September 2015

Donnerstag, 24.09.2015

Fontainhas

Pedro Costas Zyklus über den Lissaboner Slum Fontainhas ist in seiner Bedeutung nur mit Satyajit Rays Apu-Trilogie zu vergleichen. Es sind Filme, die Härte, Schönheit und Intelligenz auf höchst überraschende Weise miteinander verbinden.
Man hat Filme gesehen, die sich dem Elend intim nähern. Man hat Filme gesehen, die das Elend stilisieren. Aber Filme wie diese, die äußerste Faktizität mit höchster Stilisierung verschmelzen, sind neu. Das liegt wesentlich an der ungeheuer aufwändigen Methode, mit der Costa seit No quarto da Vanda (2000) arbeitet (und dank der neuen Digitaltechnik arbeiten kann): Die Protagonisten, allesamt Bewohner des Slums, liefern ihm Geschichten und Sätze zu und in einem Monate währenden Prozess wählt Costa den Raum, die Komposition, das Licht, die Farbe, die Montage, in denen diese Geschichten und Sätze zu leben beginnen. Das hat ihn in seinem neuesten Film Cavalo Dinheiro (2014) von Fontainhas weg, in ein traumartiges Labyrinth geführt. Es lässt sich über Costa sagen, was André Suarès über Dostojewski gesagt hat: Er ist der „Mann, der von der Realität her den Traum nicht schädigt, und nicht vom Traume her die Wirklichkeit“ (Übers. Franz Blei).
Der Zyklus stellt damit alles in Frage, was politischer Film einst sein sollte: Diese Filme sprechen nicht von Ursachen, sie sprechen nicht von Auswegen. Aber sie lassen die Armen sprechen, sie geben ihnen Würde, sie geben dem Elend einen Raum (darüber schreibe ich ausführlich in der Novemberausgabe von konkret).
Wer in Berlin wohnt, hat ausnahmsweise einmal Glück gehabt und kann vom heutigen Donnerstag bis Sonntag sämtliche Fontainhas-Filme im Arsenal anschauen. Der Regisseur ist anwesend.

Montag, 21.09.2015

Hamburger Filmmacher Cooperative (1968 – 1972)

Im Kino im Sprengel in Hannnover läuft, zusammengestellt von Peter Hoffmann, vom 25. September bis 5. Dezember 2015 ein umfangreiches und gut dokumentiertes Programm zur Hamburger Cooperative. Also Filme, die auf den Hamburger Filmschauen liefen und die größtenteils über die Cooperative verliehen wurden: Filme der Hamburger Filmschauen 1968 und 1969, und als letzter Programmblock die Hamburger der Filmschauen ’70 und ’71. Dazwischen bezieht die Retrospektive auch das Vorfeld und das ausgedehnte Umfeld des in der Hamburger Coop repräsentierten ‚Anderen Kinos’ mit ein. (Klaus Wyborny / Die Cinegrafik Produktion – Helmut Herbst, Franz Winzentsen u.a. / Der radikale Underground – Wien, Zürich, Köln / Hellmuth Costard / Politische Filme der Filmmacher Coop / Filme vom Dörnberg und vom Kasseler Filmkollektiv / Filme von Werner Nekes und Dore O. / Filme von Lutz Mommartz und Bernd Upnmoor.)
Vieles ist unbekannt oder so gut wie (oder kennt jemand die ‚politische Filmarbeit’ am ‚Jugendhof Dörnberg’?), anderes kann wiederentdeckt werden, und mein Lieblingsfilm Na und? (1967) von Marquart Bohm und Helmut Herbst ist auch dabei.

Dienstag, 15.09.2015

Cinéma Cinémas

Zehn Jahre gab es dieses Kino-Magazin auf Antenne 2 (1982-1992) – es war auch hier, über Kabel auf TV5 (glaube ich) zu sehen. (Ich habe ab 1986 ein bisschen geguckt und war immer wieder mal ganz entzückt.)
Claude Ventura: „Wir wollten in das Magazin unsere Emotionen und Träume vom Kino reinpacken, fernab jeder Idee von Promotion. Es gab für uns keine didaktischen Absichten, kein Nachrichten-Erfordernis, keinen Aktualitäts-Imperativ, wir folgten dem Schlag unserer Herzen …“
Michel Boujut: „ … Entscheidend für unseren Zugang war dieser Hang zur Fiktion, denn der bestimmte alles Übrige und stellte unsere Identität her. Das gab den Anreiz, den richtigen Blickwinkel zu finden, eine Ambiance herzustellen, Situationen zu erfinden. Eine Suite in einem Hotelpalast, ein Bahnhofquai, ein Swimming Pool, ein fahrendes Auto, ein Waschsalon oder eine nächtliche Bar – die Klischees schüchterten uns nicht ein, solange sie die Farben des Traums hatten und unserer Vorstellungswelt entsprachen.
Cinéma Cinémas bestand aus Resonanzen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen dem Hier und dem Anderswo, vor allem aber dem Echo zwischen den beiden Küsten des Atlantiks. Es galt, ein Gleichgewicht zu finden zwischen rohem Dokument und besonderem Portrait, Begegnung und Chronik, Interview und essayistischem Fragment. Unsere Ermittlungen und Nachforschungen führten uns unweigerlich auf die Spur der geliebten Phantome von gestern (Louise Brooks, Gene Tierney, Faulkner, Goodis, Capra, Ford, Hitchcock, Welles, Cassavetes und anderen), aber auch der Cineasten, Szenaristen und Schauspieler von heute, den kleinen und den grossen, denjenigen, die man vergisst, und denjenigen, die man beweihräuchert.“

Neben dem Kernteam Anne Andreu, Michel Boujut (die markante Kommentar-Stimme der Beiträge), Claude Ventura gab es auch den in Kalifornien stationierten Philippe Garnier und verschiedene weitere Mitarbeiter (André S. Labarthe, Guy Girard, Christian Meunier, Alain Nahum u.a.m.). Nicht zuletzt die Mitarbeit der Regisseure selber, die ‚screen tests’ mit Schauspielern beisteuerten, einen ‚Filmbrief’ / ‚Lettre d’un cinéaste’ inszenierten (Luc Moullet, Alain Cavalier etwa) oder, wie Godard, dem Team die Türöffner-Szene mit Eddie Constantine / Lemmy Caution aus Alphaville als ‚jingle’ überliessen.
(Ich habe zitiert und übersetzt aus dem Booklet zu „La Collection Cinéma Cinémas“, INA 2008 – eine Auswahl von 12 Episoden von je einer Stunde auf vier DVDs.)

Donnerstag, 03.09.2015

Kinohinweis Zeughaus – Der Mann aus dem Osten und Der Tod des Goldsuchers

09.04.-Mann-aus-Osten-664

Der Mann aus dem Osten ist ein unbekannter Klassiker, kommerziell nie ausgewertet. Eine Bombe unterm Asphalt, die bei filmhistorischen Ausgrabungen früher oder später hochgeht. Weil ihr Zünder sich nicht entschärfen lässt“, schreibt 2009 Rainer Knepperges in der Cargo, 19 Jahre nach der Premiere von Christoph Willems‘ Film. Vielleicht auch wegen dieses Gefahr ankündigenden Menetekels hat es dann sechs weitere Jahre gedauert bis die Filmarchäologie wieder auf den Film stieß. Neulich, Ende Juli, war „Der Mann aus dem Osten“ schon einmal im Arsenal wieder zu sehen, Matthias Dell kündigte das damals in der taz an, und führt da auch das oben begonnene Zitat aus dem Cargotext von Rainer weiter: „Als Christoph Willems 1990 seinen Film vorführte, habe hinterher Schweigen geherrscht, berichtet Dominik Graf: ‚Alles, was man zu dem Film sagen konnte, erschien falsch. Nichts stimmte. Nur der Film.'“

Morgen, Freitag 4. September 2015, läuft der Film nun im Zeughaus. 18.30 Uhr. Frederik Lang hat ihn da für die „Wiederentdeckt“-Reihe programmiert, zusammen mit dem ebenso – aber ganz anders – phänomenal verblüffenden, einfachen und unvorhersehbaren letzten Westberliner Abenteuerfilm Der Tod des Goldsuchers. Darin ist u.a. das alle Vorstellungen von richtigem Filmschauspiel vaporisierende Dreamteam Irina Hoppe und Florian Koerner von Gustorf zu sehen, die man danach nicht mehr vergessen und immer immer immer wieder wieder wieder sehen will. Ludger Blanke hat den Film an der dffb geschrieben, inszeniert und 1989 fertiggestellt. (Und vor 14 Jahren, 12 Jahre nach der Premiere, dieses Weblog angefangen.)

Goldsucher_001


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort