The Thief of Bagdad (1940 Powell, Whelan u.a.)
Das lebende Bild. Es zeigt eine Frau in Gedanken.
„Am folgenden Tage, dem 8. August, durchbrachen die Sonnenstrahlen nur zeitweise die warmen Dunstmassen am Himmelsgewölbe. Die gewöhnliche Mittagsbrise erlangte nicht die Stärke, sie zu zerstreuen. Gegen Abend glänzte der Himmel im lebhaftesten Farbenspiel. Ineinanderfließende Farbtöne aller Art, vom Chromgelb bis zum Ultramarin, verliehen dem Horizont das blendende Aussehen der Palette eines Malers. Unter dem Flockenschleier feiner Wölkchen färbte die untergehende Sonne Himmel und Land mit allen Strahlen des Spektrums, außer demjenigen, den die phantastische und etwas abergläubische Miss Campbell zu sehen verlangte.“
(Jules Verne: „Der grüne Strahl“, 1882)
“Das Licht leitet das organische Leben ein. Das grüne Chlorophyll und das (komplementär) rote Hämoglobin spielen in dem chemischen Prozeß des Pflanzenleibes und dem chemischen Gegenprozeß des Tierleibes eine hervorragende Rolle.”
(Ernst Mach: „Die Raumempfindungen des Auges“)
Shape of Water (2017 Guillermo del Toro)
Im lebendigen Wiederstreit zwischen Rot und Grün erreicht Shape of Water den größten Erfolg seiner poetischen Anstrengungen, als zwei vom Fahrtwind gepeitschte Regentropfen auf der Außenseite eines U-Bahnfensters sich bewegend, wachsend, miteinander eine größere Einheit bilden.
“Die Tropfen, miteinander in Berührung gebracht, fließen zusammen. (…) Wir können die Anziehungs- und Abstoßungskräfte der Natur als Absichten der Natur auffassen.”
(Ernst Mach: “Die Gestalten der Flüssigkeit”, 1872)
Inspirace (1949 Karel Zeman)
Ein Film, der ins Innere eines Wassertropfens vordringt. Auf der gefährlichen Suche nach der Inspiration.
Viele Filme beginnen mit forschenden Bewegungen.
Noch vor dem eigentlichen Filmanfang gehen oft Fahrten vorbei an Himmelskörpern oder entlang an Buchstaben aus dem Namen der Verleihfirma.
„The unbelievably small and the unbelievably vast eventually meet like the closing of a gigantic circle.“ sagt Jack Arnolds Mr. C (Grant Williams).
A: „Ich bin ein Nichts / ich bin ein Niemand“, hat der alte Gunter Gabriel gesungen, „ein winziges Detail / mit ein paar Liedern.“
B: „I can’t do anything / I am nothing / Our lives are meaningless / Swim in the sunshine,“ singt der junge Brian D’Addario. „I am nothing/ I’m no one / It’s wonderful,“ (The Lemon Twigs, 2017)
Was A und B gewaltig unterscheidet ist nicht nur das Alter der Sänger.
Mr. C geht den Weg von A nach B, er macht zwar keine Verjüngungskur, aber er schrumpft. Er wird so klein, dass er das lastende Gefühl, winzig zu sein, endlich von sich abstreift.
„And I felt my body dwindling, melting…. becoming …. nothing…. my fears melted away and in their place came – acceptance.“ The Incredible Shrinking Man (1957 Jack Arnold).
„An einem heiteren Sommertag im Freien erschien mir mit einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend. Obgleich die eigentliche Reflexion sich erst später hinzugesellte, so ist doch dieser Moment für meine ganze Anschauung bestimmend geworden.“ (Ernst Mach, 1886)
Cornelius Hugh de Witt: The Golden Geography
Wertlosigkeitsgefühl und Größenwahn treffen sich in der Vergötterung. Raymond Roussel liebte die Bücher Jules Vernes. So sehr, daß er der Ansicht war, es sei ein Sakrileg, den Namen seines Lieblingsautors anders als „auf Knien“ auszusprechen. „Er ist bei weitem das größte literarische Genie aller Zeiten und er wird bleiben, wenn alle Autoren unserer Zeit bereits seit langem vergessen sein werden.” (Roussel, 1921)
Bei Roland Barthes las ich die Erklärung, Jules Verne sei bei Kindern so beliebt, weil seine Helden sich auf ihren Reisen so gemütlich einrichten – wie Kinder in ihren selbstgebauten Hütten und Höhlen.
Es mag zwar stimmen, dass die Reisen seiner Helden (temporäre) Abkapselungen von der Welt sind, aber das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Denn Jules Verne ist der Autor – der einzige vielleicht, der berühmteste jedenfalls – dessen Geschichten auf einem kreiselnden Planeten am Rande des eisigen Universums spielen, auf dünner Erdkruste über flüssigem Eisenerz.
In Jim & Andy: The Great Beyond (2017 Chris Smith) findet Jim Carrey, bärtig, weise, lächelnd, eloquent die Worte für eine Weltbeschreibung à la Verne. Er vergisst dabei nicht die Geschwindigkeit des von uns bewohnten Kreisels zu erwähnen, und die in Magma schwimmenden tektonischen Platten unter unseren Füßen.
Der unsichere Boden, den nicht jeder so empfindet, hat seine Entsprechung im selbstaufgebürdeten Leistungsdruck. Die Früh- und Spätschichten der Seele heißen Depressssion und Obsession.
Der Mann, der im Gedicht von Ringelnatz dem “Fußballwahn” verfällt, will in letzter Konsequenz gegen den Erdball treten. “Er rang mit mancherlei Probemen / Zunächst: Wie soll man Anlauf nehmen?”
„Das Rätsel liegt darin, dass mein Körper zugleich sehend und sichtbar ist. (…) Sichtbar und beweglich zählt mein Körper zu den Dingen, ist eines von ihnen, er ist dem Gewebe der Welt verhaftet, und sein Zusammenhalt ist der eines Dinges. Da er aber sieht und sich bewegt, hält er die Dinge in seinem Umkreis, sie bilden einen Anhang oder eine Verlängerung seiner selbst, sind seine Kruste und bilden einen Teil seiner Definition, wie auch die Welt aus eben dem Stoff des Körpers gemacht ist.“
(Maurice Merleau-Ponty: „Das Auge und der Geist“, Rowohlt, 1967)
Sterne, Strahlen, Aureolen, Umlaufbahnen sind geeignet, uns auf den ersten Film-Metern entweder klein zu kriegen oder „kosmisch“ zu stimmen.
Die Mach-Erfahrung („An einem heiteren Sommertag…“) ist nichts, was irgendwie erworben wird, kein Verdienst, keine Belohnung, sondern Geschenk.
Die verzweifelte Suche nach Inspiration ist etwas ganz anderes. Rückzug. Versenkung. Gefangenseinwollen.
Innenansicht des „Inspiratrions“. Es bot Vibrationen und elektrische Stimulation. via 50watts
„Meine Tinte war, wie ich bereits erzählte, schon seit längerer Zeit immer weniger geworden. Ich verdünnte sie mit Wasser, bis sie schließlich so blass war, dass sie kaum einen Schimmer auf dem Papier hinterließ.“ (Daniel Defoe: Das Leben und die seltsamen, überraschenden Abenteuer des Robinson Crusoe, 1719)
„Im Grunde konnte ich die letzten Jahre nicht schreiben, weil mir das Gefühl der Peinlichkeit meinem eigenen Leben gegenüber die Sprache geraubt hatte. Das, was ich erlebte, erschien mir in einem solchen Maße unzulänglich und banal, dass sich das Konstrukt der Unzulänglichkeit auch auf meine Gedanken und Gefühle und von dort auf meine Ideen und Fantasien ausdehnte, weshalb ich am Schluss gar nichts mehr hatte, nur noch eine Leere, in der mich manchmal irgendein Auftrag erreichte, eine Anfrage, für die ich dann einen Text verfassen konnte, weil jemand anderer mich quasi an die Maschine gesetzt hatte.“ (Frank Witzel: „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“)
Everything is Thunder (1936 Milton Rosmer)
“alphabet bisquits for lunch, that’s all I have”
„Die babylonische, die aztekische, die chinesische. Aber sprechen wir nicht mehr davon.“ So beginnt ein Text von Ringelnatz („Eheren und Holzeren“, 1924), in dem auch das Wort „Pinguinbutter“ vorkommt.
Woraus ist die Welt, woraus sind wir gemacht?
Ein kompletter Kreis Schmelzkäse-Ecken in Alupapier – das ist der silberne Mond, den Ingrid Bergmann (in Indiscreet) nachts hungrig aus dem Kühlschrank holt.
Think Fast, Mr. Moto (1937 Norman Foster)
„Verändern Sie das Auge des Menschen, und Sie verändern seine Weltanschauung. (…) Die Menschenseele ist eingesperrt in ihr Haus, in den Kopf; sie betrachtet sich die Natur durch ihre beiden Fenster, durch die Augen.“
(Ernst Mach: „Wozu hat der Mensch zwei Augen“, 1867)
„Liege ich z. B. auf einem Ruhebett, und schließe das rechte Auge, so bietet sich meinem linken Auge das Bild der folgenden Figur 1.“
„In einem durch den Augenbrauenbogen, die Nase und den Schnurrbart gebildeten Rahmen erscheint ein Teil meines Körpers, so weit er sichtbar ist, und dessen Umgebung.“
(Ernst Mach: „Die Analyse der Empfindungen“, 1886) ***
Wie man die Selbstschauung „Ich“ ausführt.
Von Mach selbst skizziert, (anders als auf der professionellen Zeichnung oben) mit Kaffeetasse und Zigarette. ***
Forty Guns (1957 Sam Fuller)
Die Liebste – – – betrachtet durch den Lauf eines Gewehrs.
Es sähe alles anders aus, wären unsere Augen seitwärts am Kopf, sagen Mach und Merleau-Ponty.
Bedwyr Williams macht in seinem Kurzfilm Hotel 70° (2014) den Vorschlag, durch beherztes In-die-Ecke-rennen das Gesicht zum Tortenstück zu verformen.
The Snorkel (1958 Guy Green)
„Wir können von jedem Menschen, selbst dem charakterlosesten annehmen, dass er einen Charakter hätte, wenn es eben in dieser Welt nicht zu schwierig wäre. So hätte wohl auch die Flüssigkeit ihre eigene Gestalt, wenn es der Druck der Verhältnisse gestattete, wenn sie nicht durch ihr eigenes Gewicht zerdrückt würde. (…)
Fällt aber ein Tropfen frei herab, so bewegen sich alle Teile gleich schnell, keiner wird durch den andern gehindert, keiner drückt also den andern. Ein frei fallender Tropfen leidet also nicht unter seinem Gewicht, er verhält sich wie schwerlos, er nimmt die Kugelform an.“
(Ernst Mach: Die Gestalten der Flüssigkeit, 1896) ***
Sous le ciel de Paris (1951 Julien Duvivier)
Die Lebenslinie… Zur exakten Prophezeiung reicht die Lupe nicht. Es muss in eine leuchtende Kugel hinein geschaut werden.
Sous le ciel de Paris (1951 Julien Duvivier)
Im “Land der Pelze” (1873) taucht Jules Verne den Nordpol in vulkanisches Licht: „Der nördliche Horizont erschien fortwährend vom Feuer aus der Erde erleuchtet, und gewiß vollzog sich jetzt in diesen Gegenden der Erdkugel eine furchtbare plutonische Arbeit.”
“Man sieht die Dinge, weil es an Worten mangelt; das Licht ihres Seins ist der umflammte Krater, in dem die Sprache vergeht.”
(Foucault: “Raymond Roussel”, 1963)
Für den gemeinen Mann bleibt Meer und Erde (physikalisch) eine Scheibe, der Himmel ein Gewölbe. Wenn nun dieser Mann an einer westlichen Meeresküste die glühende Sonne ins Wasser tauchen sieht, so glaubt er, er müsse sie zischen hören. Er hört sie wohl auch wirklich zischen, indem er irgend ein zufälliges Geräusch hierauf bezieht. (…) Ich selbst hörte noch als Kind von 4 oder 5 Jahren die Sonne zischen, als sie scheinbar in einen großen Teich tauchte, und wurde darob von den Erwachsenen verlacht. Die Erinnerung ist mir aber sehr wertvoll.
(Ernst Mach: „Die Wucherung des Vorstellungslebens“)
A Universal Picture
Reis‘ ich rund herum um diese Erde / das macht niemals, dass ich glücklich werde / Darling, no-oh-no / das geht nicht so. (Esther & Abi Ofarim: „Wenn ich bei dir sein kann“)
Gesungen zur Melodie von „Cotton Fields“, arrangiert von Peter Thomas, „eines der schönsten deutschsprachigen Liebeslieder“ (Stefan Ertl)
An RKO Radio Picture
Zurück zum Anfang. Der Vorhang öffnet sich. Und noch vor dem eigentlichen Filmbeginn sind da:
Die kreisrunden Radiowellen, die vom Sendemast der RKO ausgehen – – – Die große Null, hoch oben in den Suchscheinwerferlichtern der 20th Century Fox – – – Der Sternenkreis um den Berg namens Paramount – – – Der Strahlenkranz um die Fackel von Columbia (im Laufe der Jahrzehnte wurde er zum Logo) – – – das Wappen der Warner Bros. von Saul Bass für die 70er kurz mal rund gemacht – – – Das Zelluloidband mit den Worten “ars gratia artis”, das den MGM-Löwen kreisrund umgibt (und seit kurzem: eine Rückwärtsfahrt durch die Iris im Löwenauge).
Die lebendige Lady im Logo der Gainsborough Pictures – – – Der Gong von Rank – – – Die Zielscheibe der Archers – – – Der Strahlenkranz ums große G von Gaumont – – – Der Stern auf der Umlaufbahn der Cineriz – – – Der Kreis, dem die Svensk Filmindustri irgendwann die Beweglichkeit konzentrischer Ringe verlieh.
Das dreifache C von Artur Brauner – – – Das große mittige O von MelOdie-Film – – – Die Irisblende der Real-Film – – – Der stilisierte Globus von Prisma.
Das Prismenspiel des BFI – – – Die römische Münze der Janus Films – – – Das kreiselnde C der Criterion Collection.
Die Sterne, aus deren wirbelnder Kreisformation das O der Orion Pictures aufleuchtet, vor jedem Film von Woody Allen in den goldenen 80ern.
La Perle (1929 Henri d‘ Ursel)
Sie rührt sich! Sie senkt den Kopf auf die Schulter um zu träumen.
Aus Erich Kästners Drehbuch zu Münchhausen (1943 Josef von Báky): „Das Gemälde zeigt eine auf einer Ottomane ruhende nackte Frau, die dem Betrachter den Rücken kehrt. Diese Rückenansicht gehört zu der Gattung, die uns auf die Vorderseite neugierig macht. Zu Münchhausen, der die Dame angelegentlich mustert, tritt Cagliostro und schaut ihn lächelnd von der Seite an. Plötzlich wird die gemalte Dame im Bilderrahmen lebendig!“
Der Rahmen ist allerdings rechteckig, nicht rund, deshalb…
stattdessen… eine Frau (Ilse Werner), die einen Mann anschaut.
Münchhausen (1943 Josef von Báky)
Von Konstantinopel nach Venedig, dann zum Mond.
Das doppelte Lottchen (1950 Josef von Báky)
Das doppelte Lottchen – das ist die Doppelgängerangst, ab- und umgewendet in Wunscherfüllung. Erlösung von der Furcht, wir könnten verschwinden, vom Anderen ersetzt: Das doppelte Glück, geliebt zu werden als freiwillig Verwechselte, geliebt auch als das Andere, das irgendwie halb in uns steckt.
Die seltsame Geschichte des Brandner Kaspar (1949 Josef von Báky)
Ein Heimatfilm. Natürlich versessen auf Konflikte, Wilderei, Eifersucht, Mord. Ein Dialektfilm: verliebt in den Sprechakt. Ein SGE-Kanon-Film. Und ein Horrorfilm: der Tod sitzt am Tisch und will sich amüsieren. Paul Hörbiger verkörpert Freund Hein auf dünnen, beweglichen Beinen. Das Jenseits ist bayrischer Barock. Vom Himmel hinab, wo eine ewige Puttenplage grassiert, sieht die Wirklichkeit hier unten winzig klein und harmlos, gar nicht tödlich aus.
Ernst Mach: „Denken Sie sich den umgekehrten Fall! Wir wären so klein, dass wir in einem Walde von Moos spazieren gehen könnten und unsere Augen wären entsprechend nahe aneinander. Die Moose würden uns baumartig erscheinen. Darauf kröche ungeheures, unförmliches, zuvor nie gesehenes Getier herum. (…) An den Stämmen des Mooswaldes finden wir mächtige durchsichtige, glänzende Kugeln von einigen Fuß im Durchmesser, die eigentümlich langsam im Winde wogen. Wir nähern uns neugierig und finden, daß diese Kugeln, in denen sich lustig einige Tiere herumtummeln, daß sie flüssig, daß sie Wasser sind. Noch eine unvorsichtige Berührung und — o weh! — schon zieht eine unsichtbare Gewalt meinen Arm mächtig ins Innere der Kugel und hält mich unerbittlich fest!“ (1867)
Fortsetzung folgt