Montag, 28.04.2003

Innen, Politik.

The Core, USA 2003, Regie: Jon Amiel

„It’s a motherfucker, don’t you know?“ (Sun Ra, zit. nach Yo la Tengo: Nuclear War EP, Matador 2002)

To begin with: Das Unheil nimmt seinen Lauf. Am Trafalgar Square fallen plötzlich die Vögel vom Himmel oder fliegen orientierungslos gegen die Gebäude und Autos. Auf dem Boston Common findet eine ökologische Veranstaltung statt, als in den angrenzenden Bürotürmen unvermittelt reihenweise die Herzschrittmacher aussetzen. // Für mich im Kino – mittags in der Stadt gelandet, zeitzonengeschädigt und übermüdet – steckt in diesem apokalyptischen Anfang eine Dosis Realität, mit der ich nicht gerechnet habe. Denn das spärlich besuchte Multiplexkino steht Ecke Park Street, keine 200 Meter von der Stelle entfernt, an der auf der Leinwand gerade die Herzschrittmacher durchdrehen. Ein Gedanke, der mich hätte beruhigen können: Wenn es tatsächlich in diesem Moment ein derartiges Elektro-Strahlungsgewitter gäbe, dann würde jetzt wahrscheinlich auch der Projektor nicht mehr funktionieren, der mir zeigt, was alles bei einem solchen Elektro-Strahlungsgewitter jetzt wahrscheinlich nicht mehr funktionieren würde. //

Reality, Part II: Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre oder kurz danach spielt die Steuerungselektronik der „Endeavor“ verrückt; der Space Shuttle entgeht knapp der Katastrophe und muß in LA notlanden. Im Film ist dies zugleich Hilary Swanks unkonventionelle Führerscheinprüfung. Sie darf wenig später einen anderen Shuttle in die Erde lenken. Ich frage mich, ob es nach dem Absturz der „Columbia“ im Februar Überlegungen oder Druck auf Jon Amiel oder die Universal gegeben hat, die Shuttle-Szenen rauszunehmen. Bei der Stossrichtung des ganzen Films wahrscheinlich nicht.

Talkin‘ about a revolution: Das Kernproblem wird im Film nur in seinen Konsequenzen, nicht (oder nur im Nachhinein und halbherzig) in seinen Ursachen eingeführt: Aufgrund merkwürdiger physikalischer Veränderungen hört der Erdkern auf sich zu drehen. Das elektromagnetische Kraftfeld droht auszufallen, die gesamte Erdatmosphäre ist in Gefahr: Erdbeben, Klimaerwärmung, Hitzetod, etc. Trotz der einleitenden Sequenz am Trafalgar Square und einer anderen Szene, in der das Colloseum einstürzt, wird dies als ein im Kern amerikanisches Problem behandelt. Weltinteresse und amerikanisches Interesse werden als deckungsgleich behauptet. Ein zweiter Promosatz neben „Earth has a deadline“ lautet: „The revolution has come to an end“ Ich musste da zweimal drüber nachdenken: Mit Revolution ist hier ganz wörtlich die kreisende Bewegung des Kerns gemeint. Der Film will also die Problemlösung mit Nuklearwaffen als revolutionären Akt verstanden wissen. Den Globus wieder elektromagnetisch imprägnieren, Restauration als Revolution. Revolution makes the world go round – hier eine Tautologie.

Lösungsvorschlag: „Wir lassen im Zentrum der Erde Atombomben von 1000 Megatonnen explodieren und lösen damit die größte Schockwelle der Geschichte aus“, sagt jemand im Trailer. „Shock and awe“ avant la lettre, denn der Film war wahrscheinlich irgendwann letztes Jahr fertig. An diesen Teil des Films, die fulminanten Bombenexplosionen am Ende, erinnere ich mich deutlich. Aber im Kurztrailer auf der Netzseite erkenne ich die Handlung jetzt, nach dem Film, nicht wieder. Da sagt eine unheilvolle Stimme: „Es war ein geheimes [!] Regierungsprogramm, bekannt [?!] als Projekt Destiny. – ‚Wir bauen eine Waffe, die gezielt seismische Aktivitäten erzeugen kann.‘ – Das Ziel war, unsere Feinde mit Hilfe von Erdbeben anzugreifen. – ‚Ich messe seismische Reaktionen‘ – Es war eine perfekte, unauffindbare Waffe. – ‚Destiny hat grünes Licht‘ – Bis etwas schiefging…“ Es wäre interessant zu sehen, ob und wie sich der amerikanische vom deutschen Trailer unterscheidet. Denn in dieser Version klingt es plötzlich so, als seien das amerikanische Waffenprogramm und die damit verbundene Hybris Ursprung und Auslöser des Problems. Im Film selbst dagegen ist sind die Waffen vor allem seine Lösung. Das folgt unter anderem einer simpel gestrickten, sprachlichen Analogie: Womit soll man dem Kern beikommen, wenn nicht mit Kernwaffen? Auf den Nukleus gilt es Nuklear zu reagieren. Gegen Husten nimmt man Hustensaft.

Kommentar zur politischen Lage: Eine genretypisch zusammengestellte Crew bohrt sich in einem Earthshuttle in das Erdinnere, um die Sache wieder einzurenken. Die Atombomben dienen dabei als eine Art martialisches Starthilfekabel, um dem Kern neuen Schwung zu verleihen. Damit sind Themen markiert: Innere Sicherheit, Weltpolizei, kriegerische Handlung als Penetrationsphantasie, der Mariannengraben als Eingang zum Schoß der Mutter Erde. Der Film stellt diese Themen in einer Überdeutlichkeit aus, die sich oft nicht zwischen Ironie und Peinlichkeit entscheiden kann. Meist wählt er letzteres.

Experten. Wissen. Einige der Crewmitglieder holt sich die Regierung von ausserhalb. Da ist der zurückgezogene Wissenschaftler, offenbar jahrelang als Spinner abgekanzelt und ausgelacht: Plötzlich darf er sein Traumschiff bauen, in kürzester Zeit und mit Riesenbudget („Nehmen Sie Checks?“) schraubt er den metallenen Riesenphallus zusammen. Darüber hinaus gibt es den verstrahlten Hacker, der jetzt zwar quasi im Pentagon sitzt, sich aber selbstredend weiterhin von Coke aus Riesenbechern und Chips ernährt. Und als wissenschaftlicher Leiter ist ein smarter junger Physikprofessor an Bord, der seinen Studenten elektroakustische Phänomene verdeutlicht, indem er im Hörsaal Trompete spielt. Solchen Leuten kann man als Zuschauer nicht von vornherein Regierungsinteressen unterstellen, es sind der Tendenz nach Marginalisierte (der Wissenschaftler), Subversive (der Hacker) oder künstlerisch veranlagte Intellektuelle (der Prof). Die Botschaft: Zum Zeitpunkt der Krise gilt es zusammenzustehen, Subversion, „Anders-sein“ hin- oder her. In der Logik der Deckungsgleichheit zwischen Welt und USA gibt es kein Außen zur Regierungsmeinung. Differenzen werden als Fassade aufrechterhalten, spielen aber (nach Innen) für die gemeinsame Identität als Weltretter keine Rolle.

Männer / Frauen: Für ihre Rolle als Teena Brandon, die ein Junge sein will und sich daher Brandon Teena nennt, hat Hilary Swank 2000 („Boys don’t Cry“, USA 1999, Regie: Kimberly Pierce) einen Academy Award bekommen. Jon Amiel besetzt sie in „The Core“ als Major Rebecca ‚Beck‘ Childs, die Terranauten-Pilotin. Auf andere Weise darf sie auch hier also wieder eine Frau spielen, die einen Mann spielt. Der Tough guy, zugleich ein Wink in Richtung Sigourney Weaver als Alien-Kommandantin.

Schon drin? Was, wenn man im Erdinnern angekommen ist – ganz abgesehen von den offenkundigen Schwierigkeiten, eine einförmig gallertartige, heisse Masse über einen längeren Zeitraum packend zu visualisieren? Das Drehbuch kennt ebensowenig wie die Besatzung eine wirkliche Strategie, wie die aus dem Gleichgewicht geratene Erdstrahlung wieder in den Griff zu kriegen wäre. Man taucht, so kommt es mir vor, ziemlich unkoordiniert ab ins Innere, das Vertrauen richtet sich einzig auf das Know-How der Experten an Bord und auf die Tauglichkeit der mitgeführten Waffen. Es ist Bestandteil des Plans, keinen wirklichen Plan zu haben. /// Ich sehe den Film einen Tag vor der Einnahme Bagdads. Mein Jetlag führt dazu, daß ich zwischendurch immer wieder mal kurz einnicke; auch deshalb bleiben die Erinnerungen diffus, überlappen im Halbschlaf mehrfach mit Aktuellem, auch mit Nichtigkeiten. Ich frage mich zum Beispiel, ob die Besatzung auf ihrem Weg zum Kern die Uhren umstellen muss. Welche Zeitzone gilt am Erdmittelpunkt? Wie simuliert man dort „Tag“ und „Nacht“? Mich würden solche Spuren des Banalen im Ausnahmezustand interessieren; dem Film sind sie egal. Immerhin: Auf der Netzseite von United International kann man einen erdbebensicheren „The Core“-Weltzeit-Wecker gewinnen. ///

Kerngeschäft: The Core. Das, worauf sich ein Problem reduzieren läßt, „stripped down to the core“. Hier heisst das: Es gibt ein Problem, wir schicken unsere Waffen hin – die B 52-Logik. Daß das Problem „im Innern“ liegt, läßt sich auch so übersetzen: Die Bedrohung kommt von innen. Nine Eleven: wir sind auf dem Heimatkontinent attackiert worden.
Gegen Ende des Films, einige Mitglieder der Crew sind ums Leben gekommen, verglüht, verpufft, für die Sache geopfert, flüchtet sich der Film in die Ideologie sinnloser Stärke, einer Kraftanstrengung, die sich erst im Vollzug legitimiert. Man bombt, um zu bomben oder weil man die Sprengkörper nun einmal dabei hat. Zwar steht immer wieder die Frage im Raum, ob man nicht besser unverrichteter Dinge umkehren solle, aber ein Aufmarschbefehl ohne Schlacht und Sieg ist weder auf der Leinwand noch draussen vorgesehen. Der Film gibt sich keine Mühe, diese Gewaltanwendung argumentativ abzufedern – vielleicht hat man insgeheim darauf gehofft, dass in diesem Fall die Realität dem Film zur Seite springt und plausibel macht, was auf keinerlei Plausibilität hoffen kann. Bagdad, Reise zum Mittelpunkt der Erde, wer legitimiert hier wen?

Weltinnenpolitik: Die Antwort auf ein – im weitesten Sinne – Umweltproblem heisst in „The Core“ Atombombe, nicht Kyoto. Das, was im Kalten Krieg glücklicherweise Theorie bleiben musste, kann in der Hitze des Erdmittelpunkts in die Praxis umgesetzt werden. Ein paar Tage später höre ich in den Nachrichten (oder war auch das im Halbschlaf, noch im Film?), daß die Bush-Administration ihren Abrüstungskurs aufgeben will. „It’s a motherfucker, don’t you know.“

Volker Pantenburg

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