Einträge von Bettina Klix

Sonntag, 30.11.2014

Kino der Blinden

Bei meinem vorletzten Fernseher hatte ich die Möglichkeit, die Beschreibung für Blinde zuzuschalten; ich war so begeistert davon, dass es mich nachdenklich machte. Ich begriff, dass ich oft Gesten oder Handlungen nicht entziffern konnte: Nicht nur wegen meiner starken Kurzsichtigkeit und einem Hörsinn, der bei erhöhter Aufmerksamkeit das Sehen fast völlig ausschaltet.
Nun las ich mit jahrelanger Verspätung ein Buch, das sich auf ganz grundsätzliche Weise mit dem Kino und seinem Verhältnis zur Blindheit auseinandersetzt. Stefan Ripplingers „I can see now.“. Da es sich um einen Band der Reihe Filit im Verbrecher Verlag handelt, in der ich auch einmal veröffentlichte, die aber viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten hat, möchte ich mir die Freiheit, die gerade aus meiner Befangenheit erwächst, nehmen und auf dieses wichtige Buch hinweisen. „Die Blindheit fordert eine Kunst heraus, die glaubt sehen zu können.“ So Ripplinger im Vorwort.
„Es ist interessant, dass einem Betrachter des Kinos, der die Setzungen und Illusionen des Kinos nicht akzeptiert, gerade dieser oft übersehene Aspekt, die spezifische Negation des Kinos, die Blindheit charakteristisch für es erscheint. Als Gustav Janouch seinem Freund Franz Kafka berichtet, er arbeite als Musiker in einem Kino, das „Bio slepcu“, „Kino der Blinden“ heiße, ruft der Schriftsteller : „So sollten alle Kinos heißen!“ Seine Ansicht erläutert er damit, Kino sei „zwar ein großartiges Spielzeug. Ich vertrage es aber nicht, vielleicht weil ich zu ‚optisch‘ veranlagt bin. Ich bin ein Augenmensch. Das Kino stört aber das Schauen. Die Raschheit der Bewegungen und der schnelle Wechsel der Bilder zwingen den Menschen zu einem ständigen Überschauen. Der Blick bemächtigt sich nicht der Bilder, sondern diese bemächtigen sich des Blickes. Sie überschwemmen das Bewusstsein. Das Kino bedeutet eine Uniformierung des Auges, das bis jetzt unbekleidet war.“ (Aus: Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen) Von diesem Buch, aus dem zitiert wird, hatte ich zuvor noch nie gehört, aber einen Tag später entdeckte ich es in einem Antiquariat, in einem Regal mit „Ladenhütern“, das ich regelmäßig durchsuche. Und ich bin mir sicher, dass es da auch schon länger stand, aber für mich vorher nicht sichtbar.
I can see now. Blindheit im Kino, Filit Band 3, Verbrecher Verlag, Berlin, 2008

Montag, 17.11.2014

Es wird schon nicht so schlimm!

„Es wird schon nicht so schlimm!“ Ist der Titel einer Filmerzählung von Hans Schweikart, aber die darin zu findende Geschichte des Schauspielerpaares Lilly und Gregor Maurer nimmt die allerschlimmste Wendung. Das heißt, nicht die letzte schlimme – von der nationalsozialistischen Rassenpolitik aufgezwungene – Wendung. Da der Ehemann sich weigert, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen und mit ihr und dem gemeinsamen Kind Selbstmord begeht, bewahrt er sie vor jenem Schicksal, das Nelly in „Phoenix“ ereilte, weil ihr Mann sie preisgab. Während der Diskussion über „Phoenix“ musste ich schon die ganze Zeit an diese Umkehrung der Entscheidungssituation denken. Schweikarts noch nie veröffentlichte Erzählung war bis vor kurzem verschollen. Sie bildete aber gleich nach dem Krieg die Grundlage für eine filmische Verarbeitung des Stoffes: die Geschichte des Schauspielerehepaars Meta und Joachim Gottschalk in „Ehe im Schatten“ (1948). „Der Regisseur Kurt Maetzig verarbeitet darin auch den Suizid seiner Mutter, die Jüdin war. Auch sie lebte in einer „Mischehe“…“ So Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen in ihrem atemberaubenden Nachwort, das nicht weniger erschütternd als die Filmerzählung selbst ist. Unter dem Titel „Alle Giftmittel standen hoch im Kurs“ beleuchten sie die Hintergründe des Textes, der Verfilmung und der biographischen Hintergründe.
Hans Schweikart, Es wird schon nicht so schlimm! oder Nichts geht vorüber! Ein Filmvorschlag. Herausgegeben von Carsten Ramm, Verbrecher Verlag, Berlin, 2014, 120 Seiten, 12 Euro

Freitag, 24.10.2014

Phoenix II

Ich schließe mich der Begeisterung des vorigen Beitrags an. In Christian Petzolds „Phoenix“ sind die beiden Hauptdarsteller aus dem Vorgängerfilm „Barbara“ zu einem Wiedergängerpaar vereint. Das Zwielicht, in dem der Mann, Ronald Zehrfeld, agiert, ist hier aber extremer. Und Nina Hoss, deren Identität doch uns Zuschauern bekannt ist, spielt unglaublich überzeugend, gleichzeitig unter unserem und dem Blick ihres Mannes. Der sie nicht erkennt oder halb erkennt, nur in Ähnlichkeit mit der Totgeglaubten oder Totgewünschten. Und was er nicht erkennt, was ihn fast bis zum Schluss hindert zu sehen, ist eben auch das, was das Lager, was sein Verrat, was das dem Tod Entronnensein und das Rekonstruiertwerden ihres Gesichtes Nelly genommen haben. „Mich gibt‘ s gar nicht mehr!“ So sagt sie ja selbst.
Was den Film vorantreibt, ist ein Song, für den ich kein besseres Wort als das vieldeutige „haunting“ weiß, der zuerst auf Platte erklingt, später von Nelly gesungen. „Speak low“ Geschrieben von Kurt Weill im Exil, für das Musical „One Touch of Venus“. „Speak low, when you speak love.“ Wie Nina Hoss das singt, während sie sich halb wieder in ihr altes Ich hineinspielt, aber die Stimme sich noch nicht wieder heimisch fühlen kann, bis zu einem trotzigen Beharren auf der Unmöglichkeit.
Selbst in der Hollywood-Version von „One Touch of Venus“ (mit Ava Gardner, Singstimme von Eileen Wilson) klingt der Song unendlich wehmütig. Aber wenn Nelly, die Überlebende „time is a thief“ singt, verwundert es uns gar nicht, dass ihr Mann sie entsetzt wiedererkennt, als die mit dem Bild zur Deckung Gekommene. Ja, die Nummern-Tätowierung ist auch zu sehen, aber so diskret wie sie das Filmbild zeigt, können wir annehmen, dass es die Stimme war, die die Gewissheit brachte und wie sie „love is a spark/ lost in the dark/ too soon, too soon“ singt. Und für Nelly selbst auch!
(Abends nach dem Kinobesuch lief im Jazzradio eine Version von „Speak low“, die wirklich haunting ist, da sparsam zwar, solche Sounds eingesetzt sind, die ein bisschen auf Spuk hindeuten, von Nils Landgren.)

Freitag, 18.07.2014

Gelegenheiten

Heute, am 18. Juli 2014, werde ich aus meinem neuen Buch „Gelegenheiten“ (Edition Nachtgänge, Berlin, 2014) vorlesen. Die Lesung findet um 20:00 Uhr im Antiquariat Andreas Weigelt in der Proskauer Straße 4 in 10247 Berlin-Friedrichshain statt.
Besonderer Dank geht an Rüdiger Tomczak, in dessen Zeitschrift shomingeki zwei der Texte zuvor erschienen sind!

Donnerstag, 10.07.2014

Kein Fernsehbild

Eine vernachlässigte Synagoge in einer abgelegenen israelischen Siedlung rund um ein Forschungsprojekt am Rand der Wüste wird an einem 9. November Opfer eines Anschlags, bei dem eine Thorarolle verbrennt. Bald stellt sich heraus, dass diese Aggression aus der Mitte der Gesellschaft kam, von einem jungen jüdischen Mann aus bürgerlicher Familie ausging, Kriegsdienstverweigerer, Atheist, Veganer, der seinen Platz bisher nicht finden konnte.
Die Erzählung beginnt zwei Monate früher: „Der elfte September war ein Dienstag. Abi, der am Montag nichts in sein Tagebuch geschrieben hatte, begann seine Eintragung am Dienstagmorgen über den Terroranschlag auf Nahariya am Sonntag, dem neunten September, nachdem er erst gestern mit einem Tag Verspätung davon erfahren hatte. Der Anschlag in Nahariya war kein guter Auftakt für die neue Woche, doch inzwischen waren solche Zwischenfälle alltäglich, so dass sich der Überraschungseffekt abgenutzt hatte…“ Die Verspätung ergibt sich daraus, dass das Einwandererpaar Abi und Livia keinen Fernseher besitzt. Ein täglicher Blick am Morgen in die im Supermarkt ausliegenden Zeitungen mit den großen Schlagzeilen muss genügen. Oder die Information kommt über das Telefon: „Schon gehört, was passiert ist?“ „Was meinst du?“ „Der Anschlag.“ „In Nahariya?“ „In New York.“ „Nein, nichts davon gehört.“ Danach gibt Abi seiner Frau die Schilderungen weiter: „Sie scheinen unter Schock zu stehen. Sie wurden erstmals auf eigenem Gebiet angegriffen.“ Aber Bilder von den Ereignissen beschaffen sie sich nicht.-
In diesen Tagen ist der Roman eine rare Möglichkeit, die Blickrichtung einmal zu wechseln.
Chaim Noll. Die Synagoge, Roman, Verbrecher Verlag, Berlin, 2014,

Sonntag, 22.06.2014

Sonntag

„Eine gewisse Neigung hatte er für das Kino und forderte Isolde schon am ersten Abend auf, ihn in eines zu begleiten. Isolde schlug ihm verschiedene vor : da war ein Kriminalfall, ein Wild-West-Drama, etwas Belehrendes über die Gefahren der Trunksucht, ein Sportstück und eine Liebestragödie. „Gehen wir in das nächste,“ sagte Strowisch; es ist mir gleich, was ich sehe.“ Isolde war erstaunt und fragte,warum er so gern gehe, wenn das Stück ihn doch nicht interessiere. „Es ist mir angenehm,“ sagte er, „wenn Bilder an mir vorübergleiten. Es gibt mir das Gefühl, auf Reisen zu sein.“ “
Diese Romanfigur ist aber zuvor durch eine weitaus exzentrischere Äußerung eingeführt worden. „Als er etwa sechs Jahre alt war, beunruhigte er uns Geschwister einmal durch die Erklärung, er könne nicht an Gott glauben. Wir drangen in ihn, das sei durchaus notwendig, und warum er es denn nicht tun wolle; da sagte er: wenn es einen richtigen Gott gäbe, so hätte er nicht nach sechs Tagen Arbeit schon auszuruhen brauchen, woraus dann der lausige Sonntag entstanden sei…Wir anderen pflegten uns wie die Narren auf den Sonntag zu freuen, er dagegen sagte, der Sonntag mache ihm übel und er möchte ihn ausspucken, weil man da nicht arbeiten dürfe.“

(Ricarda Huch, Der wiederkehrende Christus, eine groteske Erzählung, 1926)

Samstag, 24.05.2014

Film Maudit

Der Abend des „Film Maudit“ von Helmut Färber – ohne Helmut Färber, der nicht nach Berlin kommen konnte, war für mich der bewegendste Filmabend dieses Jahres. Dabei sah ich nur den ersten Teil und passierte in der Pause die Raucher vor der Tür . Was sich einer unter ihnen vorstellte, als er von „Zölibat“ hier schrieb, habe ich nicht verstanden. Denn das Thema des Abends und des schönen Heftchens dazu, das Helmut Färber zusammenstellte, ist ja nicht die bewusste Entsagung, die Enthaltung, die gewählte Askese, sondern im Gegenteil die aufgezwungene Aufgabe, das Unterbrochenwerden, das Zerstörtwerden. Wie schon im einleitenden Zitat von Robert Bresson erkennbar:
„Ich bin sicher, daß um uns Leute sind von Talent und Genie, dessen bin ich sicher, aber die Zufälle des Lebens…Es muß so vieles zusammentreffen, damit es einem Menschen gelingt, etwas von seinem Genie zu haben. Ich habe den Eindruck, daß die Menschen viel intelligenter sind, viel begabter, aber daß das Leben sie platt macht. Schauen Sie die Kinder an, in der Bourgeoisie…Ich nehme die Bourgeoisie, weil das genau dort ist, wo man sie platt macht. Auf der Stelle. Man macht sie platt, denn es gibt nichts, was mehr Angst macht als Talent oder Genie. Man hat eine Heidenangst davor.“
(Bresson 1966, Übersetzung nach Steffen Schneider)

Montag, 10.03.2014

De mortuis nihil nisi bene

Einige Tage nach dem Tod von Philipp Seymour Hoffman (am 2. Februar 2014) fiel mir in einem unsortierten Zeitungsstapel die Wochenende-Stil-Seite der Süddeutschen vom 25./26.Januar in die Hände. Mit großem Unbehagen sah ich, dass der Schauspieler wenige Tage vor seinem Ableben noch Opfer einer Stilkritik geworden war. In der „Ladies & Gentlemen“-Rubrik war er zum Thema „Winterboots“ als derjenige präsentiert worden, der im Gegensatz zur gepriesenen (mir völlig unbekannten) Cara Delevingne, der weiblichen Trägerin eines solchen Schuhs, alles falsch gemacht hatte. Ich werde aus verständlichen Gründen kein Wort daraus zitieren und ich kann mir vorstellen, dass der Autor der Stilkritik sich im Angesicht des kleinen zeitlichen Abstands sicher sehr unwohl fühlte. Im ersten Moment des Nichtbegreifens und Erschreckens dachte ich: Ist es möglich, dass man einen Toten einer solchen Art der Stilkritik unterzieht? Nach der Überprüfung des Datums waren meine unbehaglichen Gefühle immer noch da. Ich musste mich zwingen, die Seite aufzuheben. Aber als eine irgendwie tröstliche Erinnerung, dass tote Stars von solchen Betrachtungen verschont bleiben.

Dienstag, 04.03.2014

Das Turiner Pferd

Am letzten Sonntag sah ich endlich „Das Turiner Pferd“. Im „Filmrauschpalast“ wird der Film von Bela Tarr noch an den nächsten Märzsonntagen in der Matinee um 12 Uhr gezeigt – auf der neuen Panorama-Breitbildwand (OmU). Wer wie ich die Kritikerprosa dazu skeptisch las, und meinte zu wissen, was er verpasst, sollte dem Film eine Chance geben. Allerdings: Das titelgebende Pferd, das den Film so grandios eröffnen darf, ist viel zu selten zu sehen. (So war ich auch von dem Film „Das merkwürdige Kätzchen“ von Ramon Zürcher enttäuscht, denn der Titel versprach mir, die Welt mehr mit den Augen des Tieres sehen zu können.)
Ein Film, der erst einmal stumm macht. So als wäre ich selbst zum bloßen Geschöpf geworden. Dann erinnerte ich mich an einen Text von Reinhold Schneider, „Das Leiden der Kreatur“(1952), in dem er beklagt, wie wenig sich der Mensch seiner Verantwortung gegenüber der Schöpfung bewusst ist. Er zitiert aus Ausnahmen in Wort und Tat, etwa aus einem Gedicht von Annette von Droste- Hülshoff, die von der Last spricht, „die keiner fühlt und jeder trägt“. Und er erinnert daran: „Hölderlin etwa scheute sich, einen Baum zu verletzen. Würde aber, wenn wir dieses ehrfürchtige Verhältnis zum Geschaffenen finden, nicht auch den Menschen geholfen?“ Dies ist die entschieden christliche Sicht, – die sich im Film von Bela Tarr aber hauptsächlich in Verneinungen und Umkehrungen findet.

Donnerstag, 20.02.2014

Alle sehen dich an

Rainer Knepperges hat sich hier dem aus dem Film hinaus gerichteten Blick intensiv gewidmet, – als Ausnahme. Bei der Porträtmalerei ist es die Regel. Sind aber in einer Ausstellung nur solche Gemälde versammelt, wie derzeit in der Berliner Alten Nationalgalerie – „Anton Graff – Gesichter einer Epoche“ – ist es eine Überforderung, die mir nicht gleich bewusst wurde. Ich hörte jemand zu seiner Begleiterin sagen. „Es ist anstrengend.“ Einen Raum weiter hörte ich: „Die sehen dich alle an.“ Ja, das ist es, dachte ich, deshalb!
Und wie sie uns ansehen! „Nun aber ist es wichtig zu erkennen, wie sich dieser seelenvolle Blick aus dem strahlenden Herrscherblick des Barock und Rokoko entwickelt hat, aus den großen weit geöffneten Augen der Imperatoren, denen im Rokoko schon eine Dosis von gefallsüchtiger Liebenswürdigkeit, bei den Frauen von koketter Herausforderung beigemischt war. Es bleibt das Geheimnis des Malers, wie er diesen Blick durch stärkere Glanzlichter und Reflexe im feuchten Auge, durch stärkere Entspannung der Augenlider, durch Erweichung der Gesichtszüge überhaupt von dem stechenden Blick zum seelenvoll gütigen umgebildet hat.“ (Richard Hamann)
Nur noch bis zum 23.2. zu sehen. So viele seelenvolle Augen werden so schnell nicht wieder beisammen sein.


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