2004

Freitag, 03.12.2004

TV-Hinweis

Samstag, 4. Dezember 2004 um 00:25, arte:

Katzensprung, F 2004, Regie: Chris Marker

Der Film hat heute abend Vorpremiere im Centre Pompidou, morgen nacht dann wird er von arte, die ihn mitproduziert haben, verschämt nach Mitternacht gezeigt. Das Monatsprogramm schaufelt ganze vier Textzeilen dafür frei, gibt im Netz eine andere Anfangszeit an als in der Printfassung (da ist von 00.20 Uhr die Rede), schreibt den Nachnamen des Filmemachers falsch und hofft wohl insgesamt, dass keiner den Film wahrnimmt. Den Gefallen werde ich ihnen nicht tun. Wenn man den Originaltitel herausgefunden hat, der nirgendwo vermerkt ist, findet man im Netz sogar den ein oder anderen Artikel.

Maldone (100 Worte)

Der tödliche Reitunfall seines Bruders hatte die Kamera in eine schwindelerregende Aufregung versetzt. Jetzt muss der Binnenschiffer Maldone, der nur in der Unruhe Ruhe findet, das Landgut übernehmen. Mit den gleitenden Kamarabewegungen, mit der filmischen Anverwandlung an Natur und Körper, die sich am Umschlagpunkt zu Taumel und Delirium steigert, ist nun Schluss. M. sagt, das liege daran, dass die Stative 1928 noch keine Kugelgelenke hatten, aber trotzdem ist diese Eckigkeit der Bewegungen auch ein Ausdruck für die Steifheit des bürgerlichen Lebens. Ich stelle mir einen Film vor, der keine diagonalen Schwenks kennt und dem Blick deshalb immer wieder Haken schlägt.

Maldone
F 1928
Regie: Jean Grémillon

Freitag, 26.11.2004

film hinweis

Sonntag, 28.11.2004, ab 21:00
Pirate Cinema Berlin
Ziegelstrasse 20

21:00 Uhr – Dziga Vertov: Three Songs About Lenin, Sowjetunion, 1934, 59 min, mit englischen Untertiteln

22:00 Uhr – Groupe Dziga Vertov: Vladimir and Rosa, Frankreich, 1970, 94 min, mit englischen Untertiteln

„Was den Film zu einem der unterhaltsameren Werke der Groupe Dziga Vertov macht, sind die Auftritte von Godard als Lenin und Gorin als Rosa Luxemburg, die während eines Tennismatches am Netz auf und ab laufen und über Revolution und Kino diskutieren.“ (mehr hier)

Mittwoch, 24.11.2004

Im Bauch des Kapitalismus

Gesehen bei den Duisburger Dokumentarfilmtagen: „Nicht ohne Risiko“ von Harun Farocki

Von Michael Girke

Geldgeschäfte der neuesten Ökonomie. Lange hat Harun Farocki nach Möglichkeiten gesucht, diese filmisch fassbar zu machen. Plötzlich erteilten zwei Firmen Erlaubnis ihre Verhandlungen zu drehen. Farockis Dokumentarfilm ist ein zufällig gefundener. Man sieht den Bildern die Arbeit an, die sie gemacht haben, das enorme Geschick des Kameramanns, die Bemühung um Rhythmus. Zugleich treten Autor und Kinoapparat in den Hintergrund. Dies Verschwinden ist keine Selbstaufgabe, sondern ein Geschenk für Zuschauer. Die haben Ungewohntes vor Augen: Bilder, die zuhören, zusehen, geduldig registrieren.

Eine Firma entwickelt eine bahnbrechende Technik und braucht, um in die Produktion gehen zu können, Kapital. Eine andere Firma verleiht Geld und verlangt zur Reduzierung ihres Risikos Firmenanteile und Einfluss. Internationales Transaktionsgeschehen. Es ist bei Farocki verdichtet auf reale Verhandlungen real existierender Firmenvertreter: Ein Büroraum, ein Tisch, 6 Teilnehmer, hin und her fliegende Argumente, Einschätzungen, Probier- und Verführungsgesten, Schachzüge.

Farockis Kino ist so materialistisch, dass seine dramatischen Qualitäten leicht übersehen werden. Nicht dass Filme stets ihre eigene künstliche Wirklichkeit formen wird in ihm sichtbar, sondern wie viele filmische Eigenschaften die Wirklichkeit besitzt. Das Tischgespräch über den Geldtransfer erinnert an Pokerrunden im Western; niemand weiß, was die Mitspieler wirklich in der Hand haben; sichtbare echte Emotionen sind Verrat am Gewinnziel; Gesicht und Körpergesten müssen zu Maske und Schauspiel werden. Wenn der Firmenchef einmal das ökonomische Fachchinesisch nicht mehr versteht und hilflos ausgeliefert sich umsieht, ist ein Melodram angedeutet. Wenn die Kreditgeber berichten, ihre Tauschwertberechnung hätte rein gar nichts zu tun mit dem realen Firmenmaterial, sondern mit einer vollständig ausgedachten zukünftigen Entwicklung, dann ist der Zuschauer Zeuge, wie eine Realität und ihre Bewohner zu Gespenstern werden. Zu Objekten abstrakten Denkens.

Erstens ist der Kapitalismus eine reine Kultreligion, vielleicht die extremste, die es je gegeben hat. Der Kapitalismus ist vielleicht der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus. Dies schrieb Walter Benjamin 1921. Diese Einsicht steht im Widerspruch zur Ökonomierhetorik von Politik, Presse und Wissenschaft. Die hämmert den Menschen täglich ein, der Kapitalismus regele sich zum Nutzen der Allgemeinheit auf strikt rationale Weise selbst. Was Benjamin mit bloß verbalen Mitteln behauptet, macht Farockis Film erfahrbar. Man sieht hochgebildete, mit allen Businesswassern gewaschene Unternehmer, wie sie mit ausgesuchten Anzügen, Büroausstattungen, Frisuren, Manieren den Schein von Rationalität zwanghaft erzeugen und zugleich eingestehen, ihre Geschäfte werden eigentlich von Psychologie, vom Bauchgefühl bestimmt und dass ihre Planungen sich nie realisieren; die haben den Charakter von Heilsversprechen. Wo Triebgeschehen in glatte Fassaden und Vokabeln gekleidet wird, ist Verdrängtes nicht weit. Ob man die Erfüllung des kapitalistischen Heilsversprechens sich selbst zugesteht, aber schon nicht mehr dem Anderen? Ob es Wachstumssucht ist, die Menschen als Funktionen betrachtet, als solche gewaltsam in Dienst nimmt oder ausspuckt – ohne Chance auf Gnade und Veränderung?

Warum die westliche Welt Wahrsager verspottet, in Nationalökonomen aber die Verwalter der Weltvernunft sieht? Vermutlich weil 15 Zeitungs- und Fernsehjahrgänge nicht annähernd so viel Realität enthalten wie 15 Minuten Kino von Harun Farocki. Seine neue Dokumentation ist wie von jemandem, der nach Jahrzehnten im Filmbetrieb das Kino noch einmal neu entdeckt. Widerstand gegen bestehende Verhältnisse sind seine Bilder aufgrund ihrer Machart. Sie entfalten sich befreit von ihrer alltäglichen Sklavenarbeit Erzählformen, normative Kategorien auszufüllen. Sie werden nicht von Theorien, von Anforderungsprofilen her gedacht. Lumiere aus Berlin. Die Realität der New Economy trifft den Zuschauer so unvermittelt wie der einfahrende Zug im ersten Film überhaupt.

Samstag, 20.11.2004

film hinweise (hände, pt.4)

Werkschau Robert Bramkamp, beginnend Montag, 22.11. im Babylon-Mitte, Berlin, gefolgt von Aufführungen im Filmmuseum München und Filmclub 813 Köln. Informationen und Termine: http://www.bramkamp.info

Donnerstag, 18.11.2004

oktober, november (notizen)

„deutschland im jahre null“ von rosselini. eine ganz grauslige kopie. sie ziehen den ton hoch, als verstünde man so besser die umso unverstehbareren dialoge. die dialoge scheppern grell, die musik blechern, kratzend, schrill. man will sich die ohren zuhalten. über die moral im ausnahmezustand. condition humaine & coming of age. ein film darüber, wie man sich retten kann und dennoch überleben. und der film sagt, dass das nicht geht, beides zusammen gehe nicht. der film sagt, entweder du rettest dich, oder du überlebst.

wie sich der ansatz, die filmgeschichte als geschichte des herausragenden zu denken, vielleicht überlebt hat, vielleicht in sackgassen führte. dass man die formen und die mit ihnen entstehende semantik nicht von ihren höchstleistungen, sondern von ihren ablagerungen verstehen sollte. diese aber wirklich ernstnehmen. andererseits: sich an horwaths utopischer filmgeschichte aufzurichten. oder auch: solche listen

collateral ist ein wahnsinn. wie die stadt da ist. die schöne vorstellung, dass filme an orte gebracht werden, um dort, wenn auch nur ein einziges mal, in sie hineinzustrahlen. ob das strahlen aufbewahrt ist in den körpern, auf die es trifft? dagegen thom andersens kritik an collateral. seine post-neorealistische argumentation – das unwahre der filme: ihre passend gemachten wirklichkeitsausschnitte. (immer: der pathetische rekurs auf die alten cinematographischen vermögen -zumutungen-, die realität durch abbilden zu retten.)
[und in der nacht bei „starbuck“ auf n3 die alten aufnahmen von 1967/68, farocki und meins in knokke, das festival stürmend, REALITÉ, REALITÉ rufend]

zwei, drei tage lang -weil ich bei meinem ersten festivalfilm ihm begegne- verbringe ich mit k, dessen diskursive unbeweglichkeit ich dann als spiegel meiner haltungsstarre erkennen möchte. beides ausprägungen von „indie“. ms pointierte kritik an „indie“ nach dem besuch in hamburg. (dynamik des utopisten vs apathie des siedlers).

im palast der republik vier filme von gordon matta-clark. hs kritik daran… die lächerliche emphase der einzelnen einstellungen… die permanente suche nach dem anthropomorphen (volker: „face value“)… die stursinnige happening-emphase… das blöd-soziale… die hippieesken lyrismen… die forcierte aura von menschenköpern in gegenlicht. h erzählt daraufhin von einem film von serra über eine brücke, die jener filmt, als sei sie ein von ihm geschaffenes kunstwerk.

– med hondo: sarraounia (burkina faso 1986)
über eine schlacht in den kolonialkriegen, ende des 19. jahrhunderts. in der mitte des films die entscheidende, proto-laizistische rede der rebellin. aufstand als letzte möglichkeit, die freiheiten der praktiken zu verteidigen. der film hat die form einer ideen-ballade. nur aufgrund von verbiegungen könnte er als epos gelesen werden. die einzelnen strophen parallelisieren die ereignisse, es geht aber nicht um die koloratur des dekors, sondern um die ideologischen ausformungen der antagonistischen kräfte. das alles bündelt sich nicht zu einem porträt der titelgebenden heldin, sondern strebt danach, je aktualisierbare zustandsbeschreibung zu werden. der eklektizismus der verfahren wird nicht zum stil. sarraounia ist in den anfangssequenzen als anlass der beschreibung präsent, danach wird sie als retardierendes moment eingesetzt. ihre funktion ist eine verschaltende. sie ist uninteressiert an weltanschaulicher dominanz, und daher unterschieden von ihren widerparts: den protagonisten des raumgreifenden islam und denen des raumausschöpfenden kolonialismus. die auf ihren gleichmut gegenüber den politischen optionen zurückgeführte heroisierung der hauptfigur ist eher narrative funktion, als ideologische zielvorgabe. das überraschend offen bekundete ziel ist die bildung einer transponierbaren legende. es geht darum, ausgehend von sarraounia geschichten zu erzählen; der film stellt sich damit gleichberechtigt in eine reihe mit oraler geschichtsschreibung, bisweilen scheint es sogar, er ordne sich dieser unter.

rajmann: „hassliebe zum spielfilm“

der dumpfe text hochhäuslers in der taz & meine angeekelt faszinierte erstarrung gegenüber den äußerungen großsprechwollender

Dienstag, 16.11.2004

The Manchurian Candidate (Jonathan Demme) USA 2004

Die closure macht den Zwilling des Kandidaten dann doch wieder zum Herr im eigenen Haus; entlang der Wiederherstellung des politischen Urteilsvermögens und einer geschichtsbewussten Subjektivität, können auch die staatlichen Apparate wieder ihren demokratischen Dienst aufnehmen. Schade, dass Demmes ansonsten so smartes Update, in dem die Verschränkung von Geo- und Biopolitik den Sprung in die zeitgenössische Machtlogik markiert, die Spirale der Konspiration ausgerechnet in einem fotografischen Sentiment ertränkt. Während Warren Beatty in Parallex View noch zum handlungsohnmächtigen Schatten ‚desubjektiviert‘ wurde, darf Denzel Washington die historisch-kritische Aufarbeitung der Verschwörung identitätssicher anführen. Wenn die böse Hitchcock-Mutter tot ist, kann plötzlich wieder ungeniert tapferer Soldaten gedacht werden. Dass der angeblich so unterwanderte Staat dann durch den verliebten Blick einer Polizistin repräsentiert wird, hat mir für einen Moment den Film verleidet.

Freitag, 12.11.2004

filmhinweis

Filmsamstag, 13. November 2004, 19 Uhr, Großer Saal, Babylon-Mitte, Rosa Luxemburg Str. 30, 10178 Berlin

„Zwischen Gebäuden“ von Thomas Schultz

Bärbel Freund, vom Filmsamstag, schreibt:

Ein Spielfilm nach Sätzen des „Räuber“-Entwurfs von Robert Walser, in Schwarzweiß, auf 35-mm-Orwo-Material gedreht, 72 Minuten lang, 1988 an der DFFB entstanden und fast nie gezeigt worden. Weil ich diesen Film sehr schön finde, sehr pur, abendfüllend im besten Sinne, möchte ich ihn an unserem „FilmSamstag“ im November vorstellen.
Karl Heil spielt/verkörpert den „Räuber“, umringt von über 100 mitspielenden Nicht-Schauspielern aus allen möglichen Berufen – Krankenschwestern, Pensionsbesitzer, Zahnärztinnen, Verleger, Parfumverkäuferinnen aus dem KaDeWe, im Berlin der 80er Jahre, gefilmt im Drehverhältnis 1:1 in Hotelzimmern, in Treppenhäusern und draußen auf der Straße.
„Begegnungen zwischen einem, der nicht weiß, was er will, und denen, die es wissen. Seine Ratlosigkeit lebt er entschlossen. Für jeden da entzieht er sich jedem Zeichen von Vereinnahmung. Ohne Vorhaben hat er alles vor sich. An nichts gebunden, raubt er den Eingebundenen Festigkeit. Ohne feste Vorstellungen ist er radikal Mensch. Lose, liebt er alle Befestigten. Die haben es schwer, ihn loszulassen, nutzlos und benutzbar wie er ist.“ (Thomas Schultz)
Thomas Schultz ist am 13.November unser Gast.

*

edit: dort, im babylon mitte, wo seit längerem u.a. der „filmsamstag“ stattfindet, geht es möglicherweise bald nicht mehr weiter. streichungen. mehr dazu hier. (via filmtagebuch)

Donnerstag, 11.11.2004

„Dann möchte ich ihnen noch das mit den weißen Negerinnen erzählen. Möchte mir aber das Ja-das-gibts und die jeweiligen Beispiele ersparen, denn im Wirtshaus gibt es keine Sicherheit vor Rassismus. Ich gehe und überlege mir, was ich wohl alles nicht begriffen habe in dem Film ‚White Chicks‘. Aber wie? Also gehe ich nochmal in den Film und noch einmal im Mathäser. Im Kino 14 läuft das Original, in 13 sind die Köpfe angeschnitten, im 2 perfekt. Mein erster überwältigender Eindruck, die beiden Wayans-Brüder spielen auf Teufel komm heraus, Schneewittchen komm heraus, weiße Blondine. Hat es das schon einmal gegeben? Was ist denn mit schwarzen Männern geschehen, wenn sich weiße Damen von ihren Blicken belästigt fühlten, noch vor 60 Jahren? Und jetzt das!

Die schwarzen FBI-Agenten lassen sich in angenehmer Kürze zu weißen Mädchen ummodeln. Sie leben in der ständigen Angst, ihren Job mit den angenehmen Sozialleistungen zu verlieren. Und das Weibchen des Jüngeren. Mit faszinierender Ähnlichkeit unterscheiden sie sich nicht nur in Farbtupfern, sondern geheimnisvolle Trauer umgibt sie… Ein feiner Höhepunkt ist eine Autofahrt mit 5 weißen Mädels, drei normale. He, sagt die Fahrerin, habe ich nicht ein N-Wort gehört? N für Neger? Da sagt so eine weiße künstliche Dame: Ist doch keiner da. Wie da die beiden schauen und schweigen, ist feiner nicht zu machen. Endlich eine Darbietung, die mich an Tashlin und Jerry Lewis denken lässt, mich aber gleich wieder mitreißt.“ (Auszug aus „Unter die Haut. N-Wörter und ‚White Chicks‘, von Herbert Achternbusch, SZ 4. November – drunter steht „gekürzte Fassung“: Wo gibts die ungekürzte?)

Freitag, 29.10.2004

langtexthinweis

Viennale 04 (Teil 2)
Wien, Samstag bis Montag, 23. bis 25.10.04
Von Simon Rothöhler


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