Einträge von Dagmar Kamlah

Mittwoch, 11.01.2012

Wenn die Kraniche ziehen

Hat jemand eine Idee, warum in einem otherwise brillant fotografierten Meisterwerk das titelgebende Bild so jämmerlich kurz, per Zeitlupe gedehnt und hilflos einfach wiederholt verwendet wurde?

Samstag, 01.10.2011

Kosslick im MoMA aktiv

NY Times 8/26/2011

Dienstag, 20.09.2011

Ein Garibaldianer im Konvent

von Vittorio de Sica, 1942

Der Film spielt in den Jahren des „Risorgimento“ und handelt von zwei Mädchen aus verfeindeten Familien (eine nur reich, die andere von Adel), die in den Trubel der Unabhängigkeitskämpfe geraten. Die nur Reiche liebt Pflanzen und Tiere und unterhält eine Art Arche Noah auf ihrem Balkon. Ihr Vater ist ein angesehener Bürger und ab & zu sind Politiker und andere Honoratioren bei ihm zu Gast. Anläßlich eines solchen Banketts bleibt aus Versehen die Balkontür offen stehen – und die Tiere machen einen Ausflug. In turbulenten Unter- und Auf-dem-Tisch-Aufnahmen watscheln Meerschwein, Hühner, Enten und andere Wesen munter in die feine Gesellschaft, deren Damen kreischend auf Stühle hüpfen und die Herren in Panik Geschirr zerdeppern. Klingt vielleicht albern, aber es ist köstlich. Der durchaus vorhandene konservativ-politische Anlass des Banketts wird so beiläufig aufgemischt.

Später im Film (beide Mädchen besuchen eine Klosterschule) treffen in der Klosterwerkstatt noch das geliebte Meerschwein, die heimliche Voliere des Hausmeisters und das Pferd des verwundeten garibaldianischen Soldaten zusammen und erschrecken die Nonnen.

Ein herrlich unterhaltsamer Film im Ganzen, pro-dionysisch wie Renoir, mit einer tatkräftigen Caterinetta, die der lyrischen Mariella die sommersprossige Stirn bietet und für die Revolution um ihr Leben galoppiert. Nebenbei nimmt der Film die Bourgeoisie und politische Elite auf’s Korn, deren Fähnlein stets im Wind weht.

Donnerstag, 12.05.2011

Francis Alÿs – The Moment where sculpture happens

Drei Videoinstallationen und eine Diaserie in einem Raum. Davis Museum, Wellesley, Massachusetts.

“Looking Up” – Eine Aufsicht auf einen Platz mit quadratischen Platten, Passanten gehen durchs Bild, ein Mann bleibt in der Mitte stehen und schaut nach oben, als würde er etwas Bestimmtes beobachten. Passanten kreuzen in alle Richtungen. Irgendwann bleiben mehrere Leute beiläufig stehen, Paare reden miteinander, ein Mann schützt die Augen mit den Händen gegen die Sonne, um auch etwas zu erkennen. Eine Frau führt ihren Hund um die Grüppchen herum, bleibt auch stehen und guckt hoch. Der Mann ist auf einmal umringt von etwa zehn Personen, die seinem Blick folgen. In diesem Moment verläßt er das Bild. Nach und nach gehen auch die anderen wieder ihrer Wege und der Ort bleibt leer zurück.

Im Schatten einer Kolonnade, mit dem Rücken am Podest einer Säule, schläft ein Hund mit ausgestreckten Läufen. Im Hintergrund eine eher ruhige Straße, neben ihm Hosenbeine in schwarz mit Metallknöpfen an der Seite, herumstehend, ab und zu die Position wechselnd, einmal gehen zwei ebensolche Beine in weiß nach links durchs Bild und später auch wieder zurück. Der Hund schläft. Dann träumt er und die Pfoten scheinen laufen zu wollen, beruhigen sich wieder. Dann zucken aufgeregt die Hinterpfoten. So geht das ein paar Male, die Männerbeine treten auf der Stelle, der Hund trippelt im Schlaf… Einer der Männer verschwindet nach hinten auf die Straße, ganz in schwarzer Tracht mit einer Gitarre auf dem Rücken. Irgendwann wacht der Hund auf, hebt etwas den Kopf und schaut träge in die Welt.

Auf die Wand zwischen diesen beiden kompakten Sequenzeinstellungen wird ein geschnittener Film mit Ton und einer simplen Handlung projiziert: Ein Mann (der Künstler selbst, wie der initierende Passant im ersten Video) schiebt einen Eisblock durch die belebten Straßen von Mexico City. Alle möglichen Einstellungen, Verkehr und Passanten, an Läden vorbei, über Plätze, Kreuzungen, eine Treppe. Der Eisblock wird kleiner, seiner Natur gemäß. Als das Eis nur noch Ballgröße hat, tritt er es vorwärts, dann wird es zu einem Pingpong und am Schluß bleibt ein kleines Scheibchen auf der Straße zurück. Schnitt, eine kleine Pfütze, ein paar Jungs hocken drumherum, die Kamera schwenkt hoch zu ihren lachenden Gesichtern. Insert: Sometimes doing something leads to nothing.

Die Diaserie versammelt eine Vielzahl unterschiedlichster Ein-Mann-Transporte in den bunten Straßen der gleichen Stadt. Meist Straßenhändler, die auf dem Kopf oder den Schultern, mit Karren, Rädern, Dreirädern, all die Dinge mit sich schleppen, schieben, ziehen, die, eher bizarr, denn überzeugend wirkend, einen materiellen Wert für sie besitzen.

Die Projektionen sind in der Höhe gestaffelt, die Diaserie und der Hund sozusagen in Bordsteinhöhe, die Aufsicht auf den Platz halbhoch, das Eisschieben in typischer Leinwandhöhe.

Dieser Künstler geht auf die Straße, mit einfachen Ideen, die aus dem Alltag entspringen und sich dorthin zurück begeben. Worin besteht die Arbeit eines Künstlers? Er handelt mit etwas, nicht anders als ein Straßenhändler. So leichtfüßig kommen Alÿs’ Aktionen daher, da muß man nicht schwer nachdenken. Das Zeigen/Betrachten eines schlafenden Hundes in Parallelität zu seiner menschlichen Umgebung, der am Ende aufwachend zurückschaut, fast in die Kamera, vielleicht seinen Beobachter bemerkend. Der Kunstbetrachter schläft mit und bemerkt sich selbst wie im Traum. Ein einzelner Mensch, der einfach herumsteht und nach oben schaut, animiert anonyme Passanten, es ihm nachzutun. Ohne dass sich jemand dessen bewußt zu werden scheint. Ein ganz simples Geschehen, Menschen reagieren auf das Verhalten anderer, ein Alltagsexperiment über die Basis unseres Zusammenlebens. Und eine Kunst, die das überstrapazierte Wort Interaktion herrlich arbiträr auf die Straße holt.

Der Titel der Ausstellung stammt von zwei Fotos, in denen der Künstler auf einen Kaugummi tritt und einen klebrige Spur nach sich zieht. Man kann zwei der Installationsvideos auf der website des Künstlers anschauen, den Hund leider nicht, aber einen Fuchs im Museum und einiges mehr (www.francisalys.com).

Freitag, 06.05.2011

Contemporary: Kelly Reichhardt

In der US-Indieszene schon ein Name, vermutlich nicht in Deutschland. Gerade startet ihr neuer Film in den Kinos, “Meek’s Cutoff”, ein minimalistischer Western, Genre gegen den Strich gebürstet: 1:1,33 Format gedreht, fast dokumentarische Authentizität in Kostümen und Alltagsdarstellung (1845, drei Familien mit drei Ochsenkarren durchqueren wüstenartiges Niemandsland), wenig ‘Handlung’, reduziert auf den existentiellen (zwischenmenschlichen) Konflikt, den richtigen Weg zu finden, eine Frau im Mittelpunkt, offenes Ende. Die Schauspieler mußten einige Wochen lang den richtigen Umgang mit den Tieren und historischem Gerät lernen.

Vor allem möchte ich jedoch über die zwei ersten Filme der Regisseurin berichten aus den 90er Jahren. “River of Grass” spielt in einer gottverlassenen Kleinstadt in Florida, nahe den Everglades. Eine junge Mutter leidet an Vereinsamung und Überdruß und wünscht sich, dass doch einfach jemand käme und ihre Kinder mitnähme. Ihr Mann ist vor allem abwesend, ihr Vater ein Polizist, ein gealterter Rockmusiker, der nur lebt, wenn er Schlagzeug spielt. In der Ouvertüre des Films geht diesem die Dienstpistole verloren, als jemand seine Stammkneipe überfällt. Die Waffe gerät in die Hände eines jungen Losers und wird zum Katalysator der Ereignisse.

Die junge Mutter und der Loser begegnen sich in der Bar. Später draußen in der Nacht, beide betrunken mit der Waffe herumfingernd, löst sich ein Schuß – der vermeintlich einen Mann tötet. Die Beiden fliehen. Wie vom Schicksal besiegelt nehmen sie die Rolle der Gesetzlosen und Verdammten an.

Der Film atmet die gleiche Luft wie Malick’s “Badlands”, ohne daß sich etwas wiederholen würde. Eine abgründige Stimmung übertönt den kriminalistischen Handlungsfaden. Der Film hat Mut zum Konkreten, Fragmentarischen, Unerklärten.

Der halblange “Ode” erzählt die erste Liebe einer 15jährigen Pfarrerstochter. Dem wohlbehüteten Mädchen wird der Umgang mit dem Verehrer verboten. Der junge Mann erlebt eine gleichgeschlechtliche Entjungferung, die er nicht verarbeiten kann und tötet sich selbst. Der Film scheint im 18.Jh. zu spielen, obwohl es die 50er irgendwo auf dem Lande sind, oder die 90er? In super8 gedreht, mit bewußten Unschärfen, die wohl auch diese Zeitlosigkeit, vor allem aber mutig ungewohnte Bilder erzeugen. Der Film konzentriert sich ganz auf die immer zu kurzen Begegnungen der Teenager, in denen sich die ersten sexuellen Gefühle aussprechen, und sie können doch nicht aus ihrer Haut, die schon mit der Moral ihrer Umwelt gesalbt ist.

Samstag, 23.04.2011

OUR TIMES / Wahl in Iran 2001

Ein ganz anderer Film, direkt aus dem Iran, über die Wahl 2001. Die Regisseurin Rakschan Bani-Etemad filmt ihre Tochter, die wie viele ihrer Generation engagierte Wahlhilfe für den Reformen versprechenden Kandidaten Khatami leistet. Dieser Aufbruch der Jugend markiert schon den Beginn der grünen Revolution von 2009. Bei dieser Wahl bewerben sich etwa 300 Frauen (!) für die Präsidentschaft. Aus Skeptik gegenüber Khatami interessiert sich Bani-Etemad für diese Frauen und porträtiert im Hauptteil ihres Films eine dieser Kandidatinnen.

Eine geschiedene Frau im Alltagsstress, die ihre blinde Mutter und eine Tochter ernährt. Die leichte Lösung – sie ist sehr attraktiv – einer erneuten Heirat schließt sie aufgrund der Erfahrung mit dem ersten Mann aus. Der Film zeigt ihren Kampf um Unabhängigkeit, indem er ihr schlicht bei der Wohnungssuche folgt – worin eine alleinstehende Frau so gut wie keine Chancen hat. Als ihr Boss sie nach drei Tagen angemeldeter Abwesenheit einfach entläßt, bricht diese starke Frau tatsächlich in Tränen aus. Der Film ist ihr sehr nah und dennoch kommt keine falsche Intimität auf. Und die persönliche und politische Dimension bleibt ungeteilt.

The Green Wave

Vor den Wahlen 2009 erhob sich das iranische Volk in spontanen Massendemonstrationen, um Reformen zu verlangen und den Oppositionskandidaten Moussavi zu unterstützen. Die Bewegung nannte sich und trug grün: Fähnchen, Armbänder, T-shirts, eine lange grüne Stoffbahn schwebte durch Teherans Straßen. Die Farbe grün symbolisierte Hoffnung und – als Farbe des Islam und Element der Landesflagge – auch eine Art Loyalität gegenüber dem Staat.

Der Film THE GREEN WAVE dokumentiert die Ereignisse anhand einiger Interviews, Amateurfilmmaterial und Textquellen aus der Kommunikation im Internet. Zu etwa einem Drittel besteht der Film aus gezeichneten Animationen (ein wenig spröder als in “Waltz with Bashir”), die diese tagebuchartigen persönlichen Schilderungen illustrieren.

Das Gros der Iraner wählt Moussavi, doch das Regime verkündet eine Mehrheit der Stimmen für Ahmadinedjad und schlägt im Folgenden die Protestbewegung brutal nieder. Es gibt Tote, zahlreiche Verletzte, Verhaftungen, Folter. Der Film fängt sowohl die Euphorie vor der Wahl als auch das folgende humanitäre Desaster in den Bildanimationen ein und rührt viele Zuschauer in der zweiten Hälfte zu Tränen. Der Schnitt (B.Toennieshen/A.Menn) flechtet geschickt das wenige Dokumentarmaterial in die gezeichnete Welt ein. Der Film, produziert mit Arte, zirkuliert auf Festivals und sein menschenrechtliches Anliegen wurde gerade mit dem Grimme-Preis belohnt.

THE GREEN WAVE hebt auf die mit den Ereignissen verknüpften Emotionen ab – liefert jedoch wenig politische Analyse oder komplexe Zusammenhänge. Wenn man ihn mit Filmen von z.B. Patricio Guzman vergleicht, bleibt ein schales Gefühl zurück. Daß der Regisseur Ali Samadi Ahadi auf das für TV typische reenactment mit Schauspielern verzichtet und den neuen Weg des motion comic geht, rechnen ihm viele Filmbesprechungen hoch an. Aber warum dürfen heutige Dokumentarfilme nicht mehr brechtisch, puristisch, fragmentarisch, selbstreflexiv, medienkritisch sein, sondern müssen ein Drama mit klarer storyline aufbieten? Die Dinge selbst treten vergleichsweise in den Hintergrund. Seinen stärksten Moment hatte der Film für mich mit dem Zeigen der linientreuen Erklärung Khatamis nach der Wahl und nicht mit der Ermordung des Kindes, das Joghurt kauft.


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