Sonntag, 13.01.2008

The City of the Future

Die Urgeschichte der Zukunft der Stadt sucht Patrick Keiller in den Bildern ihrer Vergangenheit. Das ist sein Projekt an der Londoner Royal Academy of Arts, ein Zwischenergebnis seiner Archivarbeit präsentiert er seit Ende November als Installation im vormaligen NFT (neuerdings BFI Southbank). Angelehnt ist das an einen Gedanken von Bergson, der als Motto fungiert: Wenn die naturgesetzliche Kausalität irgendeine Gültigigkeit habe, müsse doch in der physikalischen Gegenwart eines Abgebildeten das Kommende schon enthalten sein. Mit dieser deterministischen Sottise, die an Laurie Andersons drollige Schallarchäologie in geschlossenen Räumen erinnert, macht Keiller Ernst.

Auf fünf frei hängenden Leinwänden laufen Filme aus der Frühzeit, Newsreel-Material, actualités, hauptsächlich ihrerseits bewegte Bewegtbilder, oft aus Verkehrsmitteln aufgenommen und fast alle ungeschnitten. Großstädtische Straßenszenen, Flüsse, Ausflügler in Dampfbooten, Liverpool, Manchester, Jerusalem, London. Zuschauer können, wenn sie denn endlich an der Reihe sind, die Projektionen von Pulten aus wie eine DVD steuern. Stadtpläne und Landkarten erleichtern die Navigation. Zwischen einer und drei Minuten lang sind die Filme, wie um 1900 eben üblich.

So filmen heute nur noch unbedarfte Amateure oder unverzagte Avantgardisten: die Kamera aus einem fahrenden Vehikel unverdrossen in die Gegend halten. Vor hundert Jahren war es noch eine Attraktion und Stoff genug für Newsreel-Streifen der Marken Biograph, Lumière & Co, von denen Patrick Keiller unzählige gesichtet und 68 ausgewählt hat: “phantom rides”, aufgenommen von fahrenden Bahnen, Wagen, Schiffen; führerlos, kommentarlos; ein Repertoire urbaner Achsen und Adern, ein Panorama der Panoramen. Die Sammlung reizt zum Listenbilden.

Es ergibt sich ein Inventar der Bewegungsvektoren: Ankünfte, Abstiege, raumgreifende Diagonalen und Kreisbeschreibungen, zweigleisige Tracking-Feedbacks beim Filmen eines fahrenden Zugs aus einem parallel fahrenden. Kino und Verkehr überkreuzen sich in einem Blickpassagenprojekt. Menschen kommen auch vor und schauen dann frenetisch winkend zurück. An der Dauer der unmontierten Aufnahmen interessiert Keiller laut Begleittext der prekäre Moment an der Schwelle einer Revolution im Raumbewußtsein des modernen Menschen, dessen Blick dabei aber noch der linearen ganzheitlichen Logik einer vergehenden Epoche verhaftet bleibt, die Sichtweise des Menschen, der des Umbruchs von Undustriezeitalter und Montage noch nicht inne geworden ist.

Solche Spekulationen bleiben leider Rudiment, wie die ganze Installation eher Zwischenstandsbericht als fertiges Werk ist. Einen erklärenden oder komplizierenden Kommentar behält sich Keiller für eine angekündigte Filmfassung vor, von der er live bei einer Begehung der Ausstellung letzte Woche aber schon wieder Abstand genommen hat: Er habe ein fiktionales Format ausprobiert, dann jedoch unbefriedigend gefunden. Das ist tatsächlich unbefriedigend, aber andererseits auch wieder gut. Denn das alles klingt eh weniger originell, als es aussieht – jedenfalls nach ein, zwei Stunden hypnotischer Versenkung. Ohne robinsonesken Überbau kann man sich um so unbeschwerter im Urfilm der vorbeirauschenden Stadtschaft verlieren und auf eigene Faust Zukunft interpolieren. Kann man noch bis 3. Februar 2008, sollte sich jedoch beeilen, die Tasten der unpraktischen Bedienpulte hakeln schon.

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie müssen angemeldet sein, um zu kommentieren. Ein neues Benutzerkonto erhalten Sie von uns, bitte dazu eine Email mit gewünschtem Username an redaktion(at)newfilmkritik.de.


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort