Fritz Lang
wollte ich unbedingt noch sehen. Mit Ophüls und Sirk gehört er zu meinem Dreigestirn. Aber es war nicht einfach, er war schon 84, krank, hatte damals täglich Nasenbluten, und die Lilly Latté wachte über ihn. Mit ihr hatte ich ausgemacht, jeden morgen anzurufen und zu fragen, ob und wann ein halbstündiger Besuch am … Drive möglich wäre. Irgendwann war es so weit. Am 11. XI. 1974 wurde ich von unserem Team zu ihm gebracht, niemand durfte mich ins Haus begleiten. Ich war aufgeregt wie ein kleiner Schuljunge, wiewohl ich nicht ganz wußte, was ich ihn denn nun fragen sollte. Das Buch von der Lotte Eisner war noch immer nicht erschienen, aber ich war doch leidlich über Lang informiert, vor allem über seine Militärzeit durch meine Recherche im wiener Kriegsarchiv. Mir war bewußt, daß die Goebbelsgeschichte mit der Uhr im Hintergrund erstunken und erlogen war, ein Fritz-Lang-Drehbuch, und daß seine erste Frau tabu war. Er hätte mich nicht nur schnurstracks rausgeschmissen, ich hätte auch Angst gehabt, daß er sich bis zum Herzinfarkt aufregen hätte können. Also tratschten wir etwas. Er bedauerte es sehr, in Hollywood in einer Zeit Filme gemacht zu haben, wo die Crime Does Not Pay Moral Gesetz war, wie gerne hätte er es umgekehrt ausgehen lassen und wie sehr beneidete er dafür Peckinpah mit seinem Getaway. Den Namen Straub hatte er noch nie gehört, das fand ich etwas seltsam. Dann bemerkte er einen Fleck auf meiner Kaffeetasse, und konnte damit beweisen, daß er noch nicht ganz erblindet war. Am Schluß fragte ich ihn nach etwas ganz Leichtem sozusagen, nach dem Stellenwert der Höhle in seinen Filmen, auch in Form der Räumlichkeit wie in Man Hunt. Er gab sich außerordentlich erstaunt, daß es in seinen Filmen Höhlen gegeben haben soll. Er wandte sich zur Latté und fragte „Hat es in meinen Filmen Höhlen gegeben, Lilly?“ und Lilly Latté sagte „Nein“ und ich dachte mir, so, das war’s. Ich bedankte mich sehr höflich für das Gespräch und löcherte draußen vor dem Haus, auf das Team wartend, noch die Latté nach ihrem verstorbenen Mann Hans Latté, und sie erzählte mir von ihrer gemeinsamen Tochter, die in Italien 16jährig an Meningitis verstorben war. Was Langs erste Frau anging, so hat es doch unendlich lange gedauert, bis ein Minimum an Dokumentiertem aufgetaucht ist. Ich selbst scheine die ganze Zeit falsch getippt zu haben, denn ich war fest davon überzeugt, daß dem Lang, der mir von unterschiedlichen Seiten als praktizierender Sadist geschildert wurde, bei der Ausübung „perverser Sexualitätpraktiken“ an seiner Frau etwas daneben gegangen war …
Wenn mir der Tag, an dem ich Fritz Fritz Lang getroffen habe, unvergeßlich geblieben ist, dann nicht wegen Lang. Noch weniger eines unangenehmen Zwischenfalls wegen. Am Abend rief mich ein Emigrant erregt an, was denn passiert sei, in den Gazetten stünde, Bernhardt habe mich aus seinem Haus geschmissen, „Big Scene Before Director’s House“ oder ähnlich. Ich wußte von nichts. Mir war Curtis Bernhardt unsympathisch erschienen, und ich mochte keinen einzigen seiner Filme. Aber ich hatte im Jahr zuvor Curt Bois in Berlin [West] getroffen, und es war Bois gewesen, der Bernhardt bezichtigt hatte, ihn beim FBI in den späten 40er Jahren angeschwärzt zu haben. Ich hakte nach und es erschien mir glaubwürdig. Voll Interesse und auch taktlos steckte ich das Bernhardt, der zu meinem Erstaunen das nun keineswegs entrüstet von sich wies, sondern umgekehrt Bois bezichtigte, ständig mit Anzeigen zur Polizei gegangen zu sein. Auch das nahm ich zur Kenntnis, wiewohl es politisch weniger Sinn machte. Als ich mich nach einiger Zeit von Bernhardt verabschiedete, war der alte Herr doch etwas frostiger geworden. Dafür mußte der Erinnerer bestraft werden, und Bernhardt erfand für einen Reporter, was er vermutlich gerne getan hätte, mich des Hauses zu verweisen. So weit so gut. Ich mache mich am Abend auf den Weg, mir diese Zeitung zu besorgen.
Unvergeßlich geblieben ist mir der Tag, an dem ich Fritz Lang getroffen habe, weil ich in dem Supermarkt als allererstes die Titelseite der Los Angeles Times sah mit der Meldung, daß ein RAF-Terrorist den Hungertod gestorben sei. Ich mußte nach dem Namen Holger Meins nicht suchen. Ich wußte es sofort, ich kannte Holger gut genug. Was ich zu Anfang unserer Freundschaft für seine Masche hielt, in WGs, bei Versammlungen und in Komitees den intellektuellen Aufbau einer Sache schweigend zu bewundern, um dann mit einem verachtenden Schwertschlag für das Gequatsche alles zu beseitigen und auf die Spitze der Tat zu treiben, das erkannte ich erst später als die in Holger angelegte Radikalität. Er war von einer selbstzerstörerischen Konsequenz (der skandalös schlechte Kinofilm über Holger ist ein guter Beweis dafür, daß sein Macher nicht das Geringste verstanden hat). Ich konnte und wollte da nicht mitgehen, wir trennten uns 1970, heftig, kurz und schmerzlos, mit viel Liebe im Herzen, und dennoch getraute ich mich nicht, ihn im Gefängnis zu besuchen aus Angst, er könnte mich als kleinbürgerlichen Anarchisten und Filmintellektuellen verachten. Mein Interesse für Militärisches hat mich Holger später besser verstehen lassen. Er wußte zum Beispiel, daß man alles tun darf, nur nicht, ein Ultimatum verlängern. Was keiner hätte tun können, Holger wäre aufgestanden, hätte ein Küchenmesser genommen und um Punkt Mitternacht dem Kapitän oder wem auch immer einen Finger abgeschnitten. Er hätte es nicht gerne getan, nicht aus Sadismus oder Blutrausch, aus reiner Zielgerichtetheit und selbstverständlicher Notwendigkeit. Ansonsten hätte man, in seinen Augen, mit all dem gar nicht anzufangen brauchen. Im heutigen Geschehen wäre Holger ein gefürchteter Islamist und gnadenloser Terrorist. Er oder ich. Aber damals, an diesem 11. November 1974 trauerte ich um einen Freund, wiewohl ich ihn schon jahrelang nicht mehr verstand und gesehen hatte. Für mich war er der Holger geblieben, der die Filme der Straubs bewunderte, aber auch einen so grandios mißglückten Film wie Penns The Chase, der eine druckreife Analyse des trotzkistischen La Hora de los hornos von Solanas abliefern konnte. Und er war ein sehr guter Kameramann. Ich fühlte mich entsetzlich beschämt, ich hier in Hollywood für den WDR III und einen blöden deutschamerikanischen Co-Producer dämliche Interviews abdrehend, und Holger, auf 36 Kilo abgemagert, dahinsterbend.
– Günter Peter Straschek –
(geschrieben im Sommer 2009)