August 2014

Sonntag, 17.08.2014

Filme der Fünfziger XIV: Ich war ein hässliches Mädchen

Es geht wieder um das richtige Rezept für junge Frauen, einen Mann fürs Leben zu bekommen. „Kleine hässliche Mädchen müssen ihren letzten Groschen zum Friseur und zur Kosmetikern tragen“, weiß der berühmte Schauspieler Claudio Pauls (Dieter Borsche).  Anneliese (Sonja Ziemann) ist dieses hässliche Mädchen. Sie wohnt mit Schwester und Eltern in einer biederen Mietswohnung, in der  die Familie jedes Telefonat mithört. Claudio – bei ihrer ersten Begegnung nennt er sich Anneliese gegenüber „Onkel Claudio“ – schickt sie zu seiner Kollegin Luise (Olga Tschechowa). Tschechowa war neben ihrem Schauspielberuf auch Diplom-Kosmetikerin und führte einen Kosmetiksalon, bevor sie 1958 ihre erfolgreiche Kosmetikfirma „Olga-Tschechowa-Kosmetik“ gründete. Annelieses Vater (Bruno Fritz), die Karikatur einer moralischen Autorität, steht für den gesunden Menschenverstand. Er ermahnt Anneliese: „Deine Schwester wird heiraten, aber Du musst Deinen Verstand benutzen, um Dich eines Tages zu ernähren.“ Und er ist natürlich auch entsetzlich rückständig. Der Schönheit nachhelfen? „Mit Haarfärben fängts an, in der Gosse hört es auf.“  Luise/ Tschechova schickt Anneliese zu einem Kosmetiksalon nebst angeschlossenem Friseur. Wie bei einer Operation beugen sich Gesichter über Anneliese, eine Liege wird aufgebaut, das Mädchen wird auf Hochglanz poliert und sieht jetzt so schön aus wie Sonja Ziemann.
Claudios Familie besteht aus seinem Impresario (Fritz Rémond), einem Journalisten (Wolfgang Neuss) und wechselnden Geliebten. Statt in einer Wohnung lebt er mit seiner Entourage im „Schwarz/Weiß Club“, in dem man trinkt und tanzt, fröhlich und traurig ist. Als Alternative zur elterlichen Wohnung und dem bürgerlichen Salon von Tante Elsa, dem Ort der ersten Begegnung mit „Onkel Claudio“, taugt er nur bedingt. Evelyn Künneke  singt im Club „Mach nicht Uh, wenn Du den Mambo tanzt“ und bringt Wolfgang Neuss mit ihrem Dekolleté zur Raserei. Der Mambo war gerade aus den USA als neuer Modetanz nach Deutschland gekommen; die deutschen Tanzlehrer sahen darin „abstoßende Zügellosigkeit“.

Es gibt keine wirklichen Charaktere in dem Spiel; an ihre Stelle treten Objekte und Haltungen – der schicke Wagen des Schauspielers, die Suche nach dem schönen Kleid, der tollen Frisur, das Borgward Cabrio des Bankierssohns Thomas von Bley (Karl-Heinz Böhm), der Urlaub im Nobelhotel am Bergsee, die beginnende Langeweile des Luxus („Schon wieder Motorboot?“, trällert Anneliese Thomas von Bley zu) und alles dient der Suche nach dem Hauptgewinn, dem richtigen, dem reichen Mann. Dieter Borsche muss auf Betreiben von Anneliese einen herrenlosen Hund aufnehmen und geht schon bald mit und an der Leine. Haben die Mädchen im Publikum die Botschaft verstanden? „Wie haben Sie Ihre bildhübsche Frau gefunden“, fragt ein Reporter Dieter Borsche bei der Hochzeit. Sonja Ziemann nimmt ihm die Antwort ab und spricht in die Kamera: “Ich war ein hässliches Mädchen.“

Das Drehbuch basiert auf dem 1937 veröffentlichten Roman der Österreicherin Annemarie Selinko. Den Film produzierten Dr. Heinrich Jonen von der Meteor-Film und Marcel Hellman von der Cine-Allianz; Jonen hatte Liebeneiner 1937 für seine erste Regiearbeit „Versprich mir nichts“ engagiert, Hellman war nach Grossbritannien emigriert. 1955 klagte Liebeneiner in einem Interview, dass er für seine künstlerischen Ideale im deutschen Film kein Gehör fände und entschuldigte sich gleichsam für seine Regiearbeiten. „Ich mache das Ernste ernst – und wenn das nicht möglich ist, mache ich, was man nicht ernst nehmen kann. Im übrigen ist der Unterhaltungsfilm ein zwar nicht sehr edles, aber doch echtes und sehr notwendiges Bedürfnis des Publikums. Der Alltagsmensch unserer verworrenen Zeit würde ohne das Kino, wie er es meist auffasst, zugrunde gehen.“

Da hätte die Bevölkerung der Bundesrepublik Liebeneiner ja eigentlich dankbar sein müssen, dass er sich ihr mit dieser kleinen Filmillustrierten wieder einmal geopfert hatte. Sie war es nicht; der Film war nicht der erwartete große Erfolg.

Nicht als DVD, nicht als Video erschienen.

Was nicht im filmportal steht (samt einiger Präzisierungen):
Nach dem gleichnamigen Roman von Annemarie Selinko; Schnitt: Walter von Bonhorst; Regieassistentin: Zlata Mehlers; Kameraführung: Johannes Nowak; Kamera-Assitenz: Hermann Dey; Standfotos: Herbert Lindner; Starfotos: Arthur Grimm; Herstellungsleitung: Dr. Heinrich Jonen

Sonja Ziemann (Anneliese Howald), Karl-Heinz Böhm (Thomas von Bley), Marianne Wischmann (Lilian Markowski, Freundin von Pauls), Alexa von Poremsky (Frau Howald), Bruno Fritz (Alexander Howald, Vater von Anneliese), Erika Remberg (Inge Howald, Annelieses Schwester), Tatjana Sais (Tante Elsa), Fritz Rémond (Verleger Bierbaum), Peter Präses (Plumberger), Wolfgang Neuss (Mopp, Journalist), Olga Tschechowa (Luise Raymond), Myriam Lynn (Grace Morton), Maly Delschaft (Mme. Lax), Kurt Lucas (Diener Franz), Ingrid Schwarz (Erika, Verkäuferin)

Evelyn Künneke singt „Mach nicht uh, wenn Du mal Mambo tanzt“
Atelieraufnahmen Juni/ Juli 1955 in den CCC-Studios Spandau; Außenaufnahmen Mitte Juni 1955 am Eibsee.

Freitag, 01.08.2014

„Alles war früher viel schlechter, blickt man aber zurück, so drängt auf langer Strecke die perspektivische Sicht weit auseinanderliegende Punkte eng zusammen: darum muss es mir vorkommen, dass früher oft geschah, was heute selten ist: daß ich im Fernsehen etwas sah, das ich auf der Leinwand sofort wiedersehen wollte, das ich also wahrhaft haben wollte.”

Die Sätze stammen aus einem DFFB-internen Ankündigungstext von Harun Farocki für Freitag, den 17.12.1993. Bis heute werden an der DFFB unter dem Rubrum „Filmgeschichte” an Freitagen unterschiedlichste Filme vorgeführt. Es folgt eine unvollständige Aufstellung von Filmen, die ich sehen konnte, weil Harun Farocki sie an der Filmschule oder anderswo zeigte:

11.000 KM FROM NEW YORK, Orzu Sharipov, Tadschikistan 2006
ARIEL, Aki Kaurismäki, FIN 1989
BENNY’S VIDEO, Michael Haneke, AT 1992
DAS OFFENE UNIVERSUMm Klaus Wyborny, BRD 1993
DIE HARD I, John McTiernan, USA 1988
DIE KÜCHE, Jürgen Böttcher, DDR 1987
FASTER PUSSY CAT! KILL! KILL!, Russ Meyer, USA 1965
IMBISS SPEZIAL, Thomas Heise, DDR 1978
JOHNNY WEST, Roald Koller, D 1977
KNITTELFELD – STADT OHNE GESCHICHTE, Gerhard Benedikt Friedl, AT 1997
LANCELOT DU LAC, Robert Bresson, F 1974
L’ARGENT, Robert Bresson, F 1983
LOLA, Jacques Demy, F 1961
LOS OLVIDADOS, Luis Bunuel, MEX 1950
MURIEL OU LE TEMPS D’UN RETOUR, Alain Resnais, F 1963
NAS VEK (Unser Jahrhundert), Artawasd Peleschian, UdSSR 1983/90
NASHVILLE, Robert Altman, USA 1975
NUMÉRO DEUX, Jean-Luc Godard, F 1975
PASSION, Jean-Luc Godard, F 1982
PLAYGIRL, Will Tremper, D 1966
PROFESSIONE: REPORTER, Michelangelo Antonioni, IT 1975
RANGIERER, Jürgen Böttcher, DDR 1984
REISENDER KRIEGER, Christian Schocher, CH 1981
SOMBRE, Philippe Grandrieux, F 1998
THE KILLING OF A CHINESE BOOKIE, John Cassavetes, USA 1976
THE OUTFIT, John Flynn, USA 1973
TOKYO DRIFTER, Seijun Suzuki, J 1966
UNE FEMME EN AFRIQUE, Raymond Depardon, F 1985
WANDA, Barbara Loden, USA 1970
WREMENA GODA (Die Jahreszeiten), Artawasd Peleschian, UdSSR 1972


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