Einträge von Andreas Mücke-Niesytka

Dienstag, 03.09.2019

Philip Rosenthal, der Unternehmer, der nicht an den Kapitalismus glaubte

Am 4.9. wird im PODEWIL um 20.30 in der Reihe „Bauhaus und Film“ der nie ausgestrahlte Film „Philip Rosenthal, der Unternehmer, der nicht an den Kapitalismus glaubte“ von Dominik Graf, CJ Pfeiffer und Martin Gressmann gezeigt. Mit Dominik Graf und Martin Gressmann gibt es anschliessend eine Podiumsdikussion.

(link)

Sonntag, 07.10.2018

zu HOTTE IM PARADIES

Wo die Ausbeutung das Geschäftsmodell ist und er das aber gar nicht kann:
das Gesicht von Misel Maticevic, das immer mehr zu wissen scheint,
vor allem, daß es so doch nicht geht – sein Eskapismus erinnert eher an Dieter Montag in “Solo Sunny“, der auch immer was Schönes machen will: Hotte als Kümmerer und Beschützer, wo dann der Ausflug zum See mit seinen 3 Mädchen mehr mit MENSCHERN AM SONNTAG zu tun hat als mit existentiellen Pathos eines geschundenen Pacino in CARLITOS WAY.

Der an die Ingredienzien des bürgerlichen Lebens glaubt, der das Geld Verdienen aber ohne Arbeit abkürzen will, um ein ein Leben in Distinktionen zu führen. Und wie das scheitern muss, davon erzählt Graf hier unnachahmlich mit Präzision und rarer Vitalität.

Die Mädchen sind Material, das gepflegt werden muss: mit einer Liebe zu den Figuren hier, aus der Zeit, wo man noch von Kiezfiguren sprach und von den geliebten Körpern der von ihnen geschundenen Frauen.

Gegen die Wettbewerber am Markt, die wie eine Handwerkskammer organisiert sind. Das alte Westberlin als Pate. Die kleinen Puffs am, vor’m Olympiastadion.–
Das übriggebliebene kleinkriminelle Milieu, inzwischen auch gentrifiziert am Stuttgarter Platz, wo sich heute die weißhaarige, gesettelte Libertinage an das Verruchte in der Kunst des billigen Lebens während den Achtzigern erinnert, das KUMPELNEST neben dem Strassenstrich….

Der Melancholiker Misel Maticevic, dessen Unwiderstehlichkeit hier so als wunderbar verwundbar dargestellt ist, und das Prekäre, und die Kokslines vom Hintern der Wunschvorstellung mit den Banalitaäten des Alltags kollidieren, wo am Ende der Skrupellose sich durchsetzt und das Bild des Gescheiterten bleibt, so wie Sterling Hayden in einem seiner schönsten Momente sich nachts betrunken in den Pazifik verabschiedet, ist Hotte auch mehr bei THE LONG GOODBYE von Altman oder bei Wolfs SOLO SUNNY bzw. Wilders MENSCHEN AM SONNTAG als bei CARLITOS WAY von De PALMA.
Steht irgendwo dazwischen.

7.10. 15.00 H Cinema Bundesplatz
und DVD

Freitag, 19.01.2018

Inge Classen

Zwischen den Jahren zufällig beim Durchblättern der letzten Ausgabe „BLACKBOX – filmpolitischer Informationsdienst“, Nr. 270, Dezember 2017, sah ich zwei Traueranzeigen. Platziert zwischen den Mitteilungen der Förderentscheidungen Hamburg unter Gender-Gesichtspunkten in den letzten 10 Jahren und denen des BKM/FFA, Filmstiftung NRW für November 2017.
Eine Anzeige als Erinnerung der 3 SAT Redaktion, und an anderer Stelle die ihrer Lebensgefährtin mit den Lebensdaten der INGE CLASSEN, 15.02.1957 – 14.10.2017

Die schwarzen Rahmungen um ihren Namen, jeweils unten auf einer rechten Seite, und darüber, die Aufzählung von Fördersummen, wem was zugestanden wurde, um ein Filmvorhaben beginnen zu können, oder es mit Unterstützung auszuwerten, sah ich als ein Bild, das sagt, dass es weitergeht und dass Inge Classen damit zu tun gehabt haben muss.

(Und wie ihr Name da zu lesen war, erschien mir ihr nicht gerecht, zwischen den Zahlen, irgendwie darauf reduziert zu sein, als fehle da noch was.)

Im Internet fand ich dann noch andere Traueranzeigen, die zwei Monate zuvor im Oktober in überregionalen Zeitungen abgedruckt waren.
Am Tag ihres Ablebens war ich bei Dreharbeiten beschäftigt, eindrückliche Momente mit A. Schanelec, und denke jetzt an „Orly“, den Inge Classen seinerzeit noch mitproduziert hatte.

Und dass Sie drei Jahre nach Harun Farocki verstorben ist, dass beide Anfang der Achtziger in der FILMKRITIK über Truffauts „La Femme d’à côté“ geschrieben haben. Sie, die genau den Film Beschreibende, während Farocki, wie ein Sidekick, sich in seinem Text über die deutsche Synchronisation ärgert.
„Duras filmt“, eine Dokumentation der Dreharbeiten zu „Agatha“ und Margarete Duras zu ihrer Arbeit, protokolliert von Inge Claßen, kann man in der FILMKRITIK Heft 4, April 1982 nachlesen.

Da war Inge Classen 25 Jahre alt und das, was sie dann als Produzentin alles möglich machte, lag noch vor ihr. Eine Cinephile, die als Redakteurin später Regisseuren wie Peter Nestler und Harun Farocki die Arbeit, die Weiterarbeit ermöglichte und all den hier Nichtgenannten mit ihrem Engagement bar jeder Eitelkeit die Grundlagen verschaffte im deutschen Fördersystem Filme herstellen zu können.

(„Was zum Beispiel Inge Classen und andere auf 3sat zeigen, hat mit dem übrigen Sender nicht viel zu tun, der eine Abladestelle für allerlei Zulieferanten ist. Und was Werner Dütsch und die Filmredaktion beim WDR machen, das ragt ja wie ein Fremdkörper aus dem Übrigen.“ *)

2013, als sie schon sehr krank war, nicht mehr aktiv arbeitete, zeigte das Arsenal-Kino einige der von ihr betreuten, mit auf den Weg gebrachten Filme als kleine Hommage. Der Einführungstext dazu beschreibt ihre Haltung, ihre Arbeit.

Freitag, 31.10.2014

Phoenix III

Sich als Auschwitzüberlebenden schuldig empfinden, jene perfide Volte der Geschichte, davon wusste Primo Levi zu berichten und wenn Nelly in Johnnys Keller vom Lager erzählt, zögernd, stockend immer leiser werdend, eine Entäußerung nach innen, zu sich selbst, vergewissernd, wie ein Eingeständnis, scheint sich alles für einen Augenblick zu verkehren, sie, die sich offenbaren will, eine Last loswerden, und er, der ihr wie abwesend zuhört.

Das ist mittendrin in dieser Geschichte von Zerstörung und Deformation und was das mit einem macht. Bei Nelly anfangs die Zerstörung äußerlich noch kenntlich durch Verhüllung der erlittenen Gesichtsverletzungen, und die weiteren, die wir uns denken, und ihre Ratlosigkeit gepaart mit dem Staunen angesichts des Neubeginns, das später sich in einem fast tonlosen Fragestellen äußert, wie bei einer anderen Nelly, die noch mal 2 Jahre später von den „Wohnungen des Todes“ schreiben wird, wirkt all das bei Johnny unsichtbar, wie verloren in einer Vergangenheit, die er nicht mehr als die Seine begreifen kann, pathologisch fast, dieses nicht Erkennen wollen, nicht mehr Erkennen können, das Verdrängen des Makels der Schwäche des Verrates, als habe er seine Sinne verloren, das Riechen wie das Tasten der einst Geliebten, aber nicht den Verstand, der ihn antreibt, das Bild zu formen von Jener, die er nicht wahrhaben will.

Vom Ursprung des Gesangs heißt es, er vertreibe die Raubtiere, und wenn Nelly am Ende lauthals „speak low“ singt, ist das auch ein Hinauswachsen über sich selbst, der Gesang als Preisgabe, das laute kraftvolle Singen wird zum Rettenden, sie, die sich frei singt, von all den Zurücknahmen, den selbstauferlegten, und dem Verlust der Liebe, die Sie am Leben erhalten hat, und die dann einfach abgeht, und ihn zurück lässt, und sein Erkennen ist das Erstarren, bewegungslos, aber nicht wie das Raubtier, lauernd, sondern gelähmt hilflos, ein Verworfener.

Sonntag, 03.11.2013

Zum TATORT „ Aus der Tiefe der Zeit“ von Dominik Graf , gestern in der Mediathek

Unser Lieblingslehrer in den Siebzigern liebte Knaben und Jünglinge und das ganze Fremde, Neue, was uns in der Adoleszenz begegnete, konnten wir parallel auch im Fernsehen entdecken. Der Aufbruch wie das Aufbrechen von Konventionen, Überschreitungen. Werner Schroeters Willow Springs wie Fassbinders Händler Der Vier Jahreszeiten liefen spät abends im ZDF und hatten mich umgehauen.
Unsere Schule war in der Ridlerstraße. In den Kneipen ringsum, die auch tagsüber immer dunkel und leer schienen, kickerten wir nach der Schule und tranken dabei mindestens eine Halbe. Man konnte davon in manchen Kommissarfolgen sehen, diese Wirtshäuser in Münchner Nebenstraßen mit ihren Durchfahrten. Wo dann im Hof noch irgend eine Remise war, wo die Armen oder Randgestalten der Siebziger wohnten, man konnte z.B. dem großartigen Paul Albert Krumm in den verschiedensten Ausformungen der gebrochenen Existenzen, die meist dort verortet waren, beim Zusammenbruch zusehen, denn das Verborgene wurde immer aufgedeckt. Diese Geschichten wollten wir damals erleben, als Schüler, ausbrechen, das Abseitige als das Reizvolle, aber da gab es später nur das Schwabylon …( was übrigens auch eine wunderbare Projektionsfläche wie Handlungsort diverser Kommissar / Derrick folgen war )
Und hinter der Landsbergerstrasse gab es die Bahngleise, die wegführten.

Am Herzog Ernst Platz machte die zweite Mc Donalds Filiale in Deutschland auf, unaufällig, abseits von Schwabing. Mindestens ein Jahr lang konnte man dort exclusiv Schokomilch -shakes trinken und Burger essen, was uns gar nicht klar war. In den Kirchengemeinden mit ihren Jugendräumen in und ums Westend hing man am Wochenende ab, wurden die Partys unter Aufsicht gefeiert. Am Gollierplatz gab es noch wenig Ausländer, ich erinnere Salvi, wie er genannt wurde, Salvatore, seine Eltern hatten einen Gemüseladen, ein Italiener, der mit uns an der Bushaltestelle abhing, oben am Harras, ein Womanizer, so einen, mit dieser Frisur, lange dunkle Haare, wollten alle Mädchen, damals. Sonst war das Westend ein Ort, an dem man nicht unbedingt wohnte, sein wollte, der sog. soziale Brennpunkt jener Zeit, Hasenbergl kam als solcher nicht vor, zwei unserer Klasse wohnten dort, mir ist bei Ihnen zu Hause nichts aufgefallen, was anders wäre, die selbe Wohnung in Beton, gestapelt wie bei uns, im Sendling. Dann der Wandel um 360 Grad zum gesuchten Spekulationsort in den zurückliegenden 30 Jahren bis heute. Die Trappentreustrasse bis zur Donnersberger Brücke, die Landsbergerstrasse, die Theresienhöhe markierten das Westend, das Viertel der Arbeiter und kleinen Leute, wie es hiess.
Und jenseits der Isar, hinterm Flaucher, am anderen Hochufer, in Grünwald ,wo man nicht hinkam, wohnten schon immer die, die das Sagen hatten. Deren Lebensformen wie entlüftet und einer Öffentlichkeit in all seinen Gewohnheiten zugänglich geworden zunächst auch durch Erik Ode, nachgefolgt von Derrick und später dem Alten. Die verworrensten und interessantesten Verbrechen passierten immer dort. Lange vor Dallas und David Lynch konnte man hier in Grünwald immer freitags um 20.15 h auf das Abgründige der frühen Siebziger sehen, bzw. was dafür gehalten wurde.

Das alles weiß Dominik Graf, wenn er die Geschichte beginnt, er eintaucht in die „Tiefe der Zeit“, die Herbert Reineckerschen Motive der desolaten Bürgerlichkeit hinter den Mauern von Grünwald mit all den wunderschön grotesk versponnen Familiengeschichten dort, mit den sichtbaren Destruktionen aufnehmend.
Am Ende bebt das Hochufer der Isar und bringt nicht nur das lange Verborgene einer Familie voller Tragik an die Oberfläche, sondern erzählt mit dem Einstürzen der Villa auch vom Gebrauch von Kamera und Ton, wie sie disparat doch zueinander finden, Bilder als Erinnerungsfetzen, die zu Beginn nicht zuortbar, nur aus sich heraus wirken, Blicke eines Mädchens, eine Leiche, unscharf, dazwischen eine auf Koyaanisqatsi verweisende Münchenmontage, Baustellen im Gegenlicht, das Mädchen auf einem Pferd, rodeoähnlich, rotgeschminkte Lippen, aufgeladen mit / als Erinnerung, Wolken, Sonnenreflektionen, Überstrahlungen, schnell geschnitten, als verschmelzen sich Grandiueux´s – Sombre und Zbynek Brynych Kommissar – Inszenierungen zur einer Grafschen Unruhe, die atem-beraubend vorwärtsdrängt.
Jede Einstellung als Versatzstück eines Bildes, als erscheine es nur einen Augenblick von etwas Größerem, Ganzen, was wir nicht sehen, aber ahnen. Wie ein Bild, das davor war, das Vorbild, und das Nachbild, der Nachhall der Erinnerung an das zuvor Gesehene, verkoppelt jede Einstellung, diskursiv, assoziativ zusammen gefügt, rythmisiert durch scheinbar unzählige Schnitte. Das Gesamtbild, was sich einstellt, beim Gucken, wird reines Fernsehen, wie Graf es sieht. Auch Ergebnis des Ab-schnitts, des Weglassens im Editing.
Und man hört dabei oft den Ton aus der Einstellung zuvor oder danach und diese Wechsel zwischen dem original im Bild Gesprochenen und dem asynchronen Gerede und den Geräuschen, der Musik, verwoben zu einem polyphonen Stakkato einer Melodie, wie er die Stadt hört.
Die Geschichte ist Pulp, das dramaturgische Reinfransen von der korrupten Verzahnung von Politik und Wirtschaft in die Geschichte der versehentlichen und des absichtlichen Todes vor der Kulisse des aus den Fugen geratenden gentrifizierten Westends ist die Matrix, wie geschaffen, um den Figuren bei ihren ausweglosen Bewegungen in den zugeteilten Räumen zuzusehen.
Der Wunsch der beiden Ermittler nach dem einfachen Fall und ihr Beamtenstatus bewahrt sie vor dem Durchdrehen.


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