So sehen laut Jean-Luc Godard die Wege aus, die ein Filmteam bei der Arbeit an einer Einstellung zwischen den Schauspielern und der Kamera zurücklegt, wenn eine PANAVISION-Kamera benutzt wird.
So sehen, wiederum laut Jean-Luc Godard, die Wege aus, die das Filmteam bei der Aufnahme der gleichen Einstellung (Einstellung 13/1 aus PRENOM CARMEN) mit einer ARRI BL zurückzulegen hat.
Und so stellt sich Jean-Luc Godard die Wege vor, die zurückzulegen wären, wenn man die AATON 8/35 benutzte, eine Kamera, die er ab den 70er Jahren mit Jean-Pierre Beauviala zu entwickeln begann.
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Außer den Namen von Regisseuren und Schauspielern kennen einige Wenige auch noch die von Kameraleuten; fragt man allerdings nach denen, die sich die Kameras ausgedacht und sie hergestellt haben, bewegt man sich jenseits des Autorenprinzips im namenlosen Reich industrieller Fertigung.
In den Siebziger Jahren gab es – neben Video – mindestens zwei Technikutopien, die von der Entwicklung eines neuen Kamerasystems als Voraussetzung zu einem anderen Filmemachen ausgingen. Mit dem Namen Hellmuth Costard verbindet sich der Versuch, Super-8 zu professionalisieren, indem man die Kamera blimpte und damit direkttonfähig machte. Noch dazu wollte Costard die Kameras so umbauen, dass statt der üblichen 3 1/2 Minuten-Kassetten größere Kassetten benutzt werden konnten. In DER KLEINE GODARD AN DAS KURATORIUM JUNGER DEUTSCHER FILM kann man Costards Apparate und Costard selbst in Aktion sehen.
Die andere Utopie verbindet sich ebenfalls mit dem Namen Jean-Luc Godard, aber sie ging in entgegengesetzter Richtung vor. Nicht die Professionalisierung des 8mm-Materials war das Ziel, sondern die Verkleinerung und damit Verfügbarmachung von 35mm-Kameras. Godard träumte seit 1976 von einer Kamera, die bei gleicher Qualität wie übliche 35mm-Kameras in das Handschuhfach seines Autos passen sollte. Zusammen mit Jean-Pierre Beauviala und dessen Firma Aaton in Grenoble (zunächst als Partner, dann als Mitproduzent, später im Modus des Zerwürfnisses), begleitete Godard die Entwicklung einer Kamera, die er „Aaton 8/35“ nannte, weil sie die technische Seite von 35mm mit der Handhabung von 8mm verbinden sollte. „Man ist in Holland, fährt durch die Landschaft und sieht eine Windmühle, deren Blätter plötzlich stehen bleiben; man nimmt die Kamera aus dem Handschuhfach seines Autos, filmt und hat ein 35mm Bild in der aktuell höchstmöglichen Auflösung, die im Kino oder Fernsehen üblich ist. Dadurch kann ich dann auf die Idee zu FOREIGN CORRESPONDENT kommen. Oder auf eine andere Idee, weil ich immerhin schonmal ein Bild habe, und wenn man ein Bild hat, kann man etwas anderes machen. Und falls Ingrid Bergman grad da sein sollte, drehe ich eben mit Ingrid Bergman. Also: Dafür war diese Kamera gemacht.“ (Godard).
In den beiden Cahiers-Nummern 348/349 (Juni/Juli 1983) und 350 (August 1983) – im Zusammenhang mit Godards PASSION, der die wohl einzige Aufnahme enthält, die Godard mit einem Prototyp der 8/35 drehte (die Wolken und Kondensstreifen am blauen Himmel zu Beginn) – sind zwei lange Gespräche zwischen Beauviala, Godard und Alain Bergala (première Episode) sowie zwischen Beauviala, Godard, Romain Goupil, Renato Berta und Vincent Blachet (deuxième Episode). Das sind wirkliche Streitgespräche, man merkt, dass eine Ausgangsidee zwei Leute zusammengebracht hatte und deren Ausführung sie dann auseinandertrieb. Beide Gespräche stecken voller gegenseitiger Anschuldigungen und technischer Detailfragen und sind sehr lesenswert (abgedruckt in Band I von „Godard par Godard“, S. 519-557, dort auch Godards Zeichnungen).
[Auf France Culture wird im Rahmen der Reihe „Surpris par la nuit“ eine zweiteilige Sendung mit dem Titel „Citizen Beauviala“ ausgestrahlt: Teil I: Portrait en forme de balade, 2. Oktober 2007, Teil II: Gestes et Outils, 3. Oktober, jeweils 22.15 Uhr, insgesamt 150 Minuten; Zur Geschichte von Beauviala und den Aaton-Kameras hier etwas von J.M. Frodon]