Sonntag, 07.06.2020

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood

von Wolf-Eckart Bühler

Abraham Polonsky ist der wahrscheinlich am längsten und am umfassendsten Betroffene der Schwarzen Listen, die die amerikanische Filmindustrie seit Ende der vierziger Jahre, dem Beginn des Kalten Krieges, aufgestellt hat: zwischen seinem ersten und seinem zweiten Film als Regisseur liegen mehr als zwanzig Jahre. Noch bemerkenswerter aber ist, daß er überhaupt zurückgefunden hat. Wenn auch nur vorübergehend: die Schwarzen Listen funktionieren heute nur anders, aber nicht minder effektiv.
1910 in New York geboren. Lehrer, Rechtsanwalt, Gewerkschaftsor­ganisator. Er verfaßt Aufsätze, Hörspiele, Bücher. The Enemy Sea (1941) soll in Hollywood verfilmt werden, er selber einen Kontrakt als Drehbuchautor bekommen. Polonsky akzeptiert, um nach seiner Rückkehr aus dem Krieg einen Job zu haben. Im Krieg betreibt er von London und Paris aus Rundfunkpropaganda für die Alliierten. Die ersten Erfahrungen als Scriptwriter bei der Paramount sind verheerend, und er will Hollywood bereits wieder verlassen, als er ein Angebot der neugegründeten Firma Enterprise erhält. Body and Soul (1947, Regie Robert Rossen), vordergründig ein Boxerfilm mit John Garfield, setzt die Korruption des Sportgeschäfts mit dem amerikanischen System als Ganzem gleich; Polonsky nimmt auf die Dreharbeiten derart Einfluß, daß Garfield ihm anträgt, die Regie eines nächsten Filmes selbst zu übernehmen.
Force of Evil (1948) ist die Geschichte zweier nur scheinbar ungleicher Brüder: Inhaber eines kleinen Wettbüros der eine, der sich deswegen für einen ehrlichen, anständigen Bürger und Geschäftsmann hält – Rechtsanwalt eines großen Syndikats, welches das Wettgeschäft nicht nur unter seine Kontrolle bringen, sondern es auch zu einem legalen Geschäft umfunktionieren will, der andere; weswegen sein Bruder ihn für einen Gangster ansieht. Zum Schluß, die prinzipielle Gleichartigkeit ihres Tuns, das sie beide, jeder auf seine Weise, dem amerikanischen Mythos und System des ‚Business um jeden Preis‘ dienen läßt, nicht erkennen könnend, zerstören sie sich notgedrungen gegenseitig.
Polonsky: „Meine Filme zeigen eine marxistische oder sozialistische Sicht der Welt, nicht etwa deshalb, weil ich sie mit Absicht so konstruieren würde, sondern weil das meine eigene Sicht der Dinge ist.“
Nach Force of Evil, gedreht zur Zeit der ersten großen Säuberungsaktion des HUAC (Komitee gegen un-amerikanische Umtriebe) wider die Filmindustrie Hollywoods – als deren Resultat u.a. die ‚Hollywood Ten‘ ins Gefängnis gingen, verfaßt Polonsky in Europa den Roman The World Above, in dem er u.a. explizit die reaktionären Tendenzen seines Heimatlands im Zeichen des Kalten Kriegs, und ganz speziell das HUAC, attackiert. Nach Amerika zurückgekehrt, verkauft er ein weiteres Drehbuch und erwirbt von Thomas Mann die Rechte an Mario und der Zauberer; da sich dieses Projekt in Hollywood sowieso nicht, aber auch in Europa nicht realisieren läßt, beginnt er in Südfrankreich die Arbeiten an einem neuen Roman, welcher noch unmittelbarer die Arbeitsverbote, Loyalitätseide und Gesinnungsschnüffeleien der aktuellen amerikanischen Politik – der sich inzwischen auch Senator McCarthy beigesellt hatte – angreifen soll. Daß er auf Manns Rat, gleich ihm Amerika zu verlassen, nur scheinbar eingegangen war, zeigt sich, als das HUAC 1951 die Überprüfungs- und Unterwerfungskampagne gegen Hollywood in verstärktem Maße fortsetzt: er bricht die Arbeit an dem Buch ab (A Season of Fear erscheint erst 1956) und kehrt in die Staaten zurück. Kaum angekommen, wird er vor das Komitee zitiert. Er soll über seine Tätigkeit in linken Gewerkschaften, radikalen Organisationen, der Kommunistischen Partei usf. aussagen, vor allem aber die Namen derer nennen, die noch mit dabei waren. Er weigert sich, das zu tun. „Wenn ich die Namen genannt hätte, hätte ich weitermachen können wie zuvor: das hat man mir sogar garantiert. Ich hätte all die Filme machen können, die dann Elia Kazan gemacht hat.“
Stattdessen wird er auf die Schwarzen Listen gesetzt und wird er zwanzig Jahre lang überhaupt keinen Film mehr machen können. Er hält sich über Wasser als Herausgeber einer kleinen Zeitschrift und indem er unter ständig wechselnden falschen Namen operiert: beim Radio, beim Fernsehen, später auch beim Film. Unter seinem eigenen Namen kann er erst 1968 wieder schreiben; im Jahr darauf führt er wieder Regie: Tell Them Willie Boy Is Here (Blutige Spur) ist die Geschichte eines Indianers, aber auch Polonskys eigene Geschichte – von einem, der zum Fremden und zum Gejagten gemacht wird, wo er zu Hause ist. Die finanzielle Pleite von Romance of a Horsethief (1970 in Jugoslawien hergestellt) und Polonskys Hart­näckigkeit, auf dem seit Jahrzehnten gehegten Mario-Projekt bestehen zu wollen, geben Hollywood seitdem den willkommenen Vorwand, sich vor der unbeugsamen Unbequemheit seiner Person und seiner Filme von neuem zu schützen. Im vergangenen Jahr hat er einen weiteren Roman veröffentlicht, Zenia’s Way.

(1981)

[Teil 1 der Serie „Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood“ mit Texten von Wolf-Eckart Bühler. Es handelt sich um den Einleitungstext des ca. 220 Seiten umfassenden Typoskripts „Von der Pflicht zur Unbequemheit. Der Filmregisseur Abraham Polonsky und Thomas Manns ‚Mario und der Zauberer'“. Der Text hat im Original keinen Titel.]

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