Einträge von Volker Pantenburg

Samstag, 23.07.2005

Neulich, abends, im Arsenal

Perfect Film (Jacobs, 1986): Jacobs kannte ich als analytischen Zergliederer von gefundenem Material, der „Tom Tom the Pipers Son“ verlangsamt, beschleunigt, in ihn reinzoomt, das Schwein der reimenden Zeile „stole the Pig and away he ran“ sucht und Billy Bitzers burlesken Kurzfilm 90 Minuten lang seziert. Hier hat er etwas gefunden, das für sich genommen perfekt ist: Ausschussware eines Fernsehsenders mit Zeugeninterviews unmittelbar nach der Ermordung von Malcolm X. Hinter dem schwarzen Augenzeugen, in dessen souveräner Aussage die Historizität des Augenblicks schon mitgedacht ist, springt ein Junge hoch, der im Bild sein will, links daneben glotzt einer debil. Zwischendurch ringt die Kamera nach Bildern. ++++ Now! (Alvarez, 1965): Wenn man jeden Anfang von etwas daran misst, was später daraus geworden ist, hat kaum ein Film eine Chance zu bestehen; außer denen, die keine Nachfolger gefunden haben. Natürlich kann man sagen, dass Alvarez‘ Art, das schwarz-angeeignete „Hava Nagila“ zu Fotos und Sequenzen von Akten schwarzer Unterdrückung zu schneiden, jeden Schnitt auf eine Betonung des Rhythmus‘, adaptierbar war und leicht zu vereinnahmen. Dass heute jede Jeans-Werbung so funktioniert. Dass also in diesem Beginn schon das ganze Elend der universellen Verwertungslogik zu erkennen ist. Dass sich die Korrumpiertheit wie eine Doppelbelichtung über das Unkorrumpierte legt. Muss man aber nicht. Zum Glück. ++++ Rohfilm (Hein / Hein, 1968): Nach ein paar Minuten Noise-Terror und Bildgeflacker schweifen meine Gedanken ab zum Verhältnis von Epilepsie und Experimentalfilm: Ganze Kontinente der Avantgardefilm-Weltkarte müssen einem Epileptiker unzugänglich bleiben, weil Stroboskopeffekte ja bekanntlich epileptische Anfälle auslösen können. Idee für einen Horrorfilm: Ein Flickerfilmfan stellt plötzlich fest, dass er unter Epilepsie leidet. Er wird zum Terroristen, der Experimentalfilme macht, die einzig darauf aus sind, den Zuschauer bestialisch zu quälen. Nach dem Film erzählt B., dass einer der bekanntesten Filme von Paul Sharits „Epileptic Seizure Comparison“ heißt und medizinische Aufnahmen von zwei Epileptikern gegenüberstellt. Den hätte ich lieber gesehen als die Heinsche Fingerübung in Destruktionsterrorismus. ++++ Report (Conner, 1963-1965): Kennedys Ermordung hat neben viel Verstörung und noch mehr Verschwörungstheorie auch einen Kosmos von Bildern und eine Kakophonie von Stimmen produziert. Conner montiert einen Teil dieser Bilder und Töne, lässt sie in Vorlaufband auslaufen und bringt sie auf spezifische Art zum Stolpern. Beschwörend kehrt er immer wieder zum Tatort zurück: Wie die Limo mit J.F. und Jackie von der Dealey Plaza in die Elm Street einbiegt, das Winken. Conner vervielfacht das Material, aber er nimmt immer hinten ein paar Bilder weg und setzt sie vorne wieder dran: Wie ein Auto mit kaputtem Anlasser ruckelt die Sequenz vorwärts in den Tod. ++++ Mass for the Dakota Sioux (Baillie, 1963-64): Gern auftretendes Vorurteil: Experimentalfilme sind anstrengend und machen sich einen Spaß daraus, den Zuschauer zu malträtieren. Ab und zu finden sich Vorurteil und filmische Realität in erstaunlicher Kongruenz (vgl. „Rohfilm“). Baillies Film allerdings unterzieht das Cliché einer nachhaltigen Kur. Als breite man eine fast durchsichtige, leichte Decke über einer zweiten, ebenso leichten Decke aus. Als flatterten beide im Wind und produzierten in der Überlagerung etwas Neues. Amerikanische Landschaften, ein Toter, der zu Beginn auf dem Bürgersteig liegt und am Ende in einem Oldtimer abgeholt wird. Dazwischen sachte Überblendungen, eine kristallklare Kopie, und, ja, man darf wohl – zumindest kleingedruckt – sagen: anmut. ++++ Intolerance (abridged) (Lawder, 1960) : „Recommended for all students of filmmaking and film history“, wird Lawders Film im Katalog von Canyon Cinema beschrieben. „Especially for those who don’t have the time“, könnte man hinzufügen, denn Lawder hat Griffith‘ Monumentalepos respektlos beschleunigt und damit auf zehn Minuten gekürzt. Ein Film für die durchlauferhitzten Bachelorstudenten der Zukunft. Trotzdem sind die Wechsel zwischen Totalen und Großaufnahmen, die Montagerhythmen, auch das völlig Irrsinnige in der Dreifachgeschichte von Babylon, Mittelalter und Moderne auch in der Kurzfassung noch greifbar. Wenn ein Film das überlebt, muss er so übervoll sein, dass noch das Extrakt nach was schmeckt. Eine der Wiegen des Kinos. ++++ Lettre d’un cinéaste (Akerman, 1984): Was man alles tun muss, um einen Film zu machen: aufstehen, Leute treffen, essen, vor allem Berge von Papier produzieren, Klamotten aus dem Kleiderschrank fischen, sich von den Produzenten antatschen lassen usw. So was Ähnliches hatte auch Hellmuth Costard ein paar Jahre früher als „kleiner Godard“ an das Kuratorium junger deutscher Film geschrieben und versucht, das franko-schweizerische Vorbild ins Boot zu holen. Costard forderte die dilettantische Professionalisierung von Super 8, um weniger schreiben zu müssen und mehr machen zu können. Akerman bleibt zuhause, tut sich zusammen mit Aurore Clément und macht diese Studie über das Wie-man-einen-Film-macht. Postgodardsche, weiblich umcodierte Autonomiefiktionen. ++++ PPI (Serra, 1986): Von „PPI“ habe ich kaum Bilder behalten können. Kurz ist der Film und kurzweilig, aber wie genau? Wellen, die ans Ufer schlagen, etwas Quietschbuntes, einen Augenblick lang. Meine Irritation, aus welcher Zeit diese Bilder kommen? Der Film wurde im Arsenal als Auftakt für eine Reihe von Statements über das Kinomachen im Jahr 2005 gezeigt. Manchmal klang das wie ein in die Zukunft gesprochener Rechenschaftsbericht. Ich stelle mir vor, dass das für die Ohren von kürzungswütigen Rotstiftpolitfunktionären gedacht war und hier ein Publikum fand, das sich solchen Rotstiftpolitfunktionär in Zukunft entgegenstellen soll. Um ihnen den Rotstift aus der Hand zu schlagen. ++++

Samstag, 16.07.2005

Fernseh-Hinweis

Morgen abend, 17.7., um 21.15 Uhr auf 3sat:
Die Hochzeitsfabrik, Dokumentarfilm von Aysun Bademsoy, Deutschland 2004.

Wenn eine Frau „gestohlen“ wird, also gegen den Willen ihrer türkischen Eltern heiratet, sind die Hochzeitsfeiern klein: „300, 400 Gäste“, sagt der Chef des Kreuzberger Unternehmens, das die Dokumentation des Tages übernimmt. Sein Team ist mit drei Kameras auf rollenden Stativen unterwegs, an deren Kabelsalat die Essenswagen angehoben werden müssen. Ein anderer macht Fotos, retouchiert am Rechner die Narben des Bräutigams und bastelt einen abenteuerlich kitschigen Hintergrund dahinter. Der Adorno-Titel hebt hervor, wie hier das einzigartige Ereignis und seine standardisierte Reproduktion gegeneinander stoßen. Zum Glück hat die vermeintliche Standardisierung auch in der Traumfabrik nie ausschließen können, dass etwas Besonderes entsteht.

Dienstag, 05.07.2005

ON THE VISUAL ARTS

„Take a thing and put it on one thing
Take a thing and put it on the 2 things
Take a thing and put it on the 3 things
Take a thing and put it on the 4 things
Take a thing and put it on the 5 things
Take a thing and put it on the 6 things
Take a thing and put it on the 7 things
………

sell any time“

[Dieter Roth: A few of the successfoll recipes offered by Rot in this volume:“, in: Snow, wieder abgedruckt in: Ders.: Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa, hg. von Jan Voss, Beat Keusch, Johannes Ullmaier, Björn Roth, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2005, S. 160.]

Donnerstag, 30.06.2005

Kino-Hinweis

Vom 1. bis 6. Juli findet in Berlin die fünfte Französische Filmwoche statt: zwölf Produktionen aus den letzten zwei Jahren, darunter „Clean“ von Olivier Assayas. Ausserdem drei Filme von Arnaud Desplechin: als Eröffnungsfilm „Rois et reine“ (2004), zudem „Léo en jouant dans ‚La compagnie des hommes'“ (2003) und „Comment je me suis disputé (ma vie sexuelle“)“ (1998).

Alle Filme im Filmtheater am Friedrichshain und im Cinéma Paris, ein genaues Programm gibt’s hier.

Montag, 20.06.2005

Education sentimentale

Im Zug, irgendwo zwischen Osnabrück und Bünde. Eine Frau erzählt ihrem achtjährigen Sohn eine Szene aus einem Hitchcock-Film: „Stell dir vor: Eine Verfolgungsjagd im schottischen Hochmoor. Der Hauptdarsteller rettet sich in ein Schloss. Da ist es hell, die Leute sind sehr freundlich, und er beginnt, ihnen seine Geschichte zu erzählen. Zu Anfang des Films hat er eingeschärft bekommen, dass er den Bösen, den er sucht, daran erkennen wird, dass ihm zwei Glieder an einem Finger der rechten Hand fehlen. Und jetzt erzählt und erzählt er, und irgendwann fragt der Mann, dem er diese Geschichte erzählt: ‚Sind Sie sicher, dass es die rechte Hand ist?‘ In dem Moment ist in Großaufnahme seine linke Hand zu sehen, die nach einem Glas greift und an deren kleinem Finger genau die zwei Glieder fehlen… Das ist eine der gruseligsten Szenen, die ich kenne, obwohl es nicht dunkel ist, obwohl da nicht geschossen wird und gar nichts.“

Danach erklärt sie noch ganz beiläufig, was ein McGuffin ist.

Diese Art von Vermittlung, bei der ganz deutlich zu spüren war, dass da nicht nur ein Film erzählt wird, sondern was Erlebtes.

Sonntag, 05.06.2005

„Was ich damals an Fejos lieben lernte: daß mit 38 bei ihm der Ton des Lebens noch weich war wie bei einem Jugendlichen und er sich von heute auf morgen gegen den Unterhaltungsfilm und für eine Hinwendung zur Realität entschied. Die Schlüsselszene wiederum, die für diese Wandlung steht, ist so plastisch, so zugespitzt, daß es mir immer vorkommt, als hätte sie sich nicht real ereignet, sondern ich hätte sie in einem Film gesehen:
Der Präsident der Nordisk-Film versuchte Fejos zu halten und sagte schließlich: ‚Gut, dann machen Sie Filme, wo Sie wollen, aber tun Sie’s für uns‘, und er führte den Regisseur in einen Nebenraum, wo an der Wand eine Weltkarte hing. Fejos kam genau vor Madagaskar zu stehen und sagte: ‚Das einzige Land, wo ich Filme machen möchte, ist Madagaskar.‘

Diese lehrreiche Anekdote sagt mir: die von Fejos ausgeübte Kraft zum Verneinen, dieser natürlichen Äußerung des immerfort sich verändernden, erneuernden, absterbend auflebenden menschlichen Kämpferorganismus haben wir immer, den Mut aber nicht, während doch Leben Verneinung ist, also Verneinung Bejahung.“

[Peter Nau: Ein Brief, in: Elisabeth Büttner (Hg.): Paul Fejos. Die Welt macht Film, Wien: verlag filmarchiv austria 2004, S. 176-177]

Sonntag, 22.05.2005

Fernseh-Hinweis

Heute abend, 22.5., um 22.15 Uhr wird auf 3sat Anna Faroqhis neuer Film „Das Haus und die Wüste“ (D 2005) ausgestrahlt, ein Film über den Zusammenhang zwischen Häusern und Politik in Israel.

Die Zeichnungen Anna Faroqhis sind auf einer der Reisen nach Israel entstanden.

Sonntag, 15.05.2005

Claire Denis

Anfang Mai war Claire Denis im Österreichischen Filmmuseum zu Gast, um ihre und 12 Lieblingsfilme vorzustellen. Die Retrospektive läuft noch bis zum 19. Mai. Auch ein Buch, herausgegeben von Isabella Reicher und Michael Omasta, ist aus diesem Anlaß erschienen: Claire Denis. Trouble Everyday, Wien: Synema 2005.

An einem der Abende haben Omasta und Reicher ein Gespräch mit Denis geführt, das dank Annett Busch vollständig im Netz verfügbar ist. (231 MB, 95 min, Ogg Theora; Wie das im einzelnen funktioniert wird auf der Seite erklärt).

Sonntag, 08.05.2005

Samstag, 07.05.2005

I said to Sitney, at dinner in July, I have found your structuralists, P. Adams, and they are in England.

Luxonline is a free comprehensive on-line resource for people wishing to learn about and explore British artists‘ film and video.


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