Einträge von Bert Rebhandl

Montag, 10.01.2005

My Camp is my Bollwerk

Manchmal schließen sich Kreise, von denen ich gar nicht mehr wußte, daß sie offen sind: In einem Mail lese ich, daß im Februar ein Film von Uwe Boll startet, mit dem Titel ALONE IN THE DARK und mit Christian Slater in der Hauptrolle. Ein kanadischer Zombiefilm von einem deutschen Regisseur. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es sich dabei um denselben Mann handelt, mit dem ich 1994 beim Festival in Saarbrücken ein wenig abgehangen bin. Ich war damals ein bloody greenhorn in der Filmwelt, und war einigermaßen unvorbereitet auf einen deutschen Slasherfilm, der mit der Musik von Richard Strauß operiert und mit Benny Beimer aus der Lindenstraße – den richtigen Namen dieses Schauspielers habe ich mir ebensowenig gemerkt wie den Titel des Films von Uwe Boll. Ich habe Saarbrücken damals nicht sonderlich gemocht, die Stadt wie das Festival, und Boll war auch irgendwie ein Außenseiter. Jetzt dreht er mit Christian Slater, weil die Wege des Investitionskapitals im Horrorkino so verschlungen sind wie die beruflichen Loyalitäten von Günter Netzer. In Wien, wo wir gestern noch waren, haben wir in drei Tagen drei Lubitsch-Filme gesehen, die nicht aus Zucker waren. Der unbekannteste war der schärfste: CLUNY BROWN aus dem Jahr 1946 handelt von der britischen Klassengesellschaft, die 1938 so unvorbereitet auf Adolf Hitler und den Blitzkrieg ist, daß sie den Führer für einen Pfadfinder halten kann: My Camp, so war doch der Titel von dessen Hauptwerk, is it not? In diese Gegengesellschaft zum Michael-Powell-Enlightenment kommt ein tschechischer Schriftsteller, den Charles Boyer spielt. Er wird von aufgescheuchten, ahnungslosen Antifaschisten für einen höchst gefährdeten Nazi-Gegner gehalten, und sofort auf ein Landgut verfrachtet, wo er auf Cluny Brown (Jennifer Jones) trifft, die dort als Dienstmädchen arbeitet, lieber aber Klempnerin wäre. Sie fällt mehrmals großartig aus der Rolle, wenn es etwas zu hämmern gibt. Die Vorstellung im Österreichischen Filmmuseum war ausverkauft – es war mein erster Film in diesem Jahr.

Samstag, 02.11.2002

Viennale 2002

Eben aus Wien nach Berlin zurückgekehrt, entnehme ich meiner Jackentasche mit dem Reisepaß auch jenen Zettel, der mich die letzten zwei Wochen hindurch während der Viennale begleitet hat: ein dichtes Programm, in dem einige Filmtitel herausgehoben sind; es sind die, die ich sehen wollte, nicht alle habe ich geschafft. Glück ist, „Verantwortung für die Grenze zum Rausch zu übernehmen“, rief Schlingensief aus, als er aus dem Kuhlbrodtbuch vorlas (darüber muß eigens geschrieben werden) – während eines Filmfestivals hält man viel Pathos aus, und Schlingensief war an diesem Abend großartig. Die Viennale eröffnete heuer mit ETRE ET AVOIR von Nicolas Philibert, einem Dokumentarfilm über eine Grundschulklasse in der Auvergne, der mir wie ein Echo auf Rossellinis Gaukler Gottes erschien. Das Gartenbau-Kino ist von allen Festivalpalästen, die ich kenne, der beste: ein Saal für 740 Menschen, die nicht (wie in den Musicalauditorien, die bei A-Ereignissen als repräsentative Räume gelten) wie in einem Theater sitzen, sondern wie in einem Kino zu der Leinwand aufblicken, die enorm groß ist, und eines Abends, als das Bild für GERRY von Gus van Sant tiefblau wurde und der Vorhang sich zu Cinemascope öffnete, war das dan fast ein erhabenes Ereignis: eine Kamerafahrt durch die nordamerikanische Wüste, Musik von Arvo Pärt, zwei unheimliche Schnitte und eine Gefahr wie zu Beginn von Kubricks SHINING, der Matt Damon und Casey Affleck sich mit der Unbedarftheit zweier Jungen aussetzen, die außer rauchen und gehen nicht viel können. Die wagemutigen Unschärfen dieses Films wurden nur von LA VIE NOUVELLE von Philippe Grandrieux übertroffen, aber dessen exzeptionelle Horrorästhetik ist den Leidenschaften eines jungen Westmannes im wilden Osten zu weit voraus, um einen Film zu ergeben. Also der beste Fetzen der Viennale. Der beste Globalisierungthriller stammte aus dem Jahr 1933, wurde unlängst wiederentdeckt, trägt den Titel ÖL INS FEUER, Regie: Rudolf Katscher, der von Wien aus ins Exil ging. Eine Räubergeschichte zwischen Brasilien und Berlin, mit Peter Lorre in der Rolle eines Agenten, mit Aktionären und korrupten Vorständen, mit viel Zigarrenrauch und vielen Genossen von Bossen, mit ausgeplünderten Ölfeldern und einer frühen Faxübertragung, es ist alles da, wozu der deutschsprachige Film nicht mehr aufgeschlossen hat. Der schönste Gobelin der Viennale stammt von Todd Haynes: In FAR FROM HEAVEN nimmt er ein Melodram von Sirk, und statt es zu dekonstruieren, errichtet er es auf den Diskursen von Race/Gender neu, und es leuchtet nur noch intensiver – mit Julianne Moore und einem herrlich finsteren Dennis Quaid. Selbstreferentieller war da nur noch die Szene in UNKNOWN PLEASURES von Jia Zhangke, in der einer der jugendlichen Aussichtslosen in einer chinesischen Provinzstadt einen Freund auf der Straße trifft, der DVDs verkauft. Ob er XIAO WU hat, fragt er, oder PLATFORM (die beiden vorangegangenen Filme von Jia Zhangke), oder wenigstens LOVE WILL TEAR US APART (einen Hongkong-Film, der auch schon mit einem Joy-Division-Titel gespielt hatte)? Nein, der Händler hat nur Mainstream-Filme, während UNKNOWN PLEASURES ein Arthaus-Film ist, produziert mit französischem Geld, für ein Publikum, das eher Les Unrockuptibles liest als im Hinterland von Festlandchina auf DVDs von Jia Zhangke wartet. Trotzdem ist UNKNOWN PLEASURES wieder toll in seinen Beobachtungen einer umfassenden Entwertung: Des Geldes, der Körper (die Mädchen tanzen für Wodkareklame, ein Junge hat Hepatitis), der Beziehungen, zuletzt sogar des Verbrechens. der ungebärdigste Film der Viennale kam von Jean-Francois Stevenin (PASSE-MONTAGNE), der in MISCHKA eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe unter die Touristen in Südwestfrankreich mischt: Einen alten Hünen, eine junge Mutter mit einem kleinen Bruder, eine schöne Zigeunerin und mittendrin sich selbst als ziellosen Vitalisten, plus dem Rockstar Johnny Hallyday, der dort auch gerade auf Tour ist. Stevenin möchte fliegen, aber nicht mit der Kamera, sondern durch die Montage, deswegen wirft es den Film oft hin vor lauter Ausbruchsenergie, aber er rappelt sich immer noch einmal auf, und sammelt am Straßenrand seine Außenseiterbande wieder ein. Vieles habe ich versäumt, den ganzen Rivette zum Beispiel, vor allem L’amour fou; auch einen neuen Guy Maddin. Beim Abschlußfest kam dann noch ein Mann daher und sagte, er hätte in Klaus Wyborny einen „genuinen Intellektuellen“ entdeckt (SULLA hatte Premiere), und für die nächste Viennale wünscht er sich einen Tribute an Peter Watkins – das ist nun wirklich eine großartige Idee.

Freitag, 02.08.2002

VIET/NAM

der wahrscheinlich debilste schnitt des jahres ist in randall wallace’s we were soldiers … and young (wir waren helden) zu sehen. das erste bild ist eines aus der schlacht in vietnam. die amerikaner liegen eingebuddelt und mit der kamera im rücken auf dem boden, dann tauchen über eine kleine kuppe die nordvietnamesen auf und stürmen. schnitt in den alltag back home: eine soldatengattin führt den staubsauger in derselben bewegung über den teppichboden, die gerade noch die vietnamesen durch das andere filmbild zurückgelegt hatten. für das massaker im eigenheim an den milben und staubbewohnern wäre allerdings pixar zuständig. ich weiß nicht, wie entstellt diese erinnerung inzwischen ist (in der pressevorführung mußte ich laut lachen), aber ich muß dabei daran denken, daß mein gedächtnis bei THE DEER HUNTER von cimino immer eine ellipse eingebaut hat: ich dachte viele jahre, daß es einen schnitt gibt, der direkt von der jagd auf das großwild in den käfig führt, in dem de niro und walken & co in vietnam eingesperrt sind und zum ersten mal russisches roulette spielen. die szene im gasthaus, das I LOVE YOU BABY, das alles hatte ich vergessen, weil ich damals nicht so sehr am epos als an der eskalation interessiert war. bei randall wallace wird der gedanke von cimino, daß der vietnamkrieg eine spezifische vor- und eine traumatische nachgeschichte hatte, unerträglich trivial in genau dem oben beschriebenen schnitt, der auf eine politisch korrekte weise ja fast feministisch ist, aber es ist ein berücksichtigungsfeminismus, den sich im klassischen hollywood auch die frauen verbeten hätten, und auf den die vietnamesen, würde man sie gefragt haben, ob sie bei randall wallace auch helden sein wollen, ziemlich sicher verzichtet hätten. we were soldiers … and we were young: ein ausgewogenes werk.
zur zeit: lagaan im berliner balazs und auf dvd
demnächst: la cienaga von lucrezia martel und le souffle von damien odoul

Freitag, 24.05.2002

Neulich im Arsenal, eine postkoloniale Erfahrung:
Pasolini möchte die Orestie in Afrika wiederfinden. Er erzählt im Off, wie es sich das vorstellt, während er mit der Kamera unter die Menschen geht, und assoziiert. Die Nacherzählung der altgriechischen Dramen, dazu Bilder von Menschen, die einer Zivilisationsgeschichte entsprechen, traditionell aussehende zu Beginn, am Ende urbane, westlicher Habitus. Dann das Casting: Wer könnte Agamemnon sein? Wer Orest? Wer sind die Furien? Wilde Bäume, wilde exzentrisch gewachsene Kronen. Die Furien können von Menschen nicht dargestellt werden. Die Studenten in Rom problematisieren den Ansatz von Pasolini: Afrika ist nicht einfach Afrika, die Nationen sind zerstritten in Stammesgebiete, ein Bretone ist auch nicht sofort ein Franzose oder ein Europäer. Es geht um die Einheit der Erzählung, um das Subjekt, die Frage kehrt in der zweiten Gesprächsrunde wieder, dann schon individuell: Seid ihr Orest? Dazwischen die Orestiade, wie Pasolini sie vorfindet: Das Feuer, das Kassandra und Agamemnon vorauseilt. Bilder aus dem Biafra-Krieg. Eine brennende Raffinierie ist Troja. Ein Mann wird hingerichtet, erschossen, Pasolini schweigt dazu, auch die Kamera läßt sich zurückfallen aus der Gruppe, die den Mann abführt. Eine Leiche wird begraben, aus der Savanne (Uganda und Tansania sind die Länder, in denen das meiste gefilmt wurde) kommt Orest, auch Elektra. Das mythische Stadium ist bei Pasolini auch eines der Archive, er dreht das nicht selbst, sondern nimmt Bilder (appropriation), es geht um Transformationen des Mythos (war Pasolini ein Strukturalist?), der in einem abrupt eingeschobenen Intermezzo sogar in Avantgarde übersetzt wird: In Jazz (Gato Barbieri), zu dem zwei schwarze Sänger, ein Agamemnon, eine Kassandra, die Untergangsprophetien singen; dann in ein Geschehen, das nicht inszeniert ist, sondern vorgefunden, die Darsteller sprechen nichts, sondern gehen nur durch das Bild: Orest kommt in den Tempel Apolls, der die Universität von Daressalam ist, von der Volksrepublik China gestiftet, aber mit amerikanischen („neokapitalistischen“) Büchern in der Vitrine; Pasolini kann sich seine Orestie nur „popolare“ vorstellen, deswegen ist der Chor so wichtig, die Menschen der „afrikanischen Renaissance“; sein Film wird „datata“ sein, veraltet, bei dem Tempo der Veränderung. Orest tritt vor das Gericht und wird freigesprochen, die Furien (Stauden im Wind) werden gezähmt, und Pasolini sucht nach einem Bild dafür: er findet einen Tanz bei den Vagogos, der vor kurzer Zeit vielleicht noch kosmische Bedeutung hatte, jetzt aber ein leeres Ritual ist; und er findet bei einer Hochzeit eine Gruppe von „Folklore“ (Schamanen? Unterhalter? Tänzer?), die zugezogen werden, um das Fest rituell anzureichern. Die Arbeit der Eumeniden. Elemente der Fotoromanza. Euphorische Tropen.
Ich würde gern nach den Studenten suchen, die damals mit Pasolini gesprochen haben.

Freitag, 26.04.2002

Bartleby und Two-Lane Blacktop aufeinander zu beziehen, das ist natürlich eine willkürliche Assoziation. Und doch erscheint mir die Erzählung von Melville wie ein Urtext, von dem Monte Hellman einen (durch viele historische Schichten und solche des Unbewußten hindurch veränderten) „Abkömmling“ hergestellt hat, in einer anderen Epoche, in einem anderen Medien, aber immer noch nach der Formel: Ich möchte lieber nicht. Bartlebys Entschluß, das Kopieren (von Gesetzestexten) aufzugeben, und das Anstößige, das sich in seinem Todestrieb äußert (den sogar Deleuze nur als prophetische Magersucht deuten kann), sind entscheidend. Auch der Fahrer und der Mechaniker geben das Kopieren auf, indem sie ihr Auto (das dem klassischen Abschreibprozeß des 20. Jahrhundert entstammt, der fordistischen Produktion) wieder individuell machen, durch Bauteile, derentwegen sie bis Columbus, Ohio fahren würden. Auch der GTO träumt ständig davon, „one of those Detroit machines“ so umzubauen, daß sie seinen Größenphantasien besser entspricht. „A clean machine, homegrown“, sagt James Taylor einmal über das Auto eines Konkurrenten, als wäre der ein lächerlicher Biobauer, aber die Idee des Nonkonformen teilt er natürlich, unausdrücklich und introvertiert zwar. Das Gesetz, das von Melville bis Hellman gilt, ist das der Kopie, und es ist kein Zufall, daß die Kollegen von Bartleby allesamt Originale sind, aber widerspruchslose Abschreiber, während Bartleby eine Null ist, mit der sich nichts mulitplizieren läßt. Die Zweckentfremdung des Automobils in Two-Lane Blacktop wendet sich auch gegen das Gesetz: Ausdrücklich dort, wo die Highway Patrols verhöhnt werden, viel wichtiger aber insofern, als das Auto so „überdeterminiert“ wird, daß man damit gar nicht mehr richtig vom Fleck kommt. Bartleys träumerisches Verweilen vor einer Feuermauer und James Taylors Blick nach vorn durch die Windschutzscheibe sind verwandt: Es ist ein nicht-gegenständliches Sehen, aus dem der Fahrer nur herausgerissen wird, wenn es einen Unfall zu vermeiden gilt, das sich am Ende aber tatsächlich erfüllt, wenn das Bild selbst einen Unfall erleidet und mit seinem Betrachter, dem Lenker, identisch und abstrakt wird. Bartleby bekommt von Melville am Ende noch einen Tod und eine Vorgeschichte, der Fahrer aber wird zu reiner kinetischer Energie, woraus sich kein religiöser Gewinn mehr ergibt, aber auch kein Verweigerungspathos, das sich so einfach politisieren läßt, wie Hardt und Negri in Empire Bartleby für ihre Globalisierungskritik reklamieren. Bartlebys Formel hat sich in Two-Lane Blacktop zerstreut, sie hat ihre Dringlichkeit verloren, und ist nur noch in Echos zu vernehmen: That don’t hardly matter to me, sagt ein Anhalter mit Stetson, der ähnlich von sich selbst abzusehen scheint wie Bartleby auch. No good, sagt das Mädchen, bevor es sich aus dem Film davonmacht, ohne noch den Beutel mitzunehmen. Die Menschen, die den Film durchkreuzen, tragen alle ein Moment dieser Verweigerung in sich, aber in einer Welt, die tatsächlich „vaterlos“ ist, wie Deleuze schrieb, wird die Differenz zwischen Original und Kopie unwichtig, und deswegen kann der Fahrer nicht sterben, sondern muß frontal in das Medium krachen.

Donnerstag, 11.04.2002

warum finde ich JOL vom dareschan omirbaev so gut? ich glaube, mich begeistert die orthodoxie, mit der hier zwischen den verschiedenen bewußtseinszuständen hin- und hermontiert wird, wie sich die wassermelone, die der regisseur an einer kasachischen landstraße kauft, in einen ball verwandelt, mit dem reisende an einer wasserstelle spielen, und wie der ball dann in einer sequenz wieder auftaucht, die eine mögliche einstellung für einen film darstellt, über den der regisseur im film nachdenkt, den es in wirklichkeit aber schon gibt: KILLER – omirbaev wurde damit bekannt, aber die form von JOL erinnert mich eher an den sehr schönen KAIRAT, eine vitelloni-geschichte, die auch im kasachischen nirgendwo beginnt, an einer eisenbahnhaltestelle. JOL setzt ein individuum zusammen, einen filmemacher, den ein filmemacher spielt (djamsched usmonow), der auf dem weg in sein dorf ist, wo seine mutter zu begraben ist. der filmemacher ist aber kein individuum, sondern gewissermaßen der kasachische gesamtfilmemacher, denn die episoden, an die er denkt und an die er sich erinnert (zwischen rückblende und möglichkeitsform macht omirbaev keinen unterschied), sind solche aus dem kasachischen kino der letzten zehn jahre: die geschichte von dem mädchen, von dem für eine großaufnahme ein body double eingesetzt wurde, und das sich dadurch entehrt fühlt, hat sich tatsächlich zugetragen, und der mann, der den filmemacher in JOL dafür vermöbelt, ist serik aprymow, der regisseur des inkriminierten films. das verprügeln ist aber auch variation einer geldeintreiberszene aus KILLER. wie der titel schon sagt, ist JOL sehr linear konstruiert, am ende der reise ist dann auch am anfang der subjektivität: wenn die lehrerin die schulkinder anweist, die augen zu schließen und sich etwas vorzustellen, ist das vermutlich die geburt des filmemachers, den wir als erwachsenen sehen. auch das ist sehr orthodox gedacht. wenn die kinder dann, nun wieder mit offenen augen, an das fenster treten, um den fallenden schnee zu bestaunen, und die lehrerin hinter den jungen (filmemacher) tritt und ihm sanft die hand auf die schulter legt, dann kann ich nicht anders als an proust denken. der rahmen der geschichte nimmt wieder auseinander, was das road movie zusammensetzt: der brief, den die ehefrau am morgen an ihren mann, den filmemacher schreibt, nach einem traum, den sie hatte und aufzeichnet, macht den mann selbst zum objekt einer phantasie, eines liebeswunschs, der sich über einen akt der unbedingtheit wie bei dostojewski vermittelt: jemanden töten. von PASSE-MONTAGNE habe ich mittlerweile einige passagen wiedergesehen, noch nicht aber den ganzen film: eines nachts blieb ich einfach sitzen, als ich ihm auf arte begegnete, und fand plötzlich recht klar, was mir zuvor immer verwirrend erschienen war. man betritt diesen film nicht wie einen wald vom rand her, er fängt mitten im wald an, deswegen trifft man auf die ersten lichtungen erst allmählich. ich schlage vor, den hinweisen, die stevenin gibt, nachzugehen: man könnte SIEGFRIED von jean giraudoux lesen, eine erste deutsch-amerikanische freundschaft, und man könnte kafkas SCHLOß lesen (wegen der landvermesserei). der untertitel des romans von giraudoux lautet übrigens: die zwei leben des jacques forestier, und hieß nicht forestier der offizier in BEAU TRAVAIL? zufall. im übrigen bin ich froh, daß uns heuer der vierte satz der bayerischen schicksalssymphonie (mit effenberg als furtwängler) erspart bleibt.

Dienstag, 26.03.2002

aus einer laune heraus, eine kurze liste mit filmen, von denen ich mir eine DVD-edition wünschen würde: fata morgana (werner herzog), barreventos (glauber rocha), party girl (nicholas ray).

Sonntag, 27.01.2002

ein filmtip zum gedenken an bourdieu (der mich immer ein wenig an tommy lee jones erinnert hat) wäre REPRISE von herve le roux, den ich heute abend im berliner arsenal versäumt habe wiederzusehen: ausgehend von einem kurzen film aus 1968, in dem eine frau zu sehen ist, die sich vehement weigert, die batterienfabrik wonder zu betreten und damit den streik gegen das unternehmen zu brechen, ist REPRISE eine recherche, die primär dieser frau gilt (ob sie noch lebt, und unter welchen umständen), die aber in dieser suchbewegung ein großes epos der französischen arbeiterbewegung entstehen läßt, bei dem ich immer an Das Elend der Welt denken mußte, diesen kollektiv-balzacischen versuch eines teams um bourdieu, die soziologie nicht in die vororte zu tragen, sondern sie dort zu finden. REPRISE lief einmal auf arte, es sollten also videos around sein

Freitag, 18.01.2002

mein lieblingsmoment aus mulholland drive, entdeckt beim zweiten sehen im babylon in kreuzberg, in einer vorstellung, in der auch der berühmte produzent florian körner war: schon in der neurotischen handlung fährt die blonde frau im fonds eines wagens den mulholland drive entlang, dann hält das auto an in wiederholung und variation des beginns, und nun tritt aus dem wald die dunkelhaarige, nimmt ihre freundin an der hand („this is a shortcut“) und die beiden gehen durch einen zauberwald, in dem für einige schritte alles suspendiert ist, was diesen film ausmacht. lynch entscheidet sich sonst meistens für das theater wenn er eine auszeit braucht, dabei gehen wir doch selbst auch meistens spazieren, wenn wir durchatmen müssen.

Mittwoch, 16.01.2002

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