April 2003

Dienstag, 15.04.2003

Sicherheitsmitarbeiter haben ein wachsames Auge auf Ihre Gegenstände

„Am xx.xx. 2003 findet die absolut erste Aufführung unseres Films

X MEN 2

Regie: Bryan Singer
mit Patrick Stewart, Hugh Jackman, Halle Berry, Ian McKellen, James Marsden, Famke Janssen
Länge: ca. 120 Min.
Originalfassung
Start: 1. Mai 2003

um xx:xx Uhr im Filmpalast Berlin, Kurfürstendamm 225 statt.

Bitte haben Sie Verständnis, dass aus Sicherheitsgründen (der Film ist zu diesem Zeitpunkt auch in den USA noch nicht gestartet) keine Taschen in den Kinosaal genommen werden dürfen, sowie Mäntel und Jacken unter Aufsicht im Foyer des Kinos abgegeben werden müssen.
Sicherheitsmitarbeiter haben ein wachsames Auge auf Ihre Gegenstände. Natürlich dürfen auch keinerlei Aufnahmegeräte (werder für Bild noch für Ton) mitgeführt werden.
Mit Ihrem Erscheinen zur Vorführung akzeptieren Sie diese Festlegungen!“

Montag, 14.04.2003

tv-hinweis:
heute abend, 14.4., auf arte, um 23:00 Hartmut Bitomskys ‚B-52‘

Harun Farocki, Kriegstagebuch (4)

6.4.03 (Toronto)
Ein kanadischer Nachrichtenkanal in ähnlichem Design wie CNN, auf dem Hauptbild spricht ein Arzt über SARS, auf dem Nebenbild erscheinen Autobahnbilder aus der Region, die eine Bildunterschrift jeweils lokalisiert. Es hat einen heftigen Schneefall gegeben und diese Bilder sollen die Verkehrsverhältnisse dokumentieren. Für einen Augenblick glaube ich, sie zeigten den Vormarsch der Seuche und zugleich den Vormarsch der Koalition auf Toronto.
Seit Beginn der Invasion haben wir aus dem Irak Bilder von ähnlicher Banalität gesehen, denen kaum mehr abzulesen war als Wetter und Verkehrsdichte. Das Wissen, das seien Kriegsbilder, hat uns in Spannung gehalten. Die Kommentar-Stimmen haben zu der Spannung beigetragen, indem sie von „unerwarteten Schwierigkeiten“ und einem „Widerstand, stärker als erwartet“ sprachen. Das ging mir ein, wohl im Kinderglauben, das Unrecht des Angriffs werde sich rächen, gleich oder irgendwann.

7.4.03
Im „Toronto Star” das Foto eines US-Panzers, in starker Untersicht gegen einen hellblauen Himmel, von dunkelgrauen Wolken oder Rauchschwaden durchzogen. Auf der Luke des Panzers am Bildrand rechts steht ein irakischer Soldat und hält Ausschau, am Bildrand links balanciert ein zweiter sehr sicher auf dem Kanonenrohr von etwa zwanzig Zentimern Durchmesser, seine Jacke weht auf und die rechte Hand hält eine Waffe gesenkt, die linke ist zum Victory-Zeichen erhoben. Dabei schaut er aus dem Bild nach links oben. Die Bildunterschrift sagt, der M-1 Abrams-Panzer sei bei einem Kampf an der Stadtgrenze von Bagdad von einer Granate getroffen und aufgegeben worden. Das Bild hält keine Pose fest, sondern friert einen Moment aus einer unverständlichen, mit Selbstgewissheit ausgeführten Handlung ein. Die Untersicht und der dramatische Himmel erinnern an ein Schlachtengemälde. „A coalition plane later swooped in and destroyed the tanks remains.“ Das ist symbolische Politik: ein kaputter Panzer wird zerstört, damit man mit ihm kein „Schindluder“ treiben kann, damit die Panzer-Leiche nicht weiter geschändet werden kann.

8.4.03
Anders als in den USA ist hier in jeder Bar der Krieg auf dem Bildschirm anwesend. Im Frühstückscafé ein kanadischer Kanal auf dem links Strassenbilder aus Bagdad und rechts Highways aus der Region Toronto zu sehen sind.

9.4.03
Im Traum: Wir fuhren mit einem Bus zu etwas wie einem politischen Seminar. Jemandem war es gelungen, den alten Hitler aufzutreiben. Er sass mit uns im Bus und sah sich ein bißchen ähnlich, aber auch teilweise überhaupt nicht. Ich versuchte sein Alter auszurechnen und witzelte mit ihm rum :“Haben Sie Dich angerufen oder Eva Braun?“. Ich duzte ihn absichtlich. Wir kamen überein, dass er nicht echt sein kann. Mein Freund Christian Petzold sagte: „Würden Sie diesem Mann ein gebrauchtes KZ abkaufen?“
Das ist natürlich ein Tages-Rest. Am Vorabend hatten wir das Video mit Bin Laden oder seinem Wiedergänger gesehen. Ausserdem hatte Hitler am Ende Sorge, man könne mit seiner Leiche „Schindluder” treiben.

11.4.03
Erinnerung an einen Satz von Jan Stage: Früher wurden Kriege geführt, um sich etwas unter den Nagel zu reissen, heute, um einen Antrag auf Kredit bei der Weltbank vorzubereiten. Umfrage auf CNN: Ist der Krieg erst dann gewonnen, wenn wir S.H. haben (tot oder lebendig) oder wenn er aus dem Amt ist. 51% zu 49%.
Dieses Tagebuch endet in der nächsten Woche.

Sonntag, 13.04.2003

The photographs tell the story… 

Does the scene look like the Fall of the Berlin Wall?

Samstag, 12.04.2003

samstagabend bei l.: ich habe mein password noch nicht erneuert, deswegen dieser hinweis von hier. WANDAFURU RAIFU (AFTER LIFE) von hirokazu kore-eda ist der beste film, der gerade in berlin im kino läuft (trotz FEMME FATALE, DIVINE INTERVENTION, SOBIBOR, ADAPTATION, FAR FROM HEAVEN, und was wir jetzt gerade vergessen). es geht um menschen, die schon gestorben sind und im übergang ins jenseits eine einzige erinnerung wählen sollen, die dann verfilmt wird – von einer kino-pravda-truppe, die mit allen tricks arbeitet. AFTER LIFE hält der liste folgender referenzen stand: proust, ozu, capra, lubitsch, … gruppe human intervention
(breb)

Mittwoch, 09.04.2003

Webloghinweis
auf das Filmtagebuch aus Berlin

Montag, 07.04.2003

Harun Farocki, Kriegstagebuch (3)

31.3.03
„Erstausstrahlung“ von Madonnas „American Life“ auf dem Musikkanal Viva, – dem Sender mit dem Friedens-Zeichen als Logo. Der Clip will sich gegen jeden Einwand schützen, indem er ins Zentrum eine Modenschau stellt, mit Mädchen in Talibankleidung auf dem Laufsteg, über den schliesslich ein jeepähnliches Fahrzeug mit Mädchen in Uniform hereinbraust. Es soll also um die Mode der Politik gehen. Es war eine Politik der Mode, dass Anti-Militaristen Uniform-Teile anlegten, um deren Magie zu brechen. Umgekehrt haben US-Soldaten im Vietnam-Krieg Attribute der Protestbewegung angenommen: lange Haare, Drogen, Rock-Musik. All das ist seither völlig entzaubert und taugt nicht mehr zum Ausweis einer Geisteshaltung. Darüber gibt es schon Bücher und das muss Madonna, die als nicht dumm gilt, wissen. Dass der Clip schon vor der Premiere umgeschnitten worden sein soll und danach wieder zurückgezogen wurde, also eine Provokation bedeuten soll, hat mit der Krise der Institution Militär zu tun. Weil es für das überkommene Militär keine Funktion gibt, wird der Soldatenrock wieder zu einem Heiligtum. Zur nationalen Folklore trägt Madonna bei, indem sie so tut, als könnte sie für ihren Clip an die Wand gestellt werden. (Ein „Fashion Victim“). Zu unterstellen, ihr Spiel könne die Soldaten beleidigen, während jeder zweite Arbeitslose in Armee-Klamotten rumläuft („Reserve-Armee“), weist auf die ideologische Konfusion und ist damit vielleicht sogar ein subversiver Akt.

2.4.03 (Chicago)
Der Krieg ist eher in den Börsen-Schwankungen abzulesen als in den Alltagsbildern. In den Bars laufen nur Sportbilder. Im Hotel müssen wir durch viele Kanäle schalten, bevor der Krieg erscheint. CNN hat hier einen anderen Tonfall als in Europa. Der Grundton ist der eines Sportreporters, der entschieden für das eigene Team Stimmung macht. Strassen im Irak sind zu sehen, auf denen Panzer in Richtung Bagdad fahren. Bei Sportereignissen ist es heute üblich geworden, vor und nach dem Spiel Experten einzuladen und mit ihnen zu sprechen, weil das Bild nichts hergibt. Hier gibt das Bild nie etwas her, die „überraschend heftige Gegenwehr“ ist nie zu sehen und auch eine Totale von Bagdad während des Bombardements macht nicht deutlich, was getroffen wurde und mit welchen Folgen. Also werden auch hier Experten zugeschaltet, ein ehemaliger Verteidigungsminister und ein ehemaliger Aussenminister. Sie haben an der Kriegsführung einiges auszusetzen und am aussenpolitischen Kurs der Bush-Regierung, meinen das aber konstruktiv. Der Ex-Aussenmminister sagt, es wäre schön, dass Bush „this animal“ Sadam jetzt killen wolle. Mal erscheint das Bild des TV-Hosts links und daneben, übereinander, sind die beiden Experten zu sehen, im nächsten Augenblick ist der eine Experte grösser zu sehen und die beiden anderen Köpfe sind in kleinere Rahmen gekästelt. Das Umschalten und grösser und kleiner erscheinen lassen von zugeschalteten Köpfen ist sowieso die Hauptaktion bei CNN. Hier ist nun auch stets noch die irakische Landschaft mit den Fahrtaufnahmen dabei.

5.4.03
Anders als im vorigen Krieg gegen den Irak 1991 ist die Kriegsführung darum bemüht, möglichst keine oder möglichst wenige zivile Opfer zu verursachen. Die Live-Bilder aus Bagdad, Totalen, die das Ausmass der Bombardements nicht ermessen lassen und auch die langen Einstellungen von Truppenbewegungen irgendwo lassen sich mit den Bildern aus Überwachungskameras in einem Bürohaus oder Krankenhaus vergleichen. Sie zeigen nicht alles und es ist ihnen nicht abzulesen, ob einer die Bücher fälscht oder die Narkose verpatzt. Aber dass es die Kameras und die Bilder gibt, das steht für eine gewisse Ordnung und soll für Rechtlichkeit gelten. Wir sind als Zuschauer in die Rolle des Sicherheitspersonals versetzt, vor dem diese Bilder ablaufen. In jedem Film sind die Leute vor diesen Kontrollschirmen elende Idioten und kriegen eins auf die Mütze beim Überfall. Sie werden wenigstens bezahlt fürs absitzen, wenn auch schlecht.

Sonntag, 06.04.2003

„BLACK HAWK DAWN“

Den Krieg nachspielen

Kürzlich „aus gegebenem aktuellem Anlass“ Ridley Scotts Kriegsfilm „BLACK HAWK DAWN“ gesehen. Der Film hat den desaströsen Militäreinsatz der USA in Somalia im Jahr 1993 zum Gegenstand. Etliche Schrifttafeln „erklären“ zu Beginn die historische Situation. Ein paar hingepfuschte Szenen zeigen marodierende somalische Milizen. Eine Kamera- Fahrt zeigt in bläulichem Werbelicht und untermalt von Hanns Zimmers abscheulichem Ethno-Soundtrack, am Boden liegende, ausgehungerte Zivilisten. Diese Fahrt ist vermutlich nicht weniger obszön ist als diejenige aus Pontecorvos, durch den Diskurs der „Cahier du Cinema“ berühmt-berüchtigt gewordenen, Lager-Film. Doch Serge Daney scheint Recht zu haben, wenn er feststellt, daß das Kino und der Diskurs über das Kino heute zu schwach ist um noch elementare Fragen hinsichtlich der Moral des Bildes zu stellen. Also weiter. Anschließend verliert der Film nicht viel Zeit mit „Nebensächlichem“. Er kommt schnell zur Sache, dem Militäreinsatz, bei dem es darum geht die Besatzung eines in feindlichem Stadtgebiet abgestürzten Hubschraubers rauszuholen. Der Darstellung dieses Einsatzes widmet sich der Rest der Filmhandlung.
Vor wenigen Tagen war in der „Berliner Morgenpost“ ein längerer Text über „BLACK HAWK DAWN“ abgedruckt. In diesem Text formulierte der Autor die These, daß die Bilder dieses Films auf bizarre Weise die Lücke füllen, die die aktuelle Berichterstattung über den Irak-Krieg hinterlasse. Ein Kurzschluß-Gedanke, der auch mir beim Sehen von „BLACK HAWK DAWN“ durch den Kopf ging, der bei näherer Betrachtung jedoch Blödsinn ist. Der Film ist ein virtuos gemachter Action-Reißer. Einer der vielen Kriegsfilme, die den Zuschauer identifikatorisch mitreißen wollen und zu vermitteln versuchen wie sich Krieg „anfühlt“. Ein solches Verfahren bleibt auch im Fall von „BLACK HAWK DAWN“ darin stecken, Krieg als „knallharte Elementar-Erfahrung, in der der Einzelne an seine Grenzen geht“, vorzuführen. Die vermeintliche Schonungslosigkeit der Darstellung ist auch hier letztlich nur Verklärung und Kitsch.
Mir fallen nur zwei Kriegs-Spielfilme (Filme, die den Krieg „nachspielen“) ein, die diesen Fehler nicht begehen. Kubricks kühler „FULL METAL JACKET“, der die Mechanismen der totalen Ent- individualisierung der Rekruten als Grundvoraussetzung für ihren Kriegs-Einsatz untersucht. Am Anfang stehen die Großaufnahmen der Rekruten, denen gerade die Haare geschoren werden. Das Schlußbild zeigt eine Totale, in der die als Individuen nicht mehr auszumachenden Soldaten bewußtlos singend durch die Abenddämmerung eines Kampfgeländes in Vietnam taumeln. Und „THE DEER HUNTER“ von Michael Cimino, der sich in seiner epischen Breite die Zeit nimmt, den Alltag seiner Figuren vor dem Krieg, ihre Teilnahme am Krieg und ihr völlig aus den Fugen geratenes Leben nach dem Krieg zu zeigen. In beiden Filmen hat der „Kampf“ eine Vor- bzw. Nachgeschichte. Beide Filme haben einen Blick für die Bedingungen des Gezeigten und stellen eine Distanz zur „Eigentlichkeit“ und „Unmittelbarkeit“ der Kampf-Handlungen her. Keine Spur davon in „BLACK HAWK DAWN“.


Wort des Tages vom 03.04.2003: Bomben

Fernsehen
Den Eindruck, dass die in den Nachrichtenkanälen gezeigten Bilder vom Krieg lügen und betrügen, habe ich eigentlich nicht.
Der Eindruck des Schlechtbehandeltwerdens befällt mich hin und wieder, wenn ich zusehe, wiediese Bilder in immer routinierterem Umgang fürs Erzählen genommen und gerichtet werden: aneinandergereiht; gegengeschnitten; mit Legenden und Tönen versehen; untertitelt; übereinandergelagert; hinter Live-Berichterstatter platziert; verschiedene Zeiten und Materialien mischend und Karten, Animationen, Icons und Trademarks über sie ziehend; Blicke und Bewegungen aus dem einen in das andere übertragend; einen Schwenk mit einer Ranfahrt konternd; ein flackerndes Blitzlicht als Schnittmoment nutzend; von städtischen Straßenmengentotalen auf Kindergesichter darin zoomend und dann tausende Kilometer von dieser zur nächsten Einstellung ins Bundespresseamt, Oval Office, House of Commons, nach Afghanistan oder zum Publikum auf der Straße für einen Beweis des Zusammenhangs zurücklegend; sowie weiterem mehr.
Kein Grund für Ikonoklasmus. Es geht wohl mehr um die Signaturen.
Kein euphorisierendes Adrenalinansteigen aber auch beim Gedanken ans Stürmen der audiovisuellen Erzählzentralen (siehe dazu auch die Elemente der Schlachtbeschreibung I, II und III – vom Wörterberg, dessen tägliche Lektüre diesen Eintrag offensichtlich beförderte).

Samstag, 05.04.2003

Ich träume einen – AUFRUF -:

Absperrungen von öffentlichen Straßen und Plätzen zum Zwecke der Evakuierung für Filmdrehs –
NIEDERREISSEN! ZERSTÖREN!

Die filmfreundliche Stadt – wer möchte in so etwas leben?

Gedanke nach der Sichtung von THE HOURS, eines kolonialen Zugriffs auf Kultur sondergleichen, der nur Vernichtung im Sinn hat. Elitetruppen von Mask- und Wigstylists im Nahkampfeinsatz, um den gemeinen Brigitte-Leser auch weiterhin eines ruhigen Schlafes zu versichern. Kulturimperialismus und ‚Nie wieder Krieg‘ fiel mir noch ein.

Am nächsten Morgen war die Eisenacher Straße in Berlin-Schöneberg für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Ohnmachtsgefühle.


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