September 2018

Sonntag, 30.09.2018

Filme der Fünfziger XLV: Die Stimme des Anderen (1952)

Am 19. Februar 1947 erhielt Walter Koppel die Lizenz für die Real-Film; nach 23 Spielfilmen sah es zum fünfjährigen Jubiläum aus, als ginge es mit der Firma zu Ende. Die Real-Film erhielt wegen des unbegründeten Verdachts, technische Arbeiten an die DEFA gegeben zu haben, also kommunistenfreundlich zu sein, keine Bundesbürgschaften mehr, musste die Produktion zweier Filme („Die verschleierte Maja“ und „Toxi“) an andere Firmen abgeben und rief deshalb Anfang Januar 1952 das Bundesverfassungsgericht an. Das legte den Fall wegen Arbeitsüberlastung zu den Akten. Nach einer zeitweisen Schließung des Atelierbetriebes gab es die Überlegung, die Ateliers an den NWDR zu verkaufen. Der Plan wurde nicht realisiert. „Die Stimme des Anderen“ wurde neben Rolf Hansens „Das letzte Rezept“ und Harald Brauns „Herz der Welt“ als deutscher Beitrag für Cannes nominiert. Aber die Schikanen gingen weiter. Der Film wurde im Austausch gegen „Herz der Welt“ vom Abendtermin auf den unattraktiven Nachmittagstermin verlegt. Keine der drei deutschen Produktionen erhielt in Cannes einen Preis. Erst im Februar 1953 rehabilitierte der Bundesinnenminister die Real-Film; die Eigenproduktion wurde mit dem durch eine Bundesbürgschaft abgesicherten Film „Keine Angst vor großen Tieren“ (R: Ulrich Erfurth) wieder aufgenommen.

„Die Stimme des Anderen“ war nach „Kommen Sie am ersten“ der zweite und letzte Film, der mit einer 25prozentigen Bürgschaft der Hamburger Banken finanziert wurde. Regisseur Erich Engel hatte das Drehbuch zur Bearbeitung an Fritz Kortner geschickt, aber Walter Koppel wollte das Ergebnis nicht akzeptieren. Michael Töteberg hat darüber in der Zeitschrift „Hamburger Flimmern“, Nr. 22 ausführlich geschrieben. Robert A. Stemmle stellte dann mit Erich Engel das Drehbuch fertig. Welchen Anteil Horst Budjuhn am Buch hatte, ist ungeklärt. Beide – Kortner und Budjuhn – werden im Vorspann nicht genannt.

Gisela Trowe und Ernst Schröder

Die Sängerin Elisa (Hanna Rucker) fährt zu dem Erfolgskomponisten Plate, der ihre neue Revue vorbereitet. Die Haustür ist offen, in der Wohnung ist es unheimlich still, dazu erklingen spukhafte Orgeltöne. Elisa sieht Plate tot auf dem Boden liegen und stürzt aus der Wohnung zum ewig klammen Textdichter Braun und seiner Frau Betty (Ernst Schröder und Gisela Trowe). Hat Plate denn wenigstens die Komposition der Revue beendet? Der Instrumentator Michel Dumas (Michel Auclair) wird gerufen; er weiß nur, dass die Polizei von einem Mord ausgeht. Elisa wird ohnmächtig. Betty: „Wenn Du nicht weiter weißt, kippst Du um und wenn Du nicht antworten willst, weinst Du.“ Plate nahm seine Kompositionen auf Tonband auf und schickte sie dann an Braun. Gibt es vielleicht noch Bänder mit neuen Kompositionen? Das nicht, aber es gibt ein Band, auf dem die letzten Lebensminuten von Plate aufgezeichnet sind. Betty „besorgt“ das Band von Plates ehemaliger Haushälterin Auguste (Inge Meysel); jetzt wird klar, dass Michel an dem

Hanna Rucker und Michel Auclair

Abend bei Plate war. Es hört sich an, als habe Michel Plate umgebracht, weil Plate Michels Kompositionen als seine eigenen ausgegeben hat. Aber der Kommissar Hennings (Rene Deltgen) klärt den Fall souverän. Plate ist nicht ermordet worden, er ist nach einem Schlaganfall tödlich gestürzt. Das Tonband beweist es, man muss den Ton nur richtig deuten.

Es ist ein Spiel mit vielen Unbekannten, mit mehrdeutigen Formulierungen, sarkastischem Wortwitz und unerwarteten Wendungen. Die Fabel ist kompliziert; immerzu wird etwas entdeckt, aufgedeckt und wieder verworfen. Vorherrschend ist eine Atmosphäre der Verunsicherung; „Ich habe Angst“, sagt Michel und will nach Paris verschwinden. Aber er braucht dazu mehrere Anläufe und fährt sofort wieder zurück. Es gibt jede Menge Verdächtige, kurzfristige Verhaftungen, hitzige, auch amüsante Wortwechsel. Die Inszenierung schwankt zwischen dem Sprechtheater des Boulevard und dem großen Bild des Revuetheaters, das aber nicht zum Spektakel wird. Für die Ausstattung habe Architekt Kirchhoff, so eine Pressemitteilung der Produktion, reale Künstlerwohnungen als Vorlage genommen. Alles spielt in dunkel gehaltenen Innenräumen, die schwer aufs Gemüt drücken. Selbst das Revuetheater ist nur ein großer, schwerer Saal. Ernst Schröder dominiert jede Szene und lässt seinen Partnerinnen wenig Raum; nur Carl-Heinz Schroth als sarkastischer Theaterdirektor und Michel Auclair – stoisch, wortkarg und melancholisch – können sich neben ihm behaupten.
Die deutsche Filmkritik jubelte über den ungewöhnlichen Film, aber das Publikum war anderer Meinung. Nach kurzer Zeit wurde „Die Stimme des Anderen“ umgetitelt in „Unter den tausend Laternen“. Es half nichts, der Film ging unter wie ein Stein im Wasser.

Nicht auf DVD, aber bei https://www.youtube.com/watch?v=XOgQ7pvuZSI

Ergänzungen und Präzisierungen zu filmportal
Regieassistent: Thomas Engel; Standphotograph: P.M. Michaelis; Dreharbeiten: 12. November 1951 bis Mitte Januar 1952
Mit Carl-Heinz Schroth (Lüders, Theaterdirektor), Albert Kriewatt (Bühnenportier), Tessy Kuhle (Polly), Helmuth Klein (Portier im Kassenraum)
Gesang: Liselotte Malkowsky

Mittwoch, 26.09.2018

Marceline Loridan-Ivens, 1928–2018

Der Tod von Marceline Loridan-Ivens letzte Woche hat in Deutschland keine hohen Wellen geschlagen.

Gestern Abend in „Une histoire de ballon, le lycée No. 31 à Pékin“, einem kleinen Lehrstück aus Ivens/Loridans 12-teiligem China-Zyklus „Wie Yü-Gung die Berge versetzte“, hörte ich ihre fragende Stimme aus dem Off. Das ist die Stimme, dachte ich, die knapp 12 Jahre zuvor in „Chronique d’un éte“ einigen Jugendlichen erklärt hatte, was es mit der Nummer auf ihrem Arm auf sich hat. Nein, das sei nicht ihre Telefonnummer, sie ist im zweiten Weltkrieg in ein Konzentrationslager deportiert worden, weil sie Jüdin ist. Dann geht sie los, die Kamera in gemessenem Abstand. Ihr Gang beginnt an der Place de la Concorde, auf der Straße, und sie erzählt. Von Birkenau, von der SS.

Sie ist 90 Jahre alt geworden. 74 davon lebte sie mit der Erinnerung an Auschwitz.

Hier kann man nachlesen, was die Rabbinerin Delphine Horvilleur bei der Beerdigung Loridan-Ivens‘ am 21. September sagte.

Mittwoch, 12.09.2018

Die Pausenzeichen des Westdeutschen Rundfunks (6)


[Aus Köln in die Welt. Beiträge zur Rundfunkgeschichte, hg. von Walter Först, Köln: Grote 1974; = Annalen des Westdeutschen Rundfunks, Band 2, Innenseite des vorderen Buchdeckels]

Mittwoch, 05.09.2018

Hollywood Blacklist

Das Gespräch zwischen Stefan Ripplinger und Hannes Brühwiler über die Hollywood Blacklist ist beim Neuen Deutschland hinter der Bezahlmauer versteckt. Es ist jetzt hier nachzulesen:

* Ein amerikanischer Neorealismus. Ein Gespräch zwischen Stefan Ripplinger und dem Kurator Hannes Brühwiler


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