Dienstag, 04.11.2014

Phoenix IV

Phoenix ist ein Wunschtraum von einem Film. Ich vermag an diesen Plot nicht zu glauben – d.h. auf dem Papier schon und als schöne, intellektuelle Absicht –, aber nicht als filmische Realität. Die Fiktion wird von ihrer dokumentarischen Seite – dem Abbildrealismus des Mediums – permanent dementiert. (Kann man verheiratet gewesen sein und die körperlichen Merkmale seiner Frau – Verrat hin oder her – nicht mehr erkennen?) Der Verweis auf Vertigo, der sich natürlich aufdrängt, bleibt oberflächlich – schon von der Motivlage und Verstrickung der männlichen Person her. (Das erotisch-sexuelle Verlangen scheint hier völlig und ziemlich gegenwärtig ersetzt durch die Jagd nach Geld.) Kommt hinzu, dass die Filmpräsenz der Personen samt Umgebung über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg eine ganz andere geworden ist: technisch ist ja versucht worden, wie schon Bazin festgestellt hat, den Realitätseffekt immer noch weiter zu erhöhen – was Auswirkungen auch auf das Fiktive hat. (Mir scheint, die Schauspieler früher waren zwar exponiert, aber in der filmischen Materie auch geborgen. Von letzterem kann heute die Rede wohl nicht mehr sein.)
Woran ich schon glauben würde: dass jemand einen anderen oder eine andere wiedererkennt, aber nicht wiedererkennen will. Also so tut als ob. Das ist aber ein ganz anderer (und vielleicht kommuner) Plot.

9 Kommentare zu “Phoenix IV”

  1. Klaus Krug schreibt:

    Lieber Johannes Beringer,
    nach Ihrem Beitrag zu «Phoenix» war ich richtiggehend erleichtert. Ich hatte mich schon gefragt: Sag mal, bin ich der einzige, der sieht, daß das ganze gar nicht stimmt ? – Christian Petzold hat sich in mehreren Interviews auf Truffaut und seine Abneigung gegen die «Wahrscheinlichkeitskrämer» berufen. Aber das ist ja nicht der Punkt. Ein Filmplot kann so unwahrscheinlich sein, wie es nur geht. Aber man muss eben auch sehen, was der Plot erzählt. – Ich habe mich dann gefragt, ob es an der Besetzung des Johnny liegt. Ronald Zehrfeld, der in «Barbara» so großartig war, ist diesmal vielleicht der falsche Mann. Benno Fürmann, wenn er denn durchtrieben genug spielt, hätte ich vielleicht den Johnny, der die eigene Frau erst verrät und dann nicht wiedererkennt, weil er der Geldgier verfallen ist, abgenommen. Vielleicht.
    Herzliche Grüße
    Klaus Krug

  2. Stefan Ripplinger schreibt:

    Es handelt sich nicht um einen deutschen Film, sondern um eine griechische Tragödie. Deshalb greifen die bürgerlichen Kriterien nicht, die Sie hier ins Feld führen wollen, im Gegenteil, sie werden ad absurdum geführt. Darin liegt auch eine Kritik am Medium, die vermutlich auf Farocki zurückgeht.

  3. Johannes Beringer schreibt:

    Weshalb muss man eigentlich einen Film zustellen mit Begriffen (ziemlich hochgestochenen) und kann nicht einfach erstmal seinen Augen und seinem Verstand trauen. – Ich achte Dein Wissen und Deine Kenntnisse, Stefan, aber ich finde, Du redest über den Film hinweg.

  4. Stefan Ripplinger schreibt:

    Aber, lieber Johannes, Du schreibst doch selbst, dass Du die Absicht erkennst. Warum sie nicht benennen? Warum nicht über die Ideen sprechen? Hinter den Augen denkt es doch weiter. Ich finde übrigens den Verweis auf „Vertigo“ keineswegs oberflächlich. „Phoenix“ dreht die entscheidende Szene von „Vertigo“ genau um. Bei „Vertigo“ gibt diese Szene ein (erzwungenes) Wiedererkennen und Identifizieren, bei „Phoenix“ eine (gefühllose) Verkennung und De-Identifizieren wieder. Das ist Satire. „Vertigo“ ist ein Film, der männliche Herrschaft und Gewalt feiert, „Phoenix“ nicht, er zeigt sie vielmehr in dieser (durchdachten) Umkehrung auf. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Ich glaube, wer das nicht ein wenig abstrakt auffasst – eben so wie eine antike Tragödie –, der kann hier nur enttäuscht werden. Ich will Dich ja nicht dazu überreden, diesen Film zu mögen. Du hast Deine Gründe und kennst Dich wahrlich im Kino besser aus als ich. Aber ich kann mir nicht helfen, diesen Film finde ich großartig. Ich glaube, es ist der Spielfilm, den Farocki immer drehen wollte.

  5. Johannes Beringer schreibt:

    Damit ich etwas als ‚Satire‘ erkennen kann, muss es doch eine Verankerung in der Wirklichkeit geben – und die sehe ich in dieser Art der Verkennung hier nicht. Ich finde das schlicht nicht glaubwürdig – die Materie des Films, das Physische der Person sprechen dagegen, so oft ich da hinschaue, die ‚Absicht‘ verifizieren will.
    (Dann noch: ich bin doch eigentlich der Petzold-Anhänger und nicht Du. Jetzt verkehren sich die Fronten plötzlich.)

  6. Stefan Ripplinger schreibt:

    In meinem Leben ist Verkennung das Glaubhafte, Wirkliche, Harte und Belastbare. Wiedererkennen hingegen ist das Alltäglich-Irreale, Verlogene, Erzwungene, Ideologische. (Diesen Prozess des gelenkten Identifizierens zeigen viele Filme von Farocki auf.) „Phoenix“ konfrontiert mich nun mit einer anderen Wahrheit: Dass auch im Wiedererkennen etwas Humanes, Wirkliches liegen könnte; der Traum davon, nicht vereinnahmt, nicht eingepasst, sondern ohne böse Absichten angenommen, geliebt zu werden. Er tut das anständigerweise, nicht ohne auch (eben in dieser wichtigen, satirisch zugespitzten Umkehrung von „Vertigo“) das Inhumane des erzwungenen Wiedererkennens und Zurichtens und Passendmachens vor Augen zu führen. Dieser Spielfilm ist wirklich durch und durch dialektisch. Wo gibt es denn das sonst noch? Ich habe mich sehr gewundert.

  7. Stefan Ripplinger schreibt:

    Was übrigens die historische Wirklichkeit betrifft, habe ich überhaupt kein Problem gehabt. Ich dachte an Strascheks wunderbare Dokumentation „Filmemigration aus Nazideutschland“ (1975), an all die Vertriebenen, die durch die Hölle gegangen waren und doch zurückkehrten, und die keiner je gefragt hat, wie es ihnen ergangen ist. Die Deutschen redeten immer nur von ihrer eigenen Not, Brotbeschaffen, Schwarzmarkt, usw. Man erkannte die Zurückgekehrten gar nicht wieder. Man sah nur sich selbst. Simple truth, x-fach beglaubigt. Du wirst Dich daran erinnern.

  8. Johannes Beringer schreibt:

    Leider nur allzu wahr. Aber natürlich sind die, die man persönlich gekannt hat, sehr wohl wiedererkannt worden, wenn es zu einer Begegnung kam (die, mit denen man die Arbeitsstelle geteilt hat, die im selben Haus gewohnt haben, die, mit denen man mal verheiratet war). Nach ihrem Schicksal fragte man sie wohlweislich dennoch nicht.

  9. Johannes Beringer schreibt:

    Ich formuliere nochmal anders: Dass Petzold eine Transponierung dieser Situation (dem, was in den Köpfen los oder nicht los ist) versucht, mit Hilfe des französischen Romans, könnte schon eine spannende Angelegenheit sein. Für mich stellt sich jedoch beim Sehen heraus, dass dieses gedanklich Abstrahierte (die Verkennung) auf der realen Ebene des Films nicht trägt.

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