Einträge von Werner Sudendorf

Montag, 20.05.2013

Filme der Fünfziger X: Primanerinnen

Ein offener Zweisitzer, ein alter DKW, tuckert zu amerikanischem Big Band Swing über eine nahezu autofreie Landstrasse und bleibt schließlich stehen – Thomas (Walter Giller) kann den Schaden nicht reparieren und Regine (Christiane Jansen) muss deshalb nach Frankfurt trampen. „Nazi“ ruft Thomas einem Autofahrer hinterher, der nicht anhält. Bad Hersfeld liegt nahe; dort hat Thomas seine letzten Jahre als Gymnasiast verbracht und mit Ursula (Ingrid Andree) eine Liebesgeschichte erlebt. Ein Volkslied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er die weite Welt“, begleitet Thomas Ankunft in Bad Hersfeld. Aber es geht nicht hinaus, sondern in einer Rückblende zurück in die Innerlichkeit und eine Vergangenheit romantischer Probleme.

Musiklehrer Tobias Kraushaar(Erich Ponto, die Standardbesetzung für etwas biedermeierhaftige, auch altersweise Autoritäten) öffnet die Pforte zur Zeitreise. Er erzählt von Ursula, die Thomas vor zwei Jahren in Bad Hersfeld bei einer Geburtstagsfeier kennengelernt hatte. Für den Primaner Thomas ist die Perspektive des Alterns ein Problem. Thomas ist zumute, „als müsste man heulen. Man weiß eigentlich nicht warum – vielleicht, weil man nichts ändern kann. Alles ist so vorgeschrieben, das Jungsein und das Altwerden. Vielleicht haben wir jetzt unsere kritischen Jahre, wo man sich entscheiden muss, ob man Bürger sein will oder Mensch. Wenn man nur Mut hätte.“. Der jugendliche Weltschmerz von Thomas ist nicht von langer Dauer. Er verliebt sich in Ursula, die wiederum in stiller Idealisierung von Hans Rühle (Jochen Wolfgang Meyn)verehrt wird. Hans hat für Ursula ein Lied komponiert, das Filmkomponist Hans Martin Majewski zum Leitmotiv für die Liebesgeschichte zwischen Thomas und Ursula umfunktioniert. Thomas läuft in kurzen Hosen herum, Hans Rühle dagegen trägt Anzug und einen Geigenkasten unter dem Arm. Für Hans ist das Leben voller Probleme, Thomas nimmt es leichter. Er lässt sich von Ursulas koketter Zickigkeit nicht abweisen und verbringt mit ihr einen Sommer der Verliebtheit bis Ursula ihrem Vater auf einen entfernten Hof folgt. Thomas bleibt in Bad Hersfeld, macht sein Abitur und zieht nach Hamburg. Jetzt, nachdem er zwei Jahre nichts von sich hat hören lassen, entschließt er sich, Ursula zu besuchen.  Aufs Neue verliebt er sich und aufs Neue muss Ursula ihn ziehen lassen.

Viel Anfang ist mit dem Film verbunden, wenig Neues wird gewagt und manches Missverständnis tut sich wichtig. Rolf Thiele hatte 1946 mit Hans Abich in Göttingen die „Filmaufbau“ gegründet; dies ist seine erste Regiearbeit. Eigentlich sollte Alfred Braun die Inszenierung übernehmen; er spielt als Schmied und Hotelportier zwei kleine Nebenrollen. Für die weibliche Hauptrolle suchte man ganz öffentlich ein neues Gesicht; 1.400 junge Frauen meldeten sich, gewählt wurde Ingrid Andree, die gerade im Thalia-Theater in Hamburg angefangen hatte. Auch für Walter Giller war dies die erste Hauptrolle. Das sollte ein Film der neuen Gesichter werden, ein Film der Jugend. Die literarische Vorlage war die Erzählung „Ursula“ von Klaus Erich Boerner; das Buch war bereits 1936 erschienen und hatte sich in den Kriegsjahren zu einem Bestseller entwickelt. Taufrisch war der Stoff also nicht und auch über die Jugend erfährt man rein gar nichts. An die Adoleszenz-Krise, die Walter Giller in die schwammige Frage fasst, „ob man Bürger sein will oder Mensch“, erinnert sich Ursulas Vater mit den gleichen Worten. Diese Frage haben sich doch alle schon mal gestellt – hatte es in der Vergangenheit keine größere Sinnkrise gegeben?
Es geht auch nicht um „Primanerinnen“, sondern um einen Jugendlichen, der sich nicht zwischen zwei Mädchen entscheiden kann. Chorgesang und Tradition bremsen jeden Ansatz zur Moderne aus; die Anspielungen auf die Gegenwart –in einer Schulstunde wird der Film „Die Sünderin“ diskutiert –wirken wie nachgeschoben. Der Kameramann Georg Krause nimmt nachtschwarze Bilder auf, die einen „Film noir“ alle Ehre machen könnten. Aber Thiele kann mit ihnen nichts anfangen. Interessant sind die Innenräume; die Bürgerstuben sind so vollgestellt als wolle man mit der Menge an Möbeln jeden Freiraum ersticken. Seltsam, dass niemand aus dieser Enge ausbrechen will. Nur Regine, Thomas Freundin, huscht als junge selbständige Frau wie ein Fremdkörper durch die Handlung. Auffällig ist die Abwesenheit von Familie. Ursula wohnt mit ihrem Vater zusammen; im Wohnzimmer beherrscht das Bild der verstorbenen Mutter den Raum. Thomas und sein Freund Hans sind völlig ohne Familie.
Selbst bei den Kostümen – kurze Hosen und Nachkriegsanzug, todschickes Kostüm und biedere Kleidchen –herrscht eine groteske Konfusion an Stilrichtungen. Alles sieht aus wie Gegenwart, sagt aber nichts über sie aus. Es ist, als ob der Film  sich einfach wegduckt. Oder, um es positiv zu sagen: das ist wirklich interessant misslungen.

Im Jahr der „Sünderin“ stand jeder deutsche Film, der das Verhältnis zwischen den Geschlechtern thematisierte, im Verdacht der Unsittlichkeit. Die Primaner  aus Bad Hersfeld protestierten gegen die Vermengung von „pubertätsgeladenem Getue, von Romantik und sexuellem Raffinement“ –oha! Die katholische Filmkritik, sonst immer als erste mit der Moralkeule in der Hand, war diesmal verständig. „Ein Film, der Halbheiten und Kompromisse in der Liebe ablehnt. Deshalb auch für reifere Jugend geeignet.“  Das sahen die evangelischen Moralisten aber ganz anders. Überall lauerte doch der Teufel der Unsittlichkeit: „Wir halten diesen Film für gefährlich und geeignet, unserer Jugend eine völlig falsche Vorstellung über das Verhältnis der Geschlechter zu geben.“  Trotzdem war der Film nur ein Achtungserfolg.

Nicht als DVD, nicht als Video erhältlich

Donnerstag, 28.03.2013

Das Testament des Dr. Goebbels

Es ist ja immer etwas billig, Kritiken aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu zitieren, um zu dokumentieren, wie rückständig damals die Kritik war. Etwas anders ist es, wenn man darauf stößt, wie sich der Geist des Nationalsozialismus mit dem der frühen 50er Jahre deckt. Hier eine Fundstelle zum Fritz Lang Film „Das Testament des Dr. Mabuse“. Der Film wurde als Reprise im August 1951 gestartet. Der Film-Dienst schrieb:
„Dieser Film wurde von 1932 auf 1933 gedreht. Er ist am 29. März 1933 von der Filmprüfstelle verboten worden. Mit Recht. Ein konfuser Kolportage-Schmarrn, der Gemüt und Nerven der Zuschauer strapaziert. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass der berühmte deutsche Regisseur Fritz Lang verantwortlich zeichnet.“ Es folgt eine Inhaltsangabe und das Resümee.
„Völlig unwahrscheinlicher Verbrecherfilm, der Gemüt und Nerven stark belastet. Ungesund. Abzuraten.“
Da konnte Fritz Lang ja froh sein, dass er noch nicht in die Bundesrepublik zurück gekehrt war; sonst hätte ihn der gesunde Volkskörper sicher ausgestoßen.

Sonntag, 17.03.2013

Filme der Fünfziger IX: Christina (1953)

Die Heimatvertriebene Christina hat nur ein Kleid im Gepäck; ihre Tracht zählt sie nicht zur Kleidung, die ist ihr heilig. Als sie auf der Stauffer-Mühle als Magd angestellt wird, muss ihr der junge Klaus Stauffer (Lutz Moik) in der Stadt erst einmal ein paar Kleider kaufen. Die Mühle ist verschuldet; der Müllersohn und die örtliche Bankierstochter Renate Frank (Eva Rimski) sind verlobt – ihre Heirat soll die Mühle vor dem Ruin retten. Einen Müller gibt es nicht; die verhärmte Witwe  – in der BRD gab es über 1 Million Kriegerwitwen – und Herrin Anna (Franziska Kinz) ist in Sorge, denn ihr Sohn verliebt sich in Christina; aber Christina wird auch von dem ritterlichen und reichen Gutsherren Holk (Werner Fuetterer) umschwärmt. Knecht Fritz Ohlsen (Paul Esser) stellt Christina und jedem anderen Frauenrock nach. Das sorgt für Unruhe und Klamauk. Die Klassenverhältnisse werden mit den Verkehrsmitteln deutlich: die Müllersleute fahren Pferde- und Lieferwagen, die Mägde Fahrrad und Direktor Holk ein Mercedes-Cabriolet.
Wie wohltuend sind am Abend die Stunden der Innerlichkeit auf der Holzbank unter der Linde auf dem Hof – hier verlieben sich Klaus und Christina, hier mahnt der alte, ebenfalls heimatvertriebene Knecht Czybulka Christina, nicht über ihre Verhältnisse zu träumen. Die Herrin weist Christina vom Hof; Direktor Holk nimmt sie nicht ohne Hintergedanken bei sich auf. Am Polterabend von Klaus Stauffer und Renate Frank erscheint Christina und kämpft um den Müllersohn. Auch die Herrin sieht, dass gegen diese Liebe kein Kraut gewachsen ist; der Müllersohn bekommt Christina, der reiche Onkel Direktor wird die Mühle unterstützen und Christina hat wieder eine Heimat. Fast wäre sie ein zweites Mal vertrieben worden.

Es werden auch hier wieder Lieder gesungen wie ja ein guter Teil des bundesdeutschen Films der fünfziger Jahre statt eines Drehbuchs den Zupfgeigenhansel zu verfilmen scheint. Auf der Bühne eines Volksfestes stehen dieses Mal die Siebenbürger in ihren Trachten und auch Christina erscheint in ihrer Tracht, im Ehrenkleid und innigen, ewigen und so weiter Angedenken.

Gedreht wurde im Sommer 1953 auf dem Simonshof bei Bad Neustadt im Rhönland; dort wurden heimatvertriebene Jungen ab 14 Jahren aufgenommen. Weil in dem Film ein Liebespaar im Busch aufgeschreckt wird, beschwerte sich der Direktor des Simonshofes auch gleich bei der Filmproduktion über diese Sittenlosigkeit. „Christina“ war Barbara Rüttings dritter Film; für ihre Rolle in „Die Spur führt nach Berlin hatte sie gerade den Bundesfilmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin bekommen. Bei der Premiere in Bielefeld trugen die Platzanweiserinnen Siebenbürger Trachten – Barbara Rütting war aber nicht dabei.

Einige Kritiker hatten es definitiv satt, wieder einen Heimkehrerfilm zu sehen, anderen fanden gerade das gut. In der Zeitschrift „Neuer Deutscher Kurier“ des Altnazi und Gründers des „Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ Theodor Oberländer hieß es in einem Gemisch aus Ressentiment und schmieriger Generosität: „Der Film trägt in unaufdringlicher Form dazu bei, das Verständnis für diejenigen Deutschen im klein gewordenen Vaterland zu wecken, die seit Jahren zusätzlich darin leben müssen. Er zeigt, dass es zumindest ebenso wertvolle deutsche Menschen gewesen sind, die außerhalb der Grenzen Deutschlands wohnten.“ (Ausgabe Nr. 45, 7.11.1953). Vielleicht hat zu dem Wohlwollen auch beigetragen, dass Herbert Windt, der schneidige Kombattant von Leni Riefenstahl, die Musik geschrieben hat.

Was nicht in filmportal und imdb steht:
Drehbuch: Hanns Schuster und Charlotte Kaiser-Henschke; Ton: Ewald Otto; Aufnahmeleitung: Fritz Renner; Regie-Assistenz: Charlotte Kaiser; Kostüme: Gretl Waschneck. Regisseur Dr. Fritz Eichler war zuvor Regieassistent beim „Doppelten Lottchen“.

Zusätzliche Darsteller und Rollen: Ethel Reschke (Magd Lene), Paul Esser (Großknecht Ohlsen), Karl Helmer (der alte Knecht Czibulka), Werner Fütterer (Direktor Holk), Carsta Löck (Babette), Herbert Hübner (Apotheker), Paul Heidemann (Notar), Werner Stock (Stephan, genannt „Tageblatt“), Brigitte Rau (Katrin) Agnes Windeck (Wirtschafterin von Direktor Holl) und Arno Paulsen, Renate Fischer, Elsa Wagner, Charlotte Agotz, Odette Orsy, Kurt Getke, Charly Knetschke.
Nicht als Video, nicht als DVD erhältlich.

Dienstag, 12.03.2013

Filme der Fünfziger VIII: Heidelberger Romanze (1951)

Die Heimat, die Heimat –so oft wird in der „Heidelberger Romanze“ (1951; Regie: Paul Verhoeven) über die Stadt, auf das Schloss und auf den Neckar geschaut. Endlich einmal sind deutsche Ruinen pittoresk, fast lieblich; in ihren Erkern küssen sich die Liebespaare, in den Bäumen singt die Nachtigall. Im Heimatfilm schwenkt die Kamera von höherer Warte über das Städtchen, die Landschaft, die Berge. Ein Liebespaar sitzt auf einer Bank unter einem Baum, auf der Alm oder, wenn es moderner sein soll, auf einer Cafeterrasse. Vor oder unter dem Paar liegt die Landschaft, gern auch blühend, wie ein Blick in die rosige Zukunft.
O.W. Fischer beginnt in „Heidelberger Romanze“ als Fremdenführer und verschwindet dann für rund eine Stunde. Er hat mit seiner Touristengruppe ein Liebespaar (Ruth Niehaus als Gabriele und Hans Reiser als Erwin Turner) beobachtet, einen Amerikaner und eine Deutsche. Der Amerikaner will Gabriele heiraten, muss aber vorher noch seine Verlobung mit Susanne Edwards lösen. Liselotte Pulver – mit einer Frisur wie ein Wischmob – ist diese Verlobte; als Amerikanerin schwimmt sie im Pool und hat ein farbiges Dienstmädchen. Wenn ich es richtig gesehen habe, ist die Farbige tatsächlich eine angemalte Weiße. Willam Edwards (Hans Leibelt), Susannes Vater, hatte vor vierzig Jahren seine Liebschaft Fannerl in Heidelberg zurückgelassen. Eine Rückblende erzählt diese erste Romanze Anfang der 1910er Jahre, mit Burschenschafts-Ritualen, Karzer und Studentenliebe. Aus amerikanischer Sicht kann die deutsche Vergangenheit in Heidelberg nur romantisch verklärt sein. Praktisch ist auch, dass Amerikaner von Natur aus wohlhabend sind.

Vater und Tochter fahren gemeinsam nach Heidelberg zu Erwin, der ja die Verlobung mit Susanne lösen will und damit ihre Cocktail-Party gefährdet. Der Vater trifft die alten Burschenschaftler wieder und Susanne verliebt sich O.W. Fischer, der sich für die letzte halbe Stunde des Films wieder frei machen konnte; Susanne gibt sich, damit O.W. Fischer nicht dazu verführt wird, nur auf ihr Geld zu sehen, als armes Fannerl aus – das ist von sehr bescheidener Heiterkeit. Das wahre Fannerl taucht auch wieder auf. Sie ist eine alte Dame, aber eben auch die Mutter von Gabriele, die nun ihren Amerikaner Erwin heiraten darf. Darauf ein Bier, aber auf Ex.

Heidelberg ist ja wirklich sehr schön und übervoll an inneren Werten, aber mit dem materiellem Reichtum der Amerikaner kommt erst das wahre Glück ins Haus. Soviel vergoldete Vergangenheit – alle sind wohlbehalten aus dem Krieg zurückgekehrt, nicht ein jüdisches Schicksal, nicht ein Emigrant stören diese Geschichte aus Vergangenheit und Gegenwart. Regisseur Verhoeven erlaubt sich sogar einige ironische Töne: die Nachtigall im Baum über der Parkbank ist kein Vogel, sondern ein Student, der sich als Vogelstimmenimitator ein paar Mark dazu verdient. Die Romanze gönnt sich den Realismus als hübsche, augenzwinkernde Arabeske. Aber generell ist man natürlich lieber reich und sitzt mit seiner Liebsten auf der Parkbank statt als Werkstudent im Baum darüber.

Konstantin Irmen-Tschet filmt in knalligen Farben, Fritz Maurischats Bauten sind wie aus dem Bilderbuch entsprungene Schnurren.

Als DVD erhältlich

Mittwoch, 06.03.2013

Filme der Fünfziger VII: Das letzte Rezept

„Das letzte Rezept“ kann Endgültiges bedeuten, auch Tragisch – Dramatisches, vielleicht den Tod, auf jeden Fall Unumkehrbares. Im gleichnamigen Film von Rolf Hansen aus dem Jahr 1952 gibt es diese Konnotationen bis hin zur Banalität – eben des letzten Rezeptes, das ein Arzt ausschreibt. Das Rezept kuriert keine Krankheit; es bildet und tilgt Schuld, führt zerstrittene Parteien an den Festtagstisch, macht die kranke Gesellschaft wieder gesund und löst die Atemnot der Bedrückten – „Macht das Fenster auf, es ist so stickig hier“ ruft Carl Wery, der alte Arztvater, der nicht weichen wollte und sich jetzt mit der nachfolgenden Generation versöhnt. Wie Unschuldige schuldig werden und von dieser Schuld erlöst werden durch eine Frau, die sich stärkt mit Gebet und Kunst, mit „Vater Unser“ und Hugo von Hofmannsthal – das alles erzählt Hansen in einem seiner ersten Melodramen der fünfziger Jahre. Der Aufwand an Glaubenskraft und Kunstverehrung, an strahlendem Licht und finsteren Dämonen ist beträchtlich; im Jahr 1952 muß ja auch noch eine große Verdrängungs- und Bewältigungsleistung erbracht werden. Die Schlusssentenz der Gottesstimme verkündet dem deutschen Publikum sieben Jahre nach dem Zusammenbruch: „Eine schwere Zeit ist wie ein dunkles Tor/ gehst Du hindurch, trittst Du gestärkt davor. /Stehst neu vor Gottes Angesicht, wendt‘ sich alles/ vom Dunkel zum Licht.“

Die süchtige Primaballerina Bozena Boroszi (Sybil Verden) will sich zur „Jedermann“-Saison in Salzburg Morphium verschaffen, aber ihr Dealer (Harald Paulsen) wird verhaftet. Sie umgarnt den Apotheker Hans Falkner (O.W. Fischer) und stiehlt aus seinem Safe Morphium-Ampullen. Der ernst gestimmte Dr. Steininger (Rene Deltgen) hält seinen Studienfreund Falkner für einen Hallodri und verdächtigt ihn, der Primaballerina das Rauschgíft verschafft zu haben. Steininger ist immer noch in Anna (Heidemarie Hatheyer) verliebt, die aber Hans geheiratet hat. Der alte Sanitätsrat Falkner (Carl Wery) kreidet seinem Sohn Hans an, dass er nicht Arzt, sondern Apotheker geworden ist. Daran ist Anna Schuld. Die Primaballerina erpresst das Apothekerpaar – nur wenn sie ihr weiter Morphium besorgen, wird sie das Paar nicht bei der Polizei anzeigen. Steininger drängt den alten Arzt, endlich seinen Beruf aufzugeben – in seinem hohen Alter könne man schon mal mit einer Fehldiagnose großes Unglück anrichten. Diese vielen Geschichten kulminieren: Die Primaballerina wird ohnmächtig, der alte Sanitätsrat verschreibt ihr irrtümlich eine tödliche Dosis Strychnin und die Apothekerin Anna Falkner muss nun entscheiden, ob sie die richtige oder die tödliche Dosis anmischt.
Rolf Hansen ist ein Frauenregisseur; in den 40er Jahren inszenierte er Zarah Leander, jetzt spielt Heidemarie Hatheyer Erlöserin, Mutter eines kleines Sohnes, Ehefrau eines bübischen Ehemanns, und schließlich die große, alles entscheidende Figur. Sie geht durch hohe, enge Gassen, wird in Licht und Dunkel getaucht, wendet die Augen in Großaufnahme zum Himmel und steht im Fensterrahmen als Ikone der Reinheit. Die Räume der Apotheke und des Wohnhauses sind zwar eng und bedrückend, aber die Außenwelt ist noch viel bedrohlicher. Durch die Straßen von Salzburg und in die Handlung hinein klingen die Stimmen der „Jedermann“ Aufführung.

Wie unreif die Männer sind und wie sehr sie es geniessen! Nur die Frauen haben die Macht, Konflikte zu verschärfen oder zu entschärfen. Falkner verteidigt gegenüber seinem Vater die Entscheidung, statt Arzt Apotheker geworden zu sein, damit, dass seine Frau die Apotheke geerbt habe. Er eilt zur Ballerina und erklärt ihr, dass seine Frau sich wundere, wie das Morphium aus dem Safe verschwinden konnte. Als Anna Falkner ihren ehemaligen Geliebten Dr. Steininger um Hilfe bittet, vermutet der, dass Anna von ihrem Mann geschickt wurde. Anna ist empört: „Das ist so geschmacklos, so grenzenlos gemein.“ Damit könnte sie auch das Verhalten ihres Mannes charakterisieren.
Hansen und sein Kameramann Weihmayr inszenieren mit Fahrten, Kadrierungen, unaufdringlichen Unter- und Aufsichten Enge, Überlastung, Abhängigkeiten und Befindlichkeiten. Rene Deltgens Gesicht ist gelegentlich wir dämonisch ausgeleuchtet, Verden ermattet auf Kissen gelegt und Hatheyer ins sanfte Licht einer irdischen Schmerzens-Madonna getaucht.

Sechs Filme mit O.W. Fischer wurden 1952 in der Bundesrepublik uraufgeführt. Mit Charme, Frechheit und Künstlertolle bezauberte er die Fräulein und Damen gleichermaßen. Die Last der Vergangenheit hat in seinem Spiel keinen Platz; er ist der Vertreter der heiteren Lebenslust, mit flatterndem Apothekerkittel, fesch gebundenem Schal und etwas manierierter Zigarettenspitze ausgestattet. Binnen eines Jahres wurde Fischer nach Dieter Borsche zum Publikumsliebling Nr. 2.

Der Film lief als deutscher Beitrag beim Filmfestival Cannes 1952. Sybil Verden war die Titelgeschichte des „Spiegel“ Nr.23 vom 4.6.1952. In den USA lief „Das letzte Rezept“ unter dem Titel „Desires“; „Desires is the first German film in several years that is worth the expense of its subtitles.“ Time (2. 8. 1954)

Was nicht in „Filmportal“ und auch nicht in IMDB steht:
Liesl Karstadt spielt Frau Berger, die Haushaltshilfe von Sanitätsrat Dr. Falkner (das ist sogar in der Illustrierten Film-Bühne falsch). Heini Göbel spielt den verdächtigen Herrn aus einem Cafe, Franz Muxeneder einen der Detektive, Bum Krüger einen Kompagnon des Rauschgifthändlers, Bobby Todd den Theaterinspizienten. Heinz Hölscher und Richard Weihmayr waren Kamerassistenten, Oskar Schlippe Regieassistent.

Nicht als Video, nicht als DVD erhältlich.

Samstag, 28.07.2012

Emil Jannings

Im Tagesspiegel vom 26. Juli fragt sich Frank Noack, woran es liegen mag, dass Emil Jannings so ganz und gar vergessen ist und antwortet darauf gleich selbst: es liegt „wohl eher an einem generellen Desinteresse an der Schauspielkunst früherer Epochen.“

Ich hätte dazu noch ein paar andere Antworten: es liegt auch an dem generellen Desinteresse für deutsche Filmgeschichte. Und die, die sich überhaupt noch dafür interessieren, teilen die Filmgeschichte so ein: bis 1933 und etwa ab 1965 – ich setze hier mal Kluges „Abschied von gestern“ als Zäsur – interessant, innovativ, spannend. Zwischen 1933 und 1965 liegen Sumpf, Nebel und Moor, die Leichen des deutschen Films, Wüste und Ödnis, Verdrängung und Propaganda. Da sehen wir nicht hin, wir wissen sowieso Bescheid, das ist ja alles Mist und Papas Kino und Opas Kino.
Leider stimmt das auch noch zum großen Teil und es stimmt natürlich genauso wenig als wenn ich jetzt sagen würde: alle Filme der Berliner Schule sind einfach stinklangweilig und öde, stinkende Moorleichen der Luxusproblematiker. Das eine ist so falsch wie das andere.
Es ist ja wirklich so, dass man sich vieles ansehen muss, um einiges Gutes zu entdecken. Das ist halt Arbeit, die wir uns nicht antun wollen. Deswegen sparen wir uns das und haben dann mangels Wissen gar keine Argumente mehr gegen die, die uns weiß machen wollen, dass der Film zwischen 1933 und 1945 eigentlich unpolitisch war, und wenn es dann politisch wurde, dann war nur Herr Goebbels schuld. Im Grunde war ja die ganze Filmindustrie unpolitisch und Anti-Nazi. Gab es außer Leni Riefenstahl überhaupt irgendjemanden, der mit dem System paktiert hat und nicht weiterfilmen durfte? Karl Ritter, NSDAP-Mitglied und Regisseur militaristischer Propagandafilme, durfte selbstverständlich in der Bundesrepublik weiterfilmen. Er behauptete allen Ernstes, er hätte im Dritten Reich lieber Märchenfilme gedreht als seine Fliegerfilme. Man ließ ihn reden, damit nur ja keine Diskussion aufkommt.

Was hat das nun alles mit Jannings zu tun? Jannings hat ebenfalls in einigen schlimmen NS-Filmen wie „Der Herrscher“ mitgespielt, und das fällt ihm natürlich bei denen, die die Filme kennen, zentnerschwer auf die Füße. Es liegt halt nicht „an dem generellen Desinteresse an Schauspielkunst“, sondern auch daran, dass sich keiner, der sich mit dem  Film-Erbe beschäftigt, durch ein Dickicht von Lügen und Beschönigungen kämpfen will. War Jannings nun Gegner, Mitläufer, Opportunist oder vielleicht auch Täter? Oder welche anderen Kriterien greifen hier? Man hätte es gern gewusst, aber es ist wohl zu mühsam, auch darüber noch nachzudenken.

Es ist schon symptomatisch, dass Frank Noack, der ein Buch über Jannings geschrieben hat, im Tagesspiegel einen Beitrag über Jannings schreibt und darauf hinweist, dass er ein Buch über Jannings geschrieben hat. Übrigens hieß „Madame Dubarry“ in den USA nicht „Power“, sondern „Passion“. Woran mag es nur liegen, dass man nicht einmal die Filmtitel richtig auf die Reihe kriegt?

Werner Sudendorf

Samstag, 16.06.2012

Abschied von den Fröschen

Vor vielleicht zwei Jahren gab es im „Arsenal“ eine kleine Hommage an Ulrich Schamoni, die mit „Chapeau Claque“ eröffnet wurde. Ulrich Schamoni kam in Berlin ja in vielen Verkörperungen vor; als Filmemacher, Autor, Gründer und Betreiber einer Radio- und Fernsehstation – immer also auch als Hans Dampf in allen Gassen. Er ließ sich nicht auf ein Genre festlegen und man konnte sich auch nicht darauf verlassen, dass Schamoni nur gute Filme machte. Es gab schlimme Abstürze. „Chapeau Claque“ dagegen ist ein wunderbarer Film, der gar keinem Genre angehört – wenn es so etwas wie „Faulenzerfilme“ gäbe, dann gehörte „Chapeau Claque“ dazu. Der Film spielt in dem Haus von Schamoni, das er nur verlässt, um in den Garten zu gehen. Großenteils – oder vielleicht sogar nur – ist Schamoni mit einem Bademantel bekleidet. Man muss ein bisschen Geduld haben, aber dann entwickelt der Film einen unglaublichen Charme und ein Gefühl von großer innerer Freiheit. Das Problem der Faulheit ist von Schamoni so endgültig gelöst, dass selbst Wolfgang Neuss verzweifelt ausruft: „Du mußt doch ein Ziel haben, etwas machen.“ Nein, braucht er nicht. Wir gingen aus dem Kino wie auf Wolken.
„Abschied von den Fröschen“ ist die poetische Verklärung dieser Existenz, die natürlich in keiner Weise faul ist, sondern anderen Vorstellungen, einem anderen Lebensentwurf folgt. Ulrich Schamoni hatte die Diagnose „Leukämie“ bekommen und stellt nun in der Wohnung und im Garten Kameras auf, mit denen er sein Leben und seine Welt dokumentiert. Zunächst ist man Beobachter dieses Lebens, dann wird man zu Schamonis Gast und schließlich ein Freund. Schamoni erzählt genau, wann er was aufgenommen hat, wann er wieder bei einer Behandlung war, aber vor allem begrüßt er den Zuschauer bei sich zu Hause – er erzählt die Geschichte von Hermann dem Cherusker, packt Spielzeug aus, heiratet, hat Gäste, mault über Bauarbeiten in Nachbars Garten. Einige Kameras sind mit einem kleinen Motor ausgestattet, der die Kamera einen Schwenk machen lässt. Schamoni läuft mit dem Schwenk mit, kommt manchmal aus dem Bild, dann wieder hinein. Oft beugt er sich zur Kamera herunter, spricht zu den Zuschauern, die ihn doch sehen sollen. Wir Zuschauer werden wirklich gut und mit Respekt behandelt – das ist selten, in anderen Filmen  werden wir nur noch überrollt und erschlagen von den Bildern.
Im Garten und im Haus sind kleine Figuren aufgestellt, die ihre ursprüngliche Bedeutung in diesem Kontext ins Poetische verändern. Jeder Tag ist etwas Neues, jede Stunde wird eine neue Zigarre angezündet. Das neue Jahr kommt, die Tür wird geöffnet – Schamoni bittet das neue Jahr zu sich hinein. Der Garten, die Frösche, Insekten, die Katze und die Früchte –alles spielt eine ganz eigene „Schamoni“-Musik, an der uns der Gastgeber teilhaben lässt.
Kleine dokumentarische Sequenzen aus dem Leben und den Filmen Schamonis beschleunigen den Fluss der Beobachtung. Die Montage kehrt dann wieder zu dem Hausherrn in seinem Aufzug, einem überdimensionierten Strampler, zurück.
Ulrike Schamoni hat aus etwa 150 Stunden Videomaterial einen 96minütigen Dokumentarfilm über ihren Vater montiert. In einigen Ankündigungen wird der Film als eine Dokumentation über das Sterben von Ulrich Schamoni angekündigt. Völlig falsch – das ist ein Film über das Leben, das Haus, den Garten, die wunderbare Welt des Ulrich Schamoni. So, wie Ulrike Schamoni ihren Film konzipiert hat, macht er Lust auf mehr Ulrich Schamoni. Wir möchten jetzt unbedingt eine DVD-Cassette mit seinen besten Filmen und ganz viel Bonus-Material.
Das Regenbogen-Kino zeigt in den nächsten Wochen noch mehr Filme von Ulrich Schamoni. Dafür ist mir kein Weg zu weit – und meiner ist wirklich sehr weit.
Werner Sudendorf

Samstag, 05.05.2012

Mit Marlene auf dem Kartoffelacker oder wie ich beinahe die „Berliner Morgenpost“ mit der „Süddeutschen Zeitung“ verwechselt hätte.

Vor etwa einem Monat bekam ich auf gut Glück ein Jahresabonnement der „Berliner Morgenpost“. Einfach so – ich hatte mich in eine Liste eingetragen, und zwei Wochen später steckte morgens die erste „Morgenpost“ im Briefkasten. Nun lese ich sonst immer die „Süddeutsche“, aus ganz verschiedenen Gründen. Weil sie übersichtlich und gut geschrieben ist, sogar der Sport- und Wirtschaftsteil spannend sein können und weil ich morgens Brötchen hole und neben dem Bäcker ein Kiosk ist, den man einfach unterstützen muss.

Es ist gar nicht so einfach, die „Morgenpost“ zu lesen, wenn man die „Süddeutsche“ schon durch hat. Ich versuche das seit etwa vier Wochen, aber ich habe die „Morgenpost“ immer noch nicht verstanden. Manchmal habe ich das Gefühl, in der „Morgenpost“ stehen gar keine Nachrichten, sondern nur Interna aus dem Rathaus Friedenau oder Schmargendorf. Es gibt eine bunte Seite – die gibt es in jeder Zeitung und daran kann sich jeder Leser orientieren.
Bei der „Süddeutschen“ beenden die bunten Seiten – manchmal sind es nämlich zwei – den Nachrichtenteil. Dann kommen Feuilleton mit Fernsehen, Wirtschaft und Sport. Bei der „Morgenpost“ habe ich immer das Gefühl, die bunte Seite war so uninteressant, dass ich sie schon überschlagen habe.
Das Feuilleton der „Morgenpost“ könnte in der Nähe des Kinoprogramms sein; die Kinoanzeigen sind in der „Morgenpost“ auf jeden Fall besser als im „Tagesspiegel“. Fast könnte man sagen, dass ich jetzt wegen besseren Lesbarkeit der Kinoanzeigen in der „Morgenpost“ häufiger ins Kino gehe. Das stimmt aber nicht wirklich, weil ich die Filmkritiken in der „Süddeutschen“ nicht mit den Kinoanzeigen in der „Morgenpost“ synchronisieren kann; selbst wenn ich in der „Morgenpost“ eine Filmkritik gelesen habe, denke ich immer noch, das sind Nachrichten aus dem Rathaus Schmargendorf. Ich weiss, dass ich den Filmkritikern der „Morgenpost“ damit wirklich Unrecht tue; wenn ich das richtig verfolge, schreiben die Filmkritiker aber auch über Theater – oder stimmt das auch nicht? Egal, ich weiss nach vier Wochen sowieso nicht, was und wo das Feuilleton in der „Morgenpost“ ist.
Warum ich hier so rumschwätze, hat einen ganz anderen Grund. Heute stand auf der bunten Seite der „Süddeutschen“, die etwas hochtrabend „Panorama“ heißt, ein Artikel über Marlene Dietrich, der in der „Morgenpost“ nicht weiter aufgefallen wäre, aber eben nicht in der „Morgenpost“, sondern in der „Süddeutschen“ stand. Unter der Überschrift „Triumph des Eros“ schreibt Martin Zips zum 20. Todestag von Marlene Dietrich.
Wer ist Martin Zips? Zips hat beispielsweise Paul Kuhn zu den Zapfenstreich – Musiken beim Abschied des Bundespräsidenten befragt, er hat den Pächter der ältesten Tankstelle Deutschlands interviewt und die Fotografin Ingrid von Kruse darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Coverbild des Gesprächsbuches Helmut Schmidt/Peer Steinbrück „falsch“ war. Zips schreibt also eigentlich nicht, sondern spricht mit Menschen und schreibt das dann auf. Die Menschen, mit denen Zips spricht, haben immer etwas Besonderes an sich oder können jedenfalls was Besonderes erzählen – so wie Hans Pleschinski.
Hans Pleschinski ist, wie jeder gebildete Mensch weiss oder nachsehen kann, Autor, Herausgeber und Übersetzer. Das Besondere an Hans Pleschinski ist, dass er 1980 Marlene Dietrich in Paris im Kino St. Andre des Arts begegnet ist. 1979 hatte sich Marlene nach einem weiteren Sturz entschlossen, ihre Wohnung nicht mehr zu verlassen. Sie zeigte sich weder Billie Wilder noch Hildegard Knef. Aber sie ging ins Kino und dort  sah Pleschinski „eine kleine hutzlige Frau, schäbig angezogen. Sie trug Stiefel und einen durchsichtigen Regenumhang und wirkte wie eine pommersche Bäuerin auf dem Kartoffelacker. Es war die Dietrich, Irrtum ausgeschlossen.“
Und ging ins Kino – trippelditrapp – wie pommersche Bäuerinnnen auf dem Kartoffelacker das so machen wenn sie in Paris sind.
Pleschinski beschreibt übrigens diese Szene in seinem Roman „Bildnis eines Unsichtbaren“, der bei Hanser erschienen ist, 271 Seiten hat und 19.90 Euro kostet.

Martin Zips wäre kein SZ-Reporter, wenn er  neben dem Buchtitel nicht noch etwas Aufregendes aus Hans Pleschinski herausholen würde. „Auch wenn es heisst,“ so Pleschinski, „sie habe in ihren letzten zwölf Jahren bis zu ihrem Tod 1992 das Bett ihres Pariser Appartements nicht mehr verlassen, so kenne ich doch eine Reihe von Personen, die sie da und dort gesehen haben wollen.“

Genau, genau – die kenne ich auch.

Mittwoch, 04.04.2012

Filme der Fünfziger VI

1950 wurde die Schauspielerin Sonja Ziemann mit „Schwarzwaldmädel“ von Hans Deppe die beliebteste Filmschauspielerin Deutschlands; die Kinobesitzer liebten Sonja Ziemann und das Geld, das ihnen „Schwarzwaldmädel“ einbrachte. Ein Jahr darauf gelang der Berolina Film mit „Grün ist die Heide“ – wieder mit Ziemann in der Hauptrolle – ein noch viel größerer Erfolg. Alle waren verrückt nach dem Traumpaar Sonja Ziemann/ Rudolf Prack. Nun möchte man sich vorstellen, dass ein skrupelloser Agent – etwa so jemand wie der Romy-Stiefvater Blatzheim, dem in manchen Biographien auch noch schändliche Inzest-Gelüste nachgesagt werden – das Paar Ziemann/Prack in immer noch prächtigeren Schmonzetten verheizt. Aber es war alles viel banaler, denn es folgten zwei Filme, die gar nichts mit dem Heimatfilm, aber viel mit deutscher Befindlichkeit zu tun hatten.
Anfang der fünfziger Jahre scheint es Wohnungsnot gegeben zu haben; in der real-Film Produktion „Schön muss man sein“ (1950/51) schlafen Vater und Sohn Holunder (Willy Fritsch und Hardy Krüger) in einem Zimmer. Die beiden sind Komponisten und gute Kumpel. Sie führen ein flottes Junggesellen-Leben; die Küche ist eine groteske Schweinerei, das Wohnzimmer von Parties versifft – so wie Männer ohne Frauen eben leben. Anny Ondra spielt eine verzickte und dauerbeleidigte Operettensoubrette, Rudolf Platte einen verzweifelten Theaterdirektor. Der Film wurde von Akos von Rathonyi inszeniert. Die Biographie des Regisseurs, die man bei Wikipedia nachlesen kann, ist ungleich interessanter als seine Filme. In dieser Verwechslungskomödie versucht er einige Balletszenen nach Busby-Berkeley-Manier aufzulösen. Das geht in „Schön muss man sein“ genauso schief wie in „Maharadscha wider Willen“ (1950), gleichfalls eine Rathonyi-Inszenierung.
„Schön muss man sein“ ist kaum mehr als ein auf Länge getrimmter Herrenwitz. Ein „Irrenarzt“ untersucht Annie Ondra und stellt schwere seelische Störungen fest, Hans Richter schminkt sich auf Neger und färbt ab. Auf einen Farbigen ist die Zeile gemünzt „Ich sehe schwarz“. Lieder werden gesungen und das rrr wird gerollt – wir haben es mit echten Schauspielern zu tun. Hardy Krüger mit seiner Haartolle bekommt Sonja Ziemann als Braut, und Willy Fritsch geht leer aus.
Noch katastrophaler ist „Maharadscha wider Willen“, eine CCC-Produktion; ein Haarwuchmittelfabrikant (Kurt Seyfert) flieht vor seinen Kunden ins Ausland, in den Ort Zet. Dort gibt es einen Doktor, der die Haare zuverlässig wieder wachsen lässt, den man aber den ganzen Film über nicht zu Gesicht bekommt. Die Tochter des Fabrikanten (Sonja Ziemann) folgt dem Vater im Auto eines Maharadschah, der inkognito nach Zet fährt. Sein Sekretär ist Rudolf Prack. Interessant ist in diesem Film, dass man ohne Pass und Reisegenehmigung nicht über die Grenze kommt und dass Sonja Ziemann vor ihrem Vater einen Bauchtanz aufführt. Das gute am Inzest ist ja, dass er so bequem ist. Deshalb kommt er auch immer mal unter dem zeichen „Hoppla, das wär ja jetzt was gewesen“ im deutschen Film vor. Und ganz deutlich sieht man, dass Rudolf Prack als die bürgerliche Nachkriegsausgabe von Willy Birgel angelegt ist. Prack reichen als schauspielerisches Rüstzeug ein Anzug und ein steifer Rücken. Georg Thomalla hat eine Rolle als Attentäter. Das ist, zwei Jahre nach dem Tod von Gandhi, besonders geschmacklos.
Beide Filme wurden schon bei ihrer Uraufführung von der Kritik verrissen. Weil sie aber so lieb war, blieb Sonja Ziemann weiterhin populär und überstand diese Plotten, die für sie und andere gestrickt wurden.

Sonntag, 18.03.2012

Bücher, die man leicht übersieht

William Gillespie: Karl Ritter. His Life and „Zeitfilms“ under National Socialism.
German Films Dot Net. Australien 2012.

Karl Ritter war einer der erfolgreichsten Filmregisseure im Dritten Reich, ein, so sagte er von sich, überzeugter Nazi, der wie so viele nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft wurde. In der Nachkriegszeit hat er in der Bundesrepublik noch einige Filme gemacht. Heute kann man die NS-Filme nicht sehen und auch nicht auf DVD bekommen; die Nachkriegsfilme sind fast genauso schwierig.
Es gibt ja ein Berührungsverbot mit dem NS-Film; die Vorbehaltsfilme, vormals Verbotsfilme, dürfen nur mit Einführung und wissenschaftlicher Begleitung gezeigt werden. Als DVD sind sie nicht erhältlich. Alle anderen Filme gelten als unpolitische Unterhaltungsfilme, was natürlich auch grober Unsinn ist. Aber offiziell sieht es so aus als käme der Nazi-Film als Filmerbe in unserer Lebenswirklichkeit nicht vor. Damit haben wir die Geschichte ganz prima entsorgt und brauchen uns darüber keine Gedanken mehr zu machen. Wer die Vorbehaltsfilme oder mehr als nur das schmale Angebot an „unpolitischen“ Unterhaltungsfilmen sehen will, der wird auf die Piratenseiten oder die Seiten von rechtsradikalen Organisationen getrieben. Deutsche Filmgeschichte zwischen 1933 und 1945 ist ein Tabu-Thema und auch wieder nicht. Sagen wir mal so: Unser Verhältnis zum deutschen Film zwischen 1933 und 1945 ist etwa so wie das  Verhältnis des Vatikans zur Empfängnisverhütung.
Natürlich gibt es jede Menge wissenschaftliche und akademische Literatur zum NS-Film; das ungeliebte Erbe wird ja unter jedem denkbaren ideologiekritischen Aspekt untersucht. Demgegenüber gibt es die Gruppe der Historiker, die uns beweisen wollen, dass alles ganz anders, nicht so schlimm und schon gar nicht ideologisch war. Die deutschen Filmschaffenden, so die Thesen, waren entweder unpolitisch oder heimlich gegen das System. Wer also wie Harlan einen Film wie „Jud Süss“ drehte, der wollte vor allem verhindern, dass der Film noch schlimmer, noch antisemitischer wurde. Die intellektuellen Verrenkungen, um Harlan, Jannings und andere zu retten, sind immer bedeutend gewesen.

Karl Ritter, so ein deutscher Filmhistoriker, ist vor allem ein Action-Regisseur, er ist unser Howard Hawks . Das kann man leider kaum nachprüfen, denn die Filme darf man nicht sehen, aber es mag schon stimmen. Wäre „Only Angels have Wings“ in Deutschland gedreht worden, wäre das auch ein deutsches Heldenstück geworden. William Gillespie hat jetzt das erste Buch über Karl Ritter vorgelegt. Das ist keine Anlayse seiner Filme, sondern ein Bericht über das Leben Karl Ritters – eine Art erweiterter Chronik. Dazu gibt es Texte von Karl Ritter, eine englische Übersetzung der deutschen Publikation über Karl Ritter von Kurt Höllger und Dokumente aus der Sammlung von Gillespie. Das alles ist auf englisch erschienen und eigentlich nur über www.germanfilms.net oder http://www.ihffilm.com zu bekommen.
Immerhin, das ist ein Anfang.

PS: Die erste Auflage von Bernard Eisenschitz`Buch über Fritz Lang ist übrigens schon vergriffen. Wer es jetzt nicht hat, ist  eben neese.


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