November 2002

Dienstag, 26.11.2002

Fernseh-Hinweis

Donnerstag, 28. November, 22:20 Uhr, TV5: ABC Africa, Regie: Abbas Kiarostami (Iran 2001)

Dienstag, 19.11.2002

lex performantia
ein ungehaltener kanzler schröder verbot heute morgen mit sofortiger wirkung und unter androhung schwerster sanktionierung sämtliche veranstaltungen, die sich mit medien, media, neuen medien, new media, media of the other, media of the Other, medienumbrüchen, medialität, intermedialität, neue medialität, medienspezifik, multi-media, multimediale installation(en), multi-media-ästhetik, körper, neuen körpern, anderen körpern, (neuer) in-, ex-, meta-, trans-, hypo-, hyper-, oder einfach korporation, (neuer) performativität, (new) performing, (neuer) performanz, (new) performance, (neuer) materialität, (new) materiality, ereignis, neuem ereignis, ereignishaftigkeit, neuer ereignishaftigkeit, kultur, netz-[irgendwas], darstellung, dar-stellung, darstell-ung, darstel-lung, da-rstellung, ent-stellung, end-ställlung, digitalem, ritual, digital als ritual, digital als anderes ritual, o. ä. oder irgendeiner kombination des genannten beschäftigen.

schröder: ‚damit ist jetzt schluss.‘

Montag, 11.11.2002

Fernseh-Hinweis

Heute, 11. November, 3 Sat, 22:55 Uhr – Prüfstand 7, Regie: Robert Bramkamp, Deutschland 2001
Zu “Prüfstand 7” gibt es hier ein längeres Gespräch zwischen Robert Bramkamp und Michael Girke zu lesen.

Aus einer Zeit, als das Abtippen von Zitaten noch geholfen hat.

„Die untreue Frau von Claude Chabrol (1968) erzählt, wie eine Frau ihren Mann betrügt und wie der Mann den Liebhaber seiner Frau umbringt, sie sind am Ende; der Mann wird von der Polizei abgeholt, und in der letzten Einstellung des Films fährt die Kamera den Gartenweg hinunter, von dem Haus fort, vor dem die Frau allein zurückbleibt. Während der Rückfahrt wird der Zoom zugezogen, so dass sich die Kamera der Frau auf die gleichen Maße nähert, wie sie sich von ihr entfernt. Die Kombination von Zoom und Fahrt ergibt ein stillstehendes Bild, das beide Bewegungen aufhebt und dennoch von ihnen erfüllt ist: mit dem Stillstand zerfällt allmählich die perzeptive Struktur des Bildes, da der Bereich der Tiefenschärfe durch den Zoom beständig erweitert und so der Raum der Wahrnehmung unaufhörlich deformiert wird.
Die letzten Filme von Chabrol handeln von der Familie und das heißt von der Bourgeoisie; Chabrol weiß auch, dass es die Bourgeoisie ist, die seine Filme anschaut. Vom amerikanischen Kino hat er nur lernen können, denn seine Filme muss er mit europäischen Geld machen; es reicht nicht für jene Zuschauer, für die das Kino gemacht wurde. Zwischen Distanzierung und Anziehung eine zerfallende Wahrnehmung; ein Mann, der seine Frau verlassen muss, weil er sie liebt, und eine Frau, die ihren Mann hält und von ihm abgestoßen wird; ein Mord wie eine Geste des Verzeihens., die nichts ungeschehen macht, und wie ein Beweis der Liebe, der alles zerstört; ein Regisseur, der von seiner Arbeit gepackt ist, gegen den aber die Produktionsbedingungen arbeiten; die Kinos, die seine Filme nicht füllen können, und der Kino-Besitz, der das Kino vor den Filmen verschließt und vor den Zuschauern.“

Letzte Woche lief der Film auf 3-Sat. Er lief um 20Uhr15. Als das Fernsehen das Kino noch brauchte, gab es das oft. Dann passten die Filme irgendwann nicht mehr in die Slots. Selbst das Wochenende ist nicht mehr slotfrei. Nur bei den Privaten, wo die Filme laufen, die man auch bei Plus oder Penny Markt oder auch bei Wohltath vor der Kasse findet.

Schön ist zu sehen, wie Chabrol sich manchmal das Kino erfindet. Wenn man, wie Hartmut Bitomski oben in dem Zitat aus der RÖTE DES ROTS VON TECHNICOLOR beschreibt, herausgefallen ist aus dem, was Kinoindustrie ist, ist das notwendig.

Wenn der Mann gemordet hat, dann ist die Kamera auf einem Kran. Von oben zeigt sie die Arbeit, die es macht, den Körper des Opfers verschwinden zu lassen. Ganz undramatisch ist das. Man sieht die Arbeit und den Ort. Wie eine Überwachungskamera. Eine, die sich an der Arbeit und der Übertretungen der Menschen berauscht.
Die Frau wird in Augenhöhe gefilmt. Oft sieht man sie von hinten. Am Fenster der Villa stehend. Hier, aus dem Gefängnis, dem leidenschaftslosen, da wollte sie hinaus. Hat sich einen Geliebten gesucht. Jetzt erwartet sie den Ehemann. Voller Sehnsucht.

Killertext
Manny Farber, 1962: White Elephant Art vs. Termite Art
(Mehr zu Manny Farber demnächst. Hier nur noch ein link zu einem instruktiven Artikel von Noel King aus Framework.)

Sonntag, 10.11.2002

“[…] Eine Woche darauf bin ich nach Arizona geflogen, mit einer High8 Video Kamera in der Hand. Was ich dort vorfand, hatte den Charakter eines handfesten Beweises: der Beweis war evident, nur was er beweisen wollte, war doch durchaus noch undeutlich.
Eine Idee für einen Film braucht diese Art misslicher Verstimmung: da liegt etwas vor, man schaut es sich an und ist beeindruckt, aber einen Reim kann man sich darauf nicht machen. Und dann braucht eine Idee, für einen Dokumentarfilm zumal, eine starke und vielfältige Realität, an der sie hochwachsen kann. Genau dies offenbarte sich in den zerschundenen Wrackteilen der B-52, ein reichhaltiger, umfassender Ausschnitt der Realität.[…]”

Destruktion als Ziel der Produktion – Interview mit Hartmut Bitomsky zu seinem Film B-52

Dienstag, 05.11.2002

Fernseh-Hinweis

Mittwoch, 6.11., WDR, 23:15 Uhr: Running Out Of Time, Regie: To Kei-fung a.k.a. Johnnie To (Hongkong 1999)

Samstag, 02.11.2002

Viennale 2002

Eben aus Wien nach Berlin zurückgekehrt, entnehme ich meiner Jackentasche mit dem Reisepaß auch jenen Zettel, der mich die letzten zwei Wochen hindurch während der Viennale begleitet hat: ein dichtes Programm, in dem einige Filmtitel herausgehoben sind; es sind die, die ich sehen wollte, nicht alle habe ich geschafft. Glück ist, „Verantwortung für die Grenze zum Rausch zu übernehmen“, rief Schlingensief aus, als er aus dem Kuhlbrodtbuch vorlas (darüber muß eigens geschrieben werden) – während eines Filmfestivals hält man viel Pathos aus, und Schlingensief war an diesem Abend großartig. Die Viennale eröffnete heuer mit ETRE ET AVOIR von Nicolas Philibert, einem Dokumentarfilm über eine Grundschulklasse in der Auvergne, der mir wie ein Echo auf Rossellinis Gaukler Gottes erschien. Das Gartenbau-Kino ist von allen Festivalpalästen, die ich kenne, der beste: ein Saal für 740 Menschen, die nicht (wie in den Musicalauditorien, die bei A-Ereignissen als repräsentative Räume gelten) wie in einem Theater sitzen, sondern wie in einem Kino zu der Leinwand aufblicken, die enorm groß ist, und eines Abends, als das Bild für GERRY von Gus van Sant tiefblau wurde und der Vorhang sich zu Cinemascope öffnete, war das dan fast ein erhabenes Ereignis: eine Kamerafahrt durch die nordamerikanische Wüste, Musik von Arvo Pärt, zwei unheimliche Schnitte und eine Gefahr wie zu Beginn von Kubricks SHINING, der Matt Damon und Casey Affleck sich mit der Unbedarftheit zweier Jungen aussetzen, die außer rauchen und gehen nicht viel können. Die wagemutigen Unschärfen dieses Films wurden nur von LA VIE NOUVELLE von Philippe Grandrieux übertroffen, aber dessen exzeptionelle Horrorästhetik ist den Leidenschaften eines jungen Westmannes im wilden Osten zu weit voraus, um einen Film zu ergeben. Also der beste Fetzen der Viennale. Der beste Globalisierungthriller stammte aus dem Jahr 1933, wurde unlängst wiederentdeckt, trägt den Titel ÖL INS FEUER, Regie: Rudolf Katscher, der von Wien aus ins Exil ging. Eine Räubergeschichte zwischen Brasilien und Berlin, mit Peter Lorre in der Rolle eines Agenten, mit Aktionären und korrupten Vorständen, mit viel Zigarrenrauch und vielen Genossen von Bossen, mit ausgeplünderten Ölfeldern und einer frühen Faxübertragung, es ist alles da, wozu der deutschsprachige Film nicht mehr aufgeschlossen hat. Der schönste Gobelin der Viennale stammt von Todd Haynes: In FAR FROM HEAVEN nimmt er ein Melodram von Sirk, und statt es zu dekonstruieren, errichtet er es auf den Diskursen von Race/Gender neu, und es leuchtet nur noch intensiver – mit Julianne Moore und einem herrlich finsteren Dennis Quaid. Selbstreferentieller war da nur noch die Szene in UNKNOWN PLEASURES von Jia Zhangke, in der einer der jugendlichen Aussichtslosen in einer chinesischen Provinzstadt einen Freund auf der Straße trifft, der DVDs verkauft. Ob er XIAO WU hat, fragt er, oder PLATFORM (die beiden vorangegangenen Filme von Jia Zhangke), oder wenigstens LOVE WILL TEAR US APART (einen Hongkong-Film, der auch schon mit einem Joy-Division-Titel gespielt hatte)? Nein, der Händler hat nur Mainstream-Filme, während UNKNOWN PLEASURES ein Arthaus-Film ist, produziert mit französischem Geld, für ein Publikum, das eher Les Unrockuptibles liest als im Hinterland von Festlandchina auf DVDs von Jia Zhangke wartet. Trotzdem ist UNKNOWN PLEASURES wieder toll in seinen Beobachtungen einer umfassenden Entwertung: Des Geldes, der Körper (die Mädchen tanzen für Wodkareklame, ein Junge hat Hepatitis), der Beziehungen, zuletzt sogar des Verbrechens. der ungebärdigste Film der Viennale kam von Jean-Francois Stevenin (PASSE-MONTAGNE), der in MISCHKA eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe unter die Touristen in Südwestfrankreich mischt: Einen alten Hünen, eine junge Mutter mit einem kleinen Bruder, eine schöne Zigeunerin und mittendrin sich selbst als ziellosen Vitalisten, plus dem Rockstar Johnny Hallyday, der dort auch gerade auf Tour ist. Stevenin möchte fliegen, aber nicht mit der Kamera, sondern durch die Montage, deswegen wirft es den Film oft hin vor lauter Ausbruchsenergie, aber er rappelt sich immer noch einmal auf, und sammelt am Straßenrand seine Außenseiterbande wieder ein. Vieles habe ich versäumt, den ganzen Rivette zum Beispiel, vor allem L’amour fou; auch einen neuen Guy Maddin. Beim Abschlußfest kam dann noch ein Mann daher und sagte, er hätte in Klaus Wyborny einen „genuinen Intellektuellen“ entdeckt (SULLA hatte Premiere), und für die nächste Viennale wünscht er sich einen Tribute an Peter Watkins – das ist nun wirklich eine großartige Idee.

Jetzt fast ein Jahr “new filmkritik” – What would you have done differently?


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