langtexthinweis
Irrtum im Jenseits, von Rembert Hüser
Irrtum im Jenseits, von Rembert Hüser
Michael Goldgruber:“Remotecontrol“, 2002, oil on canvas
Webloghinweis
Fängt gut an – film + kritik
Manfred Bauschulte: Einige Reflexionen über Film, Totenkult und Terror – zu: “Stalin – eine Mosfilmproduktion”, Dokumentarfilm von Oksana Bulgakova, Frieda Grafe und Enno Patalas, WDR 1992
MARTHA… MARTHA – Sandrine Veysset, Frankreich 2001 (97’)
Kinostart: 6.3.2003
Merkwürdiger Titel.
Die Verdoppelung insistiert, in ihr steckt eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Als ob da jemand aufbegehren will gegen die Macht der Begründungen und sich deshalb genötigt sieht, zum letzten Mittel zu greifen, zur Tautologie, zur nicht hinterfragbaren, immer wahren Aussage. So schafft man unumstößliche Tatsachen, so stellt man Wahrheit her, so steigt man auf zum Gesetz gebenden Alleinherrscher im Reich der Wörter. Diese Putsch-Phantasie hat sich das kleine Einmaleins einer Politischen Ökonomie der Sinnproduktion zum Dogma gemacht: Wer die Regeln festlegt, nach denen willkürliche Laute in Behälter für Information umgewandelt werden, der dominiert das Game.
Ein Wunsch, der so heftig vereinfacht, weist auf einen schwerwiegenden Mangel hin. Eine selbstbewusste, perfekt symmetrische Gleichung zu werden, genau das schafft sie ja nicht, diese Zeichenanhäufung des Titels. Die liegende Drei-Punkte-Linie zwischen zwei identischen Namen markiert ein beredtes Schweigen. Im Gegensatz zum vertikalen und nachdrücklichen Ausrufungszeichen zeigt sie ein Zaudern und Zögern an, Unsicherheit. Erst mal abwarten. Zeit vergehen lassen.
In Theatertext und Drehbuch –dort, wo der Sprechakt notiert wird wie Musik in einer Partitur- stehen solche mit nichts als Bedeutung gefüllten Leerstellen für Pausen, für ein Innehalten im Redefluss, ein Unterbrechen von Bewegung und Handlung. In diesen Löchern reißt Raum auf für Interpretation, für Spekulation. Gewissheit versinkt in Möglichkeiten.
Angesichts der kosmischen Weite, die sich plötzlich hinter dem Wort auftut, kann es das sprechende Subjekt schnell mit der Angst zu tun bekommen. Es geht um eine Intuition, ein seinerseits nicht in Worten fixiertes, in diesem Sinne unbestimmtes Gefühl, das weiß: die Bennennung ist unzureichend, sie erfasst ihren Gegenstand nicht vollständig. Eigentlich gehört sie ergänzt, angereichert – nur so könnte eine präzise Beschreibung entstehen. Aber die kostet unendliche Mühen. Das Leben geht derweil weiter und verlangt eine Wahl. Wie man sich auch entscheidet, die Welt sieht immer schon wieder verändert, immer wieder neu aus.
In diesem Zusammenhang kann man sich leicht verlieren, es ist zum Verrückt-Werden – und auch darauf verweisen die drei Pünktchen, subtil, aber deutlich: Wie Gewichte hängen sie dran am ersten MARTHA und machen jede Hoffnung auf Ausgewogenheit zunichte. Eine winzige typografische Verschiebung und schon gerät alles aus der Balance.
Diese Schadensanfälligkeit will verwaltet werden. Ein dubioses Werkzeug kommt ins Spiel: die Wiederholung. Sie darf verfügen, dass alles beim Alten geblieben ist – eine selbstschützerische Vorspiegelung, die die rettende Rückkehr in eine bekannte Welt und dort ein Dauerbleiberecht verspricht.
Solche Suggestionstechniken funktionieren gut, sie bilden das Fundament aller auf Bewahrung ausgerichteten Weltanschauungen. Und trotzdem bergen sie auch den Kern ihres eigenen Scheiterns in sich: Die den Schein wahrende, Herrschaft stabilisierende Wiederholung bestätigt das Wiederholte nicht nur- gleichzeitig verstärkt sie den Zweifel, den sie eigentlich unterdrücken soll: Muss das Feststehende so betont werden, weil es gar nicht so fest steht?
Gegen den unauflösbaren Widerspruch hilft nur die Sturheit der Selbstbehauptung. Die Wiederholung ignoriert Aufforderungen nach Korrekturen und versucht, die vertraute Bezeichnung in die Ewigkeit fortzuschreiben, gegen alle zu beobachtenden Abweichungen und Änderungen. Damit produziert sie eine Logik des Zwangs. Die alten Fehler müssen wieder und wieder begangen werden.
Das dialektische Karussell dreht sich immer schneller, mit jeder weiteren Runde erhöht sich der Druck der Fliehkraft. Es erfordert eine außerordentliche Widerstandsfähigkeit, um diesen auseinander strebenden Kräften standzuhalten. Verdrängung ist zwangsläufig ein Akt von (Gegen-)Gewalt. Was sie zu leisten und auszuhalten ermöglicht, kann in Erstaunen versetzen.
Gegen unsere steinschweren Worte ist das, was wir sehen von dieser Welt, flüssig und flüchtig wie Wasser. Wir können Trost gut gebrauchen. Diesem Bedürfnis ist der Film gewidmet.
Stefan Pethke
Heute Nacht (2.3.03) – arte – 0:00 Uhr –
In Wandas Zimmer
(No Quarto Da Vanda – Portugal/Deutschland/Schweiz – 180 Minuten)
Regie: Pedro Costa
Neu auf unserer Langtextseite:
Das große Glück der kleinen Leute
Ist die RTL Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ ein weiterer, vielleicht der endgültige, Beleg für den oft beschworenen Tod von Pop? Von Michael Girke.
“Der überfüllte Film bleibt sonderbar leer” (Friedrich Luft) – ein Text von Harun Farocki zu Martina Müllers und Werner Dütschs: Lola Montez – Eine Filmgeschichte. Die Rezension ist zuerst, letzte Woche, gekürzt in der taz erschienen.
Jörg Becker: Das Licht des Nordens (Maurice Pialat: A nos amours)
und
Cinéma Audiovisuel: À nos amours. Filmpädagogische Website mit Interviews und einer vollständigen Transkription (Découpage) des Films (auf französisch). (Danke, Herr Praschl.)
French Film-Maker Maurice Pialat Dies at 77
Texte zu Maurice Pialats Filmen hier (von Bert Rebhandl) und hier (von Ekkehard Knörer, anläßlich der Retrospektive seiner Filme im Berliner Arsenal).