Gibt es einen Grund, zwei Stunden einer dummen Frau zuzusehen, wie sie ohne Not scheitert? – Es kann einen geben, wenn der Film denn die Notwendigkeit dazu entwickelt.
Warum über einen Film schreiben, den man nicht für misslungen – tatsächlich ist hier mit Nachdruck alles so gewollt, wie es dann auch erscheint – sondern einfach für falsch, falsch und bewusstlos in den Behauptungen, allen Konstruktionen und Mitteln hält?
Die Rede soll sein von DER FELSEN von Dominik Graf. Aller vordergründigen Besprechungen sowohl als auch Selbstauskünften des Regisseurs zum Trotz hat der Film nicht die „Selbstfindung einer jungen Frau“ zum Thema. Die Personen interessieren den Film überhaupt nicht. Sie sind notdürftig zusammengeklitterte Verschiebemassen, die sich in verschiedenen Kombinationen in nicht enden wollenden Aneinanderreihungen von Plotpoints zusammenfinden, um zwanglos – d.h. ohne Notwendigkeit – dramatisch zu sein. Wenn es denn ein ernst zu nehmendes Interesse gibt, so rankt es sich um die Domestizierung von Natur, sowohl äußerer als auch innerer. Verschiedentlich wird in Bild und Ton darauf hingewiesen, dass der Drehort, Korsika, und hier speziell die innere Region der Insel, schon im 19. Jahrhundert mittels Kanälen erschlossen werden sollte. Diese Versuche scheiterten. Korsika bleibt besonders im Inneren wild und unbezwingbar. So auch die Hauptdarstellerin. So auch die jugendlichen Männer, die zu Zwecken der Resozialisierung hierhin geschickt wurden. Gegenspieler sind die arrivierten Männer, die Chefs und Sozialarbeiter, die Kanalisierer und Rohrverleger. Höhepunkt ist die Kopulation des Protagonisten mit Mutter Erde im Innern der Insel. Danach ist der Verlust jeden Haltes zu beklagen und die Handlung wird völlig gaga.
Der Film arbeitet mit Symbolisierungen; und das in vollem Ernst. Alles ist Symbol von etwas anderem. Junge Katzen tapsen zur Unterstreichung des Ungestüms und der Verletzlichkeit junger Männer über deren Körper. Der kleine Bruder im Verhör in Bedrängnis wird mit der ersaufenden Fliege im Saft gekontert und wiederum die Fliege, Gefangene des Neonlichts, muss herhalten, um die Ausweglosigkeit der Situation des Hauptdarstellers unabdingbar sichtbar zu machen. Sind diese Bildplattitüden als „filmische“ Mittel gemeint, so werden Wege, die die Protagonisten von einer dramatischen Situation zur nächsten zurücklegen, mit Voice Over belegt, Stimmen, die erzählen, dass ein Weg zurückgelegt wird – gemeint ist diese Konstruktion als epische Verfremdung. Der Eindruck drängt sich auf, der Filmemacher traut seiner eigenen Authentizitätsvorgabe nicht mehr allzu viel zu. Gleichzeitig kollidiert dieser Kunstgriff mit den naiven Symbolbefrachtungen andernorts. Aber die Inflation der stilistischen Mittel geht weiter. In einer Rahmenhandlung, die wie der ganze Film kunstvoll bemüht verschlungen ist – hier mit der eigentlichen Handlung, wird auf afrikanische Fabulierkunst rekurriert, die sich an zufällig geworfenen Gegenständen entlanghangelnd die Welt als Sing Along entwirft: Pipi auf Sachensuche erfindet Taka-Tuka-Land. Damit soll vom Zufallscharakter und gleichzeitig nebulös Schicksalsmächtigen (Geworfensein und Voodoo – alles ist eins) des doch auf Kalkül bauenden Handlungsstrangs gesprochen werden. Wie eine World-Music-CD eingeworfen, um Exotik heraufzubeschwören, hat es den nämlichen Effekt: Wenn der Kolonisator von Entkolonisierung spricht, glaubt ihm kein Mensch. Auch die Abschmierarbeit mit Musik folgt einer globalen Strategie: Genommen wird, was verfügbar ist und dem Sentiment gereicht.
Es macht keinen Spaß, nur schlecht über einen Film zu sprechen. Auf die Dummheiten, die von allen Beteiligten über den Gebrauch von DV gesagt wurden, möchte ich gar nicht weiter eingehen. Hätte man den ganzen Film grün angestrichen, um ihm so einen Hoffnungsschimmer zu geben, hätte das das selbe Niveau. Und natürlich verfängt er sich in der Videofalle: Wenn das Material schon mal da ist, und es ist reichlich da, dann zeigen wir es auch. Gemessen am Gehalt ist der Film dadurch um eine Stunde zu lang. Hätte man sich die zahllosen Stilmanierismen in der Nachbearbeitung, die ihn über zwei Stunden retten und Tiefe suggerieren sollen, gespart, wäre vielleicht etwas Anschaubares möglich gewesen. Was klar wird, ist: – FILM IST EIN ERKENNTNISVERFAHREN – das zu diesem Zweck benutzt sein will, kein Instrument, um Zeit zu vernichten, wie es sich das Fernsehen anschickt zu sein. Die Errungenschaften der Filmkunst werden hier nur als Genreversatzstücke begriffen, die man technisch bewältigt, benutzt und passend macht. Das ist Technokratie durch und durch ohne Hypothese über die Wirklichkeit. Woran es mangelt ist Eigensinn und Subjektivität. Die Kategorien des Zusammenhangs und der Radikalität bleiben gänzlich unbesetzt. Dieser Film ist schiere Warenproduktion ohne Surplus und darin dann auch noch ungeschickt – geradezu obszön, ihn als Experiment zu goutieren und zu überhöhen.
Warum dann soviel Aufregung? – Weil man in Erwartung ins Kino geht, etwas entdecken möchte, sich nicht für dumm verkauft sehen will. Die Verleihangestellte rief uns nach der Pressevorführung noch zu: Aber die Schauspieler, aber die Schauspieler! – Ja, die Schauspieler.
Gibt es einen Grund, über einen schlechten Film zu schreiben?
Noch einmal: Gibt es einen Grund, zwei Stunden einer dummen Frau zuzusehen, wie sie ohne Not scheitert?
Einen Film mit einem Film kritisieren.
Ich habe meine Kassette von Barbara Lodens WANDA (1970) verliehen und werde sie mir jetzt wiederholen.