Einträge von Rainer Knepperges

Freitag, 11.12.2009

Tiefe und Täuschung

williamson-going-down.jpg

Die Erfindung seines Vaters, eine akkordeonartige flexible Röhre für Schiffsreparaturen und Bergungsarbeiten auf See, nutzte der Sohn erstmals 1912 zum Zwecke der Meersfotografie – und ab 1914 für die Filmproduktion.
Der Unterwasserfilmpionier John Ernest Williamson (1881-1966) versorgte Universal (Twenty Thousand Leagues under the Sea, 1916) und MGM (The Mysterious Island, 1926-29) mit Szenen an Originalschauplätzen. Den großen Naturkundemuseen in Chikago und New York verschaffte er Material zur Anschauung.
Die meisten seiner Filme sind verschollen. In Wonders of the Sea machte er sich 1922 „vor den Bahamas auf die Suche nach einem Seemonster. Ein Dokumentarfilm mit sichtlich für die Kamera gespielten Szenen, teils heiter, teils aufregend (Attacken von Oktopus und Hai), mithin: das genredefinierende Film-Meeresabenteuer.“ (Christoph Huber)

underthesea1929.JPG

In Under the Sea (1929) steigt Williamson mit Frau und Baby in die Tiefseeröhre hinab, während einheimische Fischer für das Field-Museum baumgroße schneeweiße Korallen an Land schaffen. Mit vereinten Kräften wird am Ende ein lebendiger Hai auf den Strand gezerrt, getötet und in Gips abgedruckt. Ein traumhafter Film über Arbeit und Tod.

williamson-patent-detail.JPG

1917 hat Williamson ein bemerkenswertes Patent angemeldet: „zur künstlichen Herstellung lebensechter Bewegungen unbelebter Objekte“, insbesondere zur Simulation der Bewegungen von Unterwasserkreaturen. Er hatte rausgefunden, wie deren Unberechenbarkeit mechanisch erzeugt werden kann – „for theatrical or other purposes“.

williamson-octopus.JPG

Donnerstag, 03.12.2009

damn good

harold-mccomber-in-high-steel-1965.JPG

Harold McComber in HIGH STEEL von Don Owen, 1965,
Musik: Bruce Mackay, Kamera: John Spotton, Farbe, 13 Minuten.

Ein anderer Film von Don Owen (und Donald Brittain) aus dem selben Jahr (ebenfalls in vorzüglicher Qualität auf der Webseite des National Film Board of Canada) portraitiert den kanadischen Werner Enke, Ladies and Gentleman… Mr. Leonard Cohen. [via Quixotando]

Freitag, 20.11.2009

Ersatzmosphäre

Der Raketenbeschuss wirbelte es auf, Spektrometer konnten es erkennen. Das Eis unter der Oberfläche des Mondes wurde gesucht, weil für einen längeren Aufenthalt Wasser von Nöten wäre. Man kennt aus Western das Wegwerfen leerer Feldflaschen.
Dass die Astronauten auf dem Mond nicht weit herumgekommen sind, verdeutlicht ein Plan. Die Fußwege von Armstrong und Aldrin passen auf ein Fußballfeld. Der Eintrag auf strange maps trägt die Überschrift: you’ll never moonwalk alone.

mondlandung_fusballfeld.JPG
Schön ist Armstrongs Alleingang bis zum gegnerischen Strafraum.

robinson-crusoe-on-mars.JPG
Paul Mantee, notgelandet, 1964

Anfangs geht es um Luft und Wasser und Einsamkeit auf dem roten Planeten. Dann fällt Schnee. Gefilmt wurde Byron Haskins ROBINSON CRUSOE ON MARS im Death Valley in Scope und Technicolor von John Fords Farbfilmkameramann Winton Hoch. Der war 1934 als Chemiker zur Technicolor Company gegangen und hatte während des zweiten Weltkriegs für die Navy gefilmt, laut Wikipedia: „many top secret activities including work at the atomic testing factilities at Los Alamos.“ 1966 wurde er der Kameramann der TV-Serie TIME TUNNEL. »Bei den ersten Versuchen am bedeutendsten und geheimsten Projekt Amerikas, dem Zeittunnel, gehen zwei amerikanische Wissenschaftler immer wieder im wirbelnden Strom vergangener und zukünftiger Zeitalter verloren.“

In Wilkie Collins‘ Roman „Der Monddiamant“ gibt es jemanden, der, wann immer er Trost und Rat sucht, sein Lieblingsbuch aufschlägt: “Kaum 5 Minuten hatte ich in diesem hervorragenden Buch gelesen, als ich auf Seite einhunderteinundsechzig folgende erstaunliche Feststellung fand: Die Furcht vor der Gefahr ist tausendmal schrecklicher als die Gefahr selbst, wenn wir ihr schließlich Auge in Auge gegenüberstehen. Und wir tragen viel schwerer an der Last der Angst als an dem Übel, vor dem wir uns fürchten.“ In diesem hervorragenden Buch ist übrigens ein einzelner menschlicher Fußabdruck die Ursache von Robinson Crusoes Angst.

Man kennt die fotografierten Fußabdrücke der Astronauten. Die eigenen Spuren im Mondstaub fanden sie interessanter als Gesteinsproben. Und sie ließen Allerlei auf dem Mond zurück: Medaillons, Fahnen, Mondfahrzeuge, sogar ein Stück Lava von der Erde. Im Wunsch diese Beweise der eigenen Existenz zu hinterlassen, steckt schon eine Ahnung von dem Argwohn derer, die im Internet die Mondlandungen als Inszenierungen zu enttarnen wünschen.

“Übrigens ist mir alles verhasst, was mich bloß belehrt, ohne meine Thätigkeit zu vermehren, oder unmittelbar zu beleben.” Das sind Worte von Goethe, mit denen Nietzsche 1873 seine unzeitgemäßen Betrachtungen (“Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben”) einleitet. Jacob Burckhardt, Nietzsches Freund und Kollege, besorgte sich „unter einer Art von magischem Kaufzwang“ bei den Händlern in der Via Condotti und an den Quais du Louvre fast 10.000 Fotografien von Skulpturen und Gemälden, von Kirchen und Palästen. „Kunstmorast“ nannte er seine Sammlung und hoffte: „Es kann ja wieder einmal eine verarmte, einfach gewordene, nicht mehr nervöse, übergelehrte großstädtische Menschheit aufwachsen, welche wieder von solchen Werken begeistert wird.“

Mich begeistern die miserablen Videobilder von den ersten Schritten auf dem Mond. Anhand des wenigen, was es da zu sehen und zu hören gibt, lassen sich, neben den Vor- und Nachteilen der ungeschnittenen Filmsequenz, auch die Schwierigkeiten des Improvisierens diskutieren. Armstrongs Patzer im berühmten Monolog – „for man“ statt „for a man“ gesagt zu haben – amüsiert und rührt mich.
Zur Ergänzung noch zwei andere Zeitreisen: Tiparillo-Werbclips, über deren Schöpfer ich gerne mehr erfahren würde. 1966 (Schnitte) und 1971 (Schwenks). Zäsuren oder Zusammenhänge. Was will die Welt? Wer weiß es selbst? Darüber, wie das Eis in den ewigen Schatten der Polkappenkrater des Mondes gelangte, gibt es auch nur Vermutungen.

tauchen-und-rauchen.jpg
Tauchen und Rauchen, 1968

Mittwoch, 18.11.2009

Leerstelle

the-omega-man.jpg

Gestern im Radio: ein toller Essay, mit O-Tönen vom folgenreichen „Türkenstreik“ bei Ford im August 1973. Nachdem die sogenannten Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen überall in Deutschland massenhaft die Arbeit niedergelegt und oft auch ohne Unterstützung der deutschen Gewerkschaften „wild“ gestreikt hatten, wurde von der linksliberalen Regierung, mit Verweis auf die Ölkrise, und mit Einverständnis des DGB, der Anwerbestopp verhängt. Gefürchteter kollektiver Kampf damals – vermisste individuelle Anpassungsleistung heute. Die ausgebliebene Solidarität ist der blinde Fleck des Integrationsdiskurses.
Das Manuskript von Peter Kessen ist nachzulesen (leider kein Podcast): „Und dann haben sie aufgehört zu arbeiten“ – Eine alternative Integrationsgeschichte.

Mittwoch, 11.11.2009

Malen und Tauchen

raymond-delucia-painting-bird-droppings-1939.jpg
Raymond deLucia painting bird droppings on the artificial rocks
in the Little Diomede Island diorama in the Whitney Memorial Hall of
Pacific Bird Life, American Museum of Natural History, New York (1939)

collect-references-for-the-andros-coral-reef-diorama-1924.JPG
The unique pre-scuba underwater apparatus used to collect references
for the Andros coral reef diorama (1924)

chris-e-olsen-on-location-in-the-bahamas-c1924.jpg
Background artist Chris E. Olsen (underwater in diving gear)
making „field sketches“ in oil paint while on location for
the Andros coral reef diorama in the Bahamas (c.1924)

Montag, 09.11.2009

hansaring-foto-knepperges.jpg
Hansaring, Köln, Backsteinexpressionismus, Michael Jackson auf Beton.

„Verehrung: das ist der glatte schimmernde Überzug, mit dem die Auster das störende Sandkorn umgibt und zur Perle macht. (…) Wenn irgendeine menschliche Bindung zwischen Eltern und Kindern, Herrschern und Beherrschten, Mann und Frau gereizt und unerträglich wird, so spricht vieles dafür, dass man ihr auf diese Weise einen übermenschlichen Charakter gibt.“
(Richard Hughes: Hurrikan im Karibischen Meer, 1938)

Dienstag, 03.11.2009

Das klingt vielversprechend

„Als kleine Überraschung aus Wien: ein recht genießbarer Krimi. Zum Vergnügen des Betrachters pendelnd zwischen zügigem Reißer, Moritat, Prügelgaudi, Frankensteingrusel und Komischem, eine kuriose Kollektion extremer Kintoppganoven präsentierend, dazu ein kaum weniger karikiertes Kriminalistentrio. Geschickte Verflechtung verschiedener Motive, wechselnde Ironisierung, und leichte Verschlafenheit, die dem Film alles Wichtigtuerische nimmt.“
(Helmut Färber, FILMKRITIK 6/63)
DIE SCHWARZE KOBRA, Österreich 1963; mit Adrian Hoven, Ann Smyrner, Paul Dahlke, Wolfgang Preiss, Klaus Kinski, Klaus Löwitsch, Herbert Fux, Ady Berber;
Drehbuch und Regie: Rudolf Zehetgruber

Dienstag, 13.10.2009

Marran Gosov

„Der Gleichgültige“ hieß der Roman, den der Malereistudent in politischer Haft im bulgarischen Gefängnis schrieb. 1960 ging er in die BRD, war schon ein paar Jahre älter als Klaus Lemke, Martin Müller, Zihlmann oder Thome, und wurde deren Vorbild, Motor, Spielmacher. Das heiße Material aus dem zum Beispiel SABINE 18 (mit Müller, Lemke und Sabine Wengen) 1967 gegossen wurde, war Gold aus der gleichen Ader: München, Schwabing, Türkenstraße.
Das Düsseldorfer Filmmuseum zeigt morgen, am Mittwoch, um 20 Uhr eine kleine Auswahl der zahlreichen Kurzfilme und seinen letzten Kinofilm aus dem Jahr 1972. Beim Besuch der Retrospektive im Filmclub 813 im letzten Herbst gab Marran Gosov sehr sympathisch zu verstehen, die Filme seien inzwischen von ihm „weit weg“. 1973 entstand das überragende, viertelstündige Meisterwerk: NACH LANGEN JAHREN EIN WIEDERSEHN MIT MEINEM BRUDER AUS BULGARIEN WÄHREND EINER KURZEN ZWISCHENLANDUNG IN MÜNCHEN. Ein knallharter Film über den Stolz.
In Schwabing fand ich im Sommer in einem Laden auf der Türkenstraße eine LP von Marran Gosov aus dem Jahr 1980. Weil sie ein Vermögen kostete, konnte ich nur den Text von der Rückseite der Plattenhülle in mein Notizbuch abschreiben:
„Auch ich bin ein von Zukunftserfahrungen gebranntes Kind, zurückgefallen auf mich selbst und ahne schon die Gewissheit, dass am Ende nur jene Güte beweisen werden, die an nichts glauben.“

Samstag, 03.10.2009

Funny People

Leo McCarey, geboren (vor 111 Jahren) am 3. Oktober 1898, in Los Angeles, Kalifornien; sollte Rechtsanwalt, wollte Songschreiber werden, wurde Assistent von Tod Browning; Gag-Schreiber bei Hal Roach; Komödienregisseur. 1929: LIBERTY mit Laurel & Hardy, 1933: DUCK SOUP mit den Marx Brothers, 1934: BELLE OF THE NINETIES mit Mae West, 1935: RUGGLES OF RED GAP mit Charles Laughton. Über Laughtons Rezitation der Gettysburg adress schreibt Vampire Loren: „This is how it must have come from Lincolns lips with compassion and such gentleness.“

1937 drehte McCarey mit Beulah Bondi und Victor Moore den herzzerreißendsten Film aller Zeiten: MAKE WAY FOR TOMORROW, John Fords Lieblingsfilm. Und noch im selben Jahr: THE AWFUL TRUTH mit Cary Grant, Irene Dunne, Ralph Bellamy. Nach Auskunft aller Beteiligten entstand die äußerst erfolgreiche Komödie ohne irgendein Drehbuch.

the-awful-truth-cary-grant.JPG
Cary Grant in THE AWFUL TRUTH

Im Programmheft zur Retrospektive des Münchner Filmmuseums von 1984 lese ich über das amerikanische Vaudeville: „das war Nummerntheater, ohne Storyline, gespielt auf Tourneen durch ganz Amerika, immer die gleichen Nummern, routines, aber ständig variiert, den unterschiedlichen Publika angepasst. Das Vaudeville war ein ständiges Experimentieren: Spontaneität und Routine, Variation und Improvisation, das war auch McCareys Konzept. Gags entstanden schon immer in Kollektivarbeit im amerikanischen Film; auch wenn die Kamera schon läuft wird immer weiter ausprobiert und verändert. McCareys Autorenschaft besteht im Anregen: die Dinge und Leute vor der Kamera in Bewegung bringen, Situationen und Abläufe in ihre letzte Konsequenz hinein verfolgen.“

Ein Essay von Paul Harrill legt einleuchtend dar, dass Leo McCarey im Ernst kein Stilist sondern im Herzen ein Musiker war.
Robin Wood: „Mehr als jeder andere Regisseur ist er eher an Schauspielern als an Bildern interessiert. Daher die Angemessenheit des streng funktionalen Kamerastils (klassisches Hollywood – vollkommen unsichtbar), das Fehlende schöner auffälliger Kompositionen, das mangelnde Interesse an technischer Innovation.“
Aber sollte die Autorentheorie auf McCarey tatsächlich nicht anwendbar sein, dann wäre wohl, schrieb Robin Wood, an der Gültigkeit der Theorie zu zweifeln – nicht aber an der Güte von McCareys Werk.

Peter Bogdanovich: „Er verstand instinktiv das Lächerliche und das Absurde im Benehmen der Menschen: statt sie zu verdammen, zelebrierte er jedoch diese besonderen Eigenschaften, was zu außergewöhnlichen Komödien führte, seinen besten Arbeiten jedoch auch ein Gefühl der dunkler werdenden Zukunft verlieh, die kein Lachen, keine lockere Verantwortungslosigkeit auf Dauer erhellen kann.“

1939: LOVE AFFAIR mit Irene Dunne und Charles Boyer, 1944: GOING MY WAY mit Bing Crosby und Barry Fitzgerald, 1945: THE BELLS OF ST. MARY’S mit Bing Crosby und Ingrid Bergman.
1957: AN AFFAIR TO REMEMBER mit Deborah Kerr und Cary Grant.

an-affair-to-remember-leo-mccarey.PNG

Hier die Frage: Was wäre das Kino der Gegenwart ohne das amerikanische Fernsehen: Saturday Night Life, Seinfeld, Freaks and Geeks… ? „Alle seine Star-Filme“, heißt es in dem schönen Programmheft aus München, „sind dezentriert, nicht auf eine einzelne Person hin konzipiert.“
Man müsste Leo McCareys Filme wieder sehen, im Kino, im Zusammenhang mit den Filmen von Judd Apatow! THE 40 YEAR OLD VIRGIN, KNOCKED UP, FUNNY PEOPLE.
Dazu TOKYO MONOGATARI, Ozus Remake von McCareys MAKE WAY FOR TOMORROW. Und auch DIE LIEBE DER KINDER, den neuen Film von Franz Müller.

Samstag, 19.09.2009

Radio

robert-fuest-and_soon_the_darkness.PNG

Im WDR 4, am Sonntag, 17.25 – 19.00 Uhr
Flimmerkiste: Musik zum 75. Geburtstag von Sophia Loren
Am Mikrofon: Manfred Behrens (Regisseur der gerade fertiggestellten Fortsetzung
von Peter Goedels Dokumentarfilmklassiker „Talentprobe“ – darüber bald mehr)

ishiro-honda-war_of_the_gargantuas.JPG

Auf Herbstradio, 99,1 mhz, am Montag, von 21 bis 23 Uhr
DER WEISSE HAI IST GUT: Ein Spaziergang durch das Seelenleben des Bassisten und Komponisten Charles Mingus. Am Mikrofon: Michel Freerix


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort