Filme mit Hans Albers haben (in der Regel) ein ganz anderes Interesse als die mit dem Wichtelmännchen Rühmann (mit seiner verrutschten Kleinbürger-Komik). In Nachts auf den Strassen ist Albers Fernfahrer, und das Zusammenspiel mit Lucie Mannheim (im Film seine Frau) hat es in sich: Lucie Mannheim war ja eine bekannte Grösse am Theater gewesen (verheiratet mit Jürgen Fehling) und hatte in deutschen Stumm- und Tonfilmen mitgespielt. Ein paar Jahre vor Jugerts Film hatte sie noch in einem BBC-Studio gestanden (sie war 1933 nach Grossbritannien emigriert) und eine Version des Lili Marleen-Liedes gesungen, das mitten im Krieg eine erbitterte Abrechnung mit Hitler war (zu sehen und zu hören in G. P. Strascheks Filmemigration aus Nazi-Deutschland): Lili Marleen steht unter der Laterne und wartet umsonst, weil ihr Geliebter in Afrika oder in Russland gefallen ist; die letzten Strophen lauten, übersetzt, so: „Der Führer ist ein Schinder, das seh'n wir hier genau, / Zu Waisen macht er Kinder, zur Witwe jede Frau. / Und wer an allem schuld ist, den – will ich an der Laterne seh'n. / Hängt ihn an die Laterne! Deine Lili Marleen.“
In Nachts auf den Strassen gerät Albers auf Abwege, er lässt sich mit einer Anhalterin (Hildegard Knef) ein, die er mitten im Regen mitnimmt – und die wiederum ist mit Kriminellen verbandelt, die den Fernfahrer erpressen. Albers kommt mit einem blauen Auge davon, flüchtet sich wieder ins traute Heim – und will der Gattin alles gestehen. Die jedoch lenkt ihn geschickt ab – sie scheint zu wissen, dass dieses ‚Geständnis’ das Ende ihrer Ehe bedeuten würde. (Sie lässt den Alten auf der Couch lieber mal eindösen.) In ihrer Haltung schwingt ein Darüberhinaus mit: wenn das, was da noch zu gestehen wäre in Deutschland, gestanden wird – was dann?!
(Erich Pommer war bei diesem Film Produzent; Vorlage und Drehbuch, neben Käutner, von Fritz Rotter, ebenfalls exiliert; der zurecht so genannte schweizer Volksschauspieler Heinrich Gretler, der vor ’33 schon bei Fritz Lang dabei war, spielt hier den Spediteur Falk.)
posted by Johannes Beringer
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„Im Kino ist der Berliner auch nicht so kritisch, beziehungsweise so abhängig von der Kritik seines Journals wie im Theater.“ Das weiß Franz Hessel zu berichten, der sich nicht nur durch den Stadtraum des Sehenswerten, sondern auch sozial quer durch Berlin bewegt. In den kleinen ‚Kientöppen’ erlebt er den ‚Kollektivgenuß’, dem er sich mit eigenen Tränen anschließt. Die schöne Neuausgabe von Franz Hessels „Spazierengehen in Berlin“ (1929) erlaubt es, diesen Autor und die Zwischenkriegsstadt wehmütig wieder zu entdecken.
Einmal nimmt ihn ein Freund zu Dreharbeiten nach Mariendorf mit: „Und nun fangen dort an der Bar die Grellbestrahlten an, sich zu bewegen…Einsam inmitten der Tobenden sitzt einer bei seinem Glase, den Ellenbogen auf den Bartisch gestützt, starrblickend, fern. Man flüstert uns einen berühmten Namen zu. Jetzt hebt er den Kopf und sieht zu uns herüber. ‚Er sieht uns an, als wären wir seine Gespenster’, sage ich Ahnungsloser. ‚Nein’, belehrt man mich, ‚er sieht nichts als blendendes Licht!’“
Spazieren in Berlin, Mit einem Geleitwort von Stéphane Hessel, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin, 2011, 240 Seiten, 19,90 €
posted by Bettina Klix
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Letztes Jahr im Herbst habe ich anlässlich der Verleihung des Schweizer Grand Prix Design an Jean-Luc-Godard mithilfe von Bettina Blickwede einen 26 Minuten 50 Sekunden langen Loop fabriziert. Der Film war dann im Winter 2010/11 Bestandteil einer Austellung im Museum für Gestaltung in Zürich. Es geht in dem Loop darum, Godards Verhältnis zu Gestaltung und Design darzustellen. Man kann diesen Loop jetzt auf der Seite von Keyframe in voller Länge, aber auch in einzelnen Kapiteln betrachten; ich habe dort auch noch etwas mehr über die Produktion geschrieben → Godardloop

posted by Michael Baute
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Ich kann behaupten, dass alle einundvierzig Kritiken dieses Bandes sehr lesenswert sind – denn ich habe alle gelesen. (Erschienen sind sie damals in der Wochenzeitung ‚Die Zeit’, zwei sind aus der monatlich erscheinenden ‚Filmkritik’. Herausgegeben hat sie Sandra Nettelbeck.)
Das war natürlich auch eine interessante Kinoperiode, alte Strukturen brachen in sich zusammen und die Filme selbst waren ‚aufgebrochen’. Einen wunderbaren Text gibt es da zu Jacques Roziers Adieu Philippine, Will Tremper wird mit seinen Filmen charakterisiert (Die endlose Nacht, Playgirl), Peckinpahs Spätwestern Sacramento und Sierra Charriba werden vorgestellt, ein James Bond-Film wird auseinandergenommen – aber in der Hauptsache geht es um die jeweils neuen Godard-Filme (Nettelbeck war ein ‚Godardianer’ der ersten Stunde), um Huillet-Straub (Chronik der Anna Magdalena Bach) und um den jungen deutschen Film (Ulrich Schamoni, Volker Schlöndorff, Peter Schamoni, Alexander Kluge, Hansjürgen Pohland, Klaus Lemke, Werner Herzog, George Moorse). Interessant schiene mir, die beiden Kritiken zu Kluge nebeneinander zu halten: von den ‚Verwirrungen der Anita G.’ (1966) zur ‚Reformzirkusvorbereitungspolitik’ (1968).
Weiteres (ich zähle jetzt nicht alles auf), erwähne nur noch die Kritik zu Muriel oder die Zeit der Wiederkehr von Alain Resnais (1963) und die zu Mutter Johanna von den Engeln von Jerzy Kawalerowicz (1964). Beide Filme habe ich ja damals auch gesehen und muss sagen, Nettelbeck hat einfach viel mehr gesehen, hat besser geschaut – schade, dass ich das damals nicht gelesen habe.
Grad noch bei Hans Wollschläger aufgeschnappt: „Kein Zweifel: das überschauende Erkennen dessen, was sehen ein jeder kann, ist eines jeden Sache nicht …“
(Siehe auch den ‚newfilmkritik’-Eintrag vom 18.02.2007, der 119 für die ‚Filmkritik’ zwischen 1963 und 1973 geschriebene Texte Nettelbecks auflistet.)
posted by Johannes Beringer
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