2008

Dienstag, 19.08.2008

Zeitschriften- und Texthinweis

„Film ist so allgegenwärtig und überreich vorhanden, dass man ihn nicht mehr in kanonischer Form denken kann. Die Figur des Cineasten hat ausgedient. Beamer und Filesharing-Netzwerke lösen zwei Vormachtstellungen der Filmtheater auf: Technologie und Distribution. Es ist nicht mehr notwendig, dass Kino für andere gemacht wird, man kann Kino für das Eigene machen. Für den eigenen Diskurs, die eigene Gemeinschaft, den eigenen Zweck. Die Frage der Aufmerksamkeit, die vom kommerziellen Kino an erster Stelle bearbeitet wird, steht da dann zurück hinter der Frage des Anknüpfungspunkts.“

Das ist aus einem Text mit dem Titel „Spezifisches Kino“. Sebastian Bodirsky schreibt darin anhand zweier Berliner Orte, an denen Filme gebeamt wurden und werden (pirate cinema und basso) darüber, was Kino (im Sinne von: mit anderen zusammen Filme schauen) heute ist oder sein könnte.

Zu lesen ist der Text auch in der neuen Ausgabe von STARSHIP, inzwischen # 11: „various sketches for leaving the room“. (pdf hier, aber es macht mehr Spaß, das Heft in der Hand zu halten).

Freitag, 15.08.2008

Ursprung der Musik

Nach dem Anschauen und -hören von LA FRANCE von Serge Bozon – zu Tränen gerührt – Erinnerung an eine Stelle bei Adorno:

„Wie das Ende, so greift der Ursprung der Musik übers Reich der Intentionen, das von Sinn und Subjektivität hinaus. Er ist gestischer Art und nah verwandt dem des Weinens. Es ist die Geste des Lösens. Die Spannung der Gesichtsmuskulatur gibt nach, jene Spannung, welche das Antlitz, indem sie es in Aktion auf die Umwelt richtet, von dieser zugleich absperrt. Musik und Weinen öffnen die Lippen und geben den angehaltenen Menschen los. Die Sentimentalität der unteren Musik erinnert in verzerrter Gestalt, was die obere Musik in der wahren am Rande des Wahnsinns gerade eben zu entwerfen vermag: Versöhnung. Der Mensch, der sich verströmen lässt im Weinen und einer Musik, die in nichts mehr ihm gleich ist, lässt zugleich den Strom dessen in sich zurückfluten, was nicht er selber ist und was hinter dem Damm der Dingwelt gestaut war. Als Weinender wie als Singender geht er in die entfremdete Wirklichkeit ein. „Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder“ – danach verhält sich die Musik. So hat die Erde Eurydiken wieder. Die Geste der Zurückkehrenden, nicht das Gefühl des Wartenden beschreibt den Ausdruck aller Musik und wäre es auch in der todeswürdigen Welt.“

Adorno: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt/M 1978, S. 122

Donnerstag, 14.08.2008

Langtexthinweis

„Es dürfte richtig sein, bei Sternberg in Umkehrung der üblichen Reihenfolge von Weiß-Schwarz-Filmen zu sprechen.“

„Arbeit mit den Geistern“, ein Text von Werner Dütsch über das Buch „Josef von Sternberg. The Case of Lena Smith“. Der Text ist als Rezension in der Zeitschrift „Recherche Film und Fernsehen“ erschienen, musste für die Veröffentlichung dort jedoch empfindlich gekürzt werden. Wir freuen uns, den Text in voller Länge abdrucken zu können.

Dank an Werner Dütsch und Ralph Eue.

Mittwoch, 13.08.2008

19/100

Die Geschichte vom Uni-Forschungsprojekt zur Olympia-Regisseurin von 1936, das auf seinen Internetseiten noch im Jahr 2008 beim Leser um Verständnis dafür warb, „daß wir Ihnen keinen Kontakt zu Frau Riefenstahl herstellen können“, was – die Kräfte akademischer Forschung in allen Ehren – den meisten fünf Jahre nach deren Tod unmittelbar einleuchten dürfte.

Dienstag, 12.08.2008

Fernsehhinweis

Hiroshi Sugimoto – Visions in My Mind

Heute, 22:25 Uhr, 3sat
Film von Maria Anna Tappeiner
(Zweikanalton deutsch/englisch)

Der menschliche Fisch

Heute, 23:10 Uhr, 3sat

Dokumentarfilm von Peter Braatz [aka Harry Rag]
Slowenien/Deutschland 2007
(slowenische Originalfassung mit Untertiteln)
Länge: 83 Minuten
Erstausstrahlung

Sonntag, 10.08.2008

Papierblumenmörder

Stefan Ertl: Erik Ode hat ja in den vier KOMMISSAR-Folgen, die Sie inszeniert haben, Sachen gemacht, an die vorher und nachher nicht zu denken war.

Zbynek Brynych: In PAPIERBLUMENMÖRDER tanzt er sogar. Ich sagte: Der Kommissar soll tanzen. Es gab eine dreitägige Beratung, ob der der Kommissar tanzen darf. Aber ich hab es durchgesetzt: Er hat getanzt.

Stefan Ertl: Und was hielt Ode selbst von all dem?

Zbynek Brynych: Der Ode und ich, wir haben uns auf den ersten Blick ineinander verliebt. Ich war jedes Wochenende bei ihm draußen, und er hat mich dann immer gefragt, wie ich auf diese Sachen komme. Fritz Wepper hat seine Rolle in DER PAPIERBLUMENMÖRDER so gut gefallen, daß er die Folge stolz in einer Privatvorführung präsentierte.

Heute 22:55 3sat.
Am nächsten Sonntag: DER TOD EINER ZEUGIN
und am übernächsten Sonntag: PARKPLATZHYÄNEN

Donnerstag, 07.08.2008

Etwas über die Malerei

In seinem Text „Quelque chose de la peinture“, genauer: in der Fußnote 3 dieses Texts, findet André S. Labarthe, ein launiger, eigensinniger und lesenswerter Autor, einen schönen Vergleich. Es geht um eine Szene aus Clouzots Film LES DIABOLIQUES: Einer Frau, die zusammen mit einer Komplizin den Mann getötet hat, der den beiden das Leben unerträglich machte, erscheint nun, später im Film, genau dieser Mann. Ihre Hand geht zum Herzen, die Augen weiten sich, der Mund öffnet sich zum erstickten Schrei. Dann bricht sie leblos zusammen. Sie ist gestorben, und zwar daran, wie Labarthe schreibt, dass „vor ihren Augen das Unmögliche stattgefunden hat“. Er fügt noch hinzu, dass in diesem Fall weniger der Herzinfarkt als vielmehr die Überraschung als Todesursache angesehen werden müsse. In der Fußnote versucht Labarthe diesen Tod dann nochmals anders zu fassen. Es sei ein „algebraischer Tod“, der daran denken lasse, dass der Ruin eines multinationalen Konzerns durch die Verschiebung eines Kommas verursacht werden könne.

[André S. Labarthe: Quelque chose de la peinture, in: Ders.: Du premier cri au dernier râle, Crisnée: Éditions Yellow Now 2004, S. 57-68]

Mittwoch, 30.07.2008

Absolutes Rauchverbot

Journalist: Do you go to the movies?
John Ford: No, never. Because you can’t smoke.

(Bertrand Tavernier, „Notes of a Press Attaché: John Ford in Paris“ (Positif, 82/1967), in Gerald Peary, Jenny Lefcourt, Hg., John Ford. Interviews. Jackson 2001)

Samstag, 26.07.2008

Kino-Hinweis

Die Frage, warum Winfried Günther, der im Allgemeinen nicht als glühender Verehrer der Filme Bob Rafelsons gilt, sich dessen ersten Film, HEAD (*), wie gemunkelt wird, in der 68er-Reihe des Filmmuseums Frankfurt gleich zweimal angeschaut hat, ist nicht leicht zu beantworten. Liegt es an der kristallklaren Kopie, die so schnell wahrscheinlich nicht wieder in Deutschland zu sehen sein wird? Oder am Cameo-Auftritt Frank Zappas? An den schwerelosen Sprüngen von der Brücke, bei denen zu allerhand Überblendungen der schöne Porpoise-Song zu hören ist, bevor kurz nach dem Eintritt ins Wasser die Farbtöpfe detonieren und die Meerjungfrauen sich mit geübtem Heckflossenschlag heranschlängeln? (Man sollte sich das im Kino angucken und nicht hier, aber gut…)

Im Arsenal-Kino läuft der Film am kommenden Mittwoch ein zweites Mal. An möglichen Antworten auf die oben gestellte Frage wird es nicht mangeln.

(*) „Rumors abound that the title was chosen in case a sequel was made. The advertisements would supposedly have read: ‚From the people who gave you HEAD.'“

Montag, 21.07.2008

First National – frühes amerikanisches Kino in einem deutschen Roman

„Das war also Burbank, dies die großen Ateliers der First National, alle noch neu, frisch gestrichen, vieles unfertig, manches überflüssig, je vier Ateliers in zwei Reihen, mit Verwaltungsgebäuden und Maschinenräumen ein Komplex von 25 Gebäuden auf einem Gelände, das eine Breite von 700, eine Tiefe von 1100 Metern aufwies. Auf diesem Gelände waren zwölf Regisseure, vierundzwanzig Operateure, fünfzig Hilfsregisseure, siebenundsiebzig Friseure, sechshundert Arbeiter, siebenhundertzwanzig Schauspieler und Komparsen, und eine Manuskriptschreiberin tätig. Hier konnten sechzehn Filme gedreht werden. Dreihunderttausend Kilometer betrug die Länge sämtlicher Filmstreifen, die die Firma im Luafe eines Jahres drehen, entwickeln, ansehen, schneiden und wieder wegwerfen ließ, deihundertausend Kilometer lang, in zwanzig Milliarden Bildchen, ief die menschliche Seele und ihr Abglanz um die Rollen der Apparate, und ein Lichtstrahl, der dies alles schuf, hätte genau eine Sekunde gebraucht, um an der gesamten Jahresproduktion der First National entlang zu spazieren. Auf Ewigkeitsaspekte durfte sich die Firma nicht einlassen. Um so offener stand ihr die Erde.“

(Arnolt Bronnen: Film und Leben. Barbara La Marr, Berlin 1928, S. 26)

http://de.wikipedia.org/wiki/First_National (21.7.2008):

Der First National Exhibitor’s Circuit entstand 1917 als Zusammenschluss 26 regionaler Verleihfirmen unter der Federführung von Thomas L. Tally. Ursprünglich war der Zweck der Firma, Filme zu finanzieren und anschließend den Verleih zu übernehmen, doch schon bald kam eine eigene Produktion hinzu. First National war eine Reaktion auf die marktbeherrschende Stellung von Paramount, die das Geschäft immer mehr monopolisierte (bezeichnenderweise wurde W.W. Hodkinson, der vom neuen Paramount-Eigner Adolph Zukor geschasst wurde, der Direktor der neuen Firma).
Der Plan ging ursprünglich gut auf. Mit der Anwerbung von Mary Pickford und Charlie Chaplin für jeweils eine Million Dollar pro Film hatte man die wichtigsten Stars auf seiner Seite und kontrollierte zudem 1919/1920 ca. 3400 Kinos, was 15 bis 20% des amerikanischen Marktes entsprach.
Da es aber nicht gelang, die Stars längerfristig zu binden (sie gründeten 1919 United Artists, mussten aber aufgrund der laufenden Verträge noch einige Filme gedreht werden, weshalb die Firma 1920 noch relativ gut dastand), und da auch die geplante Fusion mit Paramount spektakulär scheiterte, ging es mit First National rapide bergab. Paramount kaufte nach und nach die einzelnen zusammengeschlossenen Firmen auf, bis First National im September 1928 mit Warner Bros. fusionierte.


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