Filme der Fünfziger (XXXIX): Die Stärkere (1953)
Kriegsversehrten Männern konnte man in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg häufig begegnen, nur im Film sah man sie selten und im Zentrum standen die sichtbaren Verletzungen schon gar nicht. Frauen dagegen wurden öfter von unheilbaren Krankheiten heimgesucht; Maria Schell wäre beinahe gestorben, wäre ihr nicht Dieter Borsche als „Dr. Holl“ (1951) zu Hilfe geeilt; Ruth Leuwerik verhalf mit tödlicher Erkrankung ihrem Partner O.W. Fischer in „Ein Herz spielt falsch“ (1953) zur Läuterung. Willy Birgel gewinnt 1956 Elisabeth Müller, die als Tänzerin mit Kinderlähmung in seine Klinik kommt. Es sind vor allem die Männer, die sich in dieser Konstellation mit Ritterlichkeit, Treue und Mannestugend bewähren.
Nach einem Verkehrsunfall, verursacht durch Liederrausch und Liebessehnsucht, ist die berühmte Sängerin klassischer Lieder Elisabeth Faber (Antje Weissgerber) gelähmt und hadert mit dem Schicksal. Kann ein 42jähriger Mann – Hans Söhnker, der den Ehemann spielt, war allerdings schon 50 – mit einer gelähmten Ehefrau noch eine glückliche Ehe führen? Auf dieses Problem muss man erst mal kommen.
„Eine gelähmte Frau muss ihrem Ehepartner Freiheiten lassen“, sinniert Professsor Wolters (Paul Bildt). „Ein Mann kann zwei, drei Jahre als Mensch leben, eines Tages …“. Dr. Hannah Claassen (Tilly Lauenstein), die Freundin Elisabeths, unterbricht ihn. Sie wartet schon seit zehn Jahren auf ihren Mann. „Sind Männer so anders als Frauen?“ – „Allgemein gesagt: Ja.“ Hannah ist das weibliche Vorbild der Entsagung; eine Ärztin in grau oder im weißen Kittel, dazu Brille und deutlich von Freudlosigkeit gezeichnet. Es geht hier also nicht nur um die Krankheit, sondern auch unausgesprochen um die Frage, ob ein Mann seiner Frau treu sein kann, wenn er nicht mehr mit ihr schlafen kann.
Aus dem Haus des Ehepaars Faber tönt die Singstimme von Elisabeth. Sie hat zum Hochzeitstag ein Tonbandgerät gekauft und ein Lied aufgenommen. Kameramann Igor Oberberg folgt dem Tonkabel auf dem Boden, hebt in einem Halbkreis die Kamera zum Gesicht Antje Weissgerbers, schwingt dann elegant zurück und nimmt mit den letzten Tönen des Pianos den musikalischen Begleiter in den Blick – ein Moment klassischer Kameraschule. Jochen Faber (Hans Söhnker) stürzt herein: Ein Magnetophon! Das kostete 1953 die stolze Summe von rd. 1000 DM und ist natürlich für ihn, die Frau bekommt Rosen. Was hat sie denn gesungen? „Mir ist als wenn ich längst gestorben bin“ – Brahms, sehr schön.
Faber ist Architekt, die Wohnung ist ein Wirrwarr aus 50er Jahre-Möbeln und gewagter Moderne. Ein vertikaler Glasaufsatz mit Porträts von Elisabeth schmückt den Schreibtisch, ein schräg gestellter Lampenschirm mit Trotteln ragt in vorgetäuschter Heimeligkeit ins Bild, durch geöffnete Türen sieht man den Garten und Hintergrundmalerei. Jochen muss mit seinem Mercedes-Cabrio für ein paar Tage auf ein Schloss, das zum Hotel umgebaut wird, und sich dort mit dem Innenarchitekten herumstreiten.
Die Pflegerin Frau Prein (Elsa Wagner) tröstet Elisabeth während Jochens Abwesenheit mit Lebensweisheiten zur Ehe: “Die Hauptsache für die Frau ist doch der Mann. Man soll nicht immer hinter den Männern herdenken, das mögen sie nicht. Wenn er wiederkommt, musst Du nett sein und nicht viel fragen.“
Innenarchitekt Draaden (Paul Henckels) sitzt in einem grotesk altfränkisch eingerichteten Büro – Vasen, Gummibaum, gerahmter Spiegel, Wandlüster, Kommode mir Uhrenaufsatz und dalmatinergefleckter Bürostuhl – mit Sybille Erler (Gertrud Kückelmann) ; er kann nicht zum Schloss fahren, Sybille soll ihn vertreten. Sybille ist eine selbstbewusste und schlagfertige junge Frau, das Glanzlicht des Films. Auf dem Schloss sägt sie als erstes Tischbeine ab, um daraus einen passenden Schreibtisch zu machen. Natürlich geraten Sybille und Faber aneinander, Faber nennt sie „liebes Kind“, sie antwortet: „Wollen Sie bitte übersehen, dass ich eine Frau bin!“ Faber erklärt seine Idee eines Hotelzimmers: „Einfaches Bett mit Strohgeflecht, strohfarbene Bettdecke, Strohmatten als Vorleger…“ Sybille unterbricht ihn: „Und da liegt es dann.“ – „Was?“ – „Das Kindlein. Auf Heu und auf Stroh.“
Zur Arbeit trägt Sybille hautenge Caprihosen und ein weißes Männerhemd, auch mal eine Weste. Westen trugen nur Männer, Hosen für Frauen waren „unschicklich“ – Sybille ist eine
erotische Provokation. Zum Richtfest aber stattet sie sich aus wie eine Elfe, mit durchsichtiger Bluse und Puffärmeln. Natürlich verlieben sich Faber und Sybille, Ehefrau Elisabeth denkt derweil selbstlos an Scheidung. Er wünschte sich doch Kinder, die sie „wegen ihrer Stimme“ noch nicht haben wollte. Und jetzt ist es zu spät, „jetzt muss ich bezahlen“. Zur Einweihung des Schlosses soll sie das „Laudate Dominum“ singen, aber sie sagt wegen Nervenzerrüttung ab. Jochen eilt zu ihr; gerad da kommt der Scheidungsanwalt. „Das ist mir zu dumm!“ empört sich Jochen. Und gegenüber Hannah: „Ich finde eine eigene Lösung.“ Aus einem Album mit Fotos von Waisenkindern sucht sich Jochen ein Kind aus; Käthe soll es sein, nicht Kurt. Aber Käthe und Kurt haben sich versprochen, beieinander zu bleiben; so nimmt er eben beide. „Wir sind eine Ehe, eine richtige Ehe“, erklärt er Elisabeth. Und jetzt auch, Kurt und Käthe marschieren herein, eine Familie. Elisabeth singt nun, im Auge stilles Glück, zur Eröffnung des Hotels das „Laudate Dominum“. Und Sybille weint, das Lied wird im Rundfunk übertragen, an ihrem Arbeitstisch. Totale der Musikveranstaltung, Kamerafahrt auf Antje Weissgerbers gelöstes Gesicht bis zur Großaufnahme, Amen und Ende.
Wolfgang Liebeneiner inszenierte und hat auch einen Auftritt als Dirigent. Liebeneiner verschränkt geschickt die Handlungsstränge zwischen Liebesgeschichte, Arbeitsbesprechungen und Elisabeths Einsamkeit, er lässt die Dinge sprechen – ein weißes Telefon auf Elisabeths Schoß, das nicht klingelt, Glöckchen in Sybilles Hand, die lustig bimmeln. Das luftige Glück der Verliebtheit, die bittere Verzagtheit der Ehefrau – alles steht ebenbürtig miteinander. Und auch die Jugend und Entschiedenheit von Gertrud Kückelmanns Figur Sybille wird nicht denunziert, sondern hat ihren selbstverständlichen Platz. Eine „saubere Inzenierung“ befanden die Kritiker, und doch wirkt das meiste wie von gestern, wie ein zeitversetzter alter Ufa-Durchschnittsfilm. Woran lag das? Liebeneiner ist ein geschickter Moderator, Liebesszenen macht er hübsch und amüsant, dramatische Szenen werden ernst und gemessen. Statt das Melodram aufzuladen, diszipliniert er die Gefühle.
„Die Stärkere“ war die erste Produktion der Capitol-Film, finanziert mit Mitteln der alten Ufa, d.h. des Bundes. Die Capitol-Film sollte mit ihren Produktionen das Überleben der Atelierbetriebe in Tempelhof sichern. Dazu wurde auch gleich der Prisma-Verleih gekauft. Chef der Capitol Film war Richard Riedel, ehemals Produktionschef und Drehbuchautor von „… reitet für Deutschland“ (1941). Das Drehbuch zu „Die Stärkere“ schrieb Walter von Hollander, Drehbuchautor seit 1936 und als Moderator der Rundfunksendung „Was wollen Sie wissen“ wie als „Frau Irene“ in der „HörZu“ in den 1950ern der Kummerkasten der Nation. Igor Oberberg (Kamera), Emil Hasler (Ausstattung) und Carl Otto Bartning (Schnitt) waren Profis seit den zwanziger Jahren; für die ehemalige Leiterin der Ufa-Kostümabteilung Manon Hahn war „Die Stärkere“ die erste Arbeit nach dem Krieg. Die Capitol-Film schloss ihre Büros einen Monat nach der Uraufführung ihres zehnten und letzten Films „Das Mädchen aus Flandern“ Ende März 1956 mit einem Verlust von rd. 5 Millionen DM.
Der Tarnname wirkt bis heute fort; in den aktuellen Büchern zur Ufa findet man nichts.
Keine DVD, aber im Internet: https://www.youtube.com/watch?v=rC9AP2x_xgI
Ergänzungen zu filmportal:
Dreharbeiten: 13. 4. 1953 – Ende Mai, Ateliers Tempelhof; Juni: Stadt und Schloss Büdingen. Tonaufnahmen mit Rita Streich: 12.4. 1953. FFB Orchester, Chor der St. Hedwigs Kathedrale Berlin in der Einstudierung von Professor Dr. Karl Forster. Starfotos: Hans Grimm
Dank an Barbara Schröter