2008

Sonntag, 30.11.2008

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Das Genre Eventmovie nähert sich rasant einer dokumentarischen Haltung an. […]

Es gibt die Bereitschaft und Energie, Zeitgeschichte authentischer und durchaus schmerzvoller aufzubereiten. […]

In den Eventbereich hält jetzt ein anderer Realismusbegriff Einzug… […]

Bei „Dresden“ habe ich deshalb noch aus Angst ums Publikum darauf bestanden, dass alle Engländer deutsch synchronisiert werden. […] Aber da bin ich eben Produzent und zuweilen auch Spielverderber; ich wäge da mit einer gewissen Sorge ab, bis zu welchem Grat das Publikum belastbar bleibt.

[Nico Hofmann in einem Interview auf spiegel-online, 30.11.2008: ICH WILL AN DIE GROSSEN ZEITEN DES DEUTSCHEN FERNSEHENS ANSCHLIESSEN]

Montag, 24.11.2008

3-D

Als der einäugige André de Toth den 3-D-Film HOUSE OF WAX inszenierte, ging in den Warner-Studios der Witz um, der einäugige Raoul Walsh sei Co-Regisseur.

Nicholas Osborn: „I took my favorite stereo slides and animated them. The result is incredibly life-like 3-D. Okay it’s not incredible life-like but it’s pretty cool so go check them out.“ Alle.

Walter Benjamin: „Es ist ja eine andere Natur, welche zur Kamera als welche zum Auge spricht; anders vor allem so, dass an die Stelle eines vom Menschen mit Bewusstsein durchwirkten Raums ein unbewusst durchwirkter tritt.“

Bei den Dreharbeiten von HOUSE OF WAX kam eine echte Guillotine zum Einsatz. Was der Schauspieler (Paul Picerni), der den Kopf hinhalten sollte, von dem Regisseur (André de Toth), der das Gesicht nicht verlieren wollte, im Interview erzählt, legt mal wieder die Frage nahe: Gibt es eine Verwandtschaft von Realismus und Diktatur?

Die genießbarste Frucht des Realismus ist jedenfalls das Bizarre. Der Studiochef Jack Warner bat André de Toth zur Premiere des 3-D-Films seine Augenklappe nicht zu tragen.

Denn wir wissen nicht, was wir tun.

Donnerstag, 20.11.2008

Langtext- und Zeitschriftenhinweis

Heute hat im Filmhaus Berlin – organisiert vom Verband der deutschen Filmkritik – eine Veranstaltung mit dem Titel „Im Netz der Möglichkeiten. Filmkritik im Zeitalter des Internet“ stattgefunden. Zwei der Beiträge sind nachzulesen, der eine auf der noch ofenwarmen Online-Plattform der Zeitschrift CARGO, die im Februar mit ihrem ersten Heft erscheint, der andere auf unserer Langtextseite:

Ekkehard Knörer: Anlass zur Kritik. Schreiben über Film im Netz

Volker Pantenburg: Das Schweigen der Weblogs wird unterbewertet

Sonntag, 16.11.2008

DRY TOAST und WET TOAST machen einen Ausflug

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Dienstag, 11.11.2008

Unordnung der Zeit

KANN FILM FORSCHEN? III

Zu einer Zeitumkehr bei Godard

PRÉNOM CARMEN (1982)

Ich warne Dich:
Wenn ich Dich liebe, dann ist das Dein Ende!

Ja, Carmen.

Wie nennt man das?

Was?

Etwas wie:
Die Unschuldigen auf der einen Seite …
und die Schuldigen auf der anderen.
Und … ich weiß nicht …

Ich auch nicht.

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Zunächst schreckt Carmens Kopf hoch,
erst dann schiebt sich Josephs Hand zwischen ihre Beine –

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Brandung

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Vergleiche Alexander Kluges Gespräch mit einer Schauspielerin, deren Figur zum Ende des Theaterstücks sterben wird. In etwa:

– Sie wissen, dass Sie im dritten Akt sterben werden.

– Nein, zu Anfang des Stücks weiß ich das nicht.

– Aber am Ende sind Sie tot.

– Ja, natürlich, darauf läuft es hinaus.

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Wenn Brecht von seinen Schauspielern fordert, historisch zu spielen, so ist Godard in der Lage, Historizität durch Montage herzustellen, Zeit sichtbar zu machen. Aus der Erinnerung hätte ich Stein und Bein geschworen, der Vorgang wäre im Film chronologisch abgelaufen.

Montag, 10.11.2008

Ungleichzeitigkeit der Empirie

KANN FILM FORSCHEN? II

Rot macht Frauen sexy

Dieselbe Frau, einmal in Rot, einmal in anderen Farben. Ergebnis: Die Frau in Rot kommt bei Männern wesentlich besser an, fanden Psychologen heraus. Der Farbeffekt, der Männern selbst nicht bewusst ist, funktioniert auch bei Affen.

Rot macht Frauen für Männer attraktiver. (spiegel-online, 28.10.2008)
Brigitte Bardot - LE MÉPRIS - Gordard 1964
Brigitte Bardot in: LE MÉPRIS, Godard 1963

Dienstag, 04.11.2008

Election Day 2008

„… weil hier die Wirklichkeit das Leben überholt hat.“

[F. H. v. Donnersmarck um 23.22 Uhr im New Yorker ARD-Wahlstudio im Gespräch mit Otto Schily, Gerd Ruge, Dr. Cerue Diggs und Sandra Maischberger]

Montag, 03.11.2008

alter ego

Bei der Lektüre des Artikels WOMAN IN THE DISTANCE von Don DeLillo meinte ich plötzlich aus der Erinnerung an WANDA (Barbara Loden, 1971), eine Verwandtschaft im Spiel von Michael Higgins zur Schauspielkunst von Oliver Gourmet in den Dardenne-Filmen und Filmen anderer Regisseure zu erkennen.

Maria Speth und Reinhold Vorschneider erzählten von ihrer Arbeitserfahrung mit Gourmet bei dem Film MADONNEN, er sei ein Schauspieler der Motorik, der Arbeit – hochkonzentriert, sehr gut vorbereitet. Szenen, in denen es nichts zu tun gibt, wo es nur auszuharren gilt, sind für ihn eine Herausforderung.

Montag, 27.10.2008

Langtexthinweis

Dass Film forschen könne – siehe Wolfgang Schmidts Eintrag von gestern –, davon war Jean Epstein überzeugt. Etwas über das vor einiger Zeit erschienene Buch mit einer Auswahlübersetzung aus seinen Schriften zum Film steht jetzt hier.

Sonntag, 26.10.2008

Kann Film forschen? oder: Wie hinters Licht führen?

Im Sommer 2008 wurde der Film AUFSCHUB (2007) von Harun Farocki in der Humboldt-Universität zur Aufführung gebracht. (TAZ-Interview) Allein aus vorliegendem und nur zum Teil geschnittenem Filmmaterial des jüdischen Lagerinsassen Rudolf Breslauer stellt Farocki einen 40 minütigen Stummfilm zusammen, der die vorhandenen Einstellungen auf darin enthaltene Informationen befragt und untersucht. Breslauer arbeitete im Auftrag der deutschen Lagerleitung an einer Dokumentation über das Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden. Dieser Film, der als Anschauungsmaterial für das Besucherzentrum gedacht war, wurde tatsächlich nie vollendet. Breslauer selbst wurde weiter nach Osten deportiert und ermordet.

In Farockis Film AUFSCHUB gibt es die Einstellung eines Kindes hinter Glas in einem Wagonabteil. Dieses Kind schaut nach draußen in Richtung Kamera und hebt wie zum Gruß winkend die Hand. – Ich schreibe dies aus der Erinnerung, die Einstellung liegt mir nicht als Kopie vor. Die Details sind hier aber auch nicht entscheidend. – In der Diskussion nach der Vorführung bemängelten verschiedene Zuschauer den sentimental-suggestiven Charakter der Montage dieser Einstellung innerhalb des Films, der doch vorgibt, sich dem Material zuvorderst rational, begrifflich nähern zu wollen. Farocki wies diesen Einwurf zurück und parierte die Diskussion an einer Stelle sinngemäß damit, er mache diese Arbeit schon seit dreißig Jahren und man müsse ihm schon zugestehen, dass er weiß, was er tut.

Wie auch immer: Diese Situation macht klar – die Auslegung oder Wirkung einer Montagefolge ist auch nach Jahrzehnten Schnitt- und Filmanalyseerfahrung nicht eindeutig kontrollierbar. Und ich bin sicher, niemand weiß das besser als Harun Farocki. Seine Reaktion ist vielleicht mehr als ein Aufschrecken zu verstehen, wie: hier ist mir etwas aus der Hand geglitten, das dingfest gemacht werden muss – so wie Mütter zuweilen Diskussionen zu beenden versuchen unter dem nicht hintergehbaren Hinweis: Aber ich bin doch Deine Mutter!

Wenn Film das aber nicht kann, eindeutige Bestimmungen herbeizuführen, selbst mit Hilfe eindeutig sinnvoller Sprache nicht schafft, kalkulierbare Wirkungen hervorzurufen, ist er dann überhaupt wissenschaftsfähig? Selbst das amerikanische Kino als das kalkulierteste, von dem gesagt wird, auf 10 Hollywood-Großproduktionen kommen immerhin 9 Flops, bestätigt den filmischen Irrationalismus. Damit ist vielleicht auch der apodiktische Gestus vieler Off-Dokumentarfilmkommentare erklärbar – der Gestus des so und nicht anders, friss oder stirb, ran an Sarg und mit geheult und auf jeden Fall: hier geht es lang und es gibt kein zurück, der Film läuft nur in eine Richtung – aus der Angst einfach, den Ariadnefaden zu verlieren, der Theseus wieder aus dem Labyrinth an den Ausgansort zurückführt.

Nun kann man natürlich fragen, wen interessiert das? Warum sollte Film überhaupt Wissenschaft sein? Ich komme darauf, weil bei Farocki, bei Didi-Huberman (BILDER TROTZ ALLEM, München 2008) völlig berechtigt gefordert wird, bestehendes Film- und Bildmaterial neu zu befragen und selbst bei einem Projekt wie KUNST-DER-VERMITTLUNG geht es ja letztlich um eine Befragung bestehenden Materials. Und die Frage davor ist: Wie geht so etwas mit Film?

Mit Ausnahme von Erkenntnisverfahren wie Offenbarungsreligionen, bei denen man von vorneherein im Licht sitzt und Gewissheit hat, ist die Bewegung bei Verfahren wie Wissenschaft und Kunst, und hier zumal beim Film, zunächst eine sehr ähnliche. Man könnte sie beschreiben als HINTERS LICHT FÜHREN. Der Beobachter, der Wissenschaftler, der Regisseur, der Kameramann, ja selbst das Kinopublikum sitzt hinterm Licht oder mit dem Licht im Rücken, guckt quasi aus dem Dunklen auf das ausgestellte Objekt im Licht. In der klassischen Wissenschaft geschieht das in emotionaler Quarantäne, in Methoden wie Handlungs- und Aktionsforschung ist das Eingreifen des Forschers unter Auflagen gestattet, wenn nicht sogar gefordert, und Bestandteil des Settings. Wie alle Wissenschaftler und Künstler ist der Filmemacher zunächst Analytiker; denn zum Arbeiten wird in jedem Fall eine Hypothese gebraucht und die setzt eine Analyse voraus – wie fundiert auch immer. Traditionell geht es darum, Zuschauer emotional zu binden und zu führen. Avanciertere Methoden versuchen sich dabei selbst zu reflektieren, dem Filmemacher und dem Zuschauer seine Verstrickung zu verdeutlichen und so einen emanzipierteren Erkenntnisgewinn zu verschaffen, was in der Psychoanalyse nicht anders vonstatten geht. Das alles will nur sagen: Film ist ein Erkenntnisverfahren – auch wenn man es manchmal nicht glauben mag.

Wo Wissenschaft allerdings unter der Maxime der Verallgemeinerungsfähigkeit steht, liefert Kunst nur ästhetische Lösungen für ein spezielles Problem, für einen speziellen Ort. Es handelt sich um Vorschläge, die erst zum Leben erweckt werden, wenn Sie in den Diskurs gelangen, erst in der Diskussion auf allgemeine Praxis hin geprüft werden, so dass man sagen kann: Ein Film, über den nicht gesprochen wird, den gibt es eigentlich gar nicht. Solange bis ihn jemand entdeckt und davon berichtet.

Als die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin in der Mitte der achtziger Jahre wieder einmal um ihr Existenzrecht kämpfen musste, hatte man sich in Teilen des Studentenrates auf die Formel geeinigt, die dffb als Filmforschungsinstitut zu verkaufen, an dem Filmforscher ausgebildet werden. Nur einer der Studenten ging dann allerdings meines Wissens soweit, den Radius dahingehend zu erweitern, die Projektion seines Abschlussfilms bei geöffnetem Saallicht vorzunehmen.

Christoph Willems – DER MANN AUS DEM OSTEN (1990)


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