Einträge von Bettina Klix

Mittwoch, 15.02.2012

Verwundbar

Hier der nachgeholte Zusammenhang, in dem der am 13. 2. zitierte Satz bei Deleuze steht:

„Uns erscheint nicht nur eine Gegenüberstellung der großen Autoren des Films mit Malern, Architekten und Musikern möglich, sondern auch mit Denkern. Statt in Begriffen, denken sie in Bewegungs- und Zeit-Bildern. Der enorme Anteil an Ausschuss in der Filmproduktion ist kein Einwand; er ist nicht schlimmer als anderswo, obwohl man die industriellen und ökonomischen Konsequenzen nicht vergleichen kann. Die großen Autoren des Films sind also nur verwundbarer, es ist unendlich viel leichter, sie an der Ausführung ihres Werks zu hindern. Die Geschichte des Films entspricht einem langen Märtyrerkatalog.“

Montag, 13.02.2012

Katalog

Da ein Redner (Ulrich Neymeyr) beim gestrigen ökumenischen Filmempfang zur Berlinale daran erinnert hatte, dass für den Philosophen Gilles Deleuze die Filmkünstler Denker sind, schlug ich nach langer Zeit Das Bewegungsbild (Cinéma 1. L’image-mouvement) wieder auf und fand im Vorwort den vergessenen Satz:

„Die Geschichte des Films entspricht einem langen Märtyrerkatalog.“

Sonntag, 05.02.2012

Hitler als Mussolini

Selbst der gründliche Forscher Norbert Aping kann in seinem Buch „Liberty Shtunk!“ die Frage nicht beantworten, ob Hitler sich in Chaplins Diktator Hynkel wieder erkannte. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, glaubwürdige Zeugen oder Belege dafür, dass er den Film „The Great Dictator“ sah.

Allerdings hat Hitler, wenn man Albert Speers Erinnerung glauben darf, 1937 Mussolini auf eine Weise nachgeahmt, die der komischen Version als Napaloni im Film entspricht: „das vorgereckte Kinn, die charakteristisch in die Hüfte gestemmte Rechte, den gespreizten Stand. Dazu rief er, unter dem beflissenen Gelächter der Umstehenden, einzelne italienische oder italienisch klingende Wörter wie ‚Giovinezza’, ‚Patria’, Victoria’, ‚Makkaroni’, ‚Belleza’, ‚Belcanto’ und ,Basta’.“

Apings beeindruckende, übergenaue Studie über Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten zeigt, wie der Künstler schon vor 1933 diffamiert wurde, als dafür nur die eigenen Presseorgane genutzt werden konnten und dass er schon lange vor Bekanntwerden des Diktator-Projekts Filmfeind Nummer Eins war.

Norbert Aping, Liberty Shtunk! Die Freiheit wird abgeschafft. Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten, Vorwort von Kevin Brownlow, 2011, Schüren Verlag, 424 Seiten, viele Abbildungen, 38 €

Sonntag, 04.12.2011

Letzte Hoffnung

Über die Figur des Lehrers in Jean Renoirs Film This Land is mine (1943) schreibt Helmut Färber: „Und wenn er dann, zum letzten Mal in seinem Klassenzimmer mit seinen Schülern, die zuvor ihn ausgelacht haben und jetzt mit all ihrer Aufmerksamkeit ihn anschauen und ihm zuhören, die Erklärung der Menschenrechte liest, von Bank zu Bank gehend, und so einem jeden der Schüler einen der Artikel anvertrauend, und wenn, nachdem die Deutschen ihn abgeholt haben, seine Lehrerkollegin/Maureen O’Hara den nächstfolgenden Artikel liest – dann verbindet es diesen Filmschluß mit dem Schluß, mit der Rede des kleinen Friseurs/Chaplins in The Great Dictator, daß in beiden Filmen, Filmschlüssen noch die gleiche Widerstandshoffnung, Widerstandszuversicht war.“

(In: Helmut Färber, Partie/Renoir, 2010/2011)

Roberto Dzugan verdanke ich den Hinweis, dass Hitler selbst die Gelegenheit hatte, die Schlussrede in The Great Dictator zu hören, denn in den Listen der für Hitler privat ausgeliehenen Filme taucht auch Chaplins Film auf. Es gibt aber keine Zeugen der Aufführung.

Es gab also womöglich eine ganz direkte Möglichkeit des Films zu wirken.

Mittwoch, 23.11.2011

Gespenster

„Im Kino ist der Berliner auch nicht so kritisch, beziehungsweise so abhängig von der Kritik seines Journals wie im Theater.“ Das weiß Franz Hessel zu berichten, der sich nicht nur durch den Stadtraum des Sehenswerten, sondern auch sozial quer durch Berlin bewegt. In den kleinen ‚Kientöppen’ erlebt er den ‚Kollektivgenuß’, dem er sich mit eigenen Tränen anschließt. Die schöne Neuausgabe von Franz Hessels „Spazierengehen in Berlin“ (1929) erlaubt es, diesen Autor und die Zwischenkriegsstadt wehmütig wieder zu entdecken.

Einmal nimmt ihn ein Freund zu Dreharbeiten nach Mariendorf mit: „Und nun fangen dort an der Bar die Grellbestrahlten an, sich zu bewegen…Einsam inmitten der Tobenden sitzt einer bei seinem Glase, den Ellenbogen auf den Bartisch gestützt, starrblickend, fern. Man flüstert uns einen berühmten Namen zu. Jetzt hebt er den Kopf und sieht zu uns herüber. ‚Er sieht uns an, als wären wir seine Gespenster’, sage ich Ahnungsloser. ‚Nein’, belehrt man mich, ‚er sieht nichts als blendendes Licht!’“

Spazieren in Berlin, Mit einem Geleitwort von Stéphane Hessel, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin, 2011, 240 Seiten, 19,90 €

Mittwoch, 09.11.2011

Dienstverpflichtetes Gegenbild

In der großen Ausstellung über den „Naumburger Meister“, wurde auch sein bekanntestes Geschöpf neu in den Blick genommen: Uta von Naumburg. Der Dom und die Figuren im Westchor waren über Jahrhunderte fast unbeachtet geblieben, bis sie im 20. Jahrhundert nicht nur wiederentdeckt, sondern auch missbraucht wurden, in einem Kult des „Ewigen Deutschlands“ im Nationalsozialismus. Eine großartige Studie von Wolfgang Ullrich erzählt – mit vielen spartenübergreifenden Erkenntnissen – davon, wie besonders Uta nicht nur als Bild, sondern auch als „Gegenbild“ auf zynische Weise benutzt wurde, als hoher „Maßstab“ in der Ausstellung „Entartete Kunst“ (zuerst 1937 in München) oder in Fritz Hipplers Propaganda-Film Der ewige Jude (1940). Ullrich schreibt dazu: „In einer Filmsequenz ist die Aussage zu illustrieren, das Judentum sei am gefährlichsten, wenn ‚ihm erlaubt wird, sich in die heiligsten Dinge eines Volkes, in seine Kultur, seine Religion und seine Kunst einzumischen…’ Solange von den „heiligsten Dingen“ die Rede ist, sieht man griechische Tempelsäulen und Statuen, den Bamberger Reiter und Uta, die Köpfe des Adam und der Eva von der Bamberger Adamspforte, Botticellis Geburt der Venus, Michelangelos Fresko Erschaffung Adams aus der Sixtina und eine gotische Mariendarstellung.“

Wolfgang Ullrich schildert die Indienstnahmen, absurden Huldigungen und Projektionen, denen Uta ausgeliefert war. Aber als unentbehrliches Kunstwerk genoss Uta auch besonderen Schutz: „Zusammen mit den anderen Stifterfiguren hatte sie die Jahre ab 1939 hinter Sandsäcken und einer Holzverschalung ‚überlebt’, die als Schutzmaßnahme gegen eventuelle Bombenangriffe und Bombensplitter sogleich nach Kriegsausbruch angebracht wurden, zu einem Zeitpunkt, als man sich um die Zivilbevölkerung wohl noch kaum Sorgen machte. Für die Logik des Krieges bleiben Kunstwerke, anders als Menschen, nämlich Unikate und gelten deshalb auch als wertvoller.“

Wolfgang Ullrich, Uta von Naumburg. Eine deutsche Ikone, Wagenbach Verlag,

Montag, 12.09.2011

Todgeweiht

In den Berliner Eva-Lichtspielen kommt heute, am Montag, den 12.9. wieder ein selten zu sehender Nachkriegsfilm zur Aufführung. Morituri, von 1948.

Robert R. Shandley schreibt darüber in seinem Buch Trümmerfilme: „Morituri war der erste deutsche Spielfilm, der ein Konzentrationslager zeigte. Die Anfangsszene versammelt alles, was seither zu den grundlegendsten Merkmalen der Darstellung eines KZ gehört. Die Kamera beginnt mit einem Stacheldrahtzaun und fährt dann schnell auf Brusthöhe, wo sie eine Menschenreihe entlang, die in gestreiften Uniformen zum Appell angetreten sind…“

Eine Gelegenheit, diesen Film kennen zu lernen und zu begreifen, warum das Publikum ihn damals geradezu wütend zurückwies.

Regie: Eugen York

Drehbuchautor und Produzent: Artur Brauner

Eva-Lichtspiele, Blissestraße 18, Berlin-Wilmersdorf, Montag, 15.45.

Samstag, 20.08.2011

Werte

Im Buch über seinen Vater*, den Maler Auguste Renoir erinnert sich der Regisseur Jean Renoir daran, wie sehr die väterliche Erziehung vorbeugend darauf abzielte,

„dass für uns Dinge wie Hilfe am Nächsten, Freundschaft, Liebe nicht käuflich waren. Später im Collège folgte ich dem Beispiel meiner Kameraden, die „handelten“, und verkaufte einem von ihnen meinen Bleistift. Ganz stolz darüber, dieses Gesetz der Welt begriffen zu haben, prahlte ich zu Hause damit. Zu meiner größten Überraschung entging ich nur knapp einer Tracht Prügel. Ich musste dem Käufer sein Geld zurückgeben und ihm sogar eine Pistole schenken, die ich gerade erst von meinem Paten Georges bekommen hatte. Diese Furcht unserer Eltern, wir könnten „Kaufleute“ werden, hat ebenso wie unserer Kenntnis von der Großzügigkeit und der Sparsamkeit unseres Vaters dazu beigetragen, daß meine Brüder und ich ein für allemal begriffen, wie relativ die Werte sind, die sich durch Zahlen ausdrücken lassen.“

*Jean Renoir, Mein Vater Auguste Renoir

Mittwoch, 08.06.2011

Die Spur führt nach Berlin

In den Eva-Lichtspielen werden weiterhin montags deutsche Nachkriegsfilme gezeigt, die selten auf dem Programm stehen. Am letzten Montag war der Streifen „Die Spur führt nach Berlin“ zu sehen.(Regie: Frantisek Cap, 1952) Ein Politthriller, der vor allem durch den Schauplatz Berlin besticht. Unheimliche Verfolgungsjagden durch Trümmer, Ruinen und Bunker, die zeigen, was nach der Zerstörung noch von der Stadt übrig war, von vielen Gebäuden, die heute nicht mehr existieren oder nicht aufgebaut wurden, wie die Gedächtniskirche. Solche Entscheidungen wurden eben nicht nur in der DDR auch aus politischen Gründen getroffen.

Mein Lieblingssatz, gesagt von einem der Ganoven: „Nimm die Knochen hoch, Junge!“ – Variante von „Hände hoch!“

Die nächsten Filme: 13.6., „Begegnung mit Werther“(R: Karl-Heinz Stroux, 1948/49)

20.6.: „Die Buntkarierten“ (R: Kurt Maetzig, 1948/49)

Eva-Lichtspiele, Blissestraße 18, Wilmersdorf, montags 15.45

Montag, 30.05.2011

Du musst dein Leben ändern

„Mein Leben hatte mich verändert. Ich hatte mein Leben geändert. Du hattest Dein Leben nicht geändert, Du Unabänderlicher.“ So schreibt es Thomas Harlan in „Veit“, dem atemberaubenden Buch über seinen Vater, den Regisseur von „Jud Süß“. Dieser Brief an den Vater, den Thomas Harlan, schon schwer krank, nur diktieren konnte, zeugt vom Bemühen des Sohnes, die Schuld des Vaters auf sich zu nehmen, etwas, was er Zeit seines Lebens durch seine Arbeit der Aufdeckung tätig umsetzte. Ihm erschien es aber nie genug. Der Hass war nicht so groß, dass die Liebe nicht weiter wünschte, diese Schuld abnehmen zu können.

Ein verstörendes Buch.


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