zweite, draussen im Schnee vorm Hotel. Ins Hotel kommt Sonja Ziemann als türkische Gräfin – sie schweigt sich aus, tut schön und geheimnisvoll. Später stellt sich heraus, dass sie einfach ein Mannequin ist, das schöne Kleider trägt. Ziemann singt in der Bar: Warte bis Dein Stern sich wendet/ und verliere nicht den Mut/ Denn sobald Dein Stern sich wendet/ Geht es Dir bestimmt ja wieder gut. Wir befinden uns in einer Aufmunterungsphase; den Musikern geht das Geld aus.
Gut, dass die Glücksfee vom Radio wieder kommt. Sonja Ziemann singt mit den Musikern und zieht sogar bei ihnen ein. Nun wohnen sie zu dritt in einer Wohnung. Das kann nicht gutgehen; der Freund aus dem Radio nimmt Gott sei Dank die Ziemann zur Braut. Zwischendurch war sie verloren gegangen; der Freund vom Radio hat dann einfach eine Suchmeldung über den Äther geschickt. Man hörte doch täglich Meldungen von Vermissten, warum dann nicht auch mal die Freundin suchen lassen?
Reichlich penetrant spricht hier mal der eine, mal der andere von einer „grossartigen Idee“ und plappert den Wehrmachtsjargon der vierziger in Zivil nach. Zehetbauer hat Nierentische und mit Luftballon-Motiven bedruckte Sessel in die Dekoration gestellt; die Kamera versucht ein, zwei Fahrten und leuchtet einige Grossaufnahmen ganz professionell aus.
Zum Schluss gehen die Buddies Hardy Krüger und Adrian Hovenwie am Anfang auf Mädchenjagd; aber es gibt keinen Nachfolgefilm. Hoven spielte dann in Veit Harlans Indienfilmen und Hardy Krüger übte sich als maskuline, blonde Versuchung.
Donnerstag, 02.02.2012
Mittwoch, 01.02.2012
Bresson forever
Balthazar und die beiden Männer erreichen eine Hügelkuppe, bleiben stehen, hören Stimmen, dann Warnrufe: “Stehenbleiben! Zoll!” Die Männer kehren schnell um und laufen zurück den Hang hinunter. Balthazar steht wie angewurzelt. Er schaut und horcht, nah sein Kopf, die großen Augen. Mehrere Schüsse fallen. Bei einem zuckt er zusammen, läuft los, auch den Hang hinunter. Später, die Sonne ist aufgegangen, steht er reglos in einem Unterholz, trabt langsam heraus, man sieht die Wunde an seinem rechten Vorderschenkel. Er trabt über steinige Bergwiesen, das erste Mal im Film eröffnet sich eine weite Landschaft. Das erste Mal im Film ist der Esel allein, ohne den Menschen, der ihn ankettet, tritt, prügelt. Er bleibt stehen, wirkt verloren, aber auch frei. Ein idyllisches Bild. Seine Ohren lauschen in den Wind. Entfernte Glöckchen werden hörbar. Weiter unten am Hang trippeln Schafe hinter Gebüsch hervor, von den Hunden bellend dirigiert. In der nächsten Aufnahme sind im Vordergrund Schafe und verhüllen den nun halb liegenden Balthazar. Er befindet sich inmitten einer Herde, einige Schafe beschnuppern ihn, ziehen weiter, der Kreis um ihn öffnet sich wieder. Die Hunde treiben die Schafe weiter. Unablässig läuten die Glöckchen. Dazu die Schubert-Sonate. Balthazar liegt ausgestreckt und stirbt.
Zum soundsovielten Mal kommen mir die Tränen mit den Schafen. Es ist der Tod, wie im Himmel. Erst mit den wuscheligen Lämmern nimmt die Trauer ihren Lauf. Das Handeln der Menschen in diesem Dorf zu sortieren, kommt später.
Als einziger Film Bressons zeigt dieser einen kompletten ‘Lauf des Schicksals’ – das gesamte Leben Balthazars. Das macht ihn fast lehrfilmhaft, die Kette der Stationen spult sich ab, in unabwendbarer Eigendynamik.
Warum ist Gérard von Anfang an so böse? Warum reizt Marie von Anfang an seine Verwegenheit, warum will sie weg aus dem Dorf? Warum ist der Vater so stolz und stur? Warum trinkt Arnold? Warum ist der Händler geizig? Alle Todsünden sind vertreten. Materielles Denken, Egoismus, Mißachtung von Nächstenliebe und Gemeinsinn sind die gemeinsamen Nenner. Auch die Bäckersfrau behandelt Gérard nur gut, weil sie sich einen Sohn wünscht. Und hofft, ihn mit Geschenken zu gewinnen. Die Menschen behandeln sich untereinander nicht anders als den Esel. Hierarchien und Standesunterschiede, das Streben nach materiellen Gütern und seine Konsequenzen, bilden die unüberwindlichen Barrieren zu einem besseren Leben. Ein Esel ist nur das Vehikel im Stall.
Indem Bresson nicht erklärt und deutet, sondern konkrete Abläufe zeigt, muss der Zuschauer seine eigenen Urteile fällen. Das gezeigte Universum läßt wenig Hoffnung auf das Gute im Menschen. Aber in den Bildern, den Gesichtern, Handlungen leuchten auch immer wieder ganz konkret Unschuld, Schönheit, Mut, Mitempfinden, Unsicherheit… Es überträgt sich ein Impuls der Empörung auf den Zuschauer und diesen will der Regisseur erreichen. Und dazu hat er seine speziellen Methoden entwickelt.
Als ich die Filme Bressons vor etwa 30 Jahren zum ersten Mal sah, empfand ich die gleiche Bewunderung, damals gepaart mit Irritation und Ratlosigkeit über den schrecklichen Taten und aussichtslosen Perspektiven. Seine formale Radikalität zog mich in den Bann und beeinflusste mich, auch nach Strukturen zu suchen, gegen die konventionellen Dramaturgien. Und trennte mich von Leuten, die nicht affiziert wurden von diesen Filmen. Heute sehe ich hinter ihnen bewußter den Mann aus einer anderen Generation, behalte eine größere Distanz zu den Inhalten, sehe und genieße die Klarheit seiner Werke, die Koordinaten seines Denkens, die sich für mich nur etwas anders formulieren. Es ist nur der Lauf der Zeit, eine historische Oberflächenveränderung, das religiöse Vokabular kann übersetzt werden. Wie ketzerisch ist das Ende von LE PROCES DE JEANNE D’ARC – ein kleiner Hund schaut verwundert hoch zu Jeanne und den Menschenreihen rechts und links und dann geht das Kreuz selbst in Rauch auf. Und wie beeindruckend ist Bressons eigener Weg der Radikalisierung besonders mit seinen letzten Filmen, die zeigen wie sehr er in der Gegenwart lebte. Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass in USA mehr Leute im Gefängnis sitzen als jemals in Stalins Gulags – denke ich an Bresson.
Kim Novak badete nie im See von Genezareth
Das ist kein aktuelles Buch, es erschien erstmals 1998 auf deutsch. Hakan Nesser ist vor allem als Krimi-Autor bekannt.
„Kim Novak“ ist eigentlich gar kein Krimi; das Buch erzählt die Geschichte eines Sommers im Jahr 1962 aus der Sicht eines 14jährigen Jungen. Er verehrt eine junge Frau, die wie Kim Novak aussieht – daher der Titel. Das ist lakonisch, witzig und ohne grosse Schnörkelei geschrieben; Comics, Pop-Musik, Perry Mason und Redewendungen aus Film- und Fernsehserien haben einen festen Platz in dem Leben der Heranwachsenden. Und dann geschieht das SCHRECKLICHE.
Dienstag, 31.01.2012
Cattelan – Bresson ?
In einem langen Artikel zu einer Ausstellung von Maurizio Cattelan nimmt der Autor Barry Schwabsky am Ende Bezug auf zwei Filme von Robert Bresson. Die Filme sind in NY gerade gezeigt worden und werden offensichtlich reflektiert.
The Nation, Jan 30, 2012
(….. /end of article:)
At times, while looking at this exhibition, I couldn’t help thinking of Robert Bresson’s Au hasard Balthazar, a strange film in which a long-suffering donkey is finally shown to be a kind of saint through its endurance of work and pain. I know this allusion will seem absurd to those who revere Bresson as a saint of cinema, a paragon of formal and spiritual purity, whereas Cattelan seems to be a mocker, a wiseguy. But when I look at that Novecento hanging in the Guggenheim—it was once the hide of a living thing named Tiramisu—I can’t persuade myself to believe that Cattelan is kidding, no matter how sophisticated I might be if I could. The same goes for Not Afraid of Love (2000), the sculpture of a baby elephant trying to hide under a white sheet with tiny eyeholes and one great big hole for its trunk. Its alarmed little eyes—do artificial eyes really have expression, or is this my illusion?—can only, I imagine, be those of a certain Cattelan in the moment when it occurs to him that his art of evasion, his eternal Torno subito, can never disguise him for long. For Spector, the white sheet with the holes conjures up visions of the Ku Klux Klan and their robes. I see her point, but I can’t quite see it like that. I think of the similar-looking robes worn by Catholic penitents, most notably by the Nazarenos of the Holy Week processions in Seville. Cattelan’s art is full of the imagery of Catholicism, just as Bresson’s was. His mother’s piety must have left its mark on him.
In another Bresson film, the main character, a self-righteously rebellious young man, gets into a political conversation with someone on the bus, and passengers nearby chime in with opinions. “It’s the masses who determine events,” says one. Another asks, “So who is it that makes a mockery of humanity? Who’s leading us by the nose?” A third passenger responds, “The devil, probably,” as the bus crashes. Cattelan may have stepped off the bus just in time.
Montag, 30.01.2012
Filme der Fünfziger II
In „Das Hollandmädel“ (1953) spielte Grete Weiser Frau Quietsch und Gunnar Möller verkörperte die männliche Hauptrolle. 1957 war die Weiser die „Tante Wanda aus Uganda“ und Georg Thomalla hiess in dem Film Jonas Edelmuth. In „Die sieben Kleider der Kathrin“ (1953) ist Thomalla Graf Hohenstein, von Beruf Karikaturist und Witzbold vom Dienst. Er fährt ein schwarz-weißes BMW Cabriolet, das aussieht wie der überdimensionierte Halbschuh eines Gigolo. Grete Weiser spielt einen Kurgast und die Besitzerin eines Modesalons; ihre Hauptaufgabe besteht darin, nicht auf den Mund gefallen zu sein. Gunnar Möller dagegen ist ein Pilot, der ein zartes Verhältnis mit Sonja Ziemann hat. Sonja Ziemann wohnt als Vollwaise bei Tante Therese und Onkel Philipp. Tante Therese (Käthe Haak) leidet tapfer am Herzen. Anhand der sieben Kleider soll der Lebensweg von Katrin (Sonja Ziemann) erzählt werden; so etwas kann interessant sein, wenn die Kleider eine besondere Aura haben. Aber bei der Regie von Hans Deppe muss man damit rechnen, dass alles von der Stange ist – und dann hat man noch Glück gehabt. Es geht immer noch schlimmer.
Gunnar Möller wird als Liebhaber gleich in den ersten Minuten wieder abgelegt; vorher durften Möller und Ziemann in einer Art Heimatfilmroutine noch die hübsche Aussicht auf ein Tal geniessen. Katrin lernt Herrn Pall kennen, Reiseschriftsteller und, drunter tun wir‘s nicht, der reichste Mann Europas. Der Reiseschriftsteller ist ein inzwischen ausgestorbener Filmberuf, der in den vierziger und fünfziger Jahren sehr populär war. Darüber hinaus ist Herr Pall in Wirklichkeit Wolf Albach-Retty, der Vater Romy Schneiders, die just zur selben Zeit in Wiesbaden ihren ersten Film „Wenn der weisse Flieder wieder blüht“ dreht, in dem man übrigens in einem Cafe die hübsche Aussicht auf ein Tal genießt. Herr Pall macht Katrin ein unsittliches Angebot; er führt sie auch ins Spielcasino in Wiesbaden, wo Katrin ein Malheur passiert, das zu ihrer Festnahme führt, bei der sich Herr Pall sehr unritterlich verhält. Überhaupt ist Spielcasino unseriös. Man gewinnt auf seriöse Art im Lotto oder beim Quiz.
Als Tante Therese von der Verhaftung Katrins hört, fällt sie tot um. Onkel Philipp verkauft sein Haus und Katrin ist nun ganz allein. Für einen Moment weht das Flüchtlingsschicksal vorbei. „Was wollen Sie denn tun?“ fragt Dr. Schörg (Paul Klinger); Dr. Schörg ist der Arzt, der Tante Therese behandelt hatte und praktiziert in einem Sanatorium, in dem gerade Grete Weise kurt. „Etwas nützliches“ antwortet das Mädel und bekommt am Ende den Arzt.
Wir sollten unbedingt noch wissen, dass Paul Klinger zur selben Zeit in Wiesbaden in „Wenn der weisse Flieder wieder blüht“ die Rolle des Peter Schröder spielt, der sich rührend um Magda Schneider, die Mutter von Romy, kümmert, die übrigens einen Modesalon führt. Weil Wolf Albach-Retty, der Vater von Romy, in den „Sieben Kleidern“ nicht von Sonja Ziemann lassen kann, wäre beinahe aus der Heirat von Paul Klinger und Sonja Ziemann nichts geworden. Und wenn Grete Weiser die Katrin nicht in ihrem Modesalon als Mannequin angestellt hätte, wäre Katrin vielleicht noch unter die Räder gekommen oder sogar in ihrer Not mit Wolf Albach-Retty nach Ägypten gefahren, wo sie dann später Romy und Karlheinz Böhm in ihrem Palast empfangen hätten. Oder war das in Spanien?
Merkwürdigerweise ist der Film in schwarz/weiss; Sonja Ziemann, die eine ausgebildete Balletttänzerin und Sängerin war, trägt zwischendurch ein Showkostüm, das freizügig sein soll und unzüchtig wirkt. Vorher sieht man sie in einer Schwesterntracht, davor in etwas Dirndlartigem – beide Kleider wirken im Vergleich zum Showkostüm subtil und erotisch. Trude Ullrich, von der so gut wie nichts bekannt ist, entwarf die Kostüme.