new filmkritik

Dienstag, 17.07.2012

Malen nach Musik


L’enfant sauvage (1969 François Truffaut)

Über den Wirbel triumphiert die gerade Linie. Kaum ein Sieg ist so verlustreich. Truffaut selbst verkörpert als Lehrer des Wolfjungen die harten Einbußen des zivilisierten Daseins, das Unbehagen in der Kultur. Unnachgiebig und einsam erzielt er seine Erfolge. Dann eines Tages wagt er ein grausames Experiment: Durch ungerechte Bestrafung provoziert er bewusst den Zorn des Kindes. Hätte der Junge sein Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit eingebüßt, dann wäre durch die Erziehung nichts erreicht, alles wertlos.


Es geschah am hellichten Tag (1958 Ladislao Vajda)

Ein Kind hat seinen Mörder und dessen Auto und das Wappentier des Kantons Graubünden auf dem Nummernschild und ganz klein sich selbst mit den geschenkten Schokoladentrüffeln wunderschön gemalt und das Bild sogar datiert: 11. März 1958. Doch all die Hinweise führen zu nichts. Da trifft Polizeioberleutnant Matthäi einen einsamen Entschluss. Er sucht sich, um den Täter zu ergreifen, einen lebendigen Köder: ein Kind.


Mühe. Hingabe. Unschuld. Aufsätze (1963 Peter Nestler)


Ritterkampf. Ähnlichkeit. We Are The Lambeth Boys (1958 Karel Reisz)

Als ich versuchte, Utrillo dazu zu bringen, dass er von ’seinem Handwerk‘ sprach, sagte er mir, im Jahr 1921, einer Epoche, da er noch redselig war, während er einen feinen Staub buntscheckiger Farben auf sein Bild warf: „Das hab ich gern. Diese Mauer hat mir viel Mühe gemacht, aber jetzt ist sie so, wie ich sie wollte.“
„Du bist also mit dir zufrieden?“
„Nein, niemals. Aber, verstehst du, ich bin mit der Mauer zufrieden, die ich gerade gemalt habe, und ich glaube, dass kein Mensch sie besser gemalt hätte als ich.“

(Florent Fels, 1956)


Anny Ondra und Cyril Ritchard in Blackmail (1928 Alfred Hitchcock)

Sie hat das lustige Gesicht gemalt, er hat ihr beim Rest die Hand geführt. Später dann, nachdem sie den zudringlichen Maler in Notwehr getötet hat, pinselt sie Farbe über ihre Signatur, löscht ihren Namen unter der Gemeinschaftsproduktion, deren Heiterkeit fortwährt.
via


Barbara Bel Geddes und James Stewart in Vertigo (1958 Alfred Hitchcock)

Ihr Selbstportrait ist Parodie auf das, was er begehrt.


Robert Walker und Marion Lorne in Strangers on a Train (1951 Alfred Hitchcock)

Die Mutter malt. Der Sohn lacht: „Ja, das ist Vater!“


Barbara Rütting in Neues vom Hexer (1965 Alfred Vohrer)

Man könnte zu der Ansicht gelangen, das Kino habe unentwegt mit der Malerei ein Hühnchen zu rupfen. Natürlich gab es Minnelli, Tashlin, Pialat, aber tatsächlich ist die Zahl der Überläufer klein. Klopfenstein, van der Schoot, Müller, mehr fallen mir spontan nicht ein. Die famosesten Romane über das Malen (Russell H. Greenans „In Boston?“, Charles Willefords „The Burnt Orange Heresy“, Kurt Vonneguts „Bluebeard“) sind unverfilmt. Unverfilmbar? Warum?


The Moon and the Six Pence (1942 Albert Lewin).

Ein Fahnenmast, ein Tischtuch. In den besten Filmen über das Malen wird wenig gemalt. Es geht darum, was Malerei auslöst, die Unruhe, die Ablehnung. Unvergesslich (in Jacques Beckers Montparnasse 19): das Kalkül des Kunsthändlers, dargestellt von Lino Ventura, der den frühen Tod des erfolglosen Malers abwartet, dann schnell und stapelweise ankauft.


Karel Gott: Oči barvy holubí (Sealed With a Kiss – 1972)

Zeigen lässt sich: Die routinierte Entstehung eines Bildes.


Hurd Hatfield, gemalt von Henrique Medina, The Picture of Dorian Gray (1944 Albert Lewin)

Der ruinöse Verfall eines Menschen. Es gibt Pressefotos, auf denen die Zwillinge Ivan and Malvin Albright bei ihrer irgendwie gruseligen Beschäftigung zu sehen sind, das Bildnis des Dorian Gray in seine letzte Phase zu überführen. Im Blog underpaintings stellt ein Kommentator die schöne Frage nach dem Verbleib all der ausrangierten Gemälde, those portraits used in movies … like „Rebbeca“, „Portrait of Jenny“ (Jennifer Jones) …?

Wenn es ein großes Museum gäbe… Es müsste darin auch das Bett stehen, an dessen verziertem Kopfende das gemalte Gesicht Alida Vallis prangt. Der Betrachter würde dann, wie einst Gregory Peck in The Paradine Case (1947), Alida Vallis Blick nicht ausweichen können.


The Lady in Cement (1967 Gordon Douglas)

Um irgend etwas in der Hand zu haben, hat der Detektiv (Frank Sinatra) diese Zeichnung in Auftrag gegeben. Sie entstand aus dem Gedächtnis des Künstlers.


The Big Clock (1948 John Farrow)

Die Malerin (Elsa Lanchester) hat mit eigenen Augen den Mann gesehen, der des Mordes verdächtigt wird. Sie fertigt ein Phantombild an. Sie malt modern.


After Hours (1985 Martin Scorsese)

Die Zeichnung für diesen Steckbrief entstand ursprünglich aus zärtlichem Interesse am Dargestellten. Eine Komödie randvoll mit Angst – vor den Frauen, vor dem Lebendigbegrabensein, vor der Kunst – stark inspiriert von den Filmen Roger Cormans.


The Tomb of Ligeia (1964 Roger Corman)

Die Initialen einer Anderen, mit blauem Wachs auf Schweinebraten.

Nie übertroffene Darstellung der Unversöhnlichkeit. Olivia de Havilland in The Heiress (1949 William Wyler). Gegen das, was an ihre Tür klopft, stickt sie das nutzlos gewordene Alphabet zu einer unverrückbar stummen Barrikade.



The Agony and the Ecstasy
(1965 Carol Reed), das ist vielleicht der schönste Film über die Malerei – weil Charlton Heston als Michelangelo, „born to sculpt, not paint“, die Schufterei, die Erschöpfung plastisch erfassbar macht, samt seiner Wut, dass man ihn von wichtigerem Schaffen abhält wegen dieser Sixtinischen Kapelle. Der Auftraggeber, Rex Harrison als Papst Julius II., geboren eine Rüstung zu tragen, ist der erste Bewunderer des neuen Werks. Er sieht einen Himmel aus Muskeln und Adern, aus Fleisch und Blut, stolz und schamlos. ****


Dorothy Malone und Jerry Lewis in Artists and Models (1955 Frank Tashlin)

Samstag, 14.07.2012

Vortragshinweis

Peter Nau: Fassbinder und Jean-Marie Straub, “der Vampir”

Ein Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe Hands on Fassbinder.

Heute, Samstag 14.7., 17.00 Uhr, Collegium Hungaricum Berlin, Dorotheenstraße 12.

Dienstag, 03.07.2012

Montag, 02.07.2012

Von Véronique Goel kam – am letzten Donnerstag, 28. Juni 2012 – die traurige Nachricht, dass Stephen Dwoskin um 4 Uhr 30 morgens in London gestorben ist.
Mehr dazu bei späterer Gelegenheit.

Freitag, 29.06.2012

Geräusch

Eine unsterbliche Weisheit von einem uns schon Vorausgegangenen:

„I was talking to a guy the other day trying to convince me that CDs were better than vinyl because they had no surface noise. And I said ‘Listen mate, life has surface noise.’”

(John Peel)

Zu finden auf einer Platteneinkaufstüte, ausgestellt an der Wand des Horenstein, einem wunderbaren Schallplattenladen (Schwerpunkt Klassik) mit Café, in Berlin-Wilmersdorf, Fechner Straße 3.

Dienstag, 26.06.2012

Samstag, 23.06.2012

Sarris

Anlässlich des Todes von Andrew Sarris hat Hanns-Georg Rodek seinen vor gut drei Jahren in DIE WELT erschienenen Nachruf erneut publiziert. Ein paar Ergänzungen und Retouchen (2012 schreibt er „Temperamentssache“, 2009 „Sache des Temperaments“), aber ansonsten der gleiche Text mit den gleichen Schlampigkeiten (2012: „Dieser Spaltung verlief…“, 2009: „Dieser Spaltung verlief…“).

Rodek und DIE WELT schienen es – und scheinen es weiterhin – für normal zu halten, einen Lebenden zunächst per Nachruf für tot zu erklären, diesen falschen Nachruf dann mehr als drei Jahre im Netz stehen zu lassen, ohne Entschuldigung oder Klarstellung, und schließlich einen zweiten, beinahe identischen Text ganz ungerührt nochmal zu bringen.

Rodeks Nachruf vom 10. März 2009 hier.
Rodeks Nachruf vom 22. Juni 2012 hier.

Donnerstag, 21.06.2012

In den Zug springen

„Ich wusste selbst nicht, warum ich in diesen Zug gesprungen war.“ Die Icherzählerin in Roswitha Schiebs Die beste Zeit benutzt für ihre Reisen jedes Vehikel: Bahn, Auto, Erinnerung – oder den Schwung unglücklicher Liebe, zwischen Mauer-Berlin, Moskau, Stechlinsee und Port Bou: „Auf dem Grabstein war auf Deutsch und Spanisch ein Satz aus Benjamins siebter geschichtsphilosophischer These eingemeißelt: Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein….Dahinter erstreckte sich die schräge weiß gekälkte Friedhofsmauer, die einen Blick auf die Landschaft freigab, gewellt und dunkelgrün, voller Licht und Schatten. Eine Szene aus dem Film Accatone von Pasolini fiel mir ein, Accatones Traum kurz vor seinem Tod. Im schwarzen Anzug blickt er über eine hohe Mauer, hinter der sich ein weites Landschaftspanorama ausbreitet…Dort ist ein dicker uniformierter Dienstmann beschäftigt, mit einer Spitzhacke, die er rhythmisch schwingt, ein Loch zu graben. Accatone, dem plötzlich klar wird, dass das sein Grab werden soll und er den Anzug zu seiner eigenen Beerdigung schon anhat, fleht den Mann verzweifelt an, das Loch doch nicht im Schatten, sondern weiter rechts in der Sonne zu graben.“ Aber, und jetzt geht es um eine Reise-Richtung, von der im Buch auch die Rede ist: der Totengräber hackt unbeirrt weiter den Boden auf, wobei er „immer tiefer in die steinige Erde hinein das schwarze Loch treibt, wo die Welt ringsumher doch so weit ist.“

„Wir wussten es noch nicht, es war die beste Zeit gewesen.“ Dieser Satz wird auf keine der großen Reisen angewendet. Das Gefühl verbindet sich mit einem Ausflug in das Umland von Berlin, in den noch nicht vereinheitlichten Osten der Nachwendezeit.

Eine wunderbare Reiselektüre, gerade für diejenigen, die nicht weg kommen. (Auch von dort, wo sie ihre „beste Zeit“ hatten.)

Roswitha Schieb: Die beste Zeit, Literaturmetzgerei, Reutlingen.

Samstag, 16.06.2012

Abschied von den Fröschen

Vor vielleicht zwei Jahren gab es im „Arsenal“ eine kleine Hommage an Ulrich Schamoni, die mit „Chapeau Claque“ eröffnet wurde. Ulrich Schamoni kam in Berlin ja in vielen Verkörperungen vor; als Filmemacher, Autor, Gründer und Betreiber einer Radio- und Fernsehstation – immer also auch als Hans Dampf in allen Gassen. Er ließ sich nicht auf ein Genre festlegen und man konnte sich auch nicht darauf verlassen, dass Schamoni nur gute Filme machte. Es gab schlimme Abstürze. „Chapeau Claque“ dagegen ist ein wunderbarer Film, der gar keinem Genre angehört – wenn es so etwas wie „Faulenzerfilme“ gäbe, dann gehörte „Chapeau Claque“ dazu. Der Film spielt in dem Haus von Schamoni, das er nur verlässt, um in den Garten zu gehen. Großenteils – oder vielleicht sogar nur – ist Schamoni mit einem Bademantel bekleidet. Man muss ein bisschen Geduld haben, aber dann entwickelt der Film einen unglaublichen Charme und ein Gefühl von großer innerer Freiheit. Das Problem der Faulheit ist von Schamoni so endgültig gelöst, dass selbst Wolfgang Neuss verzweifelt ausruft: „Du mußt doch ein Ziel haben, etwas machen.“ Nein, braucht er nicht. Wir gingen aus dem Kino wie auf Wolken.
„Abschied von den Fröschen“ ist die poetische Verklärung dieser Existenz, die natürlich in keiner Weise faul ist, sondern anderen Vorstellungen, einem anderen Lebensentwurf folgt. Ulrich Schamoni hatte die Diagnose „Leukämie“ bekommen und stellt nun in der Wohnung und im Garten Kameras auf, mit denen er sein Leben und seine Welt dokumentiert. Zunächst ist man Beobachter dieses Lebens, dann wird man zu Schamonis Gast und schließlich ein Freund. Schamoni erzählt genau, wann er was aufgenommen hat, wann er wieder bei einer Behandlung war, aber vor allem begrüßt er den Zuschauer bei sich zu Hause – er erzählt die Geschichte von Hermann dem Cherusker, packt Spielzeug aus, heiratet, hat Gäste, mault über Bauarbeiten in Nachbars Garten. Einige Kameras sind mit einem kleinen Motor ausgestattet, der die Kamera einen Schwenk machen lässt. Schamoni läuft mit dem Schwenk mit, kommt manchmal aus dem Bild, dann wieder hinein. Oft beugt er sich zur Kamera herunter, spricht zu den Zuschauern, die ihn doch sehen sollen. Wir Zuschauer werden wirklich gut und mit Respekt behandelt – das ist selten, in anderen Filmen  werden wir nur noch überrollt und erschlagen von den Bildern.
Im Garten und im Haus sind kleine Figuren aufgestellt, die ihre ursprüngliche Bedeutung in diesem Kontext ins Poetische verändern. Jeder Tag ist etwas Neues, jede Stunde wird eine neue Zigarre angezündet. Das neue Jahr kommt, die Tür wird geöffnet – Schamoni bittet das neue Jahr zu sich hinein. Der Garten, die Frösche, Insekten, die Katze und die Früchte –alles spielt eine ganz eigene „Schamoni“-Musik, an der uns der Gastgeber teilhaben lässt.
Kleine dokumentarische Sequenzen aus dem Leben und den Filmen Schamonis beschleunigen den Fluss der Beobachtung. Die Montage kehrt dann wieder zu dem Hausherrn in seinem Aufzug, einem überdimensionierten Strampler, zurück.
Ulrike Schamoni hat aus etwa 150 Stunden Videomaterial einen 96minütigen Dokumentarfilm über ihren Vater montiert. In einigen Ankündigungen wird der Film als eine Dokumentation über das Sterben von Ulrich Schamoni angekündigt. Völlig falsch – das ist ein Film über das Leben, das Haus, den Garten, die wunderbare Welt des Ulrich Schamoni. So, wie Ulrike Schamoni ihren Film konzipiert hat, macht er Lust auf mehr Ulrich Schamoni. Wir möchten jetzt unbedingt eine DVD-Cassette mit seinen besten Filmen und ganz viel Bonus-Material.
Das Regenbogen-Kino zeigt in den nächsten Wochen noch mehr Filme von Ulrich Schamoni. Dafür ist mir kein Weg zu weit – und meiner ist wirklich sehr weit.
Werner Sudendorf


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