2005

Samstag, 16.04.2005

Mutterboden

Der Kriminalpolizist läuft in den Film L’HUMANITÉ (Bruno Dumont) hinein, um sich mit der Erde zu vereinigen, wenn er denn der Länge nach hinfällt und sein Gesicht im frisch gepflügten Acker vergräbt. …So kann die von ihm vorgenommene Liebkosung der Delinquenten im späteren Verlauf – rätselhaft bleibt sie eh – als Versuch der nicht auflösbaren sozialen Integration der überführten Verbrecher gelesen werden. Ihr seid Fleisch, wie ich Fleisch bin. Der Begriff, der diese Bewegungen beschreibt, ist der Begriff der Religion, dessen eine etymologische Quelle auf religare verweist, zurückbinden, Rückbindung. – Ein Gedankenblitz schlägt mir vor, auch die namenlos Gefallenen in Thomas Schultz ZWISCHEN GEBÄUDEN als Rückgebundene zu sehen. – Das obsessive Ins-Bild-Setzen der Vulva, der geschändeten sowohl als der wartenden, bei gleichzeitig gezeigter Vergeblichkeit physischer Vereinigung der Geschlechter im Sinne einer rückbindenden Erlösung beschreibt ein Dilemma, aus dem heraus Pasolinis TEOREMA über die Einführung eines Heilsbringers noch eine Gesellschaftsutopie formulieren konnte. Der Polizist in L’HUMANITÉ mag ein Initiierter sein – er überwindet die Erdenschwere ähnlich wie die Hausangestellte in TEOREMA – ein Heilsbringer ist er nicht. Einzig seine Sehnsucht nach einem umfassenden Leben – er zerkrümelt den Mutterboden seines Schrebergartens mit Hingabe – lässt seinen Antrieb ahnen, der jedoch gänzlich private Utopie bleibt und Erinnerung an Frau und Kind, die er verloren hat. So macht auch die Ausleihe des Bildes seines Ahnen Sinn, mit dessen Hilfe er sich einer Familiengeschichte versichert. Alles zielt auf Verortung als Basis von Identität. Das Spiel der Darsteller unterstützt diesen regionalen Zug, indem ihr Kamerawiderstand stetig zu sagen scheint: Ich bin nicht verallgemeinerbar.

The Big Red One (Sam Fuller)

„This Is Fictional Life, Based on Factual Death“. Dann eine kinetisch organische Montagesequenz, die gerade nicht, wie es dann immer heißt, ‚den ganzen Film enthält‘, sondern eher ein Täuschungsmanöver darstellt. Fuller interessiert sich den restlichen Film über wenig für symbolische Verdichtungen faktischer Erfahrungen, sondern zerdehnt und biegt die visuell spektakuläre Seite des Krieges in schier endlose Wiederholungen und Alltagspraktiken zurück. In der Repetition der Handlungsmuster werden historische Räume und Konstellationen tendenziell unscharf, was aber vielleicht am ehesten einem soldatischen Point of View entspricht. Jedenfalls eher als Scotts oder Spielbergs übersomatisierte Engulfment-Ästhetik. In der bizarrsten Szene des Films agiert Lee Marvin – dem ich in den 1980 gedrehten Szenen, die teilweise 1918 spielen, anzusehen glaube, dass er, als Schauspieler, schon 1967 einen modernistischen Entfremdungsfilm überlebt hat – als tatkräftiger Geburtshelfer, der die Sprachprobleme seiner Truppe auszubügeln versucht und nebenbei aus Munitionsketten eine gynäkologische Apparatur bastelt: „Poussez!“ (Goddamn It).

Freitag, 15.04.2005

Kino II
Duden Bildwörterbuch
– bei einer Bibliotheks-Recherche unter der Rubrik „Deutsch für Ausländer“ drauf gestoßen –

kino-hinweis

Gestern, heute und Sonntag im Zeughaus, Berlin zu sehen: Samuel Fullers The Big Red One (USA 1980)

Samstag, 09.04.2005

Klaus Lemke, Harun Farocki

Vor anderthalb Jahren war ich an der Kamera bei den Dreharbeiten für „Die Quereinsteigerinnen“ von Rainer Knepperges und Christian Mrasek. Zwei Frauen entführen den Telekomchef; gefangen gehalten – fast ohne Fesseln, weil es weit und breit keine Verbindung zu potentiellen Rettern und bald andere Bindungen gibt. In diese einsame deutsche Landschaft, die ein PKW-Kennzeichen aus drei Buchstaben hat – in der Bedeutsamkeits-Hierarchie der Versicherungen, d.h. Unfallzahlen, ganz unten, obwohl es eine ganze Region ist: HSK – in den Hochsaulerlandkreis also wurde er eingeflogen wie ein Star, von Paderborn mit Chauffeur geholt: Klaus Lemke – den die beiden Regisseure verehren. Er übernahm eine Rolle, spielte ein dunkle Figur mit tiefer Stimme und schwarzer Sonnenbrille, die von den Frauen als „Stuten“ spricht. Er wirbelte das Drehen auf, forderte Gefährlichkeit und trieb zum Tanz der Darsteller mit der Kamera.
Bei dieser Gelegenheit lernte ich Lemke kennen. Neulich gab er mir den Film, den er im letzten Jahr fertiggestellt hatte, auf Video. „3 Minuten Heroes“, der noch nirgends gelaufen ist.
Klaus Lemkes Synopsis: „Miles: Genialer DJ, der an Koks und Größenwahn zugrunde geht. Timo: In dem das Herz von St. Pauli steckt. Claudia: Killer-Lilly aus Schnelsen, inzwischen 28, Barfrau, Geliebte von Miles und Timo. Eine bittersüße Love-Story.“
An Harun Farocki hatte ich kurz geschrieben, nachdem ich den Film sah: „dieser 25jährigen-Look macht mich skeptisch, weil Lemke einiges über 60 ist und ich keine Verstellungen mag. Und dann ist da aber die unverschämte Dreistigkeit, mit der er in die Szenen springt wie ein Bungee-Jumper. Was mich nervt sind die ollen Kamellen von Typen und Bienen und Waffen und Kohle; das langweilt mich; deshalb guck ich auch nicht mehr fern – oder eben nur Boxen und Autorennen, wo es wenigstens ums Ganze und wirklich perverses Geld geht.“
Harun Farocki wollte den Film selbst sehen. Er hat es innerhalb einer Woche geschafft, eine Werkschau von Lemke-Filmen anzustoßen, denn er fand großen Gefallen. Damit der Film vielleicht aufm Münchner Filmest laufen kann und überhaupt erst die Hürde nimmt, von der Auswahl-Jury gesichtet zu werden, schrieb er dorthin. Dieser Brief wiederum gefällt mir, und um ihn zitieren zu können, bedurfte es dieser Vorrede.
Harun Farocki schreibt zu „3 Minuten Heroes“ ans Filmfest München: „Als ich davon die ersten drei Szenen sah, dachte ich, ich hätte ein Jugend-Club-Video vor mir, ein paar Minuten später murmelte ich etwas wie „Meisterwerk“. Endlich ist es jemandem gelungen, durch Armut frei zu werden. Die Figuren in diesem Film staunen über sich selbst, daß sie Gesten und Worte aufgreifen und sich anverwandeln und mit diesem Apparat fliegen können – wenigstens eine Weile. Und auch der Film ist glücklich darüber, dass Film möglich ist. Diese Begeisterung habe ich seit der Nouvelle Vague kaum noch gesehen, sie hat mich angesteckt.“

Freitag, 08.04.2005

Kino I
Doc Göttler

Freitag, 01.04.2005

Retrospektive Jean Eustache / Langtexthinweis

Heute, Freitag, 1. April, beginnt die Retrospektive Jean Eustache im Kino Arsenal, Berlin. Es sind dort bis zum Ende des Monats alle Filme von Eustache zu sehen, heute fängt es an mit „Numéro Zero“, ein Film von 1971, der bis vor drei Jahren als verschollen galt. Hier finden sie den Programmtext der Retro.

Am 7., am 19. und am 24. 4. gibt es „Le père noel a les yeux bleus“ (Der Weihnachtsmann hat blaue Augen), Frankreich 1965/66 zu sehen. Jean-Pierre Léaud spielt darin einen jungen Mann, der einen Job annimmt als Weihnachtsmann, um sich einen Dufflecoat zu kaufen und dabei Mädchen kennenlernt. Der Film spielt in Narbonne und ist Charles Trenet gewidmet. Angela Schanelec hat die Dialoge und die Erzählstimme des Films anhand der VHS der deutsch untertitelten Version abgeschrieben und den Text kann man jetzt auf unserer Langtextseite lesen: Jean Eustache, Der Weihnachtsmann hat blaue Augen.

m/other

Seltsames Exemplar eines manieristischen Naturalismus. Das natürliche Licht als Fetisch und der Enthusiasmus, mit dem noch der banalsten Regung gefolgt wird. Interessant wird es genau da, wo es bricht. Wo sich erst einmal nicht sagen lässt, ist das nun reine Manier oder reiner Naturalismus. Diese Schlenker ins Leere, die sich als Punktierung sonst weithin ödester Erstreckung umso heftiger aufdrängen. Was war das jetzt, das Herzklopfen, die Belichtungs“fehler“ am Meer, das Auslaufen der Filmrolle, der schneidende Musikeinsatz und dann Schwarzblende. Mein schlechtes Gefühl die ganze Zeit: Der Naturalismus ist kein offener, auf die Welt mit Neugier gerichteter, sondern ein geschlossener, der die Figuren und ihre Regungen in seinen fertigen Blick hineinkadriert. In den Brechungen und Spiegelungen, in der Beweglichkeit der Kamera wird eine Offenheit herbeisimuliert, das bleibt aber logisch nachträglich. Die Künstlichkeit wird markiert, aber auch das bleibt Manier. Zwischen dem Naturalismus und der ausgestellten Künstlichkeit letztlich nur Abstoßungsreaktionen.

m/other

regie: nobuhiro suwa
japan 1999

Am Anfang des Films ist es Morgen, eine junge Frau, Aki, geht in die Küche, ein Gespräch durch die geöffnete Tür des Schlafzimmers mit dem Mann, Tetsuro, jemand ist dann am Telefon und die Frau gibt dem Mann den Hörer, ein Unfall einer Frau, jemand muss sich um das Kind kümmern. Die Frau geht zur Arbeit, der Mann rasiert sich. Der Mann, Tetsuro, ist in einem Restaurant zu sehen, das Restaurant ist noch nicht geöffnet, es werden finanzielle Sachen besprochen. Am Abend bringt er das Kind, Shun, mit in die Wohnung und die Frau, Aki, fragt ihn, warum er ihr nicht vorher davon erzählt habe, dass der Junge bei ihnen unterkomme. Der Junge, Shun, acht Jahre alt, richtet sich ein im ersten Stock, der Mann und die Frau reden noch lange in der Nacht, die Frau fragt ihn immer wieder, warum er ihr nicht vorher von der Sache erzählt habe. Am anderen Morgen frühstücken sie zu dritt und Aki ist dann bei der Arbeit zu sehen in einem Büro an Computern und am Abend räumt Tetsuro im Wohnzimmer die Spielsachen des Jungen auf. Später, nach einer Zeit, holt Aki den Jungen von der Schule und die beiden gehen gemeinsam nach Hause. Es gibt dann ein Mittagessen zu sehen, und die Flüssigkeit in den drei Gläsern ist bernsteinfarben, aber der Junge mag seine Spaghetti nicht essen und verlässt den Tisch. Am anderen Morgen ist Aki zur Arbeit gegangen und Tetsuro und Shun sprechen miteinander. Tetsuro besucht das Restaurant und Shun trinkt einen Orangensaft. Am Abend hat sich Shun im Badezimmer eingeschlossen und Tetsuro sitzt auf dem Boden davor und raucht eine Zigarette und Aki kommt nach Hause, aber ihnen gelingt es nicht, Shun zu überreden aus dem Badezimmer zu kommen. Tetsuro muss eine Geschäftsreise machen, Shun einen Tag allein mit Aki verbringen; Tetsuro sitzt mit Shun im Auto und verspricht ihm, wenn er artig sei, ein Geschenk mitzubringen, und Shun möchte den Roboter Digimon 4 als Geschenk, und wenn es den nicht gibt den Roboter Digimon 2, und wenn es den nicht gibt den Roboter Digimon 1 und Tetsuro wiederholt alles, damit er es sich merkt. In der nächsten Einstellung spielen Tetsuro und Aki vor dem Fenster Basketball und Shun schaut ihnen durch das Fenster zu. Aki und Shun verbringen einen Tag allein, Aki macht die Wäsche und später ist eine Frau mit einem Kind bei ihnen am Nachmittag und Aki spricht mit ihr über ihre Rolle als große Schwester von Shun und Shun spielt währenddessen mit dem Jungen der anderen Frau. In der Nacht liegt Aki wach und Shun kommt zu ihr ins Bett, weil er nicht einschlafen kann und sie sprechen miteinander über ihre Verhältnisse zueinander. Am anderen Tag kommt Tetsuro wieder und später, vielleicht an diesem Tag, vielleicht aber auch viel später, sieht man Tetsuro und Shun auf der Straße vor dem Haus Fußball spielen und eine Nachbarin kommt vorbei und grüßt beide. Und an diesem Abend macht Aki den Abwasch und verfällt in eine Krise und zerbricht Geschirr und in der Nacht liegen Aki und Tetsuro im Bett und Tetsuro erzählt Aki von seinen Eltern und den Rollen, die sie bis an ihr Lebensende spielten und die Bedeutung, die seine Eltern für ihn haben und man sieht Aki im Halbdunkel ihm zuhören. In der nächsten Szene ist Shun fort und man sieht, wie Aki ihn sucht in den Straßen und wie sie mit Tetsuro telefoniert und Tetsuro findet Shun schließlich vor dem Fernseher in der Wohnung seiner leiblichen Mutter, Shun ist davor eingeschlafen. Und Tetsuro telefoniert mit Aki und Aki verbringt die Nacht allein in ihrer Wohnung und als Tetsuro und Shun am anderen Morgen wiederkommen, geht Shun zu Aki und entschuldigt sich, aber Aki dreht ihm den Rücken zu und im Flur fragt Tetsuro Shun, ob er sich entschuldigt habe bei Aki und fordert ihn auf, sich am Abend noch einmal bei Aki zu entschuldigen. Es gibt jetzt eine Szene am Meer zu sehen, Tetsuro, Shun und Aki bauen ein blaues Zelt auf an einem Baum und im Hintergrund ist der Wagen zu sehen und Aki geht zum offenen Kofferaum und bringt Sachen zum Zelt. Und Aki ist zu sehen, wie sie allein an den Wellen steht und die Blenden wechseln im Bild und das Bild läuft aus. Shuns Mutter geht es besser, bald kann Shun zurück zu ihr, und am Abend sprechen Tetsuro und Aki darüber, und Tetsuro sagt, sie können dann wieder leben wie zuvor zu zweit. Am Morgen spricht Shun am Telefon mit seiner Mutter und später ist er mit einem Wasserschlauch im Badezimmer und spritzt Aki mit dem Wasserschlauch nass und Aki nimmt den Schlauch und spritzt Shun nass. Dann sieht man Aki in einer leeren Wohnung mit einem Makler, der ihr die Wohnung verkaufen will und Akis Handy klingelt. Es ist Shun, sie sprechen miteinander, sie werden aufeinander aufpassen. Dann ist der Geburtstag von Shun und Shun bekommt ein Fahrrad von seinem Vater geschenkt und viele andere Geschenke und viele Kinder sind auf der Feier und spielen. Am Abend streiten sich Tetsuro und Aki, die Kamera folgt ihnen durch die Wohnung, Tetsuro will nicht, dass Aki ihn verlässt, er hat Wohungsangebote verbrannt und drängt sie in die Ecke und zum Schluss umarmen sie sich erschöpft und man hört ihre beiden Herzen klopfen. Dann sieht man Aki in einem Cafe, sie telefoniert mit dem Handy und sie spricht mit Shun über ihre Beziehung zu Tetsuro, sie haben sich getrennt, sie denken übereinander nach. Aki ist dann in einer leeren Wohnung zu sehen, sie liegt in der leeren Wohnung auf dem Boden und das Telefon klingelt und dann ist Tetsuro in seiner Wohnung zu sehen, das Telefon klingelt und er steht vor dem Telefon und läßt es klingeln. An einem Abend sitzen Tetsuro und Aki in Tetsuros Wagen und sprechen miteinander und draußen beginnt ein Gewitter. Zum Schluss sieht man Aki und Tetsuro in der Wohnung von Tetsuro und die Rolläden sind alle hochgezogen und Licht füllt den Raum.

Mittwoch, 30.03.2005

Préparez votre…
Préparez votre pâte
Dans une jatte…
Dans une jatte plate.

Et sans plus de discours
Allumez votre…
Allumez votre four.

Prenez de la…
Prenez de la farine
Versez dans la…
Versez dans la terrine

Quatre mains bien pesées
Autour d’un puit creu…
Autour d’un puit creusé.

Choisissez quatre…
Choisissez quatre oeufs frais
Qu’ils soient du ma…
Qu’ils soient du matin frais.

Car à plus de vingt jours
Un poussin sort tou…
Un poussin sort toujours.

Un bol entier…
Un bol entier de lait.
Bien crémeux s’il…
Bien crémeux s’il vous plaît.

De sucre parsemez
Et vous amalga…
Et vous amalgamez.

Une main de…
Une main de beurre fin
Un souffle de…
Un souffle de levain.

Une larme de miel
Et un soupçon de…
Et un soupçon de sel.

Il est temps à…
Il est temps à présent,
Tandis que vous…
Tandis que vous brassez,

De glisser un présent
Pour votre fian…
Pour votre fiancé.

Un souhait d’a…
Un souhait d’amour s’impose
Tandis que la…
Que la pâte repose.

Lissez le plat de beurre
Et laissez cuire une…
Et laissez cuire une heure.

Fernseh-Hinweis:

Peau d’âne
Regie: Jacques Demy
F 1970/2003

Donnerstag, 31. März 2005, 20:45 Uhr, ARTE:
[Wiederholungen: 03.04., 00:35 Uhr, 04.04., 15:10 Uhr, 11.04., 23:40 Uhr]


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