Sonntag, 16.12.2007

Auf zwölf flachen Schirmen

Kaum noch ein Handwerk

Von Harun Farocki

Harun Farocki, Deep Play, 2007

Photo: Julia Zimmermann / documenta GmbH

10.7.06:
Heute geben wir die Geräte zurück. Gestern haben wir gedreht, wir haben das Endspiel nicht richtig sehen können.
Ein paar hundert Meter vom Olympiastadion in Berlin steht das Corbusier-Haus (Unitée d’habitation – Typ Berlin) von 1958, ein zehnstöckiges Hochhaus, jedes Stockwerk in zwei Ebenen unterteilt. Früher, als die Projekte der Moderne noch einen erregenden Beigeschmack hatten, wurde es „Wohnmaschine“ genannt.
Mit unseren Aufnahmegeräten stehen wir während des Endspiels auf einem Balkon im 8. Stock, bei Frau Krause. Sie wohnt seit 1958 hier. Sie erzählte uns, dass Architekturstudenten aus aller Welt bei ihr vorbeikommen, um ihre Corbusier-Wohnung zu besichtigen. Eine Maisonnette auf zwei Ebenen, das obere Geschoss über eine Innentreppe zu erreichen. Vom Balkon aus, nach Nord-Westen sieht man auf die vielen parallelen Gleise der S-Bahn-Station Olympiastadion, auf das Dach des Stadions und Teile der übrigen Sportanlage, etwa den Glockenturm.
In dieser Höhe sind die Geräusche gut vernehmbar. Die Gesänge der Fans auf der S-Bahn-Station, die Lautsprecherdurchsagen der Polizei. Aus dem fast einen Kilometer entfernten Stadion schallen die Stimme des Sprechers, die Nationalhymnen zu Spielbeginn, in der Pause Placido Domingo, zur Siegerehrung Verdis „Aida“. Das Erstaunlichste ist die Präsenz der Zuschauer. Man hört eine Erregung anschwellen, eine Hoffnung enttäuscht verebben, Empörung, Überraschung, Entsetzen.
Während des Endspiels waren wir zu fünft bei Frau Krause, wir haben einen halben Lieferwagen voller Technik auf dem Balkon und in ihrem Wohnzimmer aufgebaut. Herr Feierabend und sein Helfer Voigt haben eine Akustische Kamera aufgebaut. Drei etwa drei Meter lange Stangen werden strahlenförmig auf ein Stativ gesteckt, sie sind mit vielen kleinen Mikrofonen bestückt, mit dieser Apparatur lässt sich Ton sehr gerichtet aufnehmen. Die verschiedenen Ton-Pegel werden in den Farben des Spektrums wiedergegeben. Solche Geräte benutzt man, um Lärmquellen zu lokalisieren, in einer Fabrik etwa.
Zwei Wochen zuvor, bei einer Probe, haben wir schöne Ergebnisse erzielt. Der Aufschrei des Publikums, als es im Spiel Ukraine – Tunesien einen Elfmeter gab, stellte sich als Eruption in Falschfarben dar, wie ein bunter Vulkanausbruch.
Gestern aber gab es technische Schwierigkeiten bei der Aufzeichnung, ich sah die beiden Männer immer wieder den Kopf schütteln und Änderungen vornehmen. Am Ende sagte Herr Feierabend, wenigstens die Zuschauerreaktion beim Elfmeterschießen habe er aufzeichnen können.
Mit einer digitalen Kamera hat Ingo Kratisch, mit dem ich seit über dreißig Jahren zusammenarbeite, eine Totale des Stadions aufgenommen. Über zwei Stunden, 90 Minuten Spielzeit, 30 Minuten Verlängerung, dann: Elfmeterschießen und Siegerehrung mit Feuerwerk, alles in der gleichen Einstellung. Die untergehende Sonne färbt die hoch über dem Stadiondach schwebenden Dunst-, Staub- und Wolkenschichten in ein Gelb von verschiedener Dichte und Tönung. Noch während der ersten Halbzeit wird das Gelb zu rot, rosa und rotschwarz. Bei der Verlängerung strahlt nur noch das Stadion-Oval. Wir nennen das die Andy-Warhol-Einstellung.
Michael Gola von der Firma „Migo Therm“ hat die gleiche starre Totale des Stadions mit einer Thermo-Kamera aufgenommen. Sie gibt Temperaturverhältnisse in Farben wieder: blau für die relativ kühlsten Stellen am Himmel, gelb für die Steine der Bauwerke und rot für die heißesten Stellen, die Luft, die aus dem Stadion und um das Stadion aufsteigt.
Wir haben außerdem den Ton des Polizeifunks mitgeschnitten. Gelegentlich habe ich zugehört: Polizisten erwischen italienische Kartenfälscher, man hört die Anweisung, bestimmte Gruppen im Auge zu behalten. Manche Polizisten kommen nicht auf das Stadiongelände, sie haben nicht die richtige Akkreditierung.
Während des Endspiels ist Matthias Rajmann im Stadion gewesen, in einem der vielen Räume unter den Tribünen, in der Sicherheitszentrale. Er hat dort die Bilder mitgeschnitten, die die Polizei während des Spiels herstellt. Viele der etwa 60 Überwachungskameras können ferngesteuert werden. Matthias Rajmann hat zu diesen Bildern den Ton der Radioübertragung mitgeschnitten, damit wir den Zeitpunkt jeder Aufnahme bestimmen können. Ein erstaunlicher Kontrast: Wenn der Ton aufgeregt ein Foul beschreibt, sieht man Zuschauer auf dem Weg zur Toilette über die Treppen des Stadions schlendern. Zu sehen auch vorläufig Festgenommene, die in einem Vorraum auf den Treppenstufen sitzen und das Spiel auf einem Fernseher verfolgen, der hinter einer Glasscheibe in der Polizeistation steht. Einmal sieht man zwei Polizistinnen rauchen und gelangweilt nach der Uhrzeit sehen. Ebenfalls auf dem Stadiongelände hat Ronny Tanner für uns den Ton der Bild-Regie mitgeschnitten. Zu hören sind die Anweisungen, die der Regisseur der in Deutschland hergestellten und in der ganzen Welt ausgestrahlten Fassung seinen Kameraleuten gibt.
Wir haben viel aufgenommen, aber ich hatte noch nicht die Muße, die Aufnahmen anzusehen und anzuhören. Ich weiß nicht, was wir da auf den Bändern haben, so wie ich nicht weiß, wie das Endspiel selbst zu beurteilen ist. Seit 1958 habe ich jedes Endspiel gesehen und habe jedes besser im Kopf als das gestrige.

11.7.06
In der Woche vor dem Endspiel war ich auf dem Stadiongelände, um mit dem Sicherheitsbeauftragten der FIFA zu sprechen und die Genehmigung zu bekommen, die Bilder aus den Überwachungskameras mitzuschneiden.
Ein paar hundert Meter vom Stadion entfernt liegt der Gebäudekomplex des so genannten Sport-Forums. Das ist eine merkwürdig republikanische Bezeichnung für einen Nazi-Bau, 1936 zu den Olympischen Spielen fertig gestellt. In diesen Komplex ist nach 1945 das Hauptquartier der Britischen Besatzungsarmee eingezogen. Bis 1990 war das Gelände mit hohen, von Nato-Stacheldraht gekrönten Gitterzäunen abgesperrt. Von den Briten sind noch auf dem Straßenpflaster Beschriftungen zu lesen, Parkverbote auf Englisch. Weil der Komplex jahrzehntelang unzugänglich war, wurde er nicht schrittweise dem Gegenwartsempfinden angepasst, er wirkt wie erst kürzlich in einer Zeit-Falte entdeckt. Die Proportionen der Fenster sehen nach Bauhaus aus, die steinernen Simse unter ihnen sind Nazi-Attribute – die Planung für die Olympiade hatte schon in den 20er Jahren begonnen. Es gibt einen goldenen Adler, groß wie ein halber Volkswagen auf einer vier Stockwerke hohen Steinstele, und im Hauptgebäude, unter einem gläsernen Gewölbe, eine Halle mit den Skulpturen nackter Sportler, zum Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs.
Der Sicherheitschef zeigt mir eine Halle, eine Unterkunft mit Massenschlafsälen.
Da werden heute die freiwilligen Helfer der FIFA untergebracht. Kaum zu glauben, die FIFA beschäftigt Freiwillige!

12.7.06
Aber die FIFA ist sowieso kaum zu glauben. Zunächst werden die Stadien mit Steuergeldern aufwändig renoviert, in Berlin unter schwerem Verstoß gegen die Bestimmungen des Denkmalschutzes. Dann zieht die FIFA ein und bekommt das Hausrecht. Sie beteiligt die Staatskasse keinesfalls an den horrenden Einnahmen aus den Kartenverkäufen und vor allem nicht an den Einnahmen aus den Fernsehlizenzen. Sie lizenziert auch noch „Sponsoren“. Ein ganz falsches Wort. Es muss heißen: Sie verkauft teuer Werbeflächen und Werbezeiten. Nach dem Spiel Portugal – Frankreich geschah, dass der geschlagene Figo und der siegreiche Zidane die Trikots tauschten. Kurz bevor die beiden im Unterhemd zu sehen waren, wurden die Sponsoren-Jingles von Cola und McDonald’s eingespielt. Zunächst war ich empört, im nächsten Augenblick hoffte ich, dass die beiden Firmen damit den Hass der Zuschauer auf sich zögen. Als das Spielfeld wieder zu sehen war, hatte Figo das Hemd von Zidane falsch herum an. Jetzt kam es mir toll vor, dass Cola und McDonald’s den Hemdentausch verborgen hatten wie eine Umkleidekabine.
Im Januar waren wir in Zug, einer Stadt in der deutschsprachigen Schweiz, beim Sitz der FIFA. Gelegen gleich neben dem Bahnhof in einem Komplex von Gebäuden unter einem gemeinsamen Glasdach. Dort haben allerlei Steuer-Spar-Firmen ihren Sitz, auch mehrere Unternehmungen von Boris Becker.
Die Besprechung ergab:
Eigene Kameras dürfen wir nicht ins Stadion mitbringen. Uns wurde aber gesagt, wir könnten das Material vom Endspiel am 9. Juli in Berlin bekommen, das vom Tochterunternehmen „Infront“ für die Fernsehanstalten der Welt produziert wird. Es handelt sich um die Mitschnitte aus 25 oder 26 Kameras. Dafür sollen wir einen symbolischen Betrag zahlen, der später auf 10.000 Euro festgesetzt wird, hinzu kommen die technischen Kosten der Kopien.
Der Vertrag soll bis Ende Februar fixiert sein. Bis heute habe ich keinen.

13.7.06
In diesem Jahr gab es kaum einen Frühling, noch im Mai habe ich gefroren. Mit Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft kam der schönste Sommer. Der Ruf der FIFA ist so schlecht, dass ich gestern das Gerücht hörte, sie habe Silbernitrat ausgestreut, um dieses Schönwetter herzustellen. Wetter-Doping.
Nachdem wir in der Schweiz die Zusage bekommen hatten, den Vertrag nach spätestens einem Monat zu bekommen, hörten wir nichts mehr von unseren Ansprechpartnern. Nichts, sie beantworteten weder E-Mails noch Faxe, sie ließen sich am Telefon verleugnen. Selbst die Sekretärinnen, die versprochen hatten, an einem bestimmten Tag Auskunft zu geben, wann ihr Chef wieder im Hause sei, waren zur verabredeten Zeit in Urlaub gegangen, ihre Vertretung wusste von nichts, versprach Nachfrage, war zur verabredeten Zeit selbst wieder abwesend, vielleicht an eine andere Dienstelle versetzt.
Wir sind schwierige Recherchen gewohnt. Für „Auge/Maschine“ (2001-2003) brauchten wir den Zugang zu militärischen Dienststellen und zu Rüstungsbetrieben, die sich auf ihre Pflicht zur Geheimhaltung berufen konnten. Hinzu kam noch September 11 – dennoch kamen wir zu unserem Material. Noch schwieriger waren die Recherchen für den Film „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ (2001). Der größte Mall-Betreiber in Deutschland, ECE, hat uns nie rein gelassen. Als wir mit einem Konkurrenten verhandelten, hatten wir das Pech, dass die Presse-Frau, die uns bei dem ersten Unternehmen stets abgewiesen hatte, nun zu diesem zweiten übergewechselt war und dort ihre Politik einführte. Ich bin schließlich darauf gekommen, dass die Shopping-Industrie uns so oft abwies, nicht weil sie etwas zu verbergen hat, sondern gerade weil sie nichts hat, das sich geheim zu halten lohnt.
Seit über 30 Jahren trete ich mit Firmen in Beziehung, um etwas zu erfahren, oder um Aufnahmen zu machen. Während dieser Zeit hat sich viel geändert. Früher hatten Institutionen Angst vor dem Fernsehen, es gab nur zwei, drei Programme, und der kleinste Auftritt bedeutete, in ein grelles Licht gerückt zu sein. Das fürchteten die einen, die anderen sahen damit ihre große Stunde gekommen. So wie Bauern die Stube putzen, wenn der Pfarrer zu Besuch kommt, so ließen die Chefs ihre Firma herrichten, wenn wir kamen und zogen sich ihre Sonntagssachen an, in der Hoffnung, sie könnten vor der Kamera ausführliche Erklärungen abgeben.
Heute weiß fast jeder, dass es nicht viel bedeutet, im Fernsehen vorzukommen, und die meisten bestehen nicht mehr darauf, nach ihren Vorstellungen ins Bild gerückt zu werden. Vor allem die kleineren Betriebe haben heute einen verkleinerten Apparat. Man kommt leichter zu den Personen durch, auf die es gerade ankommt. Ein Nachteil ist, dass es kaum noch so etwas wie ein institutionelles Gedächtnis gibt.
Bei der FIFA haben wir die Nachteile beider Modelle. Einerseits mussten wir monatelang die Dienstwege gehen, um an die zuständige Person zu gelangen, die nichts in Eigenverantwortung unternehmen darf und sich bei Vorgesetzten rückversichern muss oder zumindest vorgibt, das zu tun. Es scheint, als sei der Dienstweg zwar vorgeschrieben, sein Gang aber nirgendwo dokumentiert. Ist eine Person abwesend, weiß niemand vom Vorgang, als hätten wir mit der abwesenden oder verschwundenen Person eine rein private Beziehung unterhalten.
Kurz vor Beginn der WM gelang es uns wieder, mit der FIFA Kontakt aufzunehmen.
Der Mann, der sich drei Monate lang verleugnen ließ, entschuldigt sich nicht und stellte nun vage in Aussicht, dass der Vertrag bald geschlossen werde.
Drei Tage vor dem Endspiel erfahren wir, dass wir nicht das Material aus 25 oder 26 Kameras kriegen werden, sondern nur aus 5. Die anderen, so heißt es, werden gar nicht mitgeschnitten. Die Begründung: Die Datenmenge des in High Definition übertragenen Spiels sei zu groß.
Wir nehmen uns nun vor, die Signale von drei oder vier Kameras, die im Studio eingehen, selbst mitzuschneiden. Einer unserer zwei Ansprechpartner will das unterstützen, was noch nicht heißt, dass er uns organisatorisch hilft oder auch nur erreichbar ist. Der andere aber leugnet, uns jemals 25 Signale versprochen zu haben, und als wir ihm sein E-Mail schicken, in dem das ausdrücklich steht, kommt von ihm die Nachricht, wir dürften nichts mitschneiden. Es könnte die Arbeit im Studio stören, wenn wir mit Rekordern anwesend wären.

14.7.06
Ich fahre nach Kassel, um mich mit Rike Frank, der Ausstellungsleiterin, Ruth Noack, der Kuratorin und Roger Buergel, dem Leiter der documenta 12 zu besprechen. Ich habe nicht nur mit der FIFA keinen Vertrag, ich habe auch keinen Vertrag mit der documenta. Die Besprechung findet in der Wohnung von Ruth und Roger statt, für die Vorbereitung der Ausstellung sind sie von Wien dorthin gezogen. Wir halten uns auf der Terrasse auf, Roger kocht für uns und die Kinder etwas zu Essen. Später fahren wir zum Herkules, Roger Buergel ist der Einfall gekommen, meine Arbeit dort zu zeigen. Der Herkules liegt in Wilhelmshöhe und überragt die Stadt, ein Oktagon, darauf ein Pyramide, darauf eine Herkules-Statue. Das Oktagon ist etwa 70 Meter im Durchmesser, ein zweistöckiges verwinkeltes Bauwerk mit offenen Fensterbögen. Der Bau ist aus dem 17. Jahrhundert, aber mir sieht er aus, als wäre er eine Ausflugs-Architektur aus dem 19. Die Vorstellung, an diesem abgelegenen Ort etwa 24 Leinwände aufzustellen und zu bespielen, gefällt mir.
Vor ein paar Jahren hatte Roger Buergel die Idee, mit mir etwas über Fußball zu machen. Er sprach darüber mit Chris Dercon, der in München das riesige „Haus der Kunst“ leitet. Es war Roger Buergels Vorschlag, ein Spiel oder mehrere von Bayern München auf etwa 24 Leinwänden wiederzugeben. Die Sache kam aber nicht voran.
Im Herbst 2005 rief mich Roger Buergel überraschend an, sagte, das Fußball-Projekt sei nun für die documenta möglich. In Berlin trafen wir uns mit Gavin Jantjes, Kurator am Nationalmuseum in Oslo. Er und Manuel J. Borja-Villel vom MACBA in Barcelona sollten die Produktion ermöglichen, dafür sollten die beiden Museen je ein Exemplar meiner Arbeit erhalten. Ein dritter Partner wurde noch gesucht.
Wir verabredeten, dass ich zunächst die Kosten abschätzen sollte.
Ich dachte daran, ein Spiel der Weltmeisterschaft, vielleicht das Finale, auf 20 bis 24 Leinwänden wiederzugeben, in je verschiedener Darstellung. Zehn bis zwölf mal sollten Bilder gezeigt werden, die während des Endspiels aufgenommen wurden. Die Totale von der Tribüne, die Totale aus höchster Höhe, vom Stadiondach aus, ein einzelner Spieler das ganze Spiel über, und so fort.
Die übrigen Spuren sollten das Spiel in technisch-analytischen Bildern wiedergeben.
Einmal eine zweidimensionale Darstellung des Spielfeldes, auf dem man die taktische Konstellation erkennen kann: Welcher Spieler wird von welchem Spieler gedeckt? Wie bewegt sich die Vierer-Kette, wie die Mittelfeld-Raute? Über wen läuft der Ball? Wir hatten gesehen, dass es Programme gibt, die jeden Spieler ‚tracken’, die alle Bewegungen, die ein Spieler während eines Spiels macht, in das Bild eintragen, als gerade, gebogene, manchmal geschlängelte Linie.
Wir kalkulierten auch, was es kosten werde, etwas selbst in ein bewegtes Bild einzuzeichnen. Etwa, wohin ein Spieler sieht, wenn er den Ball hat, welche Spieler, zu denen er abspielen will, frei und welche gedeckt sind, ob sie sich freilaufen können.
Es stellte sich heraus, dass es nicht billig wird, 20 bis 24 Leinwände zu füllen. Es würde nicht so viel kosten wie ein Spielfilm, aber doch mehr als jeder Dokumentarfilm, den ich je gemacht hatte. Etwa 500.000 Euro. Ich schickte diese Zahlen nach Kassel, und Roger Buergel ließ mich wissen, er werde sie weiterleiten.
Jetzt erfahre ich, dass etwa 380.000 Euro zugesagt sind. Wir müssen bald anfangen, es ist weniger als ein Jahr Zeit.
Es wird auch vereinbart, dass ich einen Vorschuss bekomme.

15.7.06
Ich lese in der Zeitung, dass der Chef der FIFA, Blatter, darauf verzichtet hatte, beim Endspiel die Siegerehrung vorzunehmen. Man hatte ihn bei der Eröffnung ausgepfiffen.

17.7.06
1995 habe ich zum ersten Mal Produktionsgeld von einem Museum bekommen, 5000 DM für 25 Minuten auf zwei Spuren („Schnittstelle“, 1995). Als ich im gleichen Jahr eingeladen wurde, für die documenta X, 1997, einen Film herzustellen, bekam ich von der einladenden Institution wieder 5000 DM, das war weniger, als die Kopie kostete.
Im Herbst 2000 rief mich Roger Buergel an, mit Ruth Noack plane er in der Generali-Foundation, Wien, eine Ausstellung mit dem schönen Titel „Dinge, die wir nicht verstehen“. Er fragte, ob ich eine neue Arbeit herstellen könne. Ich ließ mich darauf ein, innerhalb von drei Monaten eine Doppelprojektion in der Länge von 25 Minuten zu machen („Ich glaubte Gefangene zu sehen“, 2000).
Im Ausstellungs-Etat gab es keine Mittel für die Produktion, darum wurde vereinbart, dass die Sammlung der Generali-Foundation die Arbeit nach Fertigstellung ankaufen werde. Der Preis von 10.000 DM deckte kaum die Endfertigung im Studio.
Es gab später für diese Arbeit Interessenten, aber ich konnte sie nicht verkaufen, weil der Vertrag mit der Generali-Foundation sie als Unikat festgeschrieben hatte. Sabine Breitwieser, die künstlerische Leiterin der Generali ist auch der Ansicht, man könne ein Unikat nicht zugleich an zwei verschiedenen Stellen auf der Welt zeigen.
Es ist mir ganz fremd, meine Ware zu verknappen. Jahrzehnte lang habe ich versucht meine Arbeiten zu verbreiten, jetzt soll ich sie zurückhalten! Ich achte seither darauf, meine Arbeiten für Kunst-Räume in einer kleinen Auflage von mindestens drei Exemplaren herzustellen.
Als ich 2001 mit einem Projekt über „Intelligente Waffen“ begann, versuchte ich systematisch Fernseh-Mittel und Kunst-Mittel zu kombinieren. Die Installationen „Auge/Maschine I, II, und III“ benutzte ich, um das jeweils neue Material auszuprobieren, so wie man einen Stoff zunächst in Artikeln behandelt, bevor man daraus ein Buch macht.
Ich besprach mit dem Kurator Anselm Franke, dass er bei Museen und anderen Ausstellungsorten nachfragen werde, wer an einer Installation zu diesem Gegenstand Interesse hätte.
Er machte eine Liste mit 10 Institutionen und fragte an, wer bereit sei, zwei- bis viertausend DM beizusteuern. Viele zeigten sich interessiert, aber es kam nicht ein Vertrag zustande.
Ich zog daraus den Schluss, dass Kuratoren nicht gerne zu einer Produktion beitragen, zu der schon viele andere beitragen. Sie wollen auch nicht gerne gefragt werden, sie möchten lieber selbst anfragen. Kuratoren als Produzenten sind Auteur-Produzenten.
Als ich die Kunstwelt kennen lernte, da hat mich am meisten verblüfft, dass man für das Zeigen einer Arbeit an einem Kunst-Ort gar nichts bekommt. Auch sehr berühmte Künstlerinnen und Künstler bekommen oft keinen Cent, wenn ihre Arbeiten in einem renommierten Haus gezeigt werden.

18.7.06
Matthias Rajmann macht mich auf das Spiel „3DGoals“ von „Ascensio“ aufmerksam, das schon ein paar Tage nach der WM herausgekommen ist. Es bietet aus vielen Spielen des Turniers wie auch dem Endspiel kurze Szenen an. Sie erscheinen als 3D-Animation, alle Spieler haben das gleiche Gesicht, sie können nur gehen, traben oder rennen. Sie bewegen sich ruckend und führen den Ball zwischen den Beinen; wenn sie passen oder schießen, bringen sie zum Ausgleich den Oberkörper in Schieflage.
Diese Darstellungen lassen sich aus den verschiedensten Perspektiven wiedergeben, auch aus bewegten.
Am Beispiel eines zwei Jahre alten Spiels aus der italienischen Liga sieht man, wie bestimmte spiel-analytische Werkzeuge funktionieren. Das Spiel ist als 2-D-Schema zu sehen. Bestimmte Hilfslinien und Messwerte können angewählt werden.
Welche Entfernung haben die Spieler jeweils zueinander? Welche Entfernung legt der Ball bei jedem Pass zurück? Wo verläuft jeweils die gedachte Abseitslinie?
In einem anderen Programm wird mit wachsenden und schrumpfenden Säulen angegeben, welche Entfernungen mit welcher Geschwindigkeit jeder einzelne Spieler zurücklegt.
Dieses Darstellungssystem wird Vereinen angeboten: Mit vier starren Kameras oberhalb der Ecken des Spielfelds können sie im eigenen Stadion ein Spiel aufnehmen und mittels der angebotenen Software in den Computer einlesen.
Dieses System ersetzt die Tafel, auf die früher die Trainer die Spielzüge hingekritzelt haben als seien sie Physiklehrer.
Wenn wir von der FIFA nichts kriegen, können wir uns vielleicht so behelfen.

19.7.06
Immer wieder sehe ich mir die Bilder an und höre mir die Töne an, die wir am 9.7. produziert haben. Dennoch kommt es mir vor, als hätte ich sie noch nicht richtig in Augenschein genommen. Weil wir mit dem Material der FIFA nicht sicher rechnen können, weiß ich nicht recht, wie ich das Produzierte beurteilen soll.

20.7.06
Matthias Rajmann hat bei den Firmen angerufen, mit deren Regie- und Übertragungswagen das Endspiel produziert wurde. Wegen der Urlaubszeit ist es nicht ganz sicher, aber es scheint, als wären auf einem Server Bildsignale von noch mehr als den fünf Kameras, die wir statt der 25 oder 26 bekommen sollen. Die Firmen trauen sich nicht, richtig nachzugucken ohne eine Genehmigung der FIFA.
Wir fragen bei der FIFA an.

21.7.06
Wir überlegen, wie wir uns ganz ohne das FIFA-Material behelfen können. Viele tausend Zuschauer müssen das Spiel doch mit Videokameras und ihren Handys gefilmt haben. Wir überlegen, wie wir diese Zuschauer erreichen können, vielleicht über Aufrufe in Sportzeitungen und -zeitschriften. Sicher kommen wir so nur zu Teilstücken, die wir mühsam datieren und zusammensetzen werden müssen.

23.7.06
Wir bekommen von der FIFA keine Antwort. Auf E-Mails hin bekommen wir auch keine Abwesenheitsmeldung.
Matthias Rajmann wird darauf aufmerksam, dass mit den Eintrittskarten zum Endspiel viel Handel getrieben wird. Über eBay bietet er seine Akkreditierung, eine Plastikkarte an einem Halsband, an. Eine Frau aus Hettenleidelheim kauft das als Geburtstagsgeschenk für ihren Mann, für 40,29 Euro.

26.7.06
Nun ist es zu spät. Wenn noch etwas auf den Servern war, ist es inzwischen gelöscht.

27.7.06
Schon vor Monaten haben wir ein Buch aus den USA gekauft, „Soccer Match Analysis“. Was darin über die Software zur Spielanalyse steht, ist schon veraltet.
Interessant ist aber die Vorgeschichte der heutigen technischen Verfahren. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Notationssystem zur Mitschrift von Spielzügen und Spielen entwickelt. Das Buch gibt Tabellen wieder, so genannte „tally-sheets“ – tally wie in dem Lied von Belafonte: „Come Mister Tallyman, tally me banana!“ – Rubriken wie Zweikampf, Kopfball-Duell, Stören, Klären, Freistoß, jeweils mit oder ohne Erfolg. Abgedruckt sind auch Schemata des Spielfeldes, aufgeteilt in Zonen, um festzuhalten, wie der Raum genutzt wird.
Ich stelle mir eine Doppelprojektion vor: Auf der einen Leinwand ist das Spiel in Real-Bildern zu sehen, möglichst von nur einer Kamera, der Führungs-Totalen wiedergegeben. Rechts daneben sieht man eine Hand die Spielzüge mitschreiben.
Insgesamt denke ich, die 20 bis 24 Bildspuren sollten jeweils zu Paaren geordnet werden.

28.7.06
Roger Buergel hat mich um eine DVD mit Proben gebeten, damit er etwas hat, das er denen, die Geld versprochen haben, und anderen, die dafür noch gewonnen werden sollen, zeigen kann. Das zwingt mich, mich mit dem Material zu beschäftigen. Ich stelle zusammen:
1. – Das Bild des Endspiels, wie es von der FIFA hergestellt und an etwa 500 Sender verkauft wurde, das so genannte „Clean Feed“ oder auch: Die Welt-Regie. Dazu ist der Regisseur Wolfgang Straub zu hören, wie er seinen Kameraleuten Anweisungen gibt. Diese Zusammenstellung ist sehr suggestiv.
In der zweiten Minute der ersten Halbzeit, als Henry nach einem Zusammenstoß mit Cannavaro verletzt am Boden liegt:
Off-Stimme: „Henry ist liegen geblieben“
Straub: Ja, danke. Henry liegt, danke neun, slow-mo!, [=slow motion] Henry liegt, Trainer direkt, die Fünf, der Franzosen. Und die slo-mo, bitte ab! Komm raus in die Fünf dann, wie viele haben wir? Noch eine? Dann komm raus. Achtung für die Zwei! Nee, nee! Haben wir irgendwo, haben wir den Großen irgendwo, Neun, Zehn, wo er liegt, den Kopp? Achtung für die Zwölf! Haben wir noch eine? Die Fünf, die Neun. Keine andere?

Es gibt etwa 30 Kameras, für bestimmte Aufgaben eingeteilt, auf die Trainer gerichtet, auf die Ehrentribüne mit den Staatsgästen, und so fort. Im Falle einer Spielunterbrechung richten sich mehre Kameras auf das Ereignis, und Straub muss die Wahl treffen. Er wünscht sich vergebens eine nähere Aufnahme vom verletzt daliegenden Henry. Er hat nur zwei Zeitlupen zur Verfügung, und deshalb lässt er diese wiederholen:
Straub: Dann müssen wir das ja noch mal machen! Noch mal, ja? Und slo-mo, bitte: Ab! Und komm wieder raus in die Neun. Wunderbar. Henry, Achtung für die Sechs … ja, nee, brauch ich nicht. Achtung für die Fünf. Zieh ruhig auf, Vier zu Drei, Attila, dann sehe ich den Wahnsinnigen auch.
Mit „der Wahnsinnige“ meint Straub einen der beiden Physiologen der Franzosen, der dabei ist, zu überprüfen, ob Henry bei vollem Bewusstsein ist. Er hält Henry ein Riechfläschchen vor die Nase, Henry wirft angewidert den Kopf zurück.
Straub: Noch mal Chirac vielleicht oben. Chirac, Chirac. Wer hat ihn?
Off-Stimme: „Einundzwanzig.“
Straub: Ja. Achtung! Kommt… ah, jetzt guckt er gerade weg, ne? Okay, dann die Zwei nochmal.

Straub wird als Dokumentarist kenntlich, der ständig den Schauplatz nach einem weiteren möglichen Bild absucht. Gelegentlich sagt er einem Kameramann, worauf dieser die Kamera richten oder wie er den Bildausschnitt ändern soll. Dabei wird deutlich, dass viele Bildfolgen zustande kommen, ohne dass er ein Wort sagen muss. Es ist Standard, das Spiel zunächst in einer Halbtotalen zu zeigen, bei einer besonderen Aktion, einem Dribbling oder Foul, in eine nähere Aufnahme zu schneiden. Nach einem besonderen Ereignis, einem gelungenem Abspiel oder Fehlschuss auf das Gesicht eines Akteurs zu schneiden und so fort.
2. – Die Bilder aus der Wärmekamera, dazu der Ton des Polizeifunks. Gefällt mir nicht. Sieht aus wie eine Wiedergabe in beliebigen Falschfarben. Sieht aus wie aus dem Poster-Laden.
Außerdem: Ich habe zu Beginn der zweiten Halbzeit der Verlängerung vergessen, rechtzeitig auf den Aufnahmeknopf zu drücken. Etwa eine Minute fehlt. Ich habe mich vom Spiel ablenken lassen. Über Jahrzehnte habe ich Mitarbeitern eingeschärft, auch wenn sie nur eine einzige, ganz einfache Aufgabe hätten, müssten sie diese mit voller Aufmerksamkeit ausführen.
3. – Die „Andy-Warhol-Einstellung“, die starre Aufnahme des Stadions, ist wunderbar. Zwei Milliarden schauen auf diesen Ort, und wir zeigen die Rauchfahne des Kraftwerks hinter dem Stadion, die Schwalbenschwärme und wie aus dem Abendrot Nacht wird.
4. – Die Farbexplosionen der Akustischen Kamera funktionieren gut. Am linken Bildrand befindet sich ein Lokal, die „Stadion-Terrassen“. Dort sitzen ein paar hundert Menschen und verfolgen das Spiel auf Monitoren und Leinwänden. Wegen der Fernsehübertragung sehen sie jedes Ereignis mit Verzögerung, sie reagieren akustisch etwas später als die Menge ein paar hundert Meter weiter im Stadion.
Wir, in der Wohnung von Frau Krause hingegen, hörten etwas aus dem Fernsehgerät, bevor wir es real hörten.
5. – Die Bilder aus den Überwachungskameras im Stadion erinnern an den Film „Offside“ von Jafar Panahi. Da gibt es das wichtige Spiel Iran-Bahrein, in dem es um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft geht. Der Film erzählt von Frauen, die während des Spiels festgehalten werden – es war Frauen in Teheran nicht erlaubt, ein Spiel im Stadion anzusehen – und ist es wohl immer noch nicht. Die Frauen werden im Stadion festgehalten, in einem improvisierten Gefängnis auf der Rückseite der Tribüne.
Unsere Bilder zeigen auch Personen, die festgehalten werden, das Spiel aber auf Fernsehern verfolgen können. Unsere Bilder handeln fast nur von Personen, die dem wichtigen Spiel so nahe sind, und es doch nicht auf den Tribünen erleben. Die Polizisten, die Ordner, die Chauffeure der VIP-Besucher. Außerdem sieht man sehr viele Zuschauer gemächlich zur Toilette gehen oder ein Getränk holen, während das Spiel läuft. Die Darbietung scheint ihnen nicht so wichtig zu sein.

29.7.08
Bis zum Beginn dieses Jahrzehnts war das Geld, das ich von Kunsteinrichtungen kriegte, etwas Zusätzliches. Das Fernsehen war die Brotarbeit, die Kunst das Zubrot. Inzwischen ist das Fernsehen weggefallen. Ich glaube, es ist kaum bemerkt worden, dass in ganz Europa der dokumentarische Film, wie er im Fernsehen vorkommt, vollständig standardisiert worden ist.
In den 90er Jahren, als ich viel in den USA war, gab es im Kabel vier bis sechs Stationen, die Dokumentarisches zeigten, wobei auf den privaten Kanälen fast nur Filme über den Zweiten Weltkrieg oder über Tiere liefen. Hitler oder Bambi. Auf den nicht-ganz-privaten Kanälen war es nicht viel besser. Ich glaube nicht, dass dort jemals ein Film von Godard, Marker oder Varda gezeigt worden ist, in sieben Jahren habe ich nichts davon gesehen.
Bei historischen Stoffen gilt eine strikte Regel: Der Zeitzeuge hat dazusitzen, auffällig ausgeleuchtet, und etwa 90 Sekunden lang etwas möglichst Biografisches zu erzählen. Dann kommt Archiv-Material, auch etwa 90 Sekunden lang. Wird darin nicht gesprochen, so wird eine Musik draufgelegt. Zu Bildern aus den 30ern „I went down to St. James Infirmary“, zu Bildern aus den 40ern “Sentimental Journey”, zur Sowjetunion die „Warshawianka“, für Paris Cole Porter.
Wird ein Film nicht von den Erzählungen von auffällig beleuchteten Zeitzeugen strukturiert, muss es unbedingt einen Kommentar geben, der mitteilt, was man in den Bildern sehen soll, die man gerade sieht.
Für das Fernsehen in Baden-Baden gab es von den 80ern an eine Redaktion, die Dokumentarfilme produzierte, die sogar im Ersten Programm gezeigt wurden. Ich habe dort fast 20 Jahre lang Filme machen können, es gab da kein vorgeschriebenes Thema, der Film selbst musste das jeweilige Thema begründen. Nach meinem Film „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ (2001) sagte man mir deutlich, ich solle mich hier nicht mehr bewerben. Ich hatte eine Einschaltquote von nur 5% gehabt.

1.8.06
Um den Ton der Bildregie mitschneiden zu können, musste Ronny Tanner mehrfach auf das Olympia-Gelände, um sich mit den Technikern abzustimmen, um die Akkreditierung zu beantragen, um den Antrag nochmals zu begründen, und um sie schließlich abzuholen.
Dabei kam er mit den Helfern ins Gespräch, die zu Hunderten auf dem Gelände herumstanden. Einige waren Freiwillige, glücklich, der großen Sache im Hintergrund dienen zu können. Und viele waren 1-Euro-Jobber. Wer in Deutschland lange arbeitslos ist, kann zu einer Arbeit mit der symbolischen Bezahlung von einem Euro in der Stunde verpflichtet werden. Man sieht solche Zwangs-Verpflichteten die Parks saubermachen. Hier bei der FIFA mussten sie auf den Parkplätzen herumstehen. Sie beschwerten sich, die FIFA versorge sie nicht einmal mit Wasser.

5.8.06
1970 hat Hellmuth Costard einen Film mit dem schönen Titel „Fußball wie noch nie“ gemacht. Er nahm bei einem englischen Liga-Spiel mit sechs 16mm-Kameras den Spieler George Best auf, nichts als diesen Spieler. Bei manchen Einstellungen ist Best in einem Einstellungsraum zu sehen, der ein paar Meter misst, gelegentlich, bei Aufnahmen mit dem 1000-mm-Objektiv, ist der Ausschnitt so eng, dass Best halbnah erscheint. Es gelang Costard damals, den Film im Fernsehen zu zeigen, die Ausstrahlung hatte sogar Proteste zur Folge. Damals war den Zuschauern kaum bewusst, wie stark die Bild-Regie ein Fußballspiel bearbeitet, es verdichtet und akzentuiert. Noch heute erstaunt, wie selten ein Spieler während eines Spiels am Ball ist, und wie wenig ein Starspieler wie Best damals gelaufen ist.
In dem Booklet zu der DVD ist eine tolle Zeichnung abgebildet, ein Freund in England hat während eines Spiels die Laufwege von Best aufgezeichnet und das Blatt an Costard nach Hamburg geschickt. Nach der Erzählung von Grassmann, dem Produzenten von „Fußball wie noch nie“, ging Costard auf einen Fußballplatz und lief die Laufwege ab, wie sie notiert waren, wobei der Kameramann auf der Tribüne stand und zur Übung mitschwenkte. Erstaunlich, wie sehr diese Zeichnung den heutigen, automatischen Aufzeichnungen der Laufwege der Spieler, etwa mit dem System von „Ascensio“, ähnelt.

9.8.06
Wenn der Vertrag kommt, so nehme ich mir vor, will ich mich nicht weiter beschweren über die erfahrenen Demütigungen. Ich nehme mir vor, den Gegenstandpunkt einzunehmen, etwa so: Der Dokumentarist ist ein Jäger und Sammler, der stets etwas gratis vor die Kamera kriegen will. Und der Fiktionalist ein sesshafter Bauer, der alles ehrlich erwerben muss, was er verarbeiten will.
Der Dokumentarist ist auch wie ein Goldsucher, allerdings einer, der sich beschwert, wenn er nicht einen Klumpen findet.

10.8.06
Wie bei Kafka ist es eigentlich klar, dass wir nicht zum Schloss vordringen können.
Rike Frank ruft manchmal bei jemandem von „Infront“ in Ipswich an, bei einer Firma, die für die FIFA das Material produziert und archiviert hat. Ich bemerke, dass ich guten Mutes werde, wenn sie dort jemanden erreicht, der bestätigt, dass die Freigabe des Materials an uns eigentlich vorliegt. Ich schäme mich gleich wieder meiner Zuversicht, denn eigentlich ist diese Freigabe schon längst erteilt, wir wissen allerdings nicht von wem und warum das schon so lange keine Folgen hat.

11.8.06
Besonders lächerlich, dass ich jetzt schon wie ein Schüler dem Schicksal Handelsangebote mache: Wenn Du mir den Vertrag gibst, werde ich selbstkritisch sein, und so weiter.

21.8.06
Der Vertrag war mir schon seit Tagen angekündigt, jeden Tag sah ich im Briefkasten nach, oft noch bevor der Briefträger kam. Derjenige aber bei der FIFA, der ihn abschicken sollte, wusste meine Anschrift nicht – nachdem wir über Monate per Post und per E-Mail mit der Zentrale in Zug korrespondiert hatten. Schließlich aber ging das Dokument als Anlage einer E-Mail an Matthias ein und erreichte auch mich.
Keiner hat sich die Mühe gemacht, dieses Papier auf unseren Fall abzustimmen. Es handelt sich um einen Standard-Vertrag, wie er mit Fernsehanstalten geschlossen wird, und darum trifft er in einigen Punkten nicht zu. Er erlaubt zum Beispiel keine Vorführung gegen Eintritt – und Museen und auch die documenta erheben nun einmal Eintritt. Wir müssen Änderungen verlangen. Ich werde von diesem Papier erst wieder sprechen, wenn es geändert und unterschrieben ist.

27.8.06
Gestern trafen Matthias Rajmann und ich uns in Leipzig, wir besuchten eine Messe, die sich „Game Convention“ nennt. Schon im Zug von Berlin saßen viele Jugendliche, die in Gruppen laut über bestimmte Spiele, bestimmte Software und bestimmte Geräte redeten. Die S-Bahn vom Leipziger Hauptbahnhof zum Messegelände war so überfüllt wie die Züge zum Olympiastadion während der Weltmeisterschaft. Und in beiden Fällen gab es kein Gegröle und Geschubse.
Wir sind nach Leipzig gefahren, weil wir hofften, die Weltmeisterschaft und das Endspiel als Computerspiel wieder zu finden und vielleicht auch Spieler, die das Endspiel für uns nachspielen können. Davon finden wir nichts, und weil der Ort so überlaufen ist, verzichten wir darauf, Repräsentanten von Firmen anzusprechen.
Viele Messestände sind so eingerichtet, dass man im Liegen spielen kann, die Lagerstätten sind manchmal in eigenen Bauten untergebracht, in halbdunklen Höhlen.
Offensichtlich geht es den Besuchern nicht so sehr darum, neue Hard- und Software zu sehen, sie wollen vor allem ein Gemeinschaftserlebnis. Auf der Rückfahrt ist der Zug wieder voll von Gesprächen über Computerspiele. Im Speisewagen höre ich einer Gruppe zu, die über Marketing-Methoden fachsimpelt, unklar ob das Händler sind oder ob sie wie Händler reden, um sich in den Tauschwert einzufühlen.
Am Nebentisch im Großraumwagen sprechen eine Frau und zwei Männer, offensichtlich Kulturproduzenten, über die Frauenfeindlichkeit der Spielwelt. 80% aller Spiele sollen kriegerisch sein, nur 20% der an Spielen Interessierten sind Frauen.

1.9.06
„Ascend to the new heights of intelligence in soccer!“ Ein solches Ding, wie von der russischen Firma schon fünf Tage nach dem Ende der Weltmeisterschaft auf den Markt gebracht für 26 Euro, warum wird das gekauft?
Von jedem Spiel kann man sich „die Höhepunkte“ anschauen, damit sind die Tore und einige Torraum-Szenen gemeint. Die Szenen gibt es in 3D-Animation zu sehen. Man kann unter sehr vielen Kamerapositionen wählen, solchen, die denen entsprechen, die man bei einer Fernsehübertragung sieht und auch solchen, die nur mit digitalen Mitteln möglich sind: Kreisende Aufsicht aus der Vogelperspektive oder aus der Perspektive des fliegenden Balles. Die Spieler einer Mannschaft sehen alle gleich aus, es gibt nur drei Bewegungsarten, Gehen, Laufen und schnelles Laufen; ein Spieler kann den Ball nur in einer Weise führen, zwischen seinen Beinen.
Ich denke, diese Animation zielt auf die Käufer, die sich von einem großen Sportereignis ein Buch kaufen. Es geht um den Anteil am Käufer, der nicht ein Medium sucht, sondern ein Souvenir, der nicht das Spiel noch einmal sehen will, vielmehr will, dass etwas bleibt, wenn das Ereignis vorbei ist. Animationen werden neuerdings von Experten im Fernsehen benutzt und haben somit eine analytische Anmutung („Intelligence in Soccer“).

6.9.06
Wir sind in Venedig, unser Hotel ist ein ehemaliges Kloster. In unserem Zimmer gibt es weder einen Spiegel noch einen Fernseher. Im Fernsehraum sehen wir uns das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft Frankreich – Italien an. Ich freue mich sehr, dass Frankreich nicht nur gewinnt, sondern wohl auch beweisen will und kann, dass es die bessere Mannschaft ist. Und es sieht sogar so aus, als ob Italien mit diesem Spiel zugäbe, unverdient Weltmeister geworden zu sein.

7.9.06
Inzwischen habe ich den Vertrag unterschrieben und die Materialien aus Ipswich sind gekommen. FIFA-Infront haben das Spiel in High-Definition aufgenommen, wir aber haben Digi-Beta-Kopien bestellt. Diesen Qualitätsverlust müssen wir in Kauf nehmen. Ein Studio, in dem man High-Definition bearbeiten kann, kostet pro Stunde hunderte Euros. Und es ist gänzlich undenkbar, von High-Definition-Geräten vorzuführen. 20 Stück würden Millionen kosten.
Nach ersten Recherchen gibt es Geräte, die ein jeweils über zwei Stunden langes Programm auf 24 Spuren abspielen können, aber die haben nur 8 Gigabyte Speicherplatz, nur etwa doppelt so viel wie eine DVD.
Ich sehe mir die Spuren „Player-A“ und „Player-B“ an, auf denen jeweils ein Spieler Italiens oder Frankreichs für etwa 15 Minuten zu sehen ist. Es ist zu sehen, dass der Kameramann den jeweiligen Spieler nicht immer im Zentrum hält, offensichtlich wird er vom Spielereignis abgelenkt.
Auf den Bildern der Überwachungskameras sind gelegentlich die Ordner zu sehen, die im Stadion stehen und die Zuschauer zu beobachten haben. Sie müssen dem Spiel den Rücken zuwenden. Offensichtlich hat man ihnen das fest eingeschärft, sich nicht umzudrehen, ich sehe keinen einzigen, der auch nur für einen kurzen Moment das Publikum aus dem Auge ließe.
Ich muss mir vorwerfen, nicht die gleiche Disziplin gewahrt zu haben, weil ich auf das Spiel sah, habe ich zu spät auf einen Knopf gedrückt.

8.9.06
Jetzt habe ich einen Vertrag mit der FIFA, aber noch immer keinen mit der documenta. Ich muss mich auf Roger Buergels mündliche Zusage verlassen. Ich habe auch schon einen Vorschuss bekommen für die Zahlungen an die FIFA und bekomme jetzt einen weiteren, denn wir müssen jetzt bei „Ascensio“ Ausarbeitungen in Auftrag geben für mehrere zehntausend Euro.
Privatdetektive verlangen oder bekommen immer einen Vorschuss, der kommt einem bindenden Vertrag gleich.
Ich überlege mir, ob im Kunstbetrieb, nach meiner Erfahrung, auf mündliche Zusagen Verlass ist. Mir fällt der Kurator eines großen New Yorker Museums ein, der mir 100.000 Dollar versprach für ein Vorhaben meiner Wahl. Das Versprechen gab er bei einem Lunch in SoHo, bei der wohl teuersten Mahlzeit, die ich je verzehrte. Mehr kam dabei nicht heraus.

20.9.06
Gelegentlich, wenn ich nachfragte, ob die Finanzierung denn vorankäme, wann ich mit welchem Budget werde rechnen können, hatte Rike Frank gesagt, ich könne und solle doch auch selbst etwas unternehmen. Ich schrieb ihr, ich habe von Freunden gehört, Francesca von Habsburg fördere Kunstprojekte. Ich kenne einen Galeristen in Salzburg, der sie gut kenne, ob der oder ob Roger Buergel sie ansprechen solle.
Ich war in Wien und saß mit einer Filmemacherin, die mir gerade ihren Rohschnitt gezeigt hatte, zur Besprechung in einem Straßencafé, als mein Handy klingelte. Rike Frank war dran, es war auf der Straße so laut, dass ich in das Café trat. Sie fragte mich, welche Summe Roger Buergel denn anfragen solle. Es war auch im Café laut, deshalb trat ich in den Waschraum vor den Toiletten.
„Ich denke, wir sollten um 100.000 Euro bitten.“
„Möchte die Galerie davon nicht die Hälfte behalten?“
„Ich glaube nicht, ich würde um einen Freundschaftsdienst bitten. Wenn wir aus Oslo und Barcelona je 200.000…“
„Sollte ich einmal mit Carol Greene sprechen, ob es in den USA Mittel gibt?“
„Unbedingt, aber da sollten wir um 200.000 bitten, Euro oder Dollars, denn sie wird das sicher als Koproduktion auffassen, und ihr müssen wir die Hälfte geben.“
Zwei Männer standen im Pissoir, einer wandte sich beim Pinkeln nach mir um. Ich war auf dem Klo eines Cafés, in dem viele Filmleute verkehren, und ich war sicher nicht der erste Idiot, der hier laut mit großen Zahlen umging.
Später erfuhr ich, Francesca von Habsburg wolle jedenfalls kein Projekt fördern, das mit Fußball zu tun habe.

21.9.06
Eine Frau, die in Berlin bei der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes gearbeitet hat, arbeitet jetzt bei der documenta und hat Rike Frank erzählt, dass die Stiftung noch etwas Geld hat. Rike Frank hat schnell eruiert, ob eine Förderung durch diese Institution möglich ist und mit Roger Buergel einen Antrag verfasst. Rike Frank und ich suchen den Chef dieser Stiftung auf, in einem ehemaligen Schulgebäude am Kanalufer in Kreuzberg, aufwändig renoviert. Wir werden in einem großen Raum im Dachgeschoss empfangen. Die Renovierung hebt die Dachkonstruktion hervor, und während des Gesprächs sehe ich mir den Verlauf der Stützbalken und Querstreben an. Die Stiftung steht kurz vor der Auflösung; am kommenden Dienstag tagt ein Aufsicht führendes Gremium, vor dem sich der Stiftungsleiter für unseren Antrag einzusetzen verspricht.

23.9.06
Im Herbst 1968 rief mich eine Freundin an, die seit ein paar Monaten beim WDR arbeitete; in ihrer Abteilung sei noch der Betrag von 10.000 DM übrig, das Geld werde zum Jahresende verfallen. Ich schrieb schnell etwas auf, die Redaktion stimmte zu, mit der Produktionsabteilung einigte ich mich sogar auf 15.000 DM.
Ein paar Monate später war der Kurzspielfilm fertig („Nicht löschbares Feuer“, 1969).
In den nächsten Jahren habe ich immer wieder bei Redaktionen angerufen, um zu fragen, ob noch etwas Geld übrig sei – immer vergeblich.
Damals stimmte es mich sehr froh, ein Geld zu bekommen, das sonst verfallen würde, ein Geld, das schnell verbraucht werden musste. Ein Geld, das keiner haben wollte und das sozusagen überflüssig war. Für dieses Geld musste ich mich nicht groß bedanken, und dass ich es bekam bedeutete nicht, dass das Fernsehen auf mich große Stücke hielt, was mir auch nicht recht gewesen wäre. Mit ihrem Film „Les Glaneurs et la glaneuse“ hat Agnès Varda ausführlich beschrieben was es bedeutet, etwas zu ernten, was die Ernte-Apparate haben liegen lassen.

26.9.06
Gestern hat das Gremium getagt und wir haben das Geld zugesprochen bekommen. Wenn ich das richtig verstanden habe: Die Bundesregierung gab der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes Geld für ein Kulturprogramm während der Weltmeisterschaft, wohl 30 Millionen. Unter Leitung von André Heller wurde eine große Eröffnungsshow vorbereitet. Nach über einem Jahr Vorbereitung wurde die Show von der FIFA abgesagt, sie könne dem Rasen im Berliner Stadion schaden.
Die Absage kostete viel Geld, aber einiges blieb doch übrig. Wenn das alles so geschehen ist, verdanke ich mein Produktionsgeld der Unfähigkeit der FIFA.

10.10.06
Ich treffe Ruth Noack und Roger Buergel in der Lobby eines Berliner Hotels. 1. Das Budget muss halbiert werden. 2. Auch die Zahl der Leinwände muss halbiert werden. 3. Der Herkules steht als Ausstellungsort nicht zur Verfügung, das Bauwerk soll bald renoviert werden. Damit muss ich erst einmal fertig werden.

11.10.06
Ruth Noack und Roger Buergel haben gute Gründe geltend gemacht. Ihnen fehlen im Gesamt-Budget ein paar Millionen. Was soll ich da sagen?
Sie haben den Vorschlag, die Installation in der documenta-Halle zu zeigen. Dort soll eine Arbeit von Kippenberger stehen: eine Art hölzernes Stadion, auf dessen Tribünen man Platz nehmen und auf eine Vielzahl von verschiedenen Stühlen sehen kann. Von den Tribünen aus soll man auch auf die Leinwände meiner Fußballarbeit schauen können. Dagegen habe ich nichts. Roger vergleicht Kippenberger mit Beuys, darauf bin ich allerdings noch nicht gekommen. Es kann aber sein, dass der Kippenberger-Estate es gar nicht erlaubt, dass unsere beiden Arbeiten in dieser Weise kombiniert werden. Roger Buergel hat geglaubt, meine Arbeit sei stumm, und das kann sie wirklich nicht sein.

15.10.06
Zuerst war von 500.000 die Rede, dann von 380.000, nun bekomme ich 260.000 Euro. Das ist immer noch mehr, als ich je für einen Dokumentarfilm zur Verfügung hatte. Allerdings war ein solcher Film 45 Minuten lang, vielleicht 60 oder 90, nicht aber 10 mal 2 Stunden und 15 Minuten, also 1.350 Minuten oder: 22 Stunden und 30 Minuten.
Der dramatische Schwund des erwarteten oder erhofften Produktionsgeldes wäre wohl nur eine Kränkung, hätte er vor Produktionsbeginn stattgefunden. Aber seit Monaten mussten wir die Produktion voranbringen, ohne zu wissen, welche Mittel wir haben und einsetzen können.
Solche Ungewissheit belastet mich, das geht bis zur Lähmung.
Roger Buergel hat da bessere Nerven. Er hat eine ganze Halle in Auftrag gegeben, ein Ausstellungsgebäude, das für die documenta errichtet und danach wieder abgerissen wird. Für dieses Bauwerk hat er noch nicht die Finanzierung. Er hat wohl 100 Projekte, für die das Budget noch nicht feststeht oder vorhanden ist und die er dennoch vorantreiben muss.
Im Donner der Geschütze steht er am Operationstisch und tauscht Organe aus, amputiert Glieder, blutüberströmt steht er da und rettet verloren geglaubte Leben.
Da kann ich mich kaum an ihn wenden, nur weil mir ein paar Finger fehlen.

25.10.06
Jetzt also gibt es ein Budget, und wir schließen mit „Ascensio“ einen Vertrag über 40.000 Euro ab. „Ascensio“ wird von uns die so genannten „Tactical“-Bilder vom Endspiel bekommen. Das ist eine Aufnahme vom Stadiondach fast senkrecht auf das Spielfeld. Aus diesen Bildern sollen die Programmierer die Positionsdaten gewinnen: Wo befindet sich jeweils jeder einzelne der 22 Spieler, wo der Schiedsrichter, wo der Ball?
Diese Daten sollen sie in ihre Systeme einfüttern, dann wird es darum gehen, ihre Darstellungen für unsere Zwecke zu modifizieren. Wir müssen die Spiele in 2D- wie in 3D-Darstellung ausspielen können. Es muss uns möglich sein, die Kameraposition frei zu wählen, ein Zoom soll in die (virtuelle) Kamera eingebaut werden.
Das soll etwa 6 Wochen dauern. Es wird von einer Firma in Nizhny Novgorod ausgeführt. Das ist sehr weit weg, wir haben noch nie jemanden von dieser Firma gesehen. Matthias Rajmann hat gelegentlich telefoniert und einen sehr intensiven E-Mail-Austausch gehabt. Ich bemerke, wie es mich etwas beruhigt, dass die Firma eine Bankverbindung in Großbritannien hat.

15.12.06
Gestern Abend flog ich für 24 Stunden nach Oslo, ich bin noch nie in Norwegen gewesen. Ich wusste, dass es in Oslo nicht mehr so aussieht wie in Hamsuns „Hunger“. In der Zeitung hatte ich neulich von einem norwegischen Wirtschaftler gelesen, der sagte, durch das Öl und Gas sei in Norwegen immerhin niemand zum Milliardär geworden.
Der Zug vom Flugplatz zum Hauptbahnhof kostet für die Hin- und Rückfahrt 50 Euro.
Am nächsten Morgen wird es erst um neun Uhr hell, der Himmel ist wolkenlos, und die Sonne scheint ununterbrochen, erhebt sich aber den ganzen Tag kaum über die Dachfirste. Vor vielen Cafés und Imbissen sitzen die Leute auf Stühlen. Vor 30 Jahren hat es das noch nicht gegeben, dass man den Winter verleugnete. In Deutschland waren im Winter die Eissalons geschlossen – oft stellte ein Nähmaschinen- oder Fahrradgeschäft seine Ware dort aus – heute gibt es den ganzen Winter über Eis. Frauen und Männer in Oslo machen sich zurecht als lebten sie in New York oder Madrid, viele sind sehr groß und haben mächtige Schädel; ihrer urbanen Aufmachung entgegen stelle ich sie mir als Bauern- und Fischersfrauen in rauer Landschaft vor.
Zunächst zeigt mir Gavin Jantjes das Museum, meine Fußballarbeit soll dort im Herbst 07, kurz nach dem Ende der documenta, gezeigt werden. Das Museum befindet sich in einem Gebäude, das um die Jahrhundertwende für die Nationalbank errichtet wurde, eine solide Pracht. Ein großer Lichthof steht zur Verfügung, dessen Glasdach man wird abdecken müssen, an ihn schließen ein paar Kabinette an.
Draußen zeigt Gavin Jantjes auf die Bauwerke der Umgebung, die alle schon angekauft sind, denn eine neue Nationalgalerie ist geplant.
Im Oktober finden in Oslo mehrere Pokal-Endspiele statt. Zehntausende von Fußballfans werden kommen. Gavin zeigt mir, welchen Weg die meisten vom Bahnhof durch die Fußgängerzone zu zwei Pubs nehmen, vor denen sie gewohnheitsgemäß herumstehen. Es wird darauf ankommen, diese Menge schon am Bahnhof auf die Ausstellung aufmerksam zu machen. Es wird darauf ankommen, die Menge zu verleiten, die kurze Strecke von den Pubs zum Museumsplatz zurückzulegen.
Gavin Jantjes macht mich darauf aufmerksam, dass der Weg vom Bahnhof zum Museum außerdem nicht weit von der Kinemathek verläuft. Auch hier will er die Massen umleiten.
In der Kinemathek hat der Chef keine Zeit, und eine Assistentin empfängt uns. Sie hat noch nie von mir gehört und hat auch nicht bei Google nachgesehen; sie fragt mich, was für Filme ich mache. Dieser Frage weiche ich aber aus.
Danach treffen wir im Bahnhof zwei Frauen, die für das Projekt „Kunst im Bahnhof“ zuständig sind. Wir sehen uns mehrere Stellen in dem sehr gediegenen Bahnhof an, es gibt eine große Wand am Eingang zur U-Bahn, da soll so etwas wie ein Trailer zu der Installation laufen. Wir erwägen, auch an der Fassade des gläsernen Bahnhofs große Poster anzubringen.
Die Frauen erklären mir, dass gegenwärtig die Menschen den Haupteingang benutzen, wenn aber die neue Oper fertig und das ganze Viertel um sie hochgezogen ist, werden die Menschen aus dieser Richtung durch den Seiteneingang strömen. Auch sie wollen Menschenströme umlenken, so wie große Staatsmänner den Lauf der Flüsse verändern wollten. Vielleicht kommen die Frauen aus Schäferfamilien und wollen nun in der Stadt die Stadtbürger lenken wie einstmals ihre Schafherde.
Später erzählt mir Gavin Jantjes von der geplanten Eröffnung, der norwegische Fußballbund wolle eine festliche Premiere, und weil das Museum zu klein ist, sei der Plan für ein Festzelt davor erwogen worden.
Dieses Reden zieht mich sehr in Bann, erst abends, als ich in dem eleganten Mittelstands-Zug zum Flughafen sitze, überlege ich, ob mir eigentlich daran gelegen ist, die kulturelle Hegemonie über Oslo zu erringen. Auch in diesem Zug soll eine Art Trailer für die Schau im Museum laufen.
Gavin Jantjes kommt aus Süd-Afrika, er hat mir eine tolle Geschichte erzählt. In den 1980er Jahren saß er in London mit Freunden zusammen, und sie überlegten, wie sie für den ANC würden Geld auftreiben können; es galt, die Infrastruktur einer politischen Partei aufzubauen, um sich an den Wahlen beteiligen zu können.
Anita Roddick, der die Ladenkette „Body-Shop“ gehört, war dabei und fragte, ob der ANC denn das Bild von Mandela copy righted hätte. Keiner wusste, was das ist und wie man das anstellt. Sie rief ihre Anwälte an, die das in die Wege leiteten. Von nun an musste jede Zeitung und jede Fernsehstation in der ganzen Welt für die Benutzung eines Mandela-Bildes zahlen, in den nächsten Monaten kamen Millionen zusammen.

18.12.06
Matthias Rajmann hat schon vor Wochen bei der Universität Mainz angefragt, dort arbeiten Informatiker daran, Fußballspiele mittels einer Software semantisch zu interpretieren. Lernfähige neuronale Netze sollen aus der Verarbeitung von Spielen lernen, was ein bestimmter Spielzug bedeutet. Die Informatiker glauben offensichtlich, durch uns kämen sie zu Drittmitteln. Wir müssen sie enttäuschen, Matthias verspricht ihnen aber, um sie nicht zu verprellen, die Positionsdaten des Endspiels. Die haben wir allerdings selbst noch nicht.

24.12.06
Es gab die Hoffnung, die Russen könnten mit dem Software-Paket zu Weihnacht fertig werden, aber sie sind es nicht.
Zwölf Operateure arbeiten in zwei Schichten daran, aus dem Finale der Fußball WM Daten zu gewinnen. Die Position eines jeden Spielers, des Balls und des Schiedsrichters errechnen sie im Verhältnis zu den Linien des Spielfeldes. Eigentlich brauchen sie Bilder vom Spielfeld aus vier Kameras, um daraus die Daten zu interpolieren, von uns haben sie nur den Spielbericht aus einer Kamera, der „Tactical“ bekommen. Jede Eigenbewegung der Kamera, Schwenk oder Zoom, müssen sie von Hand ausgleichen.

26.12.06
Tatsächlich kommt die Software aus Nizhny Novgorod. Eine Sache, an der die Russen sechs Wochen gearbeitet haben, sie kommt einfach als Download. Matthias setzt sich in München an seinen Computer, ich in Berlin an den meinen, wir haben Telefonverbindung und gehen alle Möglichkeiten durch. Es gibt etwa zehn Dinge, die sich darstellen lassen. Später wollen wir die Darstellungen „capturen“, also in Laufbilder umwandeln, aber diese Funktion versagt.

14.1.07
Inzwischen gibt es „Ascensio, Match Expert“ in der fünften Version, und morgen soll „Match Expert 6“ kommen, die hoffentlich letzte Verbesserung.

25.1.07
München. Zunächst eine Besprechung mit Mathematikern der Technischen Universität. In einem Vorort, in Garching ist gerade ein neuer Campus fertig geworden. Noch kein Baum oder Strauch. Das Leibniz-Rechenzentrum ist in einem Gebäude untergebracht, das selbst wie eine externe Festplatte aussieht, groß wie ein Flugzeughangar. Im Gebäude der Mathematiker gibt es einen großen Lichthof, von der Galerie im vierten Stock führt eine große Rutsche herunter, als wäre die Lehr- und Forschungsstelle ein Kinderspielplatz.
Wir sind auf eine Goldader gestoßen. Die Männer der Forschungsgruppe „Aspogamo“ haben viel zu bieten, Stoff für mehrere unserer vielen Bildspuren.
Etwa ein Programm, das den jeweiligen Bildausschnitt in die grafische Darstellung des gesamten Spielfelds rückt. So wird anschaulich, wie viel Raum man nicht sieht, wenn man eine Einstellung sieht, das Off des Bildes wird vorstellbar.
Wie bei „Ascensio“ werden wir die so genannte „Tactical“-Darstellung liefern, die Wiedergabe des Spiels steil von oben, „Aspogamo“ wird daraus die Positionsdaten gewinnen und in ihre Systeme einspeisen.
Gegen Mittag fahren wir zu der Firma „Impire“ in einem Vorstadt-Industriepark.
Die Firma ist voller Flachbildschirme und Computer. Wir lassen das Endspiel ablaufen und ein Mann kommentiert, was zu sehen ist:
„Anstoß Toni.
Kurz Pirlo.
Kurz Zambrotta.
Kurz Gattuso.
Lang Grosso.
Lang Toni.
Viera.“

Ein zweiter Mann kommentiert und geht dabei auf die Zweikämpfe ein:
„Kopf Materazzi – Zidane.
Boden Pirlo – Ribery.“

Eine Frau sitzt am Computer und schreibt das mit. Sie hat ein Schema vor sich, sodass sie nur das Symbol für den je angesprochenen Spieler, für „kurz“ oder „lang“, für den Zweikampf am „Boden“ oder mit dem „Kopf“ und für andere Ereignisse wie „Foul“, „Einwurf“, „Abstoß“ anklicken muss, um den Spielverlauf in den Computer einzugeben.
An Samstagen ist dieser Raum voll, und alle Spiele der Bundesliga werden so life verarbeitet. Auch manche der Zweiten Liga. Bei dieser Bestandsaufnahme kommt heraus, wer wie oft am Ball war und mit welchem Erfolg, wie viel Ballbesitz die eine Mannschaft hatte und die andere. Diese Daten verkauft „Impire“ an Agenturen, Zeitungen, Fernsehsender.
Wir haben unsere drei Kameras starr eingerichtet, Ingo Kratisch kontrolliert zwei Kameras und Matthias Rajmann die dritte.
Ich sitze da, ich bin übermüdet und schlafe beinahe ein.
Auf dem Rückflug mache ich mir deswegen Vorwürfe. Natürlich kann ich mir sagen, dass wir uns eine Aufnahme vorgenommen haben, bei der wir nicht unterbrechen dürfen und auf die wir nicht einwirken wollen. Aber meine Handwerker-Ehre verlangt, dass ich bei jeder Aufnahme höchst aufmerksam bin. Vielleicht fällt mir für die nächste Einstellung etwas Besseres ein und ich muss dafür meine Sinne schärfen, indem ich auf das Geschehen mit einer starken magischen Strahlung einwirke, indem ich bestätigende, ablehnende oder hoffende Impulse sende.
Aber ein Handwerk ist das, was wir tun, zunehmend immer weniger.

26.1.07
Ich mache die ersten Schnittversuche mit dem „Ascensio“-Material, wobei schneiden hier heißt, eine Bildspur in Bezug zu einer anderen zu setzen. Es zeigt sich dabei, dass als Cannavaro Henry in der ersten Minute auflaufen lässt, es in der zwei- oder dreidimensionalen Darstellung von „Match Expert“ zu keiner Berührung der beiden kommt. Auch bei seinem berühmten Kopfstoss ist Zidane von Materazzi viel zu weit entfernt. Anscheinend sind die Positionsdaten, die aus dem FIFA-Material gewonnen wurden, zu ungenau. Ich erinnere mich an die Schulzeit, als der Mathematik-Lehrer sagte, auch eine genaue Zeichnung sei kein Beweis. Man könne mit ihr höchstens etwas anschaulich machen, auch grob überprüfen; worauf es aber ankäme, das sei das zugrunde liegende, unsichtbare, mathematisch-geometrische Gedankengebäude.

27.1.07
Elfe Brandenburger aus unserem Hinterhaus unterhält auf unserer Straße einen Schneideraum, dort ist ein Zimmer frei, das ich mieten kann. Ich bitte Ralf Scherrer, der in unserer Wohnung und bei unseren Nachbarn schon mehrfach Malerarbeiten ausführte, dort die Wände zu streichen.
Ralf ist eigentlich Künstler und verdient seinen Lebensunterhalt außer mit Malerarbeiten mit archäologischen Ausgrabungen in Brandenburg. Meistens geht es um Funde aus der Steinzeit, in der letzten Woche öffnete Ralf ein Grab aus dem Mittelalter. Der Tote war ein junger Mensch, seine Zähne waren zu Stummeln abgeschliffen. Das lag daran, so Ralf, dass man damals dem Getreide kleine Steine beimischte.
Antje Ehmann und Wiebke Enwaldt sind bereit, für die Einrichtung des Raumes zu sorgen, bei Ikea besorgen sie Arbeitstisch und Arbeitsstuhl, Regal, Teppich, Vorhänge.
Jahrzehntelang habe ich Schneideräume angemietet, zuerst für 16mm-Film und gelegentlich 35mm, später Video-Schnittplätze. Das waren fast immer unwirtliche Räume, in Kellern gelegen oder auf Dachböden. Die Schnitt-Arbeit ist schwerer zu kalkulieren als die Produktionsarbeit, ein Produzent, der nicht einen Drehtag mehr duldet, muss doch dulden, dass der Schnitt sich um ein paar Wochen verlängert.
Dafür rächt er sich, indem er den Schnitt in einen billigen Raum verweist, der sonst nur zum Lagern von Material taugen könnte.

28.1.07
Ein Schnitt-Computer ist geliefert, Jan Ralske baut ihn auf. Ich verabrede mit Bettina Blickwede, dass sie in diesem Raum arbeiten wird. Ich telefoniere mit anderen Cutterinnen und Cuttern. Ich komme ins Tagträumen. Ich stelle mir vor, dass die Arbeit an unserem Projekt bald an fünf oder sechs Stellen vor sich gehen wird. Ich werde von Arbeitstelle zu Arbeitstelle fahren, so wie die Inhaber von Handwerksbetrieben von Baustelle zu Baustelle. Besser, ich lasse mich fahren. Ich denke an einen Chauffeur mit Sonnenbrille, der wie ein Bodyguard aussieht, aber, wenn er warten muss, albanische oder aramäische Grammatik lernt.

4.2.07
Es hat sich herausgestellt, dass wir nicht fünf oder sechs Schneideräume brauchen. Der eine, neu eingerichtete auf der Pfarrstrasse genügt. Ich brauche auch keinen Chauffeur, stattdessen fahre ich mit dem Fahrrad, bis zu zehn Mal am Tag, zwischen meiner Wohnung und dem Schneideraum hin und her, etwa 200 Meter weit.
In München arbeitet Regina Krotil für uns, es hat sich herausgestellt, dass es eine sehr schwierige und langwierige Arbeit ist, das Endspiel in 3D-Bildern nachzubauen. Die Programmierer von „Ascensio“ in Nizhny Novgorod haben ihr System so modifiziert, dass man jede virtuelle Kameraposition einnehmen kann, die eine der etwa 25 Kameras tatsächlich bei der Fernsehübertragung eingenommen hat. Aber natürlich schwenken und zoomen die realen Kameras, und Regina muss dem entsprechen. Hat sie ein paar Minuten, so schickt sie uns eine Datei, mit der ich zu Bettina eile. Auch Matthias Rajmann schickt mir aus München Dateien, Proben von den Ausarbeitungen an der Technischen Universität und anderes.
Manchmal verspätet sich eine Zusendung, und Bettina Blickwede hat nichts zu tun. Das beunruhigt mich am meisten: Ein paar Monate vor dem Fertigstellungsdatum kann an manchen Tagen nichts getan werden.

6.2.07
Die Aufnahmen, die wir in München bei „Impire“ gemacht haben, bei denen ich beinahe oder tatsächlich eingeschlafen bin, sind sehr gut geworden. Man sieht jeweils einen Mann im Profil, hinter ihm, im Anschnitt, das „Clean Feed“, das Bild der Fernsehübertragung. Die Männer sehen auf das Bild und schauen und sprechen mit gleich bleibender Aufmerksamkeit, gänzlich sachlich. Sie sprechen wie Gutachter oder wie Pathologen. Wir zeigen beide, diagonal versetzt, in einem Bild, gelegentlich wird einer der beiden von der Hand der protokollierenden Frau ersetzt.
Ihr Sprechen klingt, wegen der immergleichen verwendeten Wörter, wie ein Mantra.
Ich habe ein DIN A4-Blatt, das ich immer in der Tasche herumtrage, da sind zwei Listen mit den Materialien drauf: Was wir schon haben und was wir bald hergestellt oder bekommen haben werden.
Auf der Rückseite habe ich aufgelistet, welche Spuren sich daraus machen lassen.
Es ist wunderbar, dass das ganze „Drehbuch“ nur aus diesem einen Stück Papier besteht!

7.2.07
Überhaupt gefällt mir am Kunstbetrieb, dass da keine langen Texte verlangt werden.
Mit einer halben Seite waren alle, die mich jemals um ein Konzeptpapier baten, durchaus zufrieden. Etwas mehr muss man beim Fernsehen schon zu Papier bringen. Und wenn man einen Antrag auf Filmförderung stellt, muss man 30 bis 50 Seiten abliefern. Bei einem dokumentarischen Projekt muss man so tun, als wüsste man schon, was man erst bei der Produktion in Erfahrung bringen kann.

10.2.07
Ich gebe hier Ausschnitte aus der Korrespondenz von Matthias Rajmann mit Mike Guschin wieder, der Programmierer bei „Ascensio“ in Nizhny Novgorod ist. Matthias Rajmann hat etwa 400 solcher Korrespondenzen geführt (im Original Englisch):
Lieber Matthias,
ich freue mich, Dir mitteilen zu können, dass die neue Version zum Download bereit ist.
[Folgt Anschrift der Version].
10.02.2007
ICQ – Korrespondenz:
Matthias (12:37 PM):
Hi Mike,
habe mir gerade die neuen Darstellungen in der neuen Version angeschaut: atemberaubend. Unglaublich gut die Möglichkeit, dass wir jetzt in der 3D-Darstellung den Hintergrund verschwinden lassen können.
Super!

Matthias (12:38 PM):
Auch der Einwurf ist jetzt wunderbar!
[Bislang haben die Animationsfiguren beim Einwurf den Ball mit dem Fuß gespielt, wir hatten um Änderung gebeten].
Morph (12:40 PM): [Das ist Mike Guschin]
Der neue Einwurf ist viel schlüssiger.
Matthias (12:41 PM):
Was die Ball-Trajektorien angeht, gut, dass wir das haben. Aber bei mir erzeugt das einen merkwürdigen Effekt, den ich auch schon bei den Trajektorien in 2D gesehen habe. Die Fluglinie verläuft nicht dort, wo der Ball ist, ich schicke Dir ein Bild. Ich mach das per Mail.
[Die meisten Wörterbücher geben das englische „Trajectory“ mit „Flugbahn“ wieder. Es wird aber in der Computer-Sprache zunehmend im Sinne von „Bewegungsspur“ benutzt.]
Morph (12:42 PM):
Du meinst, der Ball ist nicht auf der Trajektorie?
Matthias (12:44 PM):
Ich habe das Bild gerade abgeschickt.
Genau, der Ball ist nicht dort, wo die Linie verläuft.

Morph (12:47 PM):
Was die Position des Balles angeht und die der Spieler, so handelt es sich um Durchschnittswerte. Und der Durchschnittswert liegt nicht auf der Trajektorie.
Matthias (12:49 PM):
Aber bei 3D ist der Ball auf der Trajektorie.
Morph (12:50 PM):
Ja, aber in der Darstellung „Statistics“ geht es um die durchschnittlichen Positionen. Damit man versteht, wo der Spieler sich aufhielt.
Morph (12:51 PM):
Die durchschnittlichen Positionen lassen einen verstehen, wo sich ein Spieler tatsächlich aufgehalten hat. Oder sagen wir: Der Trainer sagt den Spielern, wo sie sich aufhalten sollen; das lässt sich so überprüfen.
Morph (12:52 PM):
Und wenn man die Durchschnittswerte beider Mannschaften anzeigt, lässt das die jeweiligen Taktiken erkennen.
Morph (12:53 PM):
Man versteht, wer wirklich vorne spielte, wer wirklich auf den Flügel geht, wer hinten bleibt, und so weiter.
Morph (12:54 PM):
Verzeih meine vielen Worte, ich will das mit Beispielen erklären.
Matthias (12:54 PM):
„Durchschnitt“, das bedeutet, dass die Trajektorien, vom Spieler oder Ball, nicht der tatsächlichen Bewegung der Spieler, des Balles folgen.
Es sieht wie ein Fehler aus, wenn die Linie nicht dort verläuft, wo sich derjenige befindet, dessen Bewegung mit der Linie dargestellt wird.

Matthias (12:56 PM):
Tut mir leid, ich habe die Erklärung nicht verstanden.
Morph (12:57 PM):
In dem Darstellungsmodus „Statistics“ zeigen wir die Trajektorie für einen gewissen Zeitraum an. Und mit dem Icon „Ball“ ist die durchschnittliche Position des Balles in einem bestimmten Zeitraum bezeichnet.
Matthias (01:00 PM):
Ich sollte Dir vielleicht sagen, dass wir auf einer Leinwand ein Bild von einem Spieler in Nahaufnahme haben wollen und die „Statistics“ von Match Expert auf der anderen daneben.
Morph (01:00 PM):
Die durchschnittliche Position muss nicht unbedingt auf der Trajektorie liegen.
Morph (01:02 PM):
Matthias, wie willst Du das Original-Video und „Statistics“ kombinieren. „Statistics“ ist für einen längeren Zeitraum berechnet.
Morph (01:03 PM):
Ich werde Dir ein Bild zeichnen.
Matthias (01:04 PM):
Jetzt verstehe ich. Ich glaube, die Verwirrung entsteht dadurch, dass die Positionsdarstellungen von Ball und Spielern aussehen, als gelten sie für den Augenblick, nicht für den Durchschnitt eines bestimmten Zeitraums.

12.2.07
ICQ zwischen Mike Guschin und Matthias Rajmann:
Morph (= Mike Guschin) (05.50 PM):
Ich habe keine Lust mehr, MPEG-2 für unser „synthetisches“ Videobild einzurichten.
Matthias (05:52 PM):
Macht nichts, inzwischen hasse ich auch MPEG2.
Matthias (05:54 PM):
Ich glaube, nach dem Online-Schnitt werden die Leute in Berlin alle Dateien in MPEG-2 umwandeln müssen.
Morph (05:58 PM):
Ja, ich hoffe, sie haben einen guten Kompressor.
Matthias (06:23 PM):
Der Verantwortliche, so hörte ich gerade, ist weggelaufen, aber die Cutterin ist dageblieben. Sie wartet auf Harun; ich habe ihn gebeten, die letzte Version von „Match Expert“ zu installieren. Zusammen (wobei ich in München am Telefon bin) werden wir einige Dateien aus dem Schnittcomputer ausspielen, Harun wird mit den Dateien auf einer externen Festplatte zur Cutterin gehen und sie werden ausprobieren, ob MPEG-4 zu ihrem Schnittsystem, Adobe, passt. Hoffentlich!

Harun Farocki. Montag, 12. Februar 2007:
Bei mir auf dem Laptop läuft die „Ascensio“-Ausspielung perfekt
Matthias Rajmann. Montag, 12. Februar 2007:
In Adobe Premiere? Na, da könnte man schon mal ein wenig aufatmen. Läuft es stabil, zwei Minuten? Und kann man schneiden?
Harun.Farocki. Montag, 12. Februar 2007:
Läuft stabil und die wichtigsten Funktionen lassen sich ausführen.
Matthias Rajmann. Montag, 12. Februar 2007:
Ich fasse es nicht … Du glaubst nicht, was das Blut, Schweiß und Nerven gekostet hat – mit den verrücktesten Konvertierungen und Um-die-Ecke-Denkereien – und nun tut das alles so harmlos … da gratuliere ich uns doch einfach, oder? D.h. die Arbeit kann endlich beginnen!

1.3.07
Ich fahre mit dem Zug nach Essen und treffe dort Matthias Rajmann, der aus München angereist ist. Wir fahren zur Folkwang-Hochschule, zur Dozentin Christine Eckerle.
Die Kunstschule befindet sich in einem Gebäude, das wie ein Schloss aussieht. Frau Eckerle sagt, hier sei zunächst ein Kloster gewesen, als die Preußen im 17. Jahrhundert in die Region kamen, hätten sie daraus ein Gefängnis gemacht. Bei Bauarbeiten vor ein paar Jahren habe man eine Hinrichtungsstätte gefunden. Die Enthaupteten hätte man an gleicher Stelle begraben – der Schädel habe zwischen den Beinen der Skelette gelegen.
Frau Eckerle beherrscht Laban-Schrift, ein Verfahren zur Notation von Ballett-Bewegungen. Wir spielen ihr Szenen aus dem Endspiel vor, den Zweikampf Malouda – Materazzi, der zum Elfmeter führte, ein beeindruckendes Dribbling von Henry und auch den Kopfstoß von Zidane. Was Frau Eckerle davon notiert, ist für uns gänzlich unentzifferbar.
Wir haben ein Grafiktablett mit, auf das man ein Blatt klemmt; zeichnet man darauf, dann lässt sich der Akt des Zeichnens als Bewegungsbild im Computer speichern. Wir brauchen ein paar Stunden, bis dieses Gerät funktioniert.

2.3.07
Übernachtung in Koblenz. Ich bin als Kind im Rheinland zur Schule gegangen und habe damals gelernt, dass „Koblenz“ von „Confluentes“, Zusammenfluss, kommt, weil dort die Mosel in den Rhein mündet. Das Hotel ist aus den 50er Jahren. Das und die kurze Wiederbegegnung mit der sehr eigentümlichen rheinischen Ausflugsarchitektur aus dem 19. Jahrhundert hat mich wohl in meine Kindheit versetzt und ich habe schlecht geträumt, von den Enthaupteten und ihren Köpfen zwischen den Beinen.
Im Zug von Koblenz nach Frankfurt/Main packen wir das Notebook aus. Plötzlich, dem Rhein entlang im Nieselregen, funktioniert, was bislang nicht gelingen wollte und wir erzeugen im Programm „Ascensio, Match Expert“ Videos vom Finale in 3D.
In Frankfurt/Main nehmen wir beim Deutschen Fußball-Bund vier dort angestellte Trainer auf, wie sie zu strategischen Zwecken das Endspiel ansehen und in Stichworten analysieren:
1: Es ist aber wenig Tempo in dem Spiel insgesamt, ne?
2: Ich habe eben schon zu Bernd gesagt…
1: Ja aber…
3 …Tempo ist ganz gering.
1: Es lassen beide wenig Lücken zu.
2: Die Italiener spielen fast nur von den Positionen. Die besetzen die Positionen und dann läuft der Ball dahin, aber selbst, dass die mal Positionen tauschen oder mal sich richtig bewegen, das siehst du selten.
4: Alles, Eins gegen Eins, alles…
3: Ja, haben wir…
2: Ne?
3: …haben wir drüber gesprochen.
1: Alle Tor-Chancen, die entstehen, werden eingeleitet durch ein Dribbling, durch eine Eins-Gegen-Eins, durch eine gewonnene Ein-Gegen-Eins-Situation.
2: Die müssen sich frei machen.
3: Aber die halten schön die Position links. Der ist immer links, die beiden in der Mitte, dann kriegt der Toni den Ball.
2: Wenn sie mal können, spielen sie in die Tiefe. Und ansonsten…
1: Ich sag dir, es gibt kein taktischeres Team als Italien.
Und jetzt kommen die Verletzungen.
Die vier Männer haben Hefte vor sich, Vordrucke für die Analyse, mit deren Hilfe sie bestimmte Situationen schnell bezeichnen können, etwa das Verhalten der verteidigenden Mannschaft bei einem Eckstoß: Tally Sheets. Ich bediene die zweite Kamera, die auf die Tische gerichtet ist und in Großaufnahme die Notizen aufzeichnen soll. Es wird viel geblättert, aber wenig notiert. Mir gefällt, mit welcher Aufmerksamkeit die vier Männer auf den Bildschirm sehen. Sie verstehen es, ihrem Schauen eine Bedeutung zu verleihen, so wie das professionelle Darsteller im Spielfilm tun.
Vor einem halben Jahr hatte Matthias Rajmann beim Fußballverband angefragt, und damals hat uns der DFB keiner Antwort für würdig empfunden. Das hat sich geändert, seit wir uns auf die DFB-Kulturstiftung berufen können.

7.3.07
Matthias Rajmann ist aus München für eine Woche, vielleicht für länger, hergekommen. Von München aus hat er, schon seit über einem Jahr, die Recherchen durchgeführt: Kontakt zu Firmen aufgenommen, mit denen wir zusammenarbeiten wollen, Proben erhalten und, nach Rücksprache mit mir, Änderungen verlangt. Seit Jahren arbeiten wir über die Distanz von 600 Kilometern zusammen, tauschen E-Mails aus und telefonieren. Nach ein paar Wochen oder Monaten an einem Projekt empfinden wir meist die Notwendigkeit, einander leibhaftig zu sehen. Sein Kommen ist auch deshalb wichtig, weil Matthias Rajmann, Bettina Blickwede und Jan Ralske bisher nur über Telefon und E-Mail Kontakt hatten, einander aber noch nie begegnet sind.
Matthias Rajmann hat auch die vorliegenden Schnittfassungen noch nie gesehen.
Er bringt einen Computer mit und belegt außerdem zwei meiner Rechner. Auf drei Computern in meiner Wohnung laufen in einem fort Umwandlungen und Ausspielungen.
Die Laufbild-Herstellung mittels Computer ist noch billiger als die auf Video. Wir können uns erlauben, eine ganze Halbzeit in einer bestimmten Darstellungsform auszuspielen, im Schnittcomputer zu synchronisieren und anzulegen – und gleich wieder zu verwerfen.
Diese Produktionsweise kommt mir wunderbar luxuriös vor, lässt mich daran denken, dass Chaplin bei seinen großen Produktionen ein paar hundert Tage drehte und dabei das Skript erst entwickelte.

9.3.07
Über viele Monate wussten wir nicht, mit welchem Budget wir würden rechnen können und schon gar nicht, welchen Aufwand und welche Kosten die einzelnen Produktionsschritte zur Folge hätten.
Ich hatte an ein halbes Dutzend externer Schneideräume gedacht, dabei kommen wir mit einem aus, brauchen aber unendlich viel Zeit und Kapazität für Ausspielungen.
Als wir in Essen mit einem Gerät drehten, das wir nicht kannten, hätten wir uns eine Technikerin mitnehmen sollen.
Als wir während des Endspiels vom Balkon von Frau Krause die Totale des Stadions aufnahmen, hätten wir besser für ein paar hundert Euro mehr eine Digi-Beta-Kamera mieten sollen.
Als das Budget sich halbierte, beschlossen wir, keine eigenen Ausarbeitungen in Auftrag zu geben – etwa: Wohin schaut ein Spieler, bevor er den Ball bekommt und wenn er ihn hat? – sondern nur Darstellungen zu nehmen, die es schon gibt.
Das hat sich als Gewinn erwiesen. Unsere Arbeit dokumentiert, unter welchen Gesichtspunkten ein Spiel gegenwärtig und in näherer Zukunft in Augenschein genommen wird.
Wir bringen nur Zitate, aber es macht eine große Arbeit, diese zu redigieren. Das Redigieren ist unsere Hauptarbeit geworden.

12.3.07
Die Informatikerin Andrea Miene aus Bremen hat eine Software entwickelt, die imstande ist, ein Fußballspiel in Wortsprache wiederzugeben. Es geht ihr nicht um Fußball, es geht ihr um das Projekt „Künstliche Intelligenz“. Es liegt auf der Hand, dass nach Methoden gesucht wird, Bilder oder Bildelemente in Wortsprache zu übersetzen. Das Fußballspiel eignet sich als Versuchsgegenstand wegen seiner Begrenztheit, weil alles, was sich bewegt, einen Spieler, den Schiedsrichter oder den Ball darstellt – und nicht etwa ein Reh oder ein Auto.
Sind die Spieler und der Ball identifiziert, kann das System ein Spiel in einfachen Aussagesätzen wiedergeben. Zwischen einem Pass und einem Schuss weiß es nicht immer zu unterscheiden. Manchmal stößt es so viele kurze Aussagesätze aus, dass das Programm, das die Wörter in gesprochene Sprache übersetzt, nicht mehr mitkommt:
„Cannavaro schießt!
Toni ist im passiven Abseits!
Passives Abseits Toni aufgehoben.
Makalele Fehlpass Zambrotta!
Makalele schießt!“

Fast jeder Satz endet mit einem Ausrufezeichen. Die Sache sieht aus und hört sich an wie ein Avantgarde-Text der 50er Jahre.
Das Layout ist für die Projektion ungeeignet. Wir müssen es ändern, ohne dass es kommerziell oder künstlerisch aussieht; vor allem letzteres ist nicht einfach.

15.3.07
Bei der Firma „Cine Plus“, die unser Technik-Partner bei diesem Projekt ist und es sponsert – sie räumt uns einen großzügigen Rabatt ein – machen wir eine Art erste Generalprobe. Am Schnittcomputer habe ich mir manchmal mehrere Spuren zugleich anschauen können, sechs oder sogar acht handtellergroße Bildchen auf einem Monitor. Hier haben wir eine Wand aus 16 Monitoren, von denen wir zehn bespielen. Überall wird jeweils die erste Halbzeit wieder gegeben.
Auf der documenta sollen die Bilder auf Leinwände gebeamt werden, hier bei „Cine Plus“ können wir zehn Spuren auf Monitoren anschauen, und es ist möglich, jeweils eine Spur bei einer Bildbreite von etwa 2 Metern auf die Leinwand zu projizieren.
Sehr viele technische Probleme stellen sich. Manche Bilder ruckeln, die Striche von Grafiken brechen, Schriften und Ziffern zittern und sind nicht lesbar.
Es obliegt Jan Ralske, daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen. Er hat die Rolle des technischen Direktors und muss herausfinden, in welchem Format wir die Arbeit zeigen werden, welche Vorführgeräte dazu notwendig sind, in welchem Format wir folgend schneiden und in welchem Format die Materialien angeliefert werden müssen.
Ich kann dem nicht nur nicht folgen, ich weiß auch nicht, welchen Arbeitsaufwand eine Entscheidung jeweils nach sich zieht, hier in Berlin, in München, Nizhny Novgorod oder sonstwo.
Von allen Unzulänglichkeiten abgesehen wird doch deutlich, dass die Grundidee funktioniert, einen Vorgang in den verschiedensten Darstellungsformen gleichzeitig wiederzugeben.
Allerdings überfällt mich eine große Enttäuschung. Ich kenne solche Enttäuschung.
Wenn ich einen Spielfilm geschnitten hatte, überfiel sie mich in dem Augenblick, als die Klappen herausgeschnitten waren. Von nun an war das Endprodukt in Sicht, der Rohstoff hatte seinen Eigenwert verloren.
Natürlich können wir noch weiterhin vieles ändern, aber ich werde darauf gestoßen, dass ich irgendwann – bald – alle Wahlfreiheit verbraucht haben werde.

19.3.07
Ich bin in Wien, wo ich tagsüber unterrichte. Auf meinem Laptop ist ein Schnittprogramm, und ich habe eine externe Festplatte mit den Daten mit. Am Abend, manchmal in einer Gastwirtschaft, schneide ich.
Inzwischen gibt es von „Ascensio, Match Expert“ die 13. Version. Ich stelle eine Spur in 2D zusammen und muss jeweils entscheiden, mit welchen Einstellungen sich eine Spielpassage am besten darstellen lässt.
In den letzten Wochen hatte ich mich mit Fußballexperten besprochen, auch mit einem Berliner Verbandstrainer, und kam zu dem Ergebnis, dass eine ziemlich einfache Darstellungsweise den größten Erkenntnisgewinn bringt.
Bei der Mannschaft, die gerade den Ball hat, klicke ich alle Spieler an, sodass bei der italienischen Mannschaft von Pirlo, bei der französischen von Zidane, jeweils neun Verbindungslinien zu den Mitspielern verlaufen. Diese Figur nennen wir „Die Spinne“.
Allerdings bewegt sie sich selten wie eine neunbeinige Spinne übers Feld. Manchmal gleicht sie eher einem Spinnennetz, das im Wind zittert, das sich dehnt und zusammenzieht, um etwas zu fangen. Manchmal sind Zidane oder Pirlo die Achse, und die Verbindungslinien zu den je neun anderen Spielern sehen aus wie die Speichen eines unrunden Rades. Man kann in der Figur auch einen Tintenfisch sehen, der seine Tentakel streckt und einzieht, wenn er vorwärts oder rückwärts gleitet. Wechselt der Ballbesitz, muss ich umschneiden. Ich mache noch andere Hervorhebungen, die eher Spielerei sind. Wenn ein Spieler verletzt ist und alle Spieler sich um ihn versammeln, wechsle ich den Modus. Die Spieler werden jetzt nicht als Punkte, sondern als kleine Männchen dargestellt, ähnlich den Holzfiguren beim Tisch-Fußball.
Zuvor hat Matthias Rajmann in Nizhny Novgorod erreicht, dass das System so eingerichtet wurde, dass wir die Schriften und den Hintergrund ändern können. Wir haben eine Spielfläche, die schön schwarz ist, schwarz wie die taktische Wandtafel.

5.4.07
Professor Perl von der Universität Mainz schickt uns ein Video. Unerwartet ist es gelungen, das neuronale Netz mit den Positionsdaten zu füttern. Die beiden Aspekte, Angriff der Franzosen und Verteidigung der Italiener, werden untersucht. Zu sehen ist ein Schachbrettmuster verschiedener Blaus und Graus, jedes Quadrat steht für einen Spielzugtypus. Von der Bildmitte aus vegrössern sich die Quadrate, solange die erkannte Aktion andauert; sie wird zusätzlich benannt: „Angriff über linken Flügel“, „Vorbereitung einer Abseitsfalle“, „Aufbau Viererkette“.

7.4.07
Die Schnittarbeit an dieser Spur geht in Jerusalem weiter. Ich bin mit Ingo Kratisch für ein paar Tage hier, um für ein anderes Projekt etwas aufzunehmen, was sich nur zu Ostern drehen lässt. Die Altstadt ist voller Pilger. So wie der Westen in den armen Ländern arbeiten lässt, so scheint auch der Glaube inzwischen outgesourced worden zu sein; die meisten Pilger sind aus Indien, den Philippinen, aus der Ukraine oder Russland.
Außerhalb der Altstadt sind die Straßen bedrückend leer, die meisten Restaurants geschlossen. In den Supermärkten sind die Regalabschnitte, in denen der Alkohol steht, mit schwarzer Plastikfolie verhüllt. Die Bäckerläden verhängen ihre Fenster weiß – weil man Brot zum Passahfest nicht isst.
Wir haben jeden Tag nur ein paar Stunden zu drehen, und ich bin sehr froh, im Hotelzimmer an meiner Spur schneiden zu können.
Diese Arbeit braucht kein besonderes Geschick, ich könnte die Regeln festlegen und sie von jemand anderem ausführen lassen. Aber die Arbeit selbst zu tun, gibt mir das Gefühl, auf die Arbeit einwirken zu können. Der Bereich ist fest umrissen, anders als meine administrative oder manageriale Tätigkeit sonst.

9.4.07
Horacio Elizondo, der Schiedsrichter des Finales, der bereits nicht mehr im Amt ist und jetzt vielleicht nur noch Gedichte schreibt in seinem argentinischen Dörfchen, geht nicht ans Telefon. Wir müssen die Idee endgültig fallen lassen, einen Mitschnitt aus den Headsets zu bekommen, die die Unparteiischen getragen hatten.

16.4.07
Die Schnittarbeit an dieser Spur geht in Wien weiter, wo ich wieder für fünf Tage bin.
Seit Wochen beschäftige ich mich mit dem Spiel, ohne die Videobilder zu sehen. Ich sehe es als dynamisches Schema. Der taktische Zwang, dem die Spieler unterworfen sind, wird bei dieser Abstraktion immer deutlicher. Die Spieler dürfen höchstens zu dritt angreifen und stehen dann sieben verteidigenden Gegnern gegenüber. Der Mitspieler, den sie in den meisten Fällen anspielen können, ist in aussichtsloser Position.
Bisher habe ich einzelne Spuren nur durchgerollt, selten eine ganze angesehen.
Erst beim Ausarbeiten dieser einen Spur wird mit bewusst, was es bedeutet, dass jede unserer Spuren zwei Stunden und 15 Minuten lang ist. Es ist, als legte ich eine Entfernung, die ich sonst immer nur fahre, zum ersten Mal zu Fuß zurück.
Nachdem Zidane den Elfmeter, mit viel Glück, verwandelt hat, eilen die weißen Punkte – die französischen Spieler – alle auf ihn zu, und die Spielertraube bewegt sich langsam zum Mittelkreis zurück. Kurz bevor alle wieder Aufstellung genommen haben, macht der Punkt, der den Schiedsrichter repräsentiert, einen Sprung über das halbe Feld in den Mittelkreis. Wahrscheinlich wegen einer Datenlücke. Solche Sprünge machen auch die Puppen beim Kinderspiel, wenn das spielende Kind die Geduld verliert.
Auf meinem Arbeitszettel kombiniere ich die vorhandenen und die fast schon vorhandenen Elemente immer wieder neu. Ich komme auf mindestens elf Spuren, vielleicht zwölf. Ich bin entschlossen, mich nicht auf zehn beschränken zu lassen.

23.4.07
Ich bin nach Kassel gefahren, um mir den Raum anzusehen, in dem die Arbeit gezeigt werden soll. Der Raum liegt im Fridericianum, am Eingang hinter der Treppe, eine Rotunde. Ich bin entsetzt.
Das klassizistische Fridericianum wurde Ende des 18. Jahrhunderts als Museum errichtet, einer der erste Museumsbauten im deutschen Sprachraum, vielleicht der erste. Das macht ihn aber nicht schön. Ich weiß nicht, welchen Anteil die Zerstörung im Krieg und der Wiederaufbau an seiner Erscheinung haben.
Die Rotunde ist dunkelrot gestrichen, die fünf Fenster sind mit weißen Samtvorhängen verhängt. Soviel Licht durchdringt sie, dass ans Beamen auf Leinwände nicht zu denken ist. Es gibt sowieso nicht den Platz, Leinwände aufzuhängen.
Ich treffe die Künstlerin Alice Creischer, die, kaum habe ich begonnen, von meinem Entsetzen über den vorgesehenen Ausstellungsraum zu sprechen, eine großartige Parodie des Künstlers hinlegt, der sich wieder einmal benachteiligt fühlt.
Als ich auf Roger Buergel und Ruth Noack warte, scheint wohl zum ersten Mal in diesem Jahr die Sonne so stark, dass ich mich auf den Stufen mit freiem Oberkörper in die Sonne legen kann. Die Arbeit an dieser Sache hat mich so stark eingespannt, dass ich stets an den April als den Monat dachte, in dem wir unsere Spuren zusammen haben müssen und nur noch im Detail verbessern können. Und nicht an den April als den Monat, in dem man schon im Straßencafé essen kann. Und ich dachte stets, im Mai müssten wir fertig werden, nicht: im Mai könnte ich unter freiem Himmel schwimmen.
Roger Buergel sagt mir, es sei das Ausstellungsprinzip, das Gebäude nicht zu verstecken, das Gebäude nicht durch Ausstellungseinbauten zum Verschwinden zu bringen, wie das bei den letzten beiden documenta-Ausstellungen gewesen sei. Ruth Noack sagt, ich habe doch einen prominenten Platz am Eingang – Roger wirft ein, das appelliere nur an meine Eitelkeit. Ich gehe mit den beiden durchs Gebäude. Ich sehe Ausstellungen im Aufbau sehr gern.
Es trifft zu, dass das Bauwerk nicht versteckt wird, mit seinen farbigen Wänden wird es stark exponiert. Es gibt allerdings im ersten Stock durchaus verdunkelte Räume, aber sie alle sind schon längst vergeben. Roger Buergel hat vergessen, mir gleich davon zu erzählen, als er mich auf diese Rotunde verwies.
Ich sage ihm, ich werde die Arbeit umbenennen, ich werde sie nennen: „Roger hat mir keinen besseren Raum gegeben“.
Ich sage ihm auch, die Rotunde sähe für mich aus wie der Nebenraum in einem Kurhaus. Da, wo man mit seiner Mutter Kaffee trinken geht, wo es den Kaffee nur in Kännchen gibt.
Das beeindruckt ihn nicht. Meine zwölf statt der zehn Bilder bringe ich leicht durch, denn die Rotunde hat drei Fenster, zwischen ihnen sind vier gleich große Wände. Darauf passen vier mal drei Flachbildschirme. So geht die Rechnung auf.

24.4.07
In Berlin haben wir wieder bei „Cine Plus“ eine Generalprobe. Vieles läuft sehr viel besser als beim vorigen Mal, aber noch immer gibt es Kurven, die asynchron zu der Bewegung sind, die sie repräsentieren; noch immer gibt es Schriften, die springen und Linien, die abknicken.
Die Spur, an der Regina in München seit Monaten sitzt und noch nicht ganz fertig ist, begeistert mich. Die erste Halbzeit erscheint in einer 3D-Simulation und entspricht in jeder Einstellung, in Blickwinkel, Größe und Bewegung der Kamera den Bildern der Fernsehübertragung. Dass für diese Darstellung so viel Zeit aufgewendet werden musste, lässt zunächst denken, wir wichen hier von unserem Grundsatz ab, nur zu zeigen, was es schon gibt. Aber, dass das System „Ascensio, Match Expert“ die Wiedergabe des Spiels aus jedem denkbaren Blickwinkel, in jeder Einstellungsgröße anbietet, bedeutet, dass der Käufer/Benutzer damit seine eigene Fernsehübertragung herstellen kann.
Die Spur, an der ich so lange geschnitten habe, sieht jetzt sehr schön aus.
Beim Essen danach sagt mir Bettina Blickwede, sie fände, eben diese Spur mit ihrem schwarzen Grund sähe zu seriös aus, das billige Grün des Herstellers habe ihr besser gefallen. Ich gebe ihr Recht, wir sind in der Bearbeitung eines Zitats zu weit gegangen.
Matthias wird die Sache nachschneiden, mit dem Grund in Originalfarbe.

28.4.07
Vor zehn Jahren, zur documenta 10, war ich eingeladen, einen Film zu machen („Stilleben“, 1997), den ich nicht rechtzeitig fertig kriegte. Tatsächlich lieferte ich ihn ab, als schon 50 der 100 Tage um waren, die die documenta währt.
Dieses Mal trage ich heimlich Vorsorge: Auf Spaziergängen oder in der S-Bahn gehe ich meinen Zettel durch und überlege, mit welchem Minimalplan wir arbeiten könnten, wenn wir jetzt schon abgeben müssten.
Wir könnten das vorhandene Material anders auf die Spuren verteilen, ein paar technische Fehler belassen. Oder wir müssten auf die technisch schwer zu realisierenden Bewegungskurven verzichten.

2.5.07
Wir haben jetzt, zum ersten Mal, einen Absturz des Schnittcomputers. Das beunruhigt mich nicht besonders. Wahrscheinlich nehme ich an, ich hätte auch für diesen Fall einen Alternativplan. Den habe ich allerdings so geheim gehalten, dass ich ihn selber nicht kenne.

4.5.07
Wir müssen jetzt Flachbildschirme benutzen, und weil wir im Format 4:3 produziert haben und seit kurzem nur noch 16:9–Bildschirme auf dem Markt sind, müssen wir auf ein Gerät zurückgreifen, das nicht mehr hergestellt wird. Der für uns zuständige Ausstellungstechniker bei der documenta, Gregor Luft, hat 12 dieser Bildschirme besorgen können, zusätzlich zwei Ersatzgeräte. Die werden nach den 100 Tagen der documenta zu nichts mehr zu gebrauchen sein. Auf manchen unserer Bildspuren sind Elemente, wie etwa die Umrandung des Spielfeldes, durchgehend an der gleichen Stelle zu sehen: sie werden in den Schirm einbrennen.
Als ich in Kassel ins Fridericianum komme, hängen die Schirme schon, die Leitungen sind unter Putz verlegt worden. Wir stellen den Ton ein: Im ganzen Raum soll der Originalton des Spiels zu hören sein, in der Nähe der Schirme der jeweilige Extra-Ton. Etwa das Mantra der beiden Protokollanten von „Impire“.
Stellt man sich in der Mitte des Raumes mit dem Rücken an die Wand, kann man so gerade alle Schirme in Augenschein nehmen. Sitzt man jedoch auf der Bank, kann man höchstens sechs Bildschirme zugleich anschauen. Ich ändere noch einmal die Reihenfolge der Spuren, damit bestimmte Bezüge augenfälliger werden.
Zwischen den Fenstern hängen die Schirme in größter Regelmäßigkeit. Das sieht aus wie in einer Ahnengalerie. (In echten Ahnengalerien haben die Bilder wohl verschiedene Formate, weil der erste Ahn nicht gleich festgelegt hat, in welchem Format die nächsten Jahrhunderte über gemalt werden soll.)
Ich hoffe, dieses Traditionsgetue wird meiner Arbeit nichts anhaben. Mir kommt es vor, als habe man die Arbeit in einen Sonntagsanzug gesteckt. Da müssen doch alle sehen, dass dieser Anzug nicht der passende ist!
Auf der Rückfahrt erst wir mir klar, dass ich nichts mehr oder kaum noch etwas zu tun habe. Bettina Blickwede, Jan Ralske und Matthias Rajmann aber haben noch sehr viel Arbeit, vor allem Jan, mit den Bewegungsdiagrammen, die immer wieder asynchron werden. Wenn ich das nächste Mal nach Kassel komme, wird es zur Eröffnung sein.

18.5.07
Wir verfassen den Text für das Ausstellungsschild.
Spur 1:

Der Live-Bildschnitt, wie er von der Infront Sports & Media AG, Zug (CH), an die Fernsehanstalten geliefert wurde („Clean Feed“).
Balken-Diagramme von Ascensio, Match Expert, Nizhny Novgorod (RU), zur Geschwindigkeit der Spieler, Durchschnitts- und Spitzen-Wert.
Gelegentlich Vektor-Vermessung der Spieler-Körper in Bezug auf Wirk-, Reaktions- und Drehmoment-Kräfte, University of British Columbia, Visualization of Human Kinetics, Vancouver (CA).
Ton: Stimme der Welt-Regie, Wolfgang Straub.

Spur 2:

Das Olympia-Stadion außen, Eigenaufnahme vom benachbarten Corbusier-Haus aus.
Ton: Polizeifunk.

Spur 3:

Aufzeichnung einer Kameraperspektive von erhöhtem Standpunkt („High Angle“), Darstellung des jeweiligen Bild-Ausschnitts im Verhältnis zum Spielfeld.
Beim Elfmeter-Schießen: Bewegungsspur des Torwarts Italien, Technische Universität München, Aspogamo.

Spur 4:

Aufzeichnung einer Kameraperspektive, die jeweils einen italienischen Spieler verfolgt.
Kurven-Diagramm von dessen Bewegungs-Geschwindigkeit, Ascensio, Match Expert, Nizhny Novgorod (RU).

Spur 5:

Dynamisches Schema zur Darstellung der Viererkette, der Spielmacher, der Laufwege, Ascensio, Match Expert, Nizhny Novgorod (RU).
Ton: Computerstimme gibt die Spielereignisse wieder.

Spur 6:

Aufzeichnung einer Kameraperspektive, die jeweils einen französischen Spieler verfolgt.
Kurven-Diagramm von dessen Bewegungs-Geschwindigkeit, Ascensio, Match Expert, Nizhny Novgorod (RU).

Spur 7:

Nachbildung des „Clean Feed“ (Spur 1), Nachbildung der Verfolgung eines französischen Spielers (Spur 6), ballzentrierte Nachbildung, Ascensio, Match Expert, Nizhny Novgorod (RU).

Spur 8:

Abwechselnd der Trainer Italiens und Frankreichs.
Schematische Darstellung des Pass-Spiels, Ascensio, Match Expert, Nizhny Novgorod (RU).

Spur 9:

Selbsttätige Übersetzung des Spielverlaufs in Wort-Sprache, Technologie-Zentrum Informatik, Räumlich-zeitliche Analyse von dynamischen Szenen, Bremen.
Semantische Interpretation mittels neuronaler Netze, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dycos GmbH.
Ton: Computer-Stimme gibt Spielverlauf und Interpretation wieder.

Spur 10:

Notation des Spiels zu statistischer Auswertung, Dienstleistung von Impire AG, Ismaning, zur Verwendung in der Presse.
Gelegentlich Wiedergabe von Fouls und Spielzügen in Laban-Notation, Folkwang Hochschule Essen, Kinetographie, Essen.
Analytische Auswertung des Spiels durch Fußball-Trainer des Deutschen Fußball-Bundes, Frankfurt, zu strategischen Zwecken.

Spur 11:

Einblendung von Pässen, Dribblings und Tor-Schüssen in „High Angle“ (Spur 3),
Technische Universität München, Aspogamo.

Spur 12:

Überwachungskameras des Sicherheitsdienstes des Olympia-Stadions, Berlin.

16.6.07
Ich bekomme dieser Tage immer wieder E-Mails, auch von Fernstehenden, die mit den Worten anfangen: „Jetzt, da Sie die documenta-Arbeit fertig haben“, oder: „Ich verstehe, dass Sie noch sehr erschöpft sind“. Als hätte ich eine Krankheit gehabt. Andere Produktionen haben mich schon viel mehr erschöpft, aber nur wenn man für die documenta arbeitet, wird die Erschöpfung zum Gegenstand allgemeiner Anteilnahme. Solche Anteilnahme wurde im letzten Spätsommer, als die neue Saison begann, auch den Spielern zuteil, die bei der Weltmeisterschaft mitgespielt hatten.

***

[Auf Französisch publiziert unter dem Titel „Histoire d’une installation (sur la Coupe du Monde de football)“ in trafic 64, Winter 2007/2008, eine Kurzfassung des Texts ist unter dem Titel „Ball und Bildschirm“ in lettre international 79, Dezember 2007 erschienen. Dank an Harun Farocki und Matthias Rajmann.]

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