Donnerstag, 24.08.2023

Sichten, Schreiben, Beschreiben: Zur Arbeit mit analogen Filmarchiven anhand von 16mm-Kopien aus der Bildungsarbeit in der BRD

 

Im Sommersemester 2023 fand am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität Frankfurt/Main ein Blockseminar „Sichten, Schreiben, Beschreiben: Zur Arbeit mit analogen Filmarchiven anhand von 16mm-Kopien aus der Bildungsarbeit in der BRD“ statt. Die Mehrzahl der Studierenden kam aus dem Master-Studiengang „Filmkultur: Archivierung, Programmierung, Präsentation“. Das Seminar bot ihnen zum einen die Möglichkeit, im eigenen Umgang mit 16mm-Filmkopien die mannigfaltigen Aspekte von deren Materialität kennen und befragen zu lernen. Welche spezifischen Merkmale sind an der Archivkopie interessant? Welche kuratorischen Fragen ergeben sich aus einer kopiengeschichtlichen Perspektive und wie ergänzen sie möglicherweise das Verständnis und die Kontextualisierung „des Films“?

Zum anderen erhielt der methodische Schwerpunkt einen filmhistorischen Fokus: die zur Sichtung vorgelegten Filmkopien zirkulierten alle einmal in den Verleihnetzwerken der Bildungsarbeit in der BRD, also vor allem über Landes-, Kreis- und Stadtbildstellen. Bis auf drei Folgen der vom Bayrischen Rundfunk und dem Goethe-Institut produzierten Sprachkurs-Serie Guten Tag! kamen alle gesichteten Filme aus dem Konvolut sogenannter FWU-Filme – „Filme für Wissenschaft und Unterricht“, die ab 1950 vom Münchener „Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ als Lehrmittel für den Schulunterricht und die Erwachsenenbildung produziert und über die Bildstellen als 16mm-Kopien bereitgestellt wurden. Zu den meisten Kopien waren die FWU-Begleithefte noch in den Filmdosen enthalten. Die ebenfalls meist beiligenden Laufkarten der Bildstellen gaben Auskunft über die Frequenz der Ausleihe und die Ausleiher.

Das Seminar sollte dazu anregen, sich im Sichten von 16mm-Kopien zu üben, um diese in die filmhistorische Beschäftigung auch zukünftig einbeziehen zu können, insbesondere dann, wenn ein Film nur in diesem Format vorliegt. Zur Archivpraxis gehört auch, die mitarchivierten Paraphernalien auszuwerten, sowie eine sinnvolle und der jeweiligen Sichtungssituation angemessene Art, Beobachtungen zu verschriftlichen. Bei der Erstbegegnung mit der Archivkopie und den Materialien ist noch keine tiefgreifende, analytische Betrachtung zu erwarten und wäre womöglich auch hinderlich. Zunächst geht es darum, das Objekt und seine Eigenheiten wahrzunehmen, sich Notizen zu machen, eventuell Fotos.

Die im Seminar betrachteten und gesichteten Kopien kamen aus vier verschiedenen Quellen:

  • dem institutseigenen Filmkopien-Archiv, das von Heide Schlüpmann während ihrer Professur eingerichtet wurde, 16mm- und 35mm-Kopien enthält und weiterhin Gegenstand der Lehre und Forschung am Institut ist,
  • der Sammlung des Deutschen Filminstituts/Filmmuseums in Wiesbaden,
  • der Privatsammlung des Kurators Can Sungu in Berlin,
  • der Privatsammlung Kino im Sprengel, Hannover, die von Peter Hoffmann verwahrt wird.

Can Sungu und Peter Hoffmann waren auch jeweils einmal für eine Online-Sitzung zu Gast im Seminar. Bettina Schulte Strathaus führte zum Auftakt des Seminars in die Geschichte der institutseigenen Filmsammlung ein.

Gesichtet wurde im Seminarraum teils auf einem Steenbeck 16mm-Schneide- und Sichtungstisch, teils über einen fest installierten 16mm Projektor. Von Anfang an war vorgesehen, dass aus dem Seminar ein Online-Dossier mit Sichtungsprotokollen hervorgeht, zu dem die Seminarteilnehmer*innen gemeinschaftlich beitragen. Dafür wurde auf der Lernplattform des Seminars ein „Forum“ in der Form eines Blogs eingerichtet, in dem die Teilnehmer*innen ihre Beobachtungen und Kommentare zu den Kopien und den Filmen notieren konnten. Aus den gesammelten Notizen entstanden in der Redaktion von zwei Studentinnen und des Seminarleiters die hier vorgelegten Seiten: 16 Sichtungsprotokolle zu einer heterogenen Auswahl von Filmen aus den Jahren 1932 bis 1992.

Wenn man bedenkt, dass das „Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ seinen öffentlich finanzierten Bildungsauftrag quasi in Monopolstellung erfüllte und mit seinem Medienangebot (zu dem auch Tonbänder und Diaserien gehörten) einen beträchtlichen Einfluss darauf hatte, was und wie im Nachkriegsdeutschland gelernt wurde, ist es verblüffend, dass der FWU-Katalog in der medienwissenschaftlichen Forschung bislang eine eher marginale Rolle spielt.

Dabei ist mediengeschichtlich von zusätzlichem Interesse, dass mit dem Einzug von Video- und später digitalen Formaten die Verwendung von 16mm-Kopien im Unterricht zum Auslaufmodell wurde und nur ein Bruchteil der auf 16mm vertriebenen FWU-Filme in die neuen Medien „migrierte“. Ein großer Teil der Kopienbestände verwaiste in den Bildstellen, öffentlichen Bibliotheken und Lehrmittelräumen von Schulen. Das FWU – Medieninstitut der Länder gibt es noch immer. Das Medienangebot ist heute jedoch ausschließlich digital und zunehmend auf die Online-Vermittlung zugeschnitten. Ein zugängliches 16mm-Archiv scheint es am Institut selbst nicht zu geben. Das Vertriebsmodell des FWU war, die Kopien an die Leihstellen zu verkaufen, die damit eine an die Lebensdauer dieser Kopie gebundene Verleihlizenz erwarben. Spätestens in den 2000er Jahren haben sie sich ihrer verbliebenen 16mm-Archive auf die eine oder andere Weise entledigt.

Das Seminar und auch dieses Dossier sollen dazu anregen, die verstreuten Bestände an FWU-Filmen als Teile eines aufgelösten, aber nicht völlig verschwundenen Archivs zu beforschen. Denn die hohen Stückzahlen, in denen FWU-Filme im Umlauf waren, haben zur Folge, dass von vielen Filmen bis heute noch zahlreiche Kopien existieren und die Filme in Bestandslisten und Sammlungen, bei Trödlern, auf ebay und auf youtube auftauchen.


Protokolle zu den gesichteten Archivkopien:

Die Ko-Autor*innen des Dossiers sind: David Clausmeier (DC), Feven Haile (FH), Ferdinand Gutemann (FG), Franziska Kohler (FK), Christine Mai (CM), Felix Münz (FM), Simon Oetken (SO), die Redakteurinnen sind Sofia Mtiulishvili (SM) und Thessa König (TK). Seminarleiter war Tobias Hering (TH).

Die Fotos zeigen das im Seminar verwendete Material und wurden im Seminarraum von David Clausmeier und Christine Mai gemacht.

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