Fellachenleben in Oberägypten – Teil I: Dorfleben

 

Filmtitel: Dorfleben

Weiterer Titel: Fellachenleben in Oberägypten – Teil I: Dorfleben

FWU-Film: Ja (F221/1939)

Produktionsland: Deutsches Reich

Produktionsjahr: 1939

Filmdauer in Minuten: 14

Filmmaterial: SW, stumm

Originalformat: 16 mm

Produktion (Firma): Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (RfdU), Berlin

Regie (bzw. „Gestaltung“): Heinrich Tüpke

Redaktion des FWU-Beihefts: Prof. Dr. Siegfried Passarge: Fellachenleben in Oberägypten. Dorfleben, Berlin/Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, [Jahr].

Seite des Films auf filmportal.de

 

 

Daten zur Kopie

Kopienherkunft: privat (Sammlung Kino im Sprengel, Hannover), aus dem Bestand der Stadtbildstelle Hameln

Sichtungsformat: 16 mm, Acetatfilm, SW, stumm

Filmdauer: 15 Min.

Vermerkte Mängel: Filmriss

Augenscheinliche Mängel: Schleifspuren

Weitere Materialien: Begleitheft, Hinweiskarte zur Projektion, Ausleihkarte

Anmerkungen: Bei der Sichtungskopie kann es sich nicht um eine Erstkopie aus der Produktionszeit handeln, da es damals noch keinen Acetatfilm gab.

Laut Ausleihkarte gab es 7 Ausleihen zwischen 1961-1969.

 

Zum Inhalt:

Der Film begleitet die Dorfbewohner*innen bei ihren täglichen Aktivitäten – so werden sie zum Beispiel dabei gefilmt, wie sie sich ihre Haare machen, Lebensmittel anbauen und ernten oder Schüsseln und Töpfe anfertigen. Es scheint, als würde es sich um routinierte Arbeitsabläufe handeln, die gezeigt werden. Ohne Begleitkommentar oder Hinzunahme des Beihefts sind die Bilder aus dem zeitlichen und kulturellen Abstand heraus schwer zu verstehen.

 

Diskussion:
Der Film wurde unter „wissenschaftlicher Beratung“ von Siegfried Passarge aus schon vorhandenem „Kulturfilm-Material“ von Heinrich Tüpke zusammengestellt. Das ausführliche Beiheft stammt von der Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (Vorgänger-Institution des FWU). Der Film war also immer als Lehrfilm gedacht.

Welche ideologische Vermittlung wurde angestrebt? Welchen Zweck sah man im Nationalsozialismus hinter dem Film? (FH)

Die FWU übernahm den Film offenbar und behielt auch das Beiheft aus den 30er Jahren unverändert bei, was oft vorkam, aber keinesfalls die Regel war.

Warum haben sie die Entscheidung getroffen, daran nichts zu ändern? Wie sind Lehrer:innen mit dem Material umgegangen? (FH)

Besonders die Art der Darstellung und Beschreibung der Dorfbewohner*innen im Film und im Begleitheft hat in unserem Seminar zu Diskussionen geführt. Während einige auf rassistische Stereotype aufmerksam machten, betonten andere die Notwendigkeit, den Film und die Inhalte des Beiheftes in ihren zeitgenössischen Kontext zu stellen.

Die Bilder reproduzieren eine typische ethnografische Verfilmung von „anderen Kulturen“. (FH)

Das Beiheft ist von rassistischen und diskriminierenden Ansichten geprägt. (TK)

Beiheft beinhaltet essentialisierende Darstellungen der Menschen (es gibt das typische Gesicht für Fellachenmänner – Kapitel „Körperbild und Kleidung“). (FH)

Im Beiheft werden Momente auch bildlich detailliert skizziert, jedoch haben sie für mich im gesamten Kontext des vorhandenen Materials einen objektivierenden Effekt und exotisierenden Blick auf die Leben der Menschen, in denen banale Aktivitäten Schritt für Schritt erklärt werden. (FH)

Dagegen wurde gehalten, hier in gekürzter Form:

Wenn man sich vor Augen hält, welcher Zeitgeist [in den 1930er Jahren] in vielen Teilen der Welt und insbesondere im deutschen Sprachraum vorgeherrscht hat, welchen Stellenwert und Legitimation die Rassentheorie/-lehre im Wissenschaftsdiskurs aber auch in der breiten gesellschaftlichen Weltansicht einnahm und wie sich der (hier deutsche) Sprach-/Wortgebrauch ausgestaltete, sind meiner Ansicht nach die Aussagen über die Fellachen als eher positiv zu lesen. 

Nur weil die „blümeranten“ oder polemischen Beschreibungen und verwendeten Begriffe aus heutiger Sicht diskriminierend oder rassistisch anmuten, bedeutet es nicht, dass sie zu jener Zeit auf diesselbe Weise ausgelegt wurden. Die Etymologie von heute als diskriminierend o. rassistisch gedeuteten Begriffe sollte in die Bewertung miteinfließen, da diese oft multiple genealogische Zweige aufweisen und teils in verschiedenen Kulturen, in verschiedenen Sprachräumen und zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich verstanden wurden. 

DC hat jedoch auch nach der Identität der offenbar verantwortlichen Person Siegfried Passarge recherchiert:

Konterkariert wird diese Bewertung auf alleiniger Grundlage des Beiheftes allerdings wieder, wenn man sich ein wenig mit der grotesken Person des Prof. Dr. Siegfried Passarge, dem Autoren des Beiheftes, beschäftigt. Auf der einen Seite: Geograph, Geologe, Paläonthologe, Vorreiter auf dem geographischen Teilgebiet der Landschaftskunde, Verfasser von ge- und ethnographischen Grundlagenwerken zu Süd- und anderen Teilen Afrikas sowie Sympathisant mit verschiedenen indigenen Gruppen, wie den Khoisan, und deren Lebensart. Auf der anderen Seite: Nationalist, Hitler-Befürtworter, Nationalsozialist und Antisemit der übelsten Sorte.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Bewertung von Texten und anderer Medien kein trivialer Prozess ist, sondern stets einer näheren Recherche und einer korrekten geschichtlichen Einordnung bedarf. (DC)

Eine Reaktion darauf lautete wie folgt, ebenfalls in gekürzter Form:

Ich finde es zwar richtig, dass man bei der Kritik eines Vokabulars den zeitgenössischen Kontext, in dem es verwendet wurde und seine Bedeutung bekam, berücksichtigen muss. Wenn man es aber mit Vokabular der NS-Zeit zu tun hat, das in der Publikation einer staatlichen Institution auftaucht, so gehört zu diesem Kontext auch die Tatsache, dass Rassismus und Suprematismus in der NS-Zeit kein Lapsus war, sondern ein zentrales Element der Staatsdoktrin und der Weltsicht, die der NS-Staat seinen Bürger*innen anerziehen wollte. Dass jede Zeit ihre eigenen Werte hatte, bedeutet meines Erachtens nicht, dass man alle Wertesysteme und die von ihnen autorisierten Vokabulare als historisch gleichermaßen legitim ansehen muss und sie nur intrinsisch kritisieren dürfte. Zumal die nationalsozialistische „Rassenlehre“ auch in der Zeit, als sie in Deutschland hegemonial war, ja nicht unwidersprochen war. (TH)

Die Sichtung dieses Films und auch des dazugehörigen 2. Teils haben zu der grundsätzlichen Kritik geführt, dass durch die im Seminar eingerichtete Sichtungssituation zu wenig Zeit blieb, problematische Inhalte von Filmen und Begleitmaterialien angemessen zu diskutieren. Es wurde angeregt, bei einer zukünftigen Arbeit mit FWU-Filmen den möglichen Diskussionsbedarf in Rechnung zu stellen, den die Filme wecken können, und dafür Zeit einzuplanen.

 

Teil des Dossiers „Sichten, Schreiben, Beschreiben: Zur Arbeit mit analogen Filmarchiven anhand von 16mm-Kopien aus der Bildungsarbeit der BRD“


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