Einträge von Wolfgang Schmidt

Montag, 02.05.2005

objet trouvé

Man kann sich vor BREAKFAST AT TIFFANY’S setzen und auswählen, aussortieren, was gehört in die fünfziger Jahre, was in die Urzeiten der Filmgeschichte, was weist in die Moderne, was ist modern. Angelpunkt all dieser Unternehmungen bildet das unumstößliche Sofa in Holly Golightly’s Living Room – eine nicht ganz zur Hälfte aufgeschnittene Badewanne, versehen mit Sitzkissen. Die Armaturen in Kupfer sind augenscheinlich dekorativer Filmquatsch, um die Absurdität dieses Gegenstandes zu unterstreichen, denn der Wasserhahn ist nicht notwendig mit der Wanne verbunden. So wie die Filmhandlung stets bemüht ist, elegant ihre eigene Grundlage zu umschiffen, dass es sich nämlich bei den beiden Hauptfiguren im eigentlichen Sinne um Prostituierte handelt, erinnert die Badewanne in einer niedlich dargereichten Form an Marcel Duchamps/Man Rays Urinale in Richtung der Vergangenheit und Sofas aus der FACTORY andererseits, auch wenn es so etwas dort vielleicht nie gegeben hat. Und dass sie einem überhaupt als Objekt auffällt, braucht einige Male wiederholten Sehens.

Pfadfinderschwüre (Cross my heart and kiss my elbow!) und die Darlegung tiefster Depressionen als THE MEAN REDS (in Anlehnung und Steigerung des BLUES) markieren die Reibungsverluste, die in der Vermittlung von bodenlos nicht geerdetem Großstadtleben und ländlicher Herkunft auftreten. Ein Film auch über Ungleichzeitigkeit und Integrationsversuche. In diesem Sinne handelt es sich bei dem Badewannensofa um eine Art Zeitbrücke.

Samstag, 16.04.2005

Mutterboden

Der Kriminalpolizist läuft in den Film L’HUMANITÉ (Bruno Dumont) hinein, um sich mit der Erde zu vereinigen, wenn er denn der Länge nach hinfällt und sein Gesicht im frisch gepflügten Acker vergräbt. …So kann die von ihm vorgenommene Liebkosung der Delinquenten im späteren Verlauf – rätselhaft bleibt sie eh – als Versuch der nicht auflösbaren sozialen Integration der überführten Verbrecher gelesen werden. Ihr seid Fleisch, wie ich Fleisch bin. Der Begriff, der diese Bewegungen beschreibt, ist der Begriff der Religion, dessen eine etymologische Quelle auf religare verweist, zurückbinden, Rückbindung. – Ein Gedankenblitz schlägt mir vor, auch die namenlos Gefallenen in Thomas Schultz ZWISCHEN GEBÄUDEN als Rückgebundene zu sehen. – Das obsessive Ins-Bild-Setzen der Vulva, der geschändeten sowohl als der wartenden, bei gleichzeitig gezeigter Vergeblichkeit physischer Vereinigung der Geschlechter im Sinne einer rückbindenden Erlösung beschreibt ein Dilemma, aus dem heraus Pasolinis TEOREMA über die Einführung eines Heilsbringers noch eine Gesellschaftsutopie formulieren konnte. Der Polizist in L’HUMANITÉ mag ein Initiierter sein – er überwindet die Erdenschwere ähnlich wie die Hausangestellte in TEOREMA – ein Heilsbringer ist er nicht. Einzig seine Sehnsucht nach einem umfassenden Leben – er zerkrümelt den Mutterboden seines Schrebergartens mit Hingabe – lässt seinen Antrieb ahnen, der jedoch gänzlich private Utopie bleibt und Erinnerung an Frau und Kind, die er verloren hat. So macht auch die Ausleihe des Bildes seines Ahnen Sinn, mit dessen Hilfe er sich einer Familiengeschichte versichert. Alles zielt auf Verortung als Basis von Identität. Das Spiel der Darsteller unterstützt diesen regionalen Zug, indem ihr Kamerawiderstand stetig zu sagen scheint: Ich bin nicht verallgemeinerbar.

Dienstag, 26.10.2004

So foul and fair a day I have not seen.

Drei Küchen

1 – Der Schreibtisch vorm Fenster, Mimmi – im Gegenlicht – legt eine Kassette in den Rekorder ein (Guilty By Association/VIK CHESTNUTT), wendet sich nach rechts aus dem Bild. Nach dem Einsatz der Musik erfolgt der Umschnitt auf eine frei im Raum stehende Küchenzeile: Hängeschränke, Bodenschränke – dazwischen ein Spalt mit Ausblick auf einen kleinen Fensterausschnitt im Hintergrund. Mimmi nimmt das zuvor geschmierte Butterbrot auf, wendet sich in den Raum hinein, blickt zum Fenster hinaus, das jetzt außerhalb des Bildes liegt. Alles bildbestimmende Licht kommt von hier. Sie isst das Brot. Sie hört der Musik zu. Das ist alles. Da es aus Kamerarichtung keine merkbare Aufhellung gibt, liegt fast die gesamte Szenerie im Dunkel und Mimmi ist mehr konturiert, als dass man sie sieht. Dazu steht sie Kamera abgewandt. Trotzdem füllt sie den Raum mit Widerstand an. Ihr Eigensinn durchwirkt das Bild; kein Tappen im Dunkel, kein Fischen im Trüben. Mimmi besetzt die Kategorie der Radikalität. Das ist ein Vermögen der Darstellerin, das sich die Regisseurin für ihre Figur nutzbar zu machen versteht. PLÄTZE IN STÄDTEN

2 – Durch das große Fenster des Living zum Vorgarten hin sieht man Eric auf die Haustür zulaufen. Er öffnet, durchquert den Wohnraum auf die Kamera zu und biegt in die helle gelbe Küche ab, die wiederum amerikanisch zu einer Essecke hin geöffnet ist. Aus dem Kühlschrank bedient er sich an einem Plastikkanister mit Milch, indem er ihn zwanglos zweimal an die Lippen setzt und zwischendurch zum Fenster hinaus schaut. Dabei geht er im Küchenrund einmal im Kreis, stellt die Milch in den Kühlschrank zurück, verlässt die Küche zum Esszimmer hin und verschwindet in einem Türrahmen im Hintergrund. Im Ton ist zu hören, dass er die Treppe zum Basement hinunter läuft. Alles in einer Einstellung, die ohne künstliches Licht auskommt und in der jederzeit alles zu sehen ist. Um Eric herum gibt es kein Geheimnis. Das führt zur paradoxen Situation, dass aus Unaufdringlichkeit ein Sog entsteht und man zu spüren meint, soviel USA war nie. Das Wort von der Errettung der äußeren Wirklichkeit scheint hier konkretisiert. Die Last der Suggestion bürdet sich nicht auf, was als Befreiung erfahren wird. ELEPHANT

3 – In Sophies Arbeitsraum befindet sich hinten links eine Küchenecke. Durch die Fenster dringt spätes Sonnenlicht, so dass von der Küche nur Schemen zu erahnen sind, denn sie liegt außerhalb der Einstrahlung. Nach der reminiszenten Betrachtung einiger Fotografien auf dem Arbeitstisch befindet sich die Fotografin nach dem Umschnitt vor dem Kühlschrank und entnimmt ihm eine Wasserflasche. Diese Aktion zu verfolgen gestattet einzig die Kühlschrankinnenbeleuchtung, die beim Öffnen der Tür ein kurzes Gegenlicht erzeugt. Sophie setzt die Flasche an die Lippen, leert sie und trägt sie zur Leergutkiste, die wiederum im Sonnenlicht steht. Dem dummen Wortspiel zum Trotz ist diese Einstellung leer oder erscheint falsch. Die an Naturalismen orientierte Gegenlichtfotografie reizt zwar das Material aus, wodurch sie das Bild in Spannung versetzt. Sie dekoriert quasi Sophies offene Fragen, die in einem – Was ist als nächstes zu tun – zusammenzufassen wären. Da aber nicht der unfokussierte Charakter einer Darstellerin den Raum füllt, sondern eine Schauspielerin versucht, das Bild mit dem Charakter einer Figur aufzuladen, entsteht eine unproduktive Reibung – zwei Dinge schleifen aneinander in gleicher Stoßrichtung – die keine Dichte erzeugt. MARSEILLE

Epilog – In einer geheimnislosen Küche sitzt der Kommissar am Küchentisch, seine Mutter arbeitet an der Küchenzeile im Stehen. Auf dem Küchentisch vor dem Kommissar liegt ein feuchtes Küchentuch. Der Kommissar in etwa: DAS STINKT! Die Mutter ist empört. Großartige Alltagsbeobachtung. L’HUMANITÉ

Dienstag, 21.09.2004

Le velours rouge

Beim Betreten der Neubauwohnung fordert Camille für die noch kahlen Fenster roten Samt als Vorhangstoff ein. Wenn der Freund Pauls – offensichtlich Filmausstatter – aus Spanien zurück ist, wird dieser Wunsch in Erfüllung gehen, sichert daraufhin Paul zu. Dieses fin-de-siècle Verlangen, roten Samt um die Fenster zu drapieren, das zumindest altmodisch zu nennen gestattet sein muss, steht in seltsamem Kontrast zur Modernität der Frauenfigur, die Brigitte Bardot hier verkörpert – denkt man zunächst – den Vergleich zur noch kargen Möblierung zu Rate ziehend, die – auf der Höhe der Zeit – die klassische Moderne zitiert oder interpretieren will. Die Suche nach den Grundfarben auf der Möbelbespannung wird 1963 nicht lange gedauert haben. Tatsächlich liegt aber in dieser Vermischung der Dekors die Vorstellungswelt einer Barbiepuppe verborgen, einer Puppe, die nahezu simultan das Licht der Welt erblickte und die auf gebildeten Geschmack keinen Wert legt, da sie nicht weiß, was das ist: Amerika ist wunderbar und befreit von dieser Art Konvention. Camilles Perückentick unterstreicht diese Parallelität geradezu. Somit hat sie die Modernität der Möblierung bereits überrundet. Ein Teil des Welterfolges der Bardot wird darauf zurückzuführen sein, dass sie in der Lage war, gleichzeitig für altes Europa und Camp eine Projektionsfläche zu bieten; das lebende europäische Missing Link zur Campbell-Dose. Paul wird später in Wut bereuen, sich auf eine 28-jährige Tippse eingelassen zu haben – einer Antwort auf all die ungezählten Telefonistinnen, um die es zwanzig bis dreißig Jahre zuvor in amerikanischen Filmen zu buhlen galt. Bevor es dort allerdings zum Eheleben kam, wurde bereits abgeblendet. Was somit aufgeschlagen wird, würde bei Klaus Heinrich wahrscheinlich GESCHLECHTERSPANNUNG heißen und über Marilyn Monroe wurde angesichts von MISFITS einmal vom hohen Maß an intuitiver Emanzipation gesprochen. Wir unterbrechen! Ballett.

Ort der Handlung: Cinecittà. Eingeführt mit Hilfe der ersten Einstellung des Films, in der Francesca völlig pur das ist, was sie den ganzen Film hindurch bleiben wird: Assistentin. Im Hintergrund sehen wir dabei, wenn mich nicht alles täuscht, die Neubauwohnung von Camille und Paul in Hanglage. Und ebenda in Cinecittà, jedoch an anderem Orte: Der alte Regisseur, Grandseigneur seines Wesens, verlässt den Projektionsraum und drückt seinem bekittelten Scriptgirl das Drehbuch in die Hand. Kaum vernehmbar, auf Deutsch: HIER, KLEINES, NIMM MAL DEN QUATSCH, ICH KOMM DANN SPÄTER NACH. Die Szene ist eröffnet, und indem ihr Signora Francesca Vanini gleich zu Anfang ins Off entzogen wird, ist auch jede Form immanenter Sprachübersetzung aus dem Spiel genommen, so dass bis zu ihrer Rückkehr gar keiner groß zu reden braucht. Zunächst entwickelt sich alles traditionell-organisch. Paul steht außen an der Studiowand vor dem HATARI-Filmplakat, Camille, von links die Treppe hinunterkommend, will auf ihn zustürzen, wird aber durch Prokosh in seinem roten Alfa Romeo, der ihren Weg kreuzt, kurz daran gehindert. Camille und Paul umarmen einander, während Prokosh neben ihnen zum Halten kommt. Zuvor im Projektionsraum hatte er bekundet: OH, I LIKE GODS – I KNOW EXACTLY HOW THEY FEEL, was in der lakonischen Übersetzung Francescas noch eine Zuspitzung erfährt: MONSIEUR PROKOSH AIME LES DIEUS. Hier nun als Deus in der Maschine würdigt er Camille keines Blickes, als sie ihm von Paul vorgestellt wird. Ganz im Gegensatz zu Fritz Lang, der, da durch Alter dem Geschlechtermessen entzogen, allerlei wohlanständige Formen für dererlei Einführungen zur Verfügung hat. Jetzt aber: Pas de deux, allerdings für eine Solo-Tänzerin. Camille entzieht sich dem Gespräch von Paul und Fritz Lang und umkreist, nach außen völlig motivationslos, den Sportwagen von Prokosh. Wie, um zu erkunden, was es mit dessen Verächtlichkeit auf sich hat – dabei die Unschuld in Person. So etwas nennt man kokett, möchte man sagen, so dass die Entrüstung anlässlich des Angebotes von Prokosh, mit der sie das Eingreifen ihres Mannes erzwingen will, etwas aufgesetzt wirkt. Im flexiblen Handhaben der Ebenen ist sie modern, verlangt aber von ihrem Mann, altmodisch zu sein. YOUR POWERS OF PERSUASSION, YOURS QIZZICAL EYES/HAVE TIRED AND TIED ME, WITH INNOCENT GUILE heißt es bei den Pet Shop Boys (So sorry, I said) oder INTUITIV BERECHNEND, so der Vorwurf gegenüber einer Frau meiner Lebenswelt. Das läuft konträr zu einer Bewegung des Films, Paul als Beziehungseinfaltspinsel hinzustellen, dumpf gegen die Aufrichtigkeit seiner Frau. Mag Camille schlicht sein, ihren Empfindungen kann sie scheinbar blind vertrauen. TU VERRAS – JE TE CONNAIS, JE TE CONNAIS! – prophezeit sie Paul, dessen Opportunismus beschwörend, auch wenn sie diesmal ein Opfer ihrer eigenen Intuition geworden ist; – denn tatsächlich wird Paul das Filmscript letztlich nicht beenden, da Camille zuvor zu Tode kommt. Das ist die Sache mit der Frau, die in jeder Oper, in der es um Liebe geht, nach Kluge im fünften Akt geopfert wird.

AM ANFANG SCHUF GOTT HIMMEL UND ERDEN/UND DIE ERDE WAR WÜST UND LEER/UND ES WAR FINSTER AUFF DER TIEFFE/UND DER GEIST GOTTES SCHWEBET AUF DEM WASSER. (Erstes Buch Mose, I,I, – in der ersten Luther-Übersetzung) Was immer das heißen mag, zumindest macht es deutlich, dass neben Gott auf alle Fälle auch das Wasser schon vor der Erschaffung der Welt seinen Platz hatte. In LE MÉPRIS wird durchweg vom Land aufs Meer hinausgeschaut, nie wird man der Villa Malaparte von der Seeseite angesichtig. In einer zugegeben etwas vulgär-psychoanalytischen Sicht mag das heißen, dass das Weibliche beim Start mit Gott auf gleicher Höhe stand. Der Film trägt dem Rechnung, indem er mit gleicher Ruhe aufs Meer blickt wie auf den Körper der Frau; und beide stehen dabei für etwas Ewiges, etwas ewig Ruhendes. D.h., es kann sich nur um den Blick eines verliebten Mannes handeln. Farocki weist darauf hin, dass es sich bei LE MÉPRIS um das Landschaftserleben durch das Medium der Liebe handeln könnte, wobei sich dieser Landschaftsgenuss nur für den Kinozuschauer ergibt. Die Protagonisten scheinen derart beschäftigt und gefangen, dass sie fürs Naturschöne, dem Nichtidentischen schlechthin, gar kein Auge haben. Godard ist dabei, wie immer eigentlich, der Meister des Wandelns zwischen Fläche und Tiefe. Caspar-David-Friedrich-Einstellungen mit entfliehendem Horizont, wie am Anfang des langen Spaziergangs von Paul und Fritz Lang, der uns den Disput über die Treue oder Untreue der Frau des Odysseus bringt, stehen im Gegensatz zu flachen Einstellungen, oft von der schmollenden Camille. Unter Spannung gesetzt werden sie zumeist mit spätromantizistisch-schwelgender Musik, die in diesem Film durchweg Tiefe durch opulente Süße suggeriert. In ihrer überhöhten Schattenrissdramaturgie breitet sie sich dabei erstaunlicherweise ohne Anwandlung jeglicher Psychologisierung aus, was den Genuss ungetrübt lässt.

LE MÉPRIS ist neben allem anderen eine gültige Inkarnation mediterranen Sommers, des Sommers überhaupt. Wie immer an dieser Stelle muss Irina Hoppe zitiert werden, die eines Sommers anlässlich einer Godard-Retrospektive in einem Kudamm-Kino davon sprach, dass es im Godard-Film ebenso hell ist, wie anschließend beim Hinaustreten am Nachmittag auf die belebte Straße, bruchlos.

Als Signora Francesca Vanini in die Szene zum roten Alfa Romeo zurückkehrt, um die Einladung Prokoshs an Camille zu übersetzen, hat sich ein langer Grashalm in ihren Haaren verfangen. – Eine Erzählung über eines der Dinge zwischen Himmel und Erde, über die wir noch sehr wenig wissen.

Silenzio.

Montag, 31.05.2004

zurechtrücken

Irgendwo in den unten angeführten Blogs war vor Tagen vom ‚Schanelec-Kameramann Reinhold Vorschneider‘ die Rede. Dazu:

Als Mick Jagger bei der Vorstellung der Bandmitglieder der Stones den Drummer mit den Worten einführte: – und das ist mein Drummer – hat der Drummer ihm sofort einen vor den Latz gehauen.

Montag, 17.05.2004

Stimmungen/Gestimmtheiten

zu ästhetischen Verfahren der Filme
Elephant / Gus van Sant
La fille seule / Benoit Jacquot

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie:

Schwebung

Schwebung bezeichnet die Resultierende der additiven Überlagerung zweier sinusförmiger Schwingungen, die sich in ihrer Frequenz nur wenig voneinander unterscheiden.

Empirie

Die Schwebung beschreibt den Eindruck, statt zweier zusammenklingender Töne einen Ton zu hören, dessen Frequenz der mittleren der beiden Töne entspricht und dessen Lautstärke durch die Differenz der Frequenzen der beiden Obertöne moduliert wird. Übersteigt der Frequenzunterschied ca 20 Hz, vernimmt man einen Ton rauer Klangfärbung, der sich bei weiterer Vergrößerung der Frequenzdifferenz in zwei Einzeltöne aufspaltet.

Wäre das Ohr ein idealer Frequenz-Zerleger, sollte diese Modulation gar nicht auftreten. Eine lineare Überlagerung zweier Frequenzen erzeugt keine neuen Töne (s.a. akustische Täuschung. Nichtlinearitäten des Gehörs erzeugen Differenz-Töne, die objektiv nicht vorhanden sind. Akustische Täuschung).

Sonntag, 18.01.2004

pitching

Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Fernsehredaktionen und Filmförderungsgremien

pitch 1. tr errichten, aufstellen; (Zelt) aufschlagen; werfen, schleudern, stoßen; aufladen; festsetzen, -legen; (e-n Trumpf) machen, bestimmen; mus (Ton) angeben; (Instrument) stimmen; fig. (Erwartungen) hochschrauben; Am sl auf der Straße verhökern, anpreisen; (e-e Party) geben; itr ein Lager aufschlagen, Stellung beziehen; der Länge nach hinfallen, hinschlagen; verfallen (on, upon auf); (aus)wählen (on, upon s.th. etw); sich festlegen (on, upon auf), sich entscheiden (on, upon für); vornüberneigen, -kippen; (to – down) aero abkippen; (Schiff) stampfen, fam herfallen, sich hermachen (into über); (mit Worten) fertigmachen (into s.o. jdn); Am sl als Straßenverkäufer tätig sein, sich ins beste Licht setzen, übertreiben, aufschneiden; to – in (fam) sich schwer ins Zeug legen, sich tüchtig ‚ran, an die Arbeit machen; loslegen, zupacken; to – out hinauswerfen; to – upon sich entscheiden für; …
2. s Pech n; tr verpichen; mar teeren; who touches – shall be defiled (prov) wer Pech angreift, besudelt sich; as dark as – schwarz wie die Nacht; mineral – Erdpech n; –black pechschwarz; –blende Pechblende f; –dark stockfinster; – pine bot Pechkiefer f; -y mit Pech beschmiert; pechartig; pechschwarz.

Freitag, 24.10.2003

… und der Penny wird genommen und das Bett wird gemacht,
es wird keiner mehr drin wohnen in dieser Nacht.

Gerade aus DOGVILLE gekommen. Großartiger Wurf – das muss ihm der Neid schon lassen – aus einer Songzeile solch einen Aufriss zu machen – und durchzuhalten. „Und dann werden sie mich sagen hören: Alle!“ – ist ihm ausnehmend gut gelungen. Mit dem anschließenden „Hoppla!“ hapert es allerdings noch ein wenig.

… und man sagt: Was lächelt die dabei?

Das schönste HOPPLA finde ich nach wie vor das von Hildegard Knef auf der Aufnahme aus den Sechzigern – eine Mischung aus Lakonismus, Überraschung und Verschmitztheit. Juliette Gréco macht es zu engagiert, als wäre sie selbst das Fallbeil. Georgette Dee, denkt man zunächst, findet einen neuen Zugang, bleibt aber in Manierismen stecken. Sie alle üben die gerechte Rache. Und da Gerechtigkeit schon gar keine Rolle mehr spielt, ist sie weit schöner und reiner, eine Kinderallmachtsphantasie – ihr werdet büßen, was ihr mir angetan habt. Brecht zumindest hat das Lied einem verzogenen Gör in den Mund gelegt – und belässt es bei einem solitären Lied. Einzig die Zuarbeiter von Mackie Messer loben es als wahre Kunst.

… und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.

Kleine stämmige Jungs, richtige Biester also, die von ihrer Lehrerin geschlagen werden möchten, sind irgendwie auch nur Regisseure.

Sonntag, 05.10.2003

Kategorie des Zusammenhangs – Filme im Spätsommer

Das Rauschen der Toilettenspülung eröffnet den Film. Die unverdauten Reste drängen sich so in den Vordergrund, während der Blick freigegeben wird ins Abseits, auf eine Art Nicht-Raum, von dem aus sich die Wohnung erschließt – eine Tür und Lichteinbrüche von der Seite deuten darauf hin. Eines Morgens, der Prozess des Aufstehens. Halten sich die Personen in der Küche an der Spüle auf, erfährt die Filmhandlung wesentliche Wendungen. Dieser Ort befindet sich in extremer Unterbelichtung. Das kinderlose Paar, unverheiratet, unabhängig mittels einträglicher Lohnarbeit, erlebt eine Krise, ausgelöst durch die Ankunft des etwa siebenjährigen Sohnes des Mannes aus erster Ehe. Dessen Mutter kann sich vorübergehend nicht um ihn kümmern. Musik gibt es, sehr selten zwar und aufs Äußerste hermetisch – eine einzelne Geige wird bis auf den Nerv gequält. In diesen Augenblicken meint man zu ahnen, was Krümmung des Raumes bedeuten kann. Als Geste der Revolte schließt sich der Sohn auf dem Klo seiner Zieheltern ein. Wiederlesen, was Kaja Silverman in Bezug auf die Einleitungssequenz von WEEKEND zum Zusammenhang von Ausscheidung und Geld geschrieben hat, fällt mir ein (Silverman/Farocki: VON GODARD SPRECHEN, Berlin 1998). Musch-muschi (o.ä.) wird in Japan offenbar zur Eröffnung des Telefongesprächs gesagt und muss soviel wie HALLO!? bedeuten. Soviel Japanisch lernt man in diesem Film. Zahlreiche Ferngespräche legen die Einübung einer Formel nahe. Nach der Abreise des Sohnes und durchlittener Krise offenen Ausgangs öffnet sie die Jalousien und Rollos der Fensterfront, um den Morgen hereinzulassen. Diesmal steht sie im Gegenlicht. m/other, Suwa Nobuhiro, Japan 1999

Zunächst fällt die Schäbigkeit auf, das betont ästhetisch Unzusammenhängende, der schlampig behandelte Ton, so dass im Prozess der Herstellung von DIE VERDAMMTEN nicht Viscontis Absicht gelegen haben mag. Ein italienischer Regisseur macht einen Film über eine deutsche Industriellenfamilie am Beginn des verfassten Faschismus, in dem der Patriarch zunächst mehr an einen Mafia-Boss erinnert, als an deutsche Stocksteifheit. Schauspieler aus aller Herren Länder sprechen mit ihren landesspezifischen Akzenten ungeniert Englisch und behaupten den Alltag großbürgerlicher Dekadenz. Helmut Berger spricht österreichisch Englisch, Helmut Griem deutsch und Ingrid Thulin noch hölzerner. Originalton und nachsynchronisierte Sprachaufnahmen wechseln innerhalb laufender Dialoge merklich hörbar ab. Aber es scheinen nicht die Farbtropfen auf den Bildern der fünfziger und sechziger Jahre zu sein, die die Authentizität der Herstellung nachweisen sollten und die man Warhol erst ausreden musste, bevor er seinen Stil fand. Es war einfach der Mühe nicht wert, möchte man meinen. Alle Grandezza in der Aussage. Ohne es belegen zu können, scheint mir, hat dieser Film eine Welle losgetreten von Nachfolgern, die Faschismus, exotischen Sex und Formen der Dekadenz über die siebziger Jahre in eins bringen wollten. Ruppigkeit der Form als gesetzter Anti-Naturalismus, also doch wieder Tropfen. Fassbinder wird seinen Visconti gesehen haben. Schmierig-verdichtende Zooms, die in einer psychologisierenden Bewegung aus einer Raumtotalen auf dem Gesicht eines Darstellers landen, der dann Ausdruck ausdrückt. Puppenspiele. Und doch sind es gerade diese Posen, eingekratzt, worin der Film seine Nachhaltigkeit entwickelt. Es darf nicht mehr berühren, weil zu schick gedacht und zu kurz, aber es tut es. Film als Oper, die des Singens als brechendem Artefakt des Alltags gar nicht mehr bedarf.

Wovon UMILIATI erzählt, kann ich gar nicht sagen, denn die Darsteller sprechen Italienisch (siehe dazu die Besprechung des Films von Jacques Rancière). Italienisch klingt mir wohl im Ohr, verstehen tue ich es nicht. Weil die Lektüre der Untertitel keinen Blick mehr erlaubte, gab ich das Lesen alsbald auf. Zu Beginn wird aus Papieren rezitiert, über und über mit Anmerkungen versehen. Die Einstellungen gestatten, diese Notizen zu sehen. Was für eine fade Konzeptidee, dachte ich zunächst. Später dann lösen sich die Darsteller davon ab, sprechen frei, in einem Duktus, wie man ihn in Straub/Huillet-Filmen erwarten würde. Kategorie der Radikalität. Manfred Blank erzählte die Anekdote aus KLASSENVERHÄLTNISSE: – auf einem Balkon stehend, hatte er einen ellenlangen Monolog zu sprechen. Die Einstellung hätte Tafeln außerhalb des Bildes ohne Weiteres erlaubt, aber Straub/Huillet bestanden auf der auswendig gelernten Wiedergabe des Textes. – Nach den anfänglichen Titeln wird die Einleitungsmusik minutenlang über Weißfilm zu Ende geführt. Soviel Musik war nie (Musik: Edgar Varèse). Nun könnte man ein solches Vorgehen als pubertär rebellische Aktion abtun, als ein gegen-konventionelles Handeln, also doch wieder an die Konvention gebunden. Der nachfolgende Film macht allerdings deutlich, dass mehr Tiefe zu Grunde liegt. Sollte ich berichten, wovon er handelt, dann würde ich angeben, von Pathos und Schönheit, und zwar in einer Weise, die einen diese Worte unverschämt im Munde führen lässt. Und wenn es nicht wie das Lallen eines Bekehrten klingen würde, könnte man zu dem Wort Befreiung ausholen. Davon handelt der Film allerdings nicht. Er scheint mir ein Stück befreite Sinnlichkeit zu sein.

Dienstag, 29.07.2003

Sehen und Sterben II

Liebe in Zeiten des Krieges

II. Weltkrieg; Häuserkampf in Frankreich nach der Landung der alliierten Truppen; zwei Männer im Nahkampf auf Leben und Tod wälzen sich am Boden einer Wohnung im ersten Stock einer Mietshausruine. Neben ihnen liegt ein röchelnder angeschossener amerikanischer Soldat im Sterben, der fürderhin nur noch eine Rolle als Hindernis einnimmt. In der Hektik des Kampfes gerät die Kamera immer wieder aus dem Lot. Der in diesem Augenblick noch sehr lebendige zweite Amerikaner, Private Mellish, kann die Oberhand in dem herrschenden Handgemenge gewinnen und zückt sein Messer gegen den Deutschen.

Private Mellish:
God! … God!
You damned … (unverständlich)

Aber das Glück wendet sich. Der deutsche Soldat kann den Amerikaner auf den Rücken werfen und ihm das Messer abnehmen, um ihn nun seinerseits damit zu bedrohen. Bald schon schwebt die Spitze des Messers über dem Herzen von Private Mellish, der kaum noch Widerstandskräfte mobilisieren kann.

Deutscher Soldat:
Gib auf! (fast unverständlich, dann aber en face und sehr deutlich mit süddeutschem Akzent)
Gib auf!
Du hast keine Chance!
Lass es uns beenden!

Die Messerspitze kommt immer näher und kratzt den Amerikaner ein erstes Mal ins Brustfleisch. Private Mellish gerät in Panik.

Private Mellish:
What’s up, what’s up!?
Stop it! Stop it!

Über einen Zeitraum von 40 Sekunden versenkt nun der deutsche Soldat das Messer im Herzen von Private Mellish, der nur nach Luft schnappen kann, manchmal röchelt und zu schlucken versucht. Schuss/Gegenschuss – der Deutsche untersichtig, en face – der Amerikaner liegend auf dem Rücken, also aufsichtig zu sehen, schräg über Kopf, Gesicht und eindringendes Messer immer gleichzeitig im Bild.

Deutscher Soldat:
Es ist doch einfacher für Dich!
Viel einfacher!
Du wirst sehen, es ist gleich vorbei.
Schschsch … schschsch … (wie, um ihn zu beruhigen)

Bei den letzten Lauten ist der Mund des deutschen Soldaten fast am Mund des Sterbenden. Schweiß trieft ihm vom Gesicht über die Nase, von wo er in Tropfen auf den Amerikaner fällt, der nunmehr tot ist. Der unbeteiligte Dritte verharrt seit geraumer Zeit regungslos neben den beiden, oft im Vordergrund des Bildes. Private Mellish liegt hingestreckt da wie ein vom Kreuz genommener Jesus unter dem deutschen Soldaten. Halb auf ihm liegend, halb aufgestützt betrachtet dieser sein Opfer. Die Szene ist unterschnitten mit mindestens drei weiteren Erzähleinheiten des in den Häusern und in den Straßen tobenden Kampfgeschehens. Im Bundeswehrjargon der hiesigen Privates (= Schützen) würde sie der Einfachheit halber unter der Überschrift GEFICKT laufen.
(SAVING PRIVATE RYAN, S. Spielberg, USA 1998, ca. ab 2:17:00)

HERZENSANGELEGENHEIT: Der vorangehend beschriebene Vorgang kann angesehen werden als Herstellung einer herzlichen Beziehung. Die nationale Krankheitspräferenz der Deutschen befindet sich im Bereich der Herz-Kreislaufprobleme. Da liegt die Vorstellung des Herzens als Motor und Pumpe nahe, aber auch die des Zentrums von Sentimentalität und Schwermut. Dass das Abstellen des Motors somit zu Erlösungszuständen führen kann, ist jedem einsichtig. Die Probleme der US-Amerikaner sind eher solche der Verdauung, die Vorstellungen des Herzens übersüßt. WILD AT HEART heißt es, und Stevie Wonder sang … from the bottom of my heart, diverse andere … directly from my heart to you/ … and what my heart has heard – well, it takes my breath away. Herz und Ekstase sind hier eng konnotiert. In einer INDIANA JONES Episode reißt ein Unhold in Ritualen seinen Opfern das Herz aus dem Leibe. Wenn man es mit dem Messer ansticht, kann man vielleicht am Herzblut partizipieren. Der deutsche Soldat kann nicht wissen, dass er es außerdem mit einem Juden zu tun hat. Regisseur und Drehbuchautor wussten Bescheid.

ZU-TODE-LIEBEN: Aus der komplementären Anordnung des Tötungsaktes zur beschwichtigenden Rede eines Vaters, der seinen Sohn zu Bett bringt oder zum Zahnarzt begleitet, oder zur Ansprache des Liebenden an den Geliebten, gleichzeitig aber auch der Drohgebärde des überlegenen Fremden an den Unterlegenen, der alles fahren lässt, sich überantworten muss, gewinnt die Szene ihre innere Gespanntheit und Morbidität, ganz abgesehen von der Obsession, die Tötung eines Menschen als Quasi-Snuff-Video unter dem moralischen Verdikt von historischem Realismus darstellen zu wollen. Diverse Veteranen müssen in der Begleitdokumentation wieder und wieder bestätigen, dass der Film das Authentischste, das Realistischste ist, was es auf diesem Gebiet gibt. Es war genau so. Gezeigt wird das, was uns in PEEPING TOM immer vorenthalten wurde, der Augenblick des Ablebens. So wie Spielberg die Außerirdischen dereinst in persona auftreten ließ, Juden unter Duschen zeigte, die sich in der Gaskammer wähnen, dann aber tatsächlich nur Wasser aus den Düsen kommt, übertritt er auch hier Grenzen, was ihm in diesem Fall sein Realismusanspruch zu gebieten scheint. Dabei kann aber weniger von einem Wagnis gesprochen werden, als vielmehr dem Versuch, das zunächst Unhintergehbare des Todes dingfest zu machen und zu instrumentalisieren. Verdinglichen selbst der Verdinglichung. Tod mit Sinn füllen. Das Versprechen einlösen. Zeigen, was wirklich ist. Rührt nicht die Faszination, dies ansehen zu dürfen, daher – wenn man nur genau genug hinsieht, bekommt man heraus, was das heißt ‚sterben’ und was jenseits der Schranke liegt? Besser, man sammelt seine Erfahrungen vorher, besser, man weiß Bescheid, man kann ja nie wissen.

Naive Vorstellung oder Kalkül, patriotische Selbstbespiegelungen könnten ohne Mythenproduktion funktionieren, wenn man sie nur einem ‚aufrichtigen, akribischen’ Realismus unterwirft. Und doch werden sie gewinnen. Godard hat darauf hingewiesen, dass PANZERKREUZER POTEMKIN mittlerweile als Dokumentarfilm eingesetzt und auch so gelesen wird, will man Authentisches über die Revolution erfahren. Es vermag „kaum zu verwundern, dass besonders Spielfilmen oder Fernsehserien in unseren Interviews die Rolle zukommt, als Belege für historische Wirklichkeit zu fungieren“ – so die Autoren einer sozialpsychologischen Studie zu Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. (Welzer et al.: Opa war kein Nazi, Frankfurt/M 2002, S. 129) „Das Ereignis ist nicht das, was passiert. Das Ereignis ist das, was erzählt werden kann.“ (Allen Feldman, in: ebenda, S. 128) Und gleichzeitig das Erstaunen der Fernsehgenerationen, die schon wissen, wie ein Krieg auszusehen hat, und bei der Realität mehr Realität einklagen. So der etwas enttäuschte Bericht des 22-jährigen Offiziers Gary McKay aus dem Vietnamkrieg: „Es ist gar nicht so, wie man es normalerweise aus dem Kino oder dem Fernsehen kennt: kein fürchterliches Schreien der Verwundeten, nur ein Grunzen, und dann fällt er völlig unkontrolliert zu Boden.“ (Joanna Bourke: An Intimate History of Killing. Face-to-face killing in twentieth-century warfare, London 1999, S. 26, in: ebenda, S. 227) Einzig die Tatsache, dass es vom D-Day relativ viel Dokumentarmaterial gibt, mag vielleicht dem Ablauf Vorhalt gebieten, der SAVING PRIVATE RYAN automatisch in den Status authentischer Berichterstattung erhebt. Ein Fall wie HOLOCAUST macht da nicht viel Mut.


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