Donnerstag, 20.04.2017

Filme der Fünfziger XXXII: Du mein stilles Tal (1955)

Der dramatische Konflikt vieler Familien-, Heimat- und Gesellschaftsfilme der 50er entsteht mit der Entdeckung einer Verfehlung, einer Sünde oder Erblast. Rechnet man nach, wie lange das schuldbringende Ereignis zurückliegt, landet man meistens in der NS-Zeit und kann spekulieren, ob mit der Schuld auch verklausuliert Politisches verbunden und gemeint sein soll. Gerade das soll nicht sein; die Schuld ist eine persönliche, private und nahezu intime Verfehlung, die ganz zufällig in der NS-Zeit lokalisiert ist, mit der sie ansonsten aber auch rein gar nichts zu tun hat. Schuld soll immer nur persönlich gesehen werden.
Je länger sie zurückliegt, desto mehr relativiert sich die Schuld; ihre konkrete Thematisierung in der Gegenwart kann gefährlich werden, hat destruktives Potential und bedroht das Glück. Lohnt sich also moralische Rigidität oder ist es nicht besser, die Schuld – ist ja schon so lange her – auszuschweigen, zu verdrängen und zu leugnen? „Du mein stilles Tal“ hieß zunächst „Schweigepflicht“ und hat mit diesem Titel auch die Antwort parat; die rechtliche Verpflichtung von Geistlichen, Anwälten und Ärzten weitet der Film aus zu einem moralischen Anspruch an Jedermann. Nicht nur kann es besser sein zu schweigen, es kann sogar Deine Pflicht sein, weil sonst das System – hier die Familie – zusammenbricht. Im Umkehrschluss ist es dann pflichtvergessen und charakterlos, über die Schuld der Vergangenheit zu reden.

Hochzeit auf Gut Breithagen, Tochter Nicky (Ingeborg Schöner) heiratet mit großem Aufgebot– eine Prozession der Hochzeitsgesellschaft aus der Kirche mit Glockengeläut und Top-Shots der Kamera, eine Parade geschmückter Mercedes-Karossen mit Hurrah und Hoje, ein rasanter Aufgalopp des Reitervereins im Park des Gutes und Voltigier-Vorführungen der Jüngsten. Alle sind reich und glücklich, nur die Gutsherrin Elisabeth Breithagen liegt mit dem Schicksal überkreuz. „Es war“, so bekennt sie dem Hausarzt und Regisseur Leonard Steckel, „ein qualvoller innerer Kampf über 20 Jahre.“ Elisabeth („Ich möchte, dass Sie mich verstehen“) erzählt ihrem Arzt auf der Gartenbank ihre Geschichte. Vor 20 Jahren zeigte Rittmeister Breithagen (Curd Jürgens) ihr das Gut, den Hof, den Park, die Stallungen und das Land. Der Rittmeister mit gewienerten Reitstiefeln und Schal im offenem Hemdkragen zeigt und zeigt bis er es nicht mehr aushält und Elisabeth an sich reißt. Sie soll seine Frau werden, aber Elisabeth fremdelt.
Der Pianist Erik Linden (Bernhard Wicki) gibt zur selben Zeit in dem Städtchen ein Konzert; Linden ist sensibel, tiefsinnig, ein Mann von Welt mit einem Blick, dass es einem heiß den Rücken runtergeht. Er sagt: „Jetzt reise ich viel; Rom, Paris, Chicago, New York.“ Und in das Städtchen der Elisabeth, die ihm beim Klavierspiel für eine Nacht verfällt. Am nächsten Tag reist Linden ohne wirklichen Abschied weiter; enttäuscht und ohne Hoffnung gibt Elisabeth dem Rittmeister das Jawort, fällt bei der Hochzeit kurz in Ohnmacht und entdeckt mit dem Hausarzt, dass sie schwanger ist. Nein, der Rittmeister weiß nichts, bis heute nicht.
Auf der Parkbank der Gegenwart dann die bange Frage: „Muss ich schweigen?“ Der Hausarzt steht auf, schaut in die Ferne und liest im Horizont die Antwort: „Ich glaube ja, Sie würden sonst das Lebensglück der beiden Neuvermählten auf furchtbare Weise zerstören.“ Elisabeth erhebt sich tapfer: “Ich muss mit meiner Schuld alleine fertig werden.“
Acht Jahre nach der Hochzeit mit Gert Breithagen trifft sie Linden wieder in Berlin; er fährt ihr nach, will mit ihr, seiner späterkannten großen Liebe, nach Lateinamerika. Elisabeth zögert; sie will ja glücklich werden, aber was sagt denn die Kirche dazu? Hans Leibelt spricht als Pfarrer: „Das Leben Ihres Kindes ist hier auf dem Gut des Rittmeisters und Sie, die Mutter, gehören zu ihrem Kind.“ So gönnt sich Elisabeth nur einen dramatischen nächtlichen Abschiedskuss im Scheinwerferlicht, am Kreuzweg ihres Lebens. Curd Jürgens ahnte schon Betrug, betrank sich und verfiel mit stierem Blick – große Szene – einem Tobsuchtsanfall; seit Emil Jannings ist das im deutschen Film der finale Ausweg betrogener Männer.

Nun aber wieder Gegenwart, mit Hochzeitstrubel und Gästeschar. Unter den Gästen das „fremdartige, dunkle Mädchen“ Rita Borell (Nadja Regin), und auch Elisabeth ahnt Betrug, ist eifersüchtig und macht ihrem Gert ein spätes Liebesgeständnis. Zu spät, mit Bittermiene wird sie zurückgewiesen. „Ich lebte seit 20 Jahren mit einem Eisblock.“ Der Anwalt (Ernst Schröder), zum Schweigen verpflichtet, besorgt für Gert und Rita ein Haus auf Capri. Aber wird Rita Gert in 20 Jahren noch treu sein? Gert kommt blitzschnell zu sich, nein, das wird nichts. Tochter Nicky will mit ihrem Mann in die Flitterwochen, aber, an die Eltern gewandt: „Ich gehe nicht eher, als bis ihr mir sagt, was los ist.“ Das möchten jetzt auch alle Kinobesucher wissen. Curd Jürgens spricht, an Winnie Markus gewandt, die erlösenden Worte: “Nichts auf der Welt wird uns trennen.“ So hat sich die Verschwiegenheit doch gelohnt, zum Glück für alle und zum Extra-Glück für Nicky. Das Haus auf Capri geht jetzt an sie. Hoffen wir, dass sie dort nicht einem Typen so fremdartig und dunkel wie Bernhard Wicki verfällt.

Handlung, Posen und Dialoge könnten direkt Groschenromanserien wie „Die Truhe“ oder „Erika“ entnommen sein. Der Handlungsentwurf sah ursprünglich wohl anders aus. Pfarrer, Rechtsanwalt und Arzt wissen, dass die Tochter unehelich ist, dass das Gut vor dem Konkurs steht und der Gutsherr in die Hände einer Salonschlange gefallen ist. Davon blieben nur Rudimente. Auch die Besetzung ist wie auf dem Reißbrett entworfen. Jürgens hatte es schon in „Man nennt es Liebe“ mit der eher unkonventionellen Ehefrau Winnie Markus zu tun und war in „Gefangene der Liebe“ mit einem unehelichen Kind konfrontiert, dessen Vater wiederum Bernhard Wicki darstellte. Die drei Schauspieler waren in der Wahl ihrer Engagements nicht unbedingt wählerisch. Winnie Markus und Bernhard Wicki spielten 1955/56 jeder in 7 Spielfilmen, Curd Jürgens brachte es auf ein glattes Dutzend. 1955 hatte Jürgens für seine Darstellung in „Des Teufels General“ (R: Helmut Käuntner) in Venedig den Volpi Pokal bekommen; als er hörte, dass der Gloria Verleih den Titel des Films „Schweigepflicht“ in „Du mein stilles Tal“ ändern wollte, verklagte Jürgens die Produktionsfirma CCC auf Beibehaltung des ursprünglichen Titels. Er befürchtete, dass sein Marktwert durch die Mitwirkung an einem Heimatfilm sinken könnte. Offiziell ging es ihm und allen anderen Beteiligten um künstlerische Integrität. Ihre Namen sollten aus dem Vorspann entfernt werden, falls der Film unter dem Titel „Du mein stilles Tal“ laufen würde. Kurzzeitig erwog man den Titel „Erbe der Väter“, der mit dem Film aber noch weniger zu tun hatte als „Du mein stilles Tal“, das im Titellied „Im schönsten Wiesengrunde“ wenigstens angesprochen wird. Der Prozess machte viel Aufsehen, hatte aber so gut wie keinen Effekt. Die Künstler wurden weiterhin im Vorspann genannt, die Parteien (Gloria/CCC und Jürgens) einigten sich im Juli 1958 darauf, den Prozess einzustellen und sich die Prozesskosten zu teilen. „Du mein stilles Tal“ landete in der Liste der bestbesuchten Filme der Saison 1955/ 56 auf Platz 35.

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