Unsere Straße

 

Filmtitel: Unsere Straße

FWU-Film: Ja (FT 384)

Produktionsland: BR Deutschland

Produktionsjahr: 1951 / 52

Filmdauer in Minuten: 31

Filmmaterial: SW, Lichtton

Originalformat: 35mm, 1:1,37

Produktion (Firma): FWU

Regie: Karl Koch / Herbert Fischer

Seite des Films auf  Filmportal.de                                                       

 

Daten zur Kopie:

 

Kopienherkunft: Goethe Universität Frankfurt, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften

Sichtungsformat: 16 mm, SW, Lichtton

Filmdauer: 32 Min.

Vermerkte Mängel: Randeinbrüche, Kratzlinien im Bildstreifen (Schicht/Glanz), Kratzlinien im Tonstreifen (Schicht/Glanz), Schleiflinien (Schicht/Glanz), Film verregnet (durchgehend), Sprungschrammen, Filmschwach gewölbt

Augenscheinliche Mängel: Laufspuren, Wellig, Vergilbt,  Verblasst, Klebestellen (original?), Staub, Schaltfeder

Weitere Materialien: Begleitschein, Begleitkarte der Kreisbildstelle Hofheim/Taunus

Anmerkungen: Nachsynchronisation: Hochdeutsch

Auf dem Begleitschein ist der Filmtitel wie folgt angegeben: „Unsere Straße – Gemeindeverwaltung (2 Teile)“

 

Zum Film:

 

„Ein spielfilmartiger Beginn“ – so bezeichnet TK die erste Szene des Films Unsere Straße. Die Sonne strahlt am blauen Himmel, ein fröhlicher Junge läuft eine Straße entlang und pfeift vor sich hin. Nach einigen Minuten wird deutlich, dass die Straße dringend ein Müllentsorgungssystem benötigt. Selbst der Straßenzustand ist desolat – ein Auto bleibt im Schlagloch stecken, und die Anwohner:innen amüsieren sich prächtig darüber. Es fehlt an Beleuchtung, gepflasterten Bürgersteigen und einer Müllabfuhr. Die Anwohner*innen beschließen gemeinsam zum Stadtvertreter zu gehen, um diese Situation zu schildern. In dieser Rathaussitzung wird eine Neugestaltung der Straße mit Bürgersteigen auf beiden Seiten gefordert und außerdem über die Kosten der Straßenerneuerung verhandelt. Die Kinder sind in dieser Sitzung auch anwesend und zeigen sich sehr engagiert. Es wird beschlossen, die Straße auf den neuesten Stand zu bringen. Ein großer Festumzug mit einer Marschkapelle zieht durch die Straße. Die erneuerte Straße wird feierlich eingeweiht. Die Kinder freuen sich über die schöne Veränderung.

Unsere Straße kann als Staatsbürgererziehung verstanden werden, denn dem deutschen Publikum der Nachkriegszeit soll hier vorgeführt werden, wie Demokratie funktioniert.“ (FK)

„Erstaunlich experimentell und kreativ eingesetzte Kameraperspektiven (Froschansicht, festgezurrte Actioncam).“ (FG)

„Auffällig ist der versierte Einsatz filmischer Stilmittel: ungewöhnliche Kameraperspektiven (Kamera ist am fahrenden Fahrrad montiert; Spiegelungen im Wasser); Match Cut (Schnitt von in die Luft geworfenem Ball auf die Lampe einer Straßenlaterne); Parallelmontage (Stadtratssitzung); Voice-Over (während der Sitzungssprecher redet wird auf Einstellungen geschnitten, die seine Worte illustrieren).“ (SO)

„Der Film ist offenbar einer der frühesten Unterrichts-Filme der Nachkriegszeit, denn das FWU hatte ja erst 1950 seine Arbeit aufgenommen. Zum Kontext des Films gehört auch, dass zu dieser Zeit noch keinesfalls klar war, wohin sich die BRD politisch und ökonomisch entwickeln würde. Fünf Jahre zuvor war im Osten des Landes die DDR gegründet worden. In der BRD lebten sehr viele Menschen noch in Provisorien. Der Mangel in der Siedlung, die hier eine Straße bekommen soll, war in dieser Zeit womöglich eher noch die Regel als die Ausnahme.“ (TH)

„Der FWU-Unterrichtsfilm Unsere Straße (Karl Koch / Herbert Fischer, 1951/52) ist mir vom sämtlich gesichteten FWU-Material am stärksten in Erinnerung geblieben. Während die übrigen Werke eher klassische Dokumentarfilme darstellen und jeweils ihr Thema effizient durch Objektivität ausstrahlende, statische Aufnahmen abbilden, im Falle der behandelten FWU-Filme also meist das Alltagsgeschehen der Menschen oder bestimmte Produktionsabschnitte, und diese Bilder, wenn überhaupt durch nüchterne Kommentare oder Interviewsequenzen rahmen, ist Unsere Straße ein vollständiger narrativer Kurzfilm mit lediglich pädagogischem Einschlag. Nicht nur ist die Kameraarbeit und der Schnitt auffallend inspiriert und teils sehr aufwendig, mit match-cuts, in Tonnen rollenden Kameras und einer generellen Achtsamkeit bei der Komposition; vor allem das Spiel mit der Geschichte setzt diesen Lehrfilm klar von dem restlichen Material ab. Mit dem fast genialen Schachzug, die prominentesten Figuren der Erzählung mit Kindern zu besetzen und so einerseits die Stereotypen des Kinder- und Jugendfilms zu bedienen und anderseits gleichsam durch dieses Mittel eine stärkere Verbindung zu den Rezipienten der Schülerschaft, die ja als Adressat der FWU-Filme gedacht waren, herzustellen, erhält das doch recht komplexe Thema des Films – die kommunale Stadtverordnetenversammlung – einen einfacheren, verständlicheren Zugang und wird durch komödiantische Passagen zudem aufgeweicht. Auch werden nicht nur sachliche Informationen zu den Prozessen vermittelt, die nötig sind, um als Bürger:in die Stadtentwicklung bzw. im speziellen den Bau einer Straße zu beeinflussen. Der Film Unsere Straße erzieht – er erzieht sowohl intradiegetisch die Kinder der Straße als auch vor der Leinwand die Kinder im Klassenzimmer zu mündigen und in der Gesellschaft aktiven Bürger:innen. Dabei wird allerdings die demokratische Praxis nicht stumpf als paradiesisches Idyll der Vernunft und Gerechtigkeit gezeichnet. Ganz im Gegenteil wird ein doch recht realistisches Bild gemalt, das geprägt ist von harten Debatten, Interessenkonflikten und dem Dilemma der oft fehlenden Kompromissfähigkeit. Und so verbleiben die Bewohner der Straße bis zum Schluss im Dunkeln, ob ihre Straße saniert oder doch anderen städtischen Projekten Vorrang gewährt wird. Unsere Straße ist ein exzellentes filmisches Beispiel dafür, wie komplexe Vorgänge und Themen spielerisch und auf einem angemessenen Niveau für den Schulunterricht aufgearbeitet werden.“ (DC)

Nachtrag (November 2023): Bei der im Film anonym bleibenden „mitteldeutschen Kleinstadt“ (Vorspanntitel) könnte es sich um Marburg/Lahn handeln.

Teil des Dossiers „Sichten, Schreiben, Beschreiben: Zur Arbeit mit analogen Filmarchiven anhand von 16mm-Kopien aus der Bildungsarbeit der BRD“


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