Einträge von simon rothöhler

Donnerstag, 30.09.2004

Collateral (Michael Mann) USA 2004

Dass das postphotographische Kinobild ästhetisch nach wie vor ein vergleichsweise unbekanntes, ungedachtes und entwicklungsoffenes Wesen ist, lässt sich zur Zeit in „Collateral“ beobachten, den ich auch beim zweiten Sehen als Farbfilm verblüffend finde. Nach dem Film kurz diskutiert, über das Potential der High-Definition, die spezifische Materialität digitaler Bilder mit der abgebrochenen Technicolor-Tradition kurzzuschließen, und zwar nicht nur in terms of Stiftung nicht-naturalistischer Farblichkeit. Vielleicht auch bezeichnend, dass wir während des Films beide dauernd an „Vendredi Soir“ denken mussten, dessen Nacht-Ästhetik der Autoscheinwerfer, Ampeln, Straßenlaternen und Barbeleuchtungen, Alexander Horwath einmal pointillistisch genannt hat (vgl. Frieda Grafe, Filmfarben, S.54), was mir damals sofort einleuchtete, weil ja dort der Impressionismus nochmals farbanalytisch zerlegt und dabei zugleich psychisch aufgeladen wurde.

Montag, 13.09.2004

More, More, More

Gestern: „Police“ im Zeughauskino; zur Einstimmung den kleinen Text von Serge Daney, der Pialats Eigensinn mit meteorologischer Begrifflichkeit beizukommen versucht. Da der Film sans sous-titre gezeigt wird, entscheide ich mich, den schwer verständlichen Milieu-Jargon erinnernd, doch noch um und sehe stattdessen „Maîtresse“ von Barbet Schroeder (Assistenz: Jean Francois Stevenin; Kamera: Nestor Almendros). Der Film beobachtet mit bemerkenswerter Gelassenheit Arbeitsalltag und Handwerk einer upper-class-Domina und behauptet nebenher beinahe interesselos eine Liebesgeschichte, die ich keine Sekunde glaube, aber trotzdem mag. Beim ersten nächtlichen Spaziergang erzählt Olivier, ein kleiner Dieb, Ariane, dass jetzt die Stunde angebrochen sei, in der in Paris die Pferde geschlachtet würden und dass er das wisse, weil er selbst in einem Schlachthof gearbeitet habe, bis zu jenem Moment, wo die Gewöhnung an die Handgriffe des Tötens diesem das Grauen zu nehmen beginnt. Da sei für ihn Schluss gewesen. Später wird Olivier den alten Arbeitsplatz aufsuchen, draußen ist es dann schon hell. Er wird zusehen; fast ein wenig naiv, aber dennoch: ein Zeuge sein. Er wird sehen, dass Mensch und Maschine perfekt harmonieren, wenn es gilt, das Tier in den Kreislauf seiner industriellen Verwertung einzuspeisen. Der Kopfschuss geht von der menschlichen Hand aus, der Kran bewerkstelligt eine kleine Transportstrecke, anschließend die Hängung. Der Film zeigt diese letale Kooperation als seltsam flüssige Bewegung, die unter den qualvollen Zuckungen des Ausblutens ihren Stillstand findet. Anschließend kauft sich Olivier im angeschlossenen Fleischladen zwei rosig-saftige Steaks, bereitet sie zu, isst sie. Nur mit Senf, zum Frühstück. Währenddessen erzählt er Ariane, dass er sich ihren Zuhälter vorgeknöpft habe. Die Nacht ist jetzt endgültig vorbei, alle Schuld ans Licht gebracht. Ich lese noch einmal Daney über „A Nos Amours“: „Eine einfache Geschichte, die ihre Einfachheit nicht zur Schau stellt. Komplizierte Charaktere, die sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen, aneinandergefesselt und doch einsam sind. Unmögliche Verbindungen, Flucht nach vorn, Schwerkraft.“ Auch „Maîtresse“ endet mit gegenläufigen Bewegungen; mit einer Autofahrt, akrobatischem Autosex, einem Autounfall und einem beschwingten Gelächter, das in einem Wald verschwindet, der herrlich grün leuchtet. Vielleicht gibt es mehrere Arten, die Schwerkraft zu überleben, im Auge des Zyklons zu sein und zu sehen.

Mâitresse (Barbet Schroeder) Frankreich 1973; mit Gérard Depardieu, Bulle Ogier, u.a.

Freitag, 03.09.2004

White of the Eye (Donald Cammell) USA 1986

Cammell, die zweite; erschließt ein halbes Werk, das schmal ist, leider. Lange Zeit verwirrt mich der mutwillige Stil-clash – Dario Argentos dekorative Misogynie kollidiert mit Barbara Lodens ghost-town-Realismus – und ein serial-killer-Plot, dessen Pointe mal wieder die verweigerte Pointe ist. Da schnallt sich David Keith einen Pierrot-Sprengstoffgürtel um und die kleine Tochter, ohnehin die kompetenteste Sprecherposition des Films, behält den Überblick: „Daddy is wearing a bunch of hot dogs“. Auch in anderen spielerischen Formen geht es um amerikanische Mythologie und deren Umschriften, was spaßig ist, aber nicht mehr so recht funktioniert, als daraus postkolonialistisch informierter Mehrwert destilliert werden soll. Die Schizophrenie des Killers als psychodynamische Wiederkehr eines durch hegemonial-popkulturelle Erzählungen – „I believe in miracles / Where you from / You sexy thing“ – verdrängten Genozids. Fucking Psycho, natürlich mit einem Faible für ausgestopfte Tiere. In Peter Weirs „The Last Wave“ ein ähnliches Problem gehabt, mit dem Symbolhaushalt des „Ureinwohners“, der immer aus der Natur heraus erzählt wird, als ganz Anderer, ohne Aussicht auf politischen Subjektstatus. Im Finale allerdings findet und inszeniert Cammell plötzlich einen kinematografischen Raum, in Tucson/Arizona, der so viel klüger ist, als die ausagierte Sozialpathologie: Fort Alamo als steinerne Ruine der ersten Industrialisierungs-Phase; Fels geworden, Geschichte gespeichert, Natur geblieben. Ich frage mich, warum ich erst so spät begreife, dass Friedkins „The Hunted“ ein Echo sein muss.


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