Sehr vielseitig, sehr umfangreich: die Homepage von Klaus Wyborny.
Anfang/Mitte der 90er habe ich meinen einzigen Film von Wyborny gesehen, Aus dem Zeitalter des Übermuts, auf der Berlinale. Damals ließ der Projektor der Akademie der Künste den Film in der Mitte verbrennen und Wyborny lief dann rasch aus dem Saal, die Vorführung zu stoppen. Ich erinnere mich an das lyrische “Ach” der Voice-Over, an grobkörnige Bilder der Pyramiden und an eine Geschichte, die von der Idee handelte, auf jener Pyramidenspitze mit einer Frau zu schlafen. Flaubert hatte nur vergessen, diese Idee in seine Reisetagebücher zu notieren.
Band 6 (von 9) der auf der Homepage zu lesenden Comédie Artistique (Aus einem Künstlerleben) heißt Elementare Schnitt-Theorie, und handelt, schreibt Wyborny, “um die Theorie der Filme, die ich nicht machen möchte.“
2002
Donnerstag, 21.02.2002
Mittwoch, 13.02.2002
MILLENNIUM MAMBO
Frankreich, Taiwan, China, 2001
Regie: Hou Hsiao-hsien
Donnerstag, 14. Februar, 14 Uhr, Cinemaxx 14
Vielleicht die bis auf weiteres letzte Möglichkeit diesen Film in der Schwärze eines Kinoraumes zu sehen. Verleih Fortissimo, auf dem Filmmarkt, freundliche Leute. Wenn es voll wird kann sich vielleicht einer der zögerlichen Verleiher entschliessen den Film hier in die Kinos zu bringen.
Dienstag, 12.02.2002
Starsystem und Realitätsverlust – Eine Anekdote aus zweiter Hand
(aus Gründen der Selbst-Zensur gestrichen)
Samstag, 09.02.2002
Berlinale: Presseschauen und Weblog
Donnerstag, 07.02.2002
Wenn die Filmkritik hierzulande über den deutschen Film spricht gehts einem als läse man zeitgenössische Berichte über die Marine unter Wilhelm II. Der Film HEAVEN von Tom Tykwer ist dann ein tolles Schlachtschiff von dem aus Admiral Kosslik auf irgendeine Flotte schiessen soll. Auch wenn die Kanone auf dem Kahn zu dick ist und das schöne Schiff schwere Schlagseite hat. Und auf wen soll die Kanone schiessen?
Woran kann man erkennen ob zwei Darsteller in einem Film es wirklich ernst meinen? Was unterscheidet Steve McQueen und Ali McGraw in GETAWAY von Ribisi/Blanchett in HEAVEN? Fast alles. Das Buch natürlich: Schuld, das Verbrechen. Sex. Mexiko.
Bei Tykwer gibt es das nicht, wir begleiten eine Schicksalsgemeinschaft zweier Engel. Geschwisterliebe, Himmelfahrt. Kann der Zuschauer in den Augen Blanchetts erkennen ob sie Ribisi focussiert oder das Scheinwerferstativ rechts hinter seinem Ohr? Ist es ein Blick, der für die entscheidende zehntel Sekunde länger gehalten wird und das bedeutet dann was? Ist es der um ein paar Grad veränderte Winkel des Oberkörpers? Macht das einen Unterschied?
Bei HEAVEN ist alles ausschliesslich eine Sache des Glaubens. Wenn einem der fehlt produziert der zeremonielle Aufwand Schwulst. Ich habe die Liebe zwischen Ribisi und Blanchett nicht glauben können, sie für eine Behauptung, Berechnung, Verzweiflung, Drehbuch- oder Castingerfindung gehalten , für eine Spekulation, eine Wette die nicht aufgeht. Damit war der Film für mich verloren. Es blieben 3 Einstellungen, für die ich HEAVEN im Kopf behalte: Der Schlitz, der sich bei der Explosion des Aufzugs in die Leinwand reisst und die beiden Bilder am Ende: die Polizeiameisen, die auf den sich entfernenden Hubschrauber schiessen und dann der Blick von der Erde: der Hubschrauberquirl, der immer kleiner wird bis er ein Punkt ist und schliesslich im Blau des Himmels verschwindet.
El Valley Centro, von James Benning. Heute abend, 22 Uhr, im Arsenal.
Dienstag, 05.02.2002
So hart mußt Du sein
Kleine Nachlese zu zwei Festivals.
Triest: Wem Tarkowskij oder Sokurow noch zu nah an einem Frohnaturen-Kino ist, dem sei hiermit „A Place on Earth“ von Arthur Aristakisjan empfohlen. Mit heiligem Ernst schildert der Film den schließlich scheiternden Versuch einer Gruppe von „Dropouts“ mitten in Moskau in einem leerstehenden Haus einen „Tempel of Love“ zu gründen. Jesus-Figur inklusive. (Dieses Haus und diesen „Tempel“ hat es zwischen 1996 bis 1998 wohl tatsächlich gegeben. Der Regisseur hat laut Katalogangaben auch einige Zeit dort gelebt. Inzwischen gilt Aristakisjan als verschollen. Niemand weiß, wo er sich aufhält.) Klingt schlimm, ist es streckenweise auch. Allerdings entwickelt der Film eine cinematographische Materie, die mitunter Atemberaubend ist. Selbst die Handkamera-Sequenzen sind mit einer Präzision gefilmt, die nichts mit Dogma-Gefuchtel zu tun hat. Das Spiel der Darsteller oszilliert zwischen Eisensteinscher Typen- Stilisierung und Psycho-Drama. Sehr seltsam.
Göteborg: Sehr viele Filme, die offenbar unter sehr diffusen Kriterien zusammengestellt worden sind. Unter anderem gesehen: „Hundstage“ von Ulrich Seidel. (Gewinner des großen Jury-Preises in Venedig.) Was soll denn das sein? Unangeweht von jeder formalen Reflektion führt der Film (wie so viele Produktionen der letzten Jahre aus Östereich) in die „Abgründe der normalen Spießer-Welt“. Seidel bemerkte vor der Projektion des Films, daß der am Körper der Akteure sichtbare Schweiß echt und daß ihm das sehr wichtig gewesen sei. Dazu fiel mir nur die Antwort von John Ford auf die Frage ein, warum er so wenige Großaufnahmen mache: „Weil ich keine Nasenhaare auf einer 15-Meter-Leinwand sehen möchte.“
Dann ein paar Tage später doch noch ein Lichtblick: „Va Savoir“ von Rivette. Eine Geschichte, in der wieder einmal das Theater eine wichtige Rolle spielt. Mußte mich nach der Vorstellung im kleinen Kreis mit ein paar anderen Zuschauern streiten. Sie fanden den Film „altmodisch“ und seine „Aussage“, daß das Leben ein Spiel sei, banal. Rivettes Filme, auch „Va Savoir“, lassen sich wohl kaum auf eine Botschaft reduzieren. Und das Spielerische seiner Konstruktionen weist weniger auf das Leben selbst, als auf dessen Vermittlung durch den Film.
Montag, 04.02.2002
the one plus one
„Es gibt mehrere Paralleluniversen, die nebeneinander liegen. Es sind verschiedene Welten, die sich beinahe gleichen und doch Variationen voneinander sind. In einer von ihnen wohnt der Bösewicht Juhlaah, der alle seine Doppelgänger tötet, um die Macht … bla bla.“
Jet Li war nicht schlecht, der Film vergeudete Zeit, in der ich das Mädchen neben mir beobachten konnte, die auf ihrem Handy Tetris spielte. Zwischen durch telefonierte sie. Ein Pärchen vor uns bewarf sich ständig mit Popcorn, dann fütterten sie ihn und steckte ihm eines ins Ohr, das er nicht wieder herausbekam. Ich folgte den beiden nach draußen ins Cineplex.
Die Nacht über der Sukhumvit Road in Bangkok glänzte hinter den Panoramascheiben und ich stellte mir vor, sie wäre eine schleimüberzogene Welt von H.R. Giger. Kabel, die sich in alle Richtungen spannten und verklumpten, die Trasse der Skytrain aus organisch geformtem Beton, dürre Bäume, die zwischen den Schatten der flachen Häuserdächer ins Leere griffen, Antennen, Wäscheleinen, Gittertüren und ganz unten der Verkehr, mit winzigen Wesen, die auf einer glänzenden Flüssigkeit entlangglitten.
Die Geschäfte im Cineplex waren schon geschlossen. Arbeiter rissen die poppige Dekoration der Pizzastube herunter. Schade, dachte ich, die Chinesen aus Maryland hatten keinen Erfolg. Sie haben einen behinderten Sohn, der immer die Bestellungen notierte und jedesmal die Sardellen vergaß, weil er sie nicht mochte. Paare schlenderten umher.
Jet Li spielte sich selbst, seinen Doppelgänger, seinen Doppeldoppelgänger, vielleicht nachdem ich rausging auch seine Mutter, seine Frau, seinen Bruder und seine Geliebte. Der mit dem Ohrring und der Sonnenbrille spät nachts, könnte Jet Li sein, seine Freundin, die ein bauchfreies Top trägt einer Surferfirma und langes glattes Haar wie aus der Shampoowerbung. Sie könnte auch Jet Li sein. Oder Jackie Chan. Chinesischer Humor. Bruce Lee bestellt in einem Restaurant in Rom die ganze Speisekarte. Den Rest des Films muß er ständig aufs Klo.
Der letzte Film, bei dem ich die Thais wirklich habe lachen sehen, war ‚Together‘ von Mobyson, ein Film über eine schwedische Kommune in den Siebzigern, der alles ausspricht. Wie gute Filme eben sein müssen. Das Banale benennen und wiederfinden.
Neben den Toiletten entdeckte ich eine Reihe neuer Häuschen. Winzige Hütten aus Pressholz, einem Giebeldach und zwei kleinen roten Kunstlederbänken im Innern. Eine Tür mit eingelassener Glasscheibe. Sie sahen aus wie eine Installation von Andrea Zittel. Die hübsche Kartenverkäuferin saß drin und sang in falscher Tonlage zu einem Scorpionsvideo auf dem Bildschirm. Ich sah ihr zu, aber sie bemerkte mich nicht. Sie hatte ihre senfgelbe Uniform mit dem Cineplexlogo ausgezogen und trug Jeans und einen weißes Hemd. Ihr ovales Gesicht verriet, das sie aus dem Norden aus einem der Hilltribes abstammt. Ihre Nasenflügel bewegten sich beim Singen. Erhitzt und mit roten Wangen kam sie heraus und schrie ihrer Freundin in der anderen Kabine zu: ‚Komm wir gehen, der Scheiß is zu teuer!‘ Sie klopfte an die Scheibe, aber die Freundin mit der hellblauen Strickjacke winkte aufgeregt. Ich beobachtete sie dann, wie sie beide kopfnickend bei Robin Williams saßen und immer wieder das eine Lied mitsangen ohne bezahlen zu müssen.
Ich stellte mir vor, ich wäre ihr Freund, der darauf wartet, endlich nach Hause zu gehen und die Freundin abzuschütteln, aber sie beachteten mich nicht und ich ging zurück ins Kino. Der Film war gerade zu Ende und ich ließ mich zum billigen Hardrock des Abspanns mit den Leuten zum Ausgang treiben und in die warme Luft der Nacht. Der McDonalds war schon geschlossen, aber hinter den großen Scheiben saßen noch die Angestellten und schnitten bei Pommes und Cola Monsters Inc. Figuren aus und malten sie mit Filzstiften an. Schüler saßen auf den schwarzen Steintreppen und rauchten. Ein Langhaariger spielte Gitarre. Ich wollte der Langhaarige sein, aber die Mädchen beachteten ihn nicht, also blieb ich ich und sah auf zu dem Licht der Leuchtreklamen und Scheinwerfer, das unter der Trasse des Skytrains schwebte. Was von oben aussah wie Gallert, war hier unten ein feiner Nebel aus Licht in der feuchten Luft, ein Nebel, der aufgewirbelt wurde, als die Ampel nach langem Warten auf Grün schaltete.
Es ist die gleiche Welt, durch die ich ins Kino gegangen bin, meine Parallelwelt, die nur Stunden später dunkel vor mir lag, als ich die kleine Seitenstraße nach Hause ging. Die Neonröhren und Parkplatzwächter waren verschwunden, die Hunde lagen wie tot auf dem Bürgersteig und die Lichter in den Häusern hinter den Zäunen waren verloschen. Palmen und Bougainvillas ragten dunkler über die Mauern und Autos schliefen in den eingegitterten Einfahrten der schmalen Stadthäuser, die wie Pappschachteln aneinandergelehnt sind. Weiße Dampfwolken kamen aus dem obersten Parkdeck eines der verglasten Bürotürme. Sie standen für einen Moment über der Aluminiumhütte eines Torwächters, als würden sie gleich abregnen und ihn wecken mit harten Tropfen, dann verschwanden sie ins Nichts.
Ich stellte mir vor, der Mann, der in dem Wachhäuschen auf seinem Stuhl schläft wäre ich und in der schlammbraunen Uniform würde ich ein paar steife Schritte machen auf dem hellen Asphalt und mich umsehen. Die gleiche Welt jeden Tag. Als ich am Tor ankam, sah ich, daß dem monegassischen Konsulat seit neustem das Wappen auf der barocken Frontseite fehlt. Über seinen rosagestrichenen Mauern glühte der Himmel wie das blaue Display eines neuen Nokiatelefons, – nur war er blasser und kraftloser, denn es war mein alter Freund, der Himmel, der sich rund um die Uhr über all meine Universen spannt.
Mittwoch, 30.01.2002
Trouble everyday
Beatrice Dalle steht neben einem Spannungshäuschen, am Rande einer Landstraße. Sie raucht und es dämmert und sie friert in ihrem Trenchcoat. Ein Truck fährt vorbei. Sie schaut kurz auf. Der Truckfahrer hat sie gesehen. Und ihren Blick. Er hält seinen Wagen an.
Dieses Anhalten des Wagens wird gezeigt in einer komplizierten Kameraoperation. Alle Einstellungen zuvor waren fest. Einfach. Jetzt aber fährt die Kamera. Ein wenig hinter dem haltenden LKW her. Eine Kranbewegung kreuzt das Heck. Die Bewegung hält inne, als der Fahrer die Tür seines Wagens öffnet.
Merkwürdig fremd ist diese ganze Operation. Sie scheint nichts geschuldet. Sie erzählt nichts. Eine Auflösung in zwei oder drei Einstellungen hätte das Anhalten des Wagens und die Frau, die das Anhalten hervorgerufen hat, klarer und einfacher erzählt. Die Plansequenz jedoch steht allein und losgelöst da.
Später sieht man einen Motorradfahrer. Auch er fährt die Landstraße entlang. Er passiert den geparkten LKW. Er stoppt seine Maschine. Hält neben dem LKW an. Der Mann ist irritiert. Er schaut sich um. Er sucht etwas. Später wird er den zerrissenen LKW-Fahrer finden. Und eine blutverschmierte Beatrice Dalle, die ganz abwesend ins Leere starrt.
Die Irritation, die den Motorradfahrer beim Passieren des abgestellten LKWs überkommt, diese Irritation verstehen wir, weil sie entstanden ist aus der oben beschriebenen Kameraarbeit, der Plansequenz. Denn es gab nichts, was einem an diesem am Straßenrand abgestellten LKW innehalten ließ. Keine offene Fahrertür, die der Wind bewegte. Kein Motor, der lief. Keine Kleidungsstücke unter der Fahrerkabine.
Aber weil das Abstellen des Wagens so kompliziert und unökonomisch ins Bild gebracht wurde und eigentlich kein Bild war hält der Motorradfahrer an. Das Bild des abgestellten LKWs trägt das sinnlos Aufwendige, das nicht zu Ende und zur Auflösung gebrachte, in sich. Deshalb hält er an. Der Motorradfahrer fährt eine Landstraße entlang. Aber er fährt auch einen Film entlang. Das kam in diesen Sequenzen zusammen. Und das hat mir gefallen. Das die Darstellung einen Protagonisten beeindruckt. Und nicht das Dargestellte.
Eine halbe Stunde später fiel der Strom aus. Die Videolibrary des Festivals in Rotterdam war dunkel. Alle Monitore schwarz. Ich musste dann zum Flughafen.
Der Film ist von Claire Denis und die anderen im Wagen zum Flughafen sagten, dass er nicht gut sei. Die 38 Minuten, die ich gesehen habe, waren großartig.
Sonntag, 27.01.2002
ein filmtip zum gedenken an bourdieu (der mich immer ein wenig an tommy lee jones erinnert hat) wäre REPRISE von herve le roux, den ich heute abend im berliner arsenal versäumt habe wiederzusehen: ausgehend von einem kurzen film aus 1968, in dem eine frau zu sehen ist, die sich vehement weigert, die batterienfabrik wonder zu betreten und damit den streik gegen das unternehmen zu brechen, ist REPRISE eine recherche, die primär dieser frau gilt (ob sie noch lebt, und unter welchen umständen), die aber in dieser suchbewegung ein großes epos der französischen arbeiterbewegung entstehen läßt, bei dem ich immer an Das Elend der Welt denken mußte, diesen kollektiv-balzacischen versuch eines teams um bourdieu, die soziologie nicht in die vororte zu tragen, sondern sie dort zu finden. REPRISE lief einmal auf arte, es sollten also videos around sein