„Wieder ein anstrengender Tag. Trotz Sonne.“
Rudolf Thome, Frau fährt, Mann schläft
Drehtagebuch – 1. Woche (9.4. – 13.4.)
2003
Freitag, 18.04.2003
Donnerstag, 17.04.2003
Film-Hinweis
In Berlin gezeigt wird am 19. und 20.04.
James Bennings UTOPIA
Grossartige Aufnahmen des Death Valley bis hin zur suedlich gelegenen mexikanischen Grenze mit dem kompletten Soundtrack aus dem Dokumentarfilm „Ernesto Che Guevara, das bolivianische Tagebuch“ (1994) des Schweizer Filmemachers Richard Dindo ueber die letzten Tage des bolivianischen Revolutionaers. Vor diesem Hintergrund erfahren Bennings Aufnahmen der kalifornischen Landschaft eine neue Dimension.
Ort:
Augenblick – Raum fuer Gegenwartskunst, Niederbarnimstr.15, 20 Uhr.
[via Berliner Gazette]
Mittwoch, 16.04.2003
Fernseh-Hinweis
Freitag, 18.4.03 – SFB1 – 23:00 Uhr – „Playgirl – Berlin ist eine Sünde wert“, Regie Will Tremper, BRD 1966.
Ein kurzer Text dazu auf unserer Langtextseite: hier.
Dienstag, 15.04.2003
Sicherheitsmitarbeiter haben ein wachsames Auge auf Ihre Gegenstände
„Am xx.xx. 2003 findet die absolut erste Aufführung unseres Films
X MEN 2
Regie: Bryan Singer
mit Patrick Stewart, Hugh Jackman, Halle Berry, Ian McKellen, James Marsden, Famke Janssen
Länge: ca. 120 Min.
Originalfassung
Start: 1. Mai 2003um xx:xx Uhr im Filmpalast Berlin, Kurfürstendamm 225 statt.
Bitte haben Sie Verständnis, dass aus Sicherheitsgründen (der Film ist zu diesem Zeitpunkt auch in den USA noch nicht gestartet) keine Taschen in den Kinosaal genommen werden dürfen, sowie Mäntel und Jacken unter Aufsicht im Foyer des Kinos abgegeben werden müssen.
Sicherheitsmitarbeiter haben ein wachsames Auge auf Ihre Gegenstände. Natürlich dürfen auch keinerlei Aufnahmegeräte (werder für Bild noch für Ton) mitgeführt werden.
Mit Ihrem Erscheinen zur Vorführung akzeptieren Sie diese Festlegungen!“
Montag, 14.04.2003
Harun Farocki, Kriegstagebuch (4)
6.4.03 (Toronto)
Ein kanadischer Nachrichtenkanal in ähnlichem Design wie CNN, auf dem Hauptbild spricht ein Arzt über SARS, auf dem Nebenbild erscheinen Autobahnbilder aus der Region, die eine Bildunterschrift jeweils lokalisiert. Es hat einen heftigen Schneefall gegeben und diese Bilder sollen die Verkehrsverhältnisse dokumentieren. Für einen Augenblick glaube ich, sie zeigten den Vormarsch der Seuche und zugleich den Vormarsch der Koalition auf Toronto.
Seit Beginn der Invasion haben wir aus dem Irak Bilder von ähnlicher Banalität gesehen, denen kaum mehr abzulesen war als Wetter und Verkehrsdichte. Das Wissen, das seien Kriegsbilder, hat uns in Spannung gehalten. Die Kommentar-Stimmen haben zu der Spannung beigetragen, indem sie von „unerwarteten Schwierigkeiten“ und einem „Widerstand, stärker als erwartet“ sprachen. Das ging mir ein, wohl im Kinderglauben, das Unrecht des Angriffs werde sich rächen, gleich oder irgendwann.7.4.03
Im „Toronto Star” das Foto eines US-Panzers, in starker Untersicht gegen einen hellblauen Himmel, von dunkelgrauen Wolken oder Rauchschwaden durchzogen. Auf der Luke des Panzers am Bildrand rechts steht ein irakischer Soldat und hält Ausschau, am Bildrand links balanciert ein zweiter sehr sicher auf dem Kanonenrohr von etwa zwanzig Zentimern Durchmesser, seine Jacke weht auf und die rechte Hand hält eine Waffe gesenkt, die linke ist zum Victory-Zeichen erhoben. Dabei schaut er aus dem Bild nach links oben. Die Bildunterschrift sagt, der M-1 Abrams-Panzer sei bei einem Kampf an der Stadtgrenze von Bagdad von einer Granate getroffen und aufgegeben worden. Das Bild hält keine Pose fest, sondern friert einen Moment aus einer unverständlichen, mit Selbstgewissheit ausgeführten Handlung ein. Die Untersicht und der dramatische Himmel erinnern an ein Schlachtengemälde. „A coalition plane later swooped in and destroyed the tanks remains.“ Das ist symbolische Politik: ein kaputter Panzer wird zerstört, damit man mit ihm kein „Schindluder“ treiben kann, damit die Panzer-Leiche nicht weiter geschändet werden kann.8.4.03
Anders als in den USA ist hier in jeder Bar der Krieg auf dem Bildschirm anwesend. Im Frühstückscafé ein kanadischer Kanal auf dem links Strassenbilder aus Bagdad und rechts Highways aus der Region Toronto zu sehen sind.9.4.03
Im Traum: Wir fuhren mit einem Bus zu etwas wie einem politischen Seminar. Jemandem war es gelungen, den alten Hitler aufzutreiben. Er sass mit uns im Bus und sah sich ein bißchen ähnlich, aber auch teilweise überhaupt nicht. Ich versuchte sein Alter auszurechnen und witzelte mit ihm rum :“Haben Sie Dich angerufen oder Eva Braun?“. Ich duzte ihn absichtlich. Wir kamen überein, dass er nicht echt sein kann. Mein Freund Christian Petzold sagte: „Würden Sie diesem Mann ein gebrauchtes KZ abkaufen?“
Das ist natürlich ein Tages-Rest. Am Vorabend hatten wir das Video mit Bin Laden oder seinem Wiedergänger gesehen. Ausserdem hatte Hitler am Ende Sorge, man könne mit seiner Leiche „Schindluder” treiben.11.4.03
Erinnerung an einen Satz von Jan Stage: Früher wurden Kriege geführt, um sich etwas unter den Nagel zu reissen, heute, um einen Antrag auf Kredit bei der Weltbank vorzubereiten. Umfrage auf CNN: Ist der Krieg erst dann gewonnen, wenn wir S.H. haben (tot oder lebendig) oder wenn er aus dem Amt ist. 51% zu 49%.
Dieses Tagebuch endet in der nächsten Woche.
Sonntag, 13.04.2003
Samstag, 12.04.2003
samstagabend bei l.: ich habe mein password noch nicht erneuert, deswegen dieser hinweis von hier. WANDAFURU RAIFU (AFTER LIFE) von hirokazu kore-eda ist der beste film, der gerade in berlin im kino läuft (trotz FEMME FATALE, DIVINE INTERVENTION, SOBIBOR, ADAPTATION, FAR FROM HEAVEN, und was wir jetzt gerade vergessen). es geht um menschen, die schon gestorben sind und im übergang ins jenseits eine einzige erinnerung wählen sollen, die dann verfilmt wird – von einer kino-pravda-truppe, die mit allen tricks arbeitet. AFTER LIFE hält der liste folgender referenzen stand: proust, ozu, capra, lubitsch, … gruppe human intervention
(breb)
Mittwoch, 09.04.2003
Webloghinweis
auf das Filmtagebuch aus Berlin
Montag, 07.04.2003
Harun Farocki, Kriegstagebuch (3)
31.3.03
„Erstausstrahlung“ von Madonnas „American Life“ auf dem Musikkanal Viva, – dem Sender mit dem Friedens-Zeichen als Logo. Der Clip will sich gegen jeden Einwand schützen, indem er ins Zentrum eine Modenschau stellt, mit Mädchen in Talibankleidung auf dem Laufsteg, über den schliesslich ein jeepähnliches Fahrzeug mit Mädchen in Uniform hereinbraust. Es soll also um die Mode der Politik gehen. Es war eine Politik der Mode, dass Anti-Militaristen Uniform-Teile anlegten, um deren Magie zu brechen. Umgekehrt haben US-Soldaten im Vietnam-Krieg Attribute der Protestbewegung angenommen: lange Haare, Drogen, Rock-Musik. All das ist seither völlig entzaubert und taugt nicht mehr zum Ausweis einer Geisteshaltung. Darüber gibt es schon Bücher und das muss Madonna, die als nicht dumm gilt, wissen. Dass der Clip schon vor der Premiere umgeschnitten worden sein soll und danach wieder zurückgezogen wurde, also eine Provokation bedeuten soll, hat mit der Krise der Institution Militär zu tun. Weil es für das überkommene Militär keine Funktion gibt, wird der Soldatenrock wieder zu einem Heiligtum. Zur nationalen Folklore trägt Madonna bei, indem sie so tut, als könnte sie für ihren Clip an die Wand gestellt werden. (Ein „Fashion Victim“). Zu unterstellen, ihr Spiel könne die Soldaten beleidigen, während jeder zweite Arbeitslose in Armee-Klamotten rumläuft („Reserve-Armee“), weist auf die ideologische Konfusion und ist damit vielleicht sogar ein subversiver Akt.2.4.03 (Chicago)
Der Krieg ist eher in den Börsen-Schwankungen abzulesen als in den Alltagsbildern. In den Bars laufen nur Sportbilder. Im Hotel müssen wir durch viele Kanäle schalten, bevor der Krieg erscheint. CNN hat hier einen anderen Tonfall als in Europa. Der Grundton ist der eines Sportreporters, der entschieden für das eigene Team Stimmung macht. Strassen im Irak sind zu sehen, auf denen Panzer in Richtung Bagdad fahren. Bei Sportereignissen ist es heute üblich geworden, vor und nach dem Spiel Experten einzuladen und mit ihnen zu sprechen, weil das Bild nichts hergibt. Hier gibt das Bild nie etwas her, die „überraschend heftige Gegenwehr“ ist nie zu sehen und auch eine Totale von Bagdad während des Bombardements macht nicht deutlich, was getroffen wurde und mit welchen Folgen. Also werden auch hier Experten zugeschaltet, ein ehemaliger Verteidigungsminister und ein ehemaliger Aussenminister. Sie haben an der Kriegsführung einiges auszusetzen und am aussenpolitischen Kurs der Bush-Regierung, meinen das aber konstruktiv. Der Ex-Aussenmminister sagt, es wäre schön, dass Bush „this animal“ Sadam jetzt killen wolle. Mal erscheint das Bild des TV-Hosts links und daneben, übereinander, sind die beiden Experten zu sehen, im nächsten Augenblick ist der eine Experte grösser zu sehen und die beiden anderen Köpfe sind in kleinere Rahmen gekästelt. Das Umschalten und grösser und kleiner erscheinen lassen von zugeschalteten Köpfen ist sowieso die Hauptaktion bei CNN. Hier ist nun auch stets noch die irakische Landschaft mit den Fahrtaufnahmen dabei.5.4.03
Anders als im vorigen Krieg gegen den Irak 1991 ist die Kriegsführung darum bemüht, möglichst keine oder möglichst wenige zivile Opfer zu verursachen. Die Live-Bilder aus Bagdad, Totalen, die das Ausmass der Bombardements nicht ermessen lassen und auch die langen Einstellungen von Truppenbewegungen irgendwo lassen sich mit den Bildern aus Überwachungskameras in einem Bürohaus oder Krankenhaus vergleichen. Sie zeigen nicht alles und es ist ihnen nicht abzulesen, ob einer die Bücher fälscht oder die Narkose verpatzt. Aber dass es die Kameras und die Bilder gibt, das steht für eine gewisse Ordnung und soll für Rechtlichkeit gelten. Wir sind als Zuschauer in die Rolle des Sicherheitspersonals versetzt, vor dem diese Bilder ablaufen. In jedem Film sind die Leute vor diesen Kontrollschirmen elende Idioten und kriegen eins auf die Mütze beim Überfall. Sie werden wenigstens bezahlt fürs absitzen, wenn auch schlecht.