Sonntag, 13.02.2005

13 Lakes (Benning, 2004): Ein Roadmovie, dessen Strassen sich in den Schwarzbildern zwischen den Seen verstecken. Der Kontinent, die zurückgelegten Wege im Auto. Die Anstrengung des Sehens und Hörens: sedimentierte Arbeit, von der man sich zehn Minuten lang pro See erholen kann. Bennings Filme sind großzügige Gesten gegenüber den Zuschauern; er teilt Blicke und Zeit. Dass Großzügigkeit als Zumutung aufgefasst werden kann und das Geschenkte wie Gestohlenes, erzählt etwas über den Sehenden. Die empörte Frau, die bis Minute Fünfzehn neben mir sitzt, atmet beim ersten Bild von See 2 geräuschvoll ein. Das überwältigte Einatmen des Benning-Fans, der sich auf ihren Platz setzt, klingt genauso. +++ Le Pont des Arts (Green, 2004): Zwei Paare lieben aneinander vorbei, ohne davon zu wissen. Eine singt Barockmusik und springt von der Brücke. Einer schmeißt sein Studium und verliebt sich in ihre Stimme, ohne von dem Selbstmord zu wissen. Die Stimme der Toten lässt ihn den Kopf aus dem Gasherd zurückziehen. Was bei Green nicht aneinander vorbeigeht, sind die Blicke und die Kamera. Es ist ein Schock, bei vielen Dialogen frontal angeblickt zu werden, man fühlt sich ertappt. Wenn es gelingt, zurückzublicken, sieht man einen Film, der auf eine Weise mit Garrel, Eustache und Bresson zu tun hat, die in hundert Worten unmöglich zu beschreiben ist. +++ Miscellanea III (Emigholz, 2005): Verbindungen, Scharnierstücke, Gelenkstellen zwischen den Eigennamen-Filmen der „Photographie und Jenseits“-Reihe. Ein ausgetrockneter kleiner Flusslauf im amerikanischen Westen, der stehengebliebene „Chicago Stock Exchange Arch“ von Louis H. Sullivan. Was der Bogen trug, ist 1972 abgerissen worden. Besuch bei den Gräbern von Sullivan und Goff. Abtastende Schwenks. „Unique to the design is a sparkling chunk of blue glass cullet salvaged from the tragically burned Price house in Bartlesville, Oklahoma. The metal, glass, and stone reflect the light, always an essential element of Goff’s architecture. The marker reads: Bruce Goff Architect 1904-1982 in a handmade typeface which Goff often used on his drawings.“ +++ D’Annunzios Höhle (Emigholz, 2005): Emigholz ist besser, wenn er Dinge filmt und hört, die er liebt. Deshalb ist die Denunziation D’Annunzios deutlich schwächer als die respektvolle Verneigung vor Sullivans Banken oder Goffs Gebäuden. Der Durchgang durch die Räume in D’Annunzios Gruselkabinett zeichnet sich durch eine programmatische Nachlässigkeit aus, die sich schneller erschöpft als der geduldige Blick und das immer wieder neue Staunen, das in jeder Einstellung des Goff-Films liegt. Hier spricht der Hass, und ihn durch Bilder sprechen zu lassen, ist gar nicht so einfach. Daher die durcheinander quatschenden Computerstimmen. Plunder, Lächerlichkeit, Kunstreligion, Lifestyle, Faschismus, das kommt einem irgendwann vor wie eine trübe Suppe. +++ The Basis of Make Up III (Emigholz, 2005): Der Sullivanfilm, der Maillartfilm und der Gofffilm gehören von der UNESCO refinanziert. „The Basis of Make Up“ ist etwas anderes als ein abgefilmtes Textarchiv. An den 38 Heften, restlos vollgeschrieben, bemalt und -collagiert ist vielmehr im Zeitraffer erkennbar, wie die Seiten schon als Trickfilm inszeniert sind. Schwarze, eckige Schlangen fressen sich einmal von den Rändern aus durchs Karopapier, umzingeln die Schrift und ziehen sich wieder zurück. Dazwischen Einstellungen von Ornamentalem, ein Wand- oder Bodenmosaik, hallende Geräusche. Diesmal Fotos aus D’Annunzios Geisterbahn. Man frisst sich durch mehrere Jahre Emigholz, und der müsste eigentlich altern, während der Film durch den Projektor läuft. +++ Dumplings (Chan, 2004): B. hatte Fruit Chan empfohlen und dann hinterher geschoben, dass die Filme „manchmal etwas seltsam“ seien. Hier ist es eine Dorian Gray-Geschichte, statt eines Paktes und eines Bildes besteht die Verjüngungskur im regelmäßigen Verspeisen junger Föten. Eine Abtreibung mit gehörigem Nachbluten und auch sonst einige Ekelhaftigstkeiten gibt’s zu sehen, mal auf Horror gebürstet, mal ins Komische überschraubt. Christopher Doyles Kamera nervt weniger – Kunststück – als bei 2046, der leersten Affektpose der letzten Kinomonate. Dass der Doyle nebst seinen unzähligen Epigonen an die Wand gestellt gehört, sagt M. später im Arsenal-Foyer in gutgelaunt-stalinistischem Tonfall. Nach der Revolution wird alles besser. +++ Stadt als Beute (von Alberti, Gronenborn, Dehne, 2005): Erzählen, das sich jung wähnt und dabei weder das eine noch das andere ist. Nicht jung und kaum Erzählen. Das Tolle an Omnibusfilmen ist, dass die einzelnen Teile sich unterscheiden; hier allerdings zeigt erst der Abspann, dass verschiedene Leute Regie gemacht haben. Die Stadt, von der im Titel die Rede ist, kommt nicht vor, der Film ist ohne es zu wissen die Beute, gegen die in Polleschs Stück so zornig gewütet wird. Drei Individualgeschichten von Schauspielern, die, wie René bei den Proben immer wieder lässig einschärft, „einen Bezug zum Stück“ finden sollen. Am Schluss lachen alle wie auf dem Kindergeburtstag. +++ Ten Skies (Benning, 2004): Wenn ich einen Begriff finden sollte, um die letzten fünf Filme von Benning zu beschreiben, wäre es nicht „Reduktion“ oder „Konzept“. Vielleicht würde ich „Elementary Filmmaking“ sagen. Sehen und Hören, eine Rückkehr zu den elementarsten Funktionen der Kinematographie. „Paying attention“: komischer Ausdruck – Aufmerksamkeitsökonomie. Der Himmel als Funktion der Landschaft. Die Landschaft als Funktion der Zeit. Man denkt den Himmel immer im Scope-Format, hier ist er in 16mm, wie durch das Dachfenster von Bennings Bekanntem, wenn er in der Badewanne liegt. Die Politik des Rahmens. Die Politik des Tons. Die Politik des Bildes. De rerum naturae. Alles andere als ein Naturfilm. +++

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