Dezember 2001

Montag, 10.12.2001

Fernseh-Hinweis

amoureuses

Jean Eustaches “Mes Petit Amoureuses”, Frankreich 1974 – zu sehen am Montag, 10.12., um 22:15 Uhr auf TV5.
“Pubertät, ein großes Kinothema – eine Rückschau auf die Zeit, in der wir anfangen mußten, die nur gesehenen, unverstandenen Formen und Gesten der Erwachsenenwelt nicht mehr im Spiel, sondern existentiell zu den unseren zu machen.” (Frieda Grafe zu “Mes Petit Amoureuses”)

Samstag, 08.12.2001

Fernseh-Hinweis

Von Valeska Grisebach, deren bemerkenswerter Spielfilm “Mein Stern” im Januar 2002 in den Kinos anläuft, kann man morgen, Sonntag 9.12.2001, auf 3Sat um 22:30 Uhr den Kurzdokumentarfilm “Berlino”, Österreich 1999, 30 Minuten, sehen.

Donnerstag, 06.12.2001

Etwas für enthusiasmierte Medienkonzernanteilhaber mit Vorschlagsrecht, oder für Serienautoren mit Writer’s Block: Der große TV-Movie-Titel-Generator.

Etwas zu Baz Luhrmans Moulin Rouge von Michael Girke.

Dienstag, 04.12.2001

Kino-Hinweis [4]

Sandrine Veyssets neuer Film Martha… Martha, Frankreich 2001, ist nur noch morgen, Mittwoch 5.12.2001 im fsk-Kino, Berlin anzugucken. Um 20:30 Uhr. Ich war eben bei der ersten Projektion im Kino und nach dem Film derart durcheinandergebracht von ihm, dass ich meinte, erstmal einen Schnaps zur Verdauung zu brauchen. Sowas macht das Kino mit mir sehr selten. Außerdem war es ja auch kalt draußen. Es macht jetzt und hier keinen Sinn, behaupten zu wollen, ich wäre imstande, mehr als die Dringlichkeit dieses Hinweises aufzuschreiben, und das liegt nicht an dem einen Schaps, dem kein zweiter folgte. Die Leute vom fsk meinten, der Film wird in Deutschland nicht verliehen, deshalb und sowieso für die Leute, die “Gibt es zu Weihnachten Schnee?” und “Victor” von Veysset mochten: Tipp!

Montag, 03.12.2001

Budd Boetticher ist gestorben. In Berlin gibt’s ein paar seiner Filme auf Video, in der AGB und im Videodrome. Vor ein paar Jahren hat’s die auch zu sehen gegeben im Zeughauskino, in einer Westernreihe, auf Leinwand. Schön wäre es, würde man die jetzt wieder zeigen, weil die Filme wohl auch leihbar wären, wenn man Goettler glaubt, der im SZ-Nachruf von einer Retrospektive erzählt: 1995, in München. War da jemand?
Ich kenne nur eine Handvoll dieser Filme. Sie sind besonders dicht und konzentriert, was zu verbinden wäre mit den Bemerkungen hier über Zitieren und postklassisches Kino (von Jan Distelmeyer, Michael Girke, und jetzt auch Christian Petzold). Dazu, zum Zitieren und Wiederholen, folgt hier jetzt ein Zitat aus einem Interviewauszug mit Budd Boetticher, über die Arbeit mit seinem Kameramann an Ride Lonesome, USA 1959, 73 Minuten, das von einer amerikanischen Werkschauseite aus dem Internet stammt.
“I’ll tell you a wonderful thing about that, a great story. We were in Lone Pine and I wanted the opening of Ride Lonesome to show how infinitesimal the American cowboy was in those days, so Randolph Scott starts in this vast background before the titles about two inches high with his pack mule and his horse and you’d say „Wow, how did they even get across these mountains much less survive?“ So Lucien and I got up about 4:00 and we got in the van and we drove out to where the horses were and we rode up the mountain as far as we could and I wanted to get there by 5:30 when we could see where the sun was least lightening the sky and we got off the horses and the grooms took them and we walked and walked and walked and we got way up the top of this mountain and I said „Luce, right here, tomorrow morning, at 6:02, with a 35 lens.“ He said „Wait a minute“ and walked about ten feet and he dug his foot in the ground and there was a spike. He said „Come over here and look see which one you like best. Raoul Walsh and I made this shot about twelve years ago.“ I said „I like mine better.“ (laughter) So you see, there’s nothing new, but you have to have a great rapport with your cameraman.”

Ein Tag, wie er für die Zeit zwischen 1790 und 1810 typisch war: Am Flussufer stehen bayrische Soldaten, während ein Dampfboot vorbeifährt. Der Zug mit der Lokomotive im Hintergrund transportiert Waren, während die Menschen sich mit einer Pferdekutsche fortbewegen.
Am Donnerstag, auf dem Flug nach London, wo ich und andere den deutschen Film oder den Film aus Deutschland zu repräsentieren hatten, las ich in der FAZ das Gespräch mit Eichinger und Hofmann
..und es kam mir sehr gespenstig vor.
Zuerst einmal war das alles unglaublich verwirrt und unstrukturiert und letztendlich blieben ein paar Sätze. Daß weniger Filme gedreht werden sollen, dafür mit mehr Geld ausgestattet. Vom Staat Verknappung der Geldempfänger (Produzenten/Autoren/Projekte) fordern, gleichzeitig mehr Geld. Wofür?
Dass man Filme drehen kann, historische, sechziger oder siebziger Jahre, vielleicht auch mal letztes Jahrhundert, vielleicht noch historischer.
Die Politik von Söhnen, dachte ich. Taschengeldpolitik. Wir wollen, wir können, wir sind stark. Aber die anderen, die nehmen was weg, die Schwachen, und Papa, mach was. Immer schwer, wenn man kein Bürger ist, sondern Sohn, und wenn man nicht mit der Gesellschaft redet oder seine Rede an sie richtet, sondern an den Verteiler, an den Papa Staat.
Von was für einem Kino träumen sie. Denn die beiden sind ja jetzt nicht die Fondverwalter. Denen geht es nicht um eine Yacht in Cannes oder eine Hazienda auf Ibiza. Die träumen ja. Es ist dieses David Lean Kino, ein Kino der Totalen, ein Kolonialkino. Man baut nach. Die Geschichte, oder England, die Heimat, in den Kolonien oder im Studio.
Der Unterschied ist nur. Lean und auch Visconti, die waren sich über die Brüchigkeit dieser Nachbauten bewusst. Da reisst und zerfällt und lässt sich nicht bewahren, das ganze Zeug. Wie auch die Heimat als nachgebaute in den Kolonien selbst. Und darum geht es in den Filmen. Vielleicht auch um die Noblesse und die Traurigkeit, die untergehende Systeme noch einmal zeigen, bevor sie verglühen und verstauben.
Wenn in Deutschland Geschichte nachgebaut wird, dann sieht das aus wie Gebrüder Sass. Oder Geisterhaus. Oder Rosemarie. Detailgenauigkeit. Die kostet. Und das Geld ist nicht da. Und deshalb sind die Filme dann so entsetzlich geheimnislos. Denken sie.
Das Zitat oben ist aus einem Buch, das „Mein wunderbarer Märchenschatz“ heisst. Ich muss daraus meiner Tochter vorlesen. Viele Illustrationen, die Märchenfiguren sind alle geklont wie in einer Soap, die Märchen selbst verkürzt und sprachlich verblödet. Das Buch gibt es bei Aldi weggeramscht für 5Mark95. Es hat auf dem Markt nicht bestanden. Die Verleger machen wahrscheinlich die Buchpreisbindung dafür verantwortlich. Es gefällt meiner Tochter wie uns auch eine Soap manchmal gefällt. Sie nimmt das alles nicht ganz ernst und das gibt ihr wahrscheinlich den Spaß.
Manchmal denke ich, die Referenz dieser deutschen Kinoträume, das sind die Vierteiler, die es früher zu Weihnachten im Fernsehen gab. Die Kartoffel von Seewolf Raimund Harmstorf, gequetscht in der Hand. Man lag mit den Geschwistern auf dem Sofa, und es gab Plätzchen und Weihnachtsgerüche und nur zwei Programme und aus der Küche das Gemurmel der Eltern, die Wunschzettel betreffend. In dieses warme Gefühl, dahin wollen sie zurück. Was ja O.K. ist. Als Traum. Nur über die Vergeblichkeit davon, da weiß jedes Märchen von zu erzählen. Und jeder gute Film.


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