Montag, 24.05.2010

Und jetzt: Ballett (3 Minuten Film)

Aus der Schlusskadenz des Films BEYOND THE SEA (Kevin Spacey, 2004)

Was sich mir zunächst sagen lässt.

Beleuchtung: Punktscheinwerfer, Verfolger
Ort: Verlassener Bühnenraum
Ton: Bis zum Orchestereinsatz Untermalung der Szene mit einem sphärisch-röhrenden Klang

Don’t you get it? – Bobby Darin does not die.

– sagt die prä-adoleszente und nervtötend altkluge Version von Bobby Darin zu einem Zeitpunkt im Film an sein gealtertes Ego gerichtet, da dieses soeben in einer sentimentalen Parallelmontage zusammengestellt aus dem Vortrag einer Art von MY WAY-Abschiedssong, beginnend mit OFF COMES THE MAKE UP … auf offener Bühne vor Publikum, und seinem anschließenden Abtransport ins Krankenhaus – also weniger eine Parallele als eine Verknappung – für den Zuschauer eindeutig dahingegangen ist.

Don’t you remember? Memories are like moonbeams. We do with them what we want. – Just listen!

Die Mondstrahlen und ihre Verwendung kamen im Film bereits einmal vor – don’t you remember – waren aber seinerzeit ein ebensolches Rätsel wie gerade jetzt. Wenn es schwierig wird im Musical, erklingt problemlösende Musik.

Bobby jr. (Knabensopran, spielt die Melodie einhändig auf dem Klavier mit, ansonsten a cappella)
As long as you’re singing
then the world’s alright and everything’s swinging
– long as you are singing your song.

As long as you’re singing
(Orchestereinsatz)
there’s a bell up in your brain that’s ringing …

Bobby sr.
… making a crazy ding-dong.

Das Bild wurde parallel zum Dialogwechsel auf Bobby senior umgeschnitten. Nach seiner Textzeile fällt es ins Schwarz und Bobby junior, der zunächst die Liedmelodie auf dem Klavier mit geklimpert hat, befindet sich in der Aufblende (Punkt-Spot) freistehend an neuer Position vor einem Bühnenpodest.

Bobby jr.
… and if this band don’t desert us, …

Die Kamera fährt zurück und öffnet, während Bobby sr. von rechts ins Bild tritt.

Bobby sr.
… then there is nothing in the world that can hurt us …

Bobby jr. & sr.
… long as we are singing our song.

Junior und Senior stehen sich gegenüber. Die Jazz Big Band aus dem Off spielt ein Orchestersolo, und Junior löst sich mit einigen Tanzschritten, die gekonnt den Rhythmus der Band verzögern, aus der Gegenüberstellung und springt auf das Bühnenpodest. Bei seiner Verfolgung durch die Kamera, die sich in einer Bogenbewegung wieder an ihn annähert, verliert sie Bobby sr. aus dem Bild.

Bobby jr.
Give me trumpets – legato …

Bobby sr.
… put some saxes with them …

Mit seiner Songzeile springt Spacey während dieser Fahrt aus der Kamerarichtung von rechts hinten wieder ins Bild.

Bobby jr.
… strings – pizzicato …

Bobby sr.
… add some rhythm!

Beide sitzen inzwischen hemdsärmelig auf dem Bühnenpodest und markieren ein Schlagzeugsolo.

Mit einem Umschnitt in ein Travelling stehen die beiden auf und durchqueren den Zuschauerraum, um die Szene zu wechseln. Sie bringen den Text des Liedes dabei zum Abschluss:

Bobby jr. & sr.
As long as we are singing
then the world’s alright and everything’s swinging
long as we are singing our –
long as we are singing our …

Bisher hatte die Bezüglichkeit und hatten die Bewegungen der beiden die aufgesagte Authentizität eines Auftritts in einer deutschen Fernsehshow der 60er Jahre, betuliche Kameraderie. Besonders bei der Raumdurchquerung fällt der Regie überhaupt nichts mehr ein, und die Kamera kann die Personen gerade noch seitlich von hinten erwischen.

Mit dem Umschnitt aber kommt der Ortswechsel, Kostümwechsel und mit der erneuten Dehnung der letzten Zeile läuft die Maschine auf Touren. Ab hier herrscht nurmehr Choreographie getrieben von Blechbläser dominiertem Big Band Jazz. (Diese aggressive Blechbläser betonte Musik wurde in den 60er und 70er Jahren gerne zur Intro in Sportsendungen gespielt. Offensichtlich verband man mit diesen Tunes die Vorstellung von Energie.)

Bobby jr. & sr.
… long as we are singing (gehalten)
… our … (gehalten)
… song. (gehalten)

Zur Erhöhung des graphischen Effekts stecken beide jetzt in Dinner-Jackets. Stark rhythmisiert tanzen sie, parallel und durch den enormen Größenunterschied eben auch grotesk, eine Showtreppe hinab, die sich in ein Studio mit diversen, aus dem Film schon bekannten Dekorationen öffnet, irgendwie brechtisch oder was man in Amerika darunter versteht. Der Film ist aus solchen Brechungen zusammengesetzt.

Es folgen vier Einstellungen der beiden Bobby Darins à pas de deux. Tatsächlich handelt es sich ja um eine Person in zwei Altersstufen, also kein Paar, und so beziehen sie sich auch nicht aufeinander, sondern tanzen parallel identische Schrittfolgen. Den harten Trompeten- , Saxophon- und Posauneneinwürfen setzen sie eine gleichermaßen abstrakte Rhythmus-Licht-Raum-Simulation entgegen. Der Cutter als dritter Tänzer bleibt unsichtbar, hat aber die einschneidendsten Wirkungen.

Bei dem durch Bewegungsstops in den Pausen der Songzeilen akzentuierten Hinabgleiten der Showtreppe, die eigentlich zur Kulisse eines Hauseingangs gehört, fährt die Kamera entsprechend dem Fortschritt der Bewegung zurück, um einerseits leicht zu öffnen und dabei Äquidistanz zu erhalten. Die beiden Tänzer tendieren am Ende der Einstellung zur linken Bildhälfte, stehen aber voll im Bild.

Nächste Einstellung fest (mit späterer leichter Schwenkkorrektur) und gleicher Größe der Personen. Dunkles Kulissendurcheinander mit herumstehenden Scheinwerfern im Hintergrund. Die Tänzer kommen erst nach dem Umschnitt von rechts ins Bild und bewegen sich horizontal im Vordergrund durch den Raum. Gewinkeltes Schwenken der Arme und das Aufsetzen der Fußspitze beim Ausschreiten halten die Körper kontinuierlich unter Spannung. In der linken Hälfte des Bildes dann Bewegungsstop, Rückwärtsschritte, jeweils volle Drehung der Person und erneutes Kopf in den Nacken Werfen bei abermaligem angewinkeltem Fortschreiten.

Schnitt in die gespiegelte Bewegung zur anderen Seite – ökonomischer und tempoforcierender kann man nicht schneiden. Beide Darsteller sind keine ausgebildeten Tänzer und drohen des Öfteren im Verlauf aus dem Rund getragen zu werden. Der Schnitt, der hier Bewegungsmusik erzeugt, hebt die beiden über ihre Unzulänglichkeiten hinweg. Der Tod jeder Performance ist die Offenbarung der Schwierigkeit des Leichten. Durch die Schnitttechnik diskontinuierlicher Kontinuität erreichen die Figuren hier aber geradezu kleistsche Marionettenqualitäten.

In der nun folgenden festen Einstellung schreiten die Tänzer in der Mitte des Bildes einmal im Kreis, um das Bild dann nach rechts, in die Richtung, aus der sie in der ersten Einstellung gekommen sind, wieder zu verlassen. Sie blicken hier en face zur Kamera und bewegen sich nur in einer horizontalen Ebene. Tatsächlich vermeiden sie es während ihres Duetts, räumliche Tiefe zu erzeugen. Beide Protagonisten bleiben stets in einer Rampenebene. Zuweilen ist unklar – tanzen sie oder werden sie verschoben. Kurz bevor das Bild zur Gänze leer ist – Spacey ist gerade noch zur Hälfte am Rand des Rahmens zu sehen – Umschnitt in die neue Einstellung. Die nicht abgeschlossene Bewegung ist hier notwendig, um über diese Verkürzung ein Diskontinuum flüssig zu machen.

In der nächsten Einstellung bewegen sich die Tänzer nämlich schon zu Beginn in der Mitte des Bildes. Dieser Bildschock ist sozusagen durch den vorhergehenden Bewegungsabriss in Fluss gebracht. Die Tänzer bewegen sich nur kurz von der Kamera weg in ihre angestammte Ebene und rasten hier erneut ein. Parallel zu ihrer jetzt einsetzenden Bewegung erfolgt eine Kamerafahrt nach links. Die Darsteller untersetzen die globale Linksbewegung mit zahlreichen Drehungen um die eigene Achse. Umschnitt in voller Fahrt und mit beiden Personen im Bild in die entgegengesetzte Richtung.

Das letzte Bild der zu Ende gehenden Einstellung ist gleichzeitig das erste Bild zu einer erneuten Drehung der Tänzer. In unsere Erwartung der vollen Drehung erfolgt jedoch der Schnitt in eine verzappelte Schrittfolge in entgegengesetzter Richtung, die so kompliziert ist, das sie als Bewegungsfolge der eingeleiteten Drehung akzeptiert wird. Gleichzeitig wenden uns die Tänzer den Rücken zu, so als hätten sie sich mittels der Drehung von uns abgewandt. Mit einer weiteren halben Drehung öffnen die Tänzer zur Kamera hin, kommen gleichzeitig zum Stand, das Orchester bricht ab. Break.

Neuer abstrakter Raum. Der Fußboden spiegelt matt in Schwarz. Der Hintergrund ist ebenfalls schwarz. Ca. 20 Tänzer in Smokings nur mit Punktlichtern beleuchtet erwachen nach kurzem Halten zugleich mit dem Einsatz eines Blechbläsereinsatzes stehend aus ihrer Erstarrung. Ab jetzt sind die Taps (das Fußklackern) zu hören, was die Akzentuierung des Rhythmus verstärkt. Mehr noch als zuvor handelt es sich um eine Bühnensituation, in der die Kamera den Zuschauer mimt. Aus Distanz schaut sie in Höhe Körpermitte auf die gleichmäßig im Raum verteilten Tänzer, die allerdings in unterschiedliche Richtungen orientiert sind. In angespannter Steifheit spreizen sie mit dem Musikeinsatz ihre Arme und schrauben sich in eine neue Ausrichtung, ohne die Position zu verlassen. In ruckartigen, spastischen Bewegungsschüben parallel zu Bläser- und Schlagzeugeinwürfen unisono fallen sie förmlich in immer neue Figuren. Langsam und nahtlos fährt die Kamera auf die Mitte der Tanzgruppe zu, in der die beiden Protagonisten tanzen. Anders als die übrigen Tänzer, deren Gesichter durch die Schlagschatten sehr steilen Oberlichtes unkenntlich sind, erhalten die beiden Bobby Darins Licht von vorne, was ihnen Zeichnung verleiht. Mit klackerndem Wechselschritt tanzen sie zweimal in entgegengesetzter Richtung parallel zur Bildebene aneinander vorbei, die jeweiligen Richtungswechsel durch ausgestellte angewinkelte Armarbeit akzentuiert. Schließlich setzt Bobby Darin jr. vor Bobby Darin sr. zu einer Linksdrehung an, Bobby Darin sr. seinerseits hinter ihm zu einer Rechtsdrehung. Schnitt und Sprung der Kamera in die Bühnenaufsicht in eine Übersichtsdistanz.

Der schwarzglänzende Tanzboden spiegelt das Oberlicht so hell, dass die fast nur Spitzenlicht erhaltenden Tänzer darüber nahezu in die Abstraktion fallen, nur als Schemen zu erkennen sind. In neuer Formation aufgereiht formen sie die Bilddiagonalen aus den oberen beiden Ecken des Kaschs beginnend nach, zwei sich in der Bildmitte überschneidende Traversen, bei deren Vollzug sich die Tänzer – einem Reißverschluss gleich – kollisionslos passieren. Obwohl es sich um eine völlig neue, unvermittelte Bildaufteilung handelt, schafft der Schnitt den Bewegungsanschluss aus der begonnenen Drehung der Protagonisten in die Drehung eines jeden Tänzers, mit der der Umschnitt in die Traverse gestartet wird. Im Verlauf der Einstellung senkt sich die Kamera fast unmerklich in Richtung Boden ab, bleibt dabei aber bis zum Schluss in erhöhter Position.

Mit dem Umschnitt mischt sich die Kamera unter die Tänzer, die sich im Hintergrund der Traverse versammeln und verlässt damit ihre Zuschauerposition. Wegen der Nähe sind die Tänzer im Kameravordergrund nur als Durcheinander wahrzunehmen. Hinter ihnen laufen die beiden Bobby Darins in den Vordergrund der Bühnenszene. Da ihre Bewegung zu den anderen Tänzern im rechten Winkel verläuft und der Fokus bei ihnen liegt, gehört ihnen auch die Aufmerksamkeit.

Im Vordergrund angekommen kehrt auch die Kamera in leichter Aufsicht in die den Bühnenraum voll erfassende Zuschauerposition zurück. Alle Tänzer tanzen nunmehr in drei versetzten Reihen gestaffelt die selben Schritte – kreiseln auf der Stelle, bei weit ausgreifenden Armbewegungen. Anschließend erfolgt in der ersten Reihe mit den Protagonisten in der Mitte ein leichter Ausfall nach links, der mit ausgestreckten, gleichzeitig aber eckigen Armbewegungen zum Abschluss gebracht wird. Dabei haben sich die nachfolgenden Reihen jeweils in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Spacey beendet die Einstellung mit dem Rücken zur Kamera.

In der neuen Einstellung ist die Kamera wieder seitlich zwischen die Tänzer gesprungen. Spacey eröffnet sie mit der Rückdrehung zum gedachten Bühnenvorne. Bei genauer Betrachtung ist das ein verzögerter Schnitt, da er eine Armbewegung aus der vorhergehenden Einstellung wiederholt. Innerhalb der gesamten Tanzszene wird er allerdings als flüssig wahrgenommen, da er gleichzeitig die halbe Drehung vollzieht. Bobby jr., der sich nicht umgedreht hat, tanzt mit dem Rücken zur Kamera und passiert Bobby sr. im Vordergrund nach rechts.

Mit dem Schnitt sind wir wieder in der leicht aufsichtigen Zuschauerposition wie schon zuvor. Mit einem rechts/links Richtungswechsel, der durch einen gedehnten Ausfallschritt akzentuiert wird, beginnt die hastige Bewegung aller Tänzer in den Hintergrund. Hier bilden sie alsbald eine einreihige Phalanx, die sich in der Vorwärtsbewegung in zwei gestaffelte, abwechselnd führende Reihen aufspaltet. Parallel zur Vorwärtsbewegung übernimmt die Kamera erneut die Seitenposition, bewegt sich aber schneller als die Tänzer in einem Bogen bis vor die Mitte der Truppe vor – bis in die alte Zuschauerposition hinein. Die beiden Protagonisten sind indessen näher an die Kamera herangekommen als zuvor, die begleitenden Tänzer bleiben – einen Keil bildend – etwas hinter ihnen zurück.

Über einen Bewegungsschnitt geht es in die extreme Aufsicht, in deren Zentrum Bobby sr. steht. Während die Kamera aus ihrer überhöhten Position in eine Halbnahe auf Augenhöhe fährt, vollzieht Spacey eine abschließende Drehung, während der alle übrigen Tänzer, die sich in seine Flucht bewegt haben, auf Grund von Spaceys Nähe zur Kamera hinter seiner Silhouette verschwinden.

„ …alle Männer verschmolzen in einen Leib.“
Marion, in: Georg Büchner: Dantons Tod

Für sich genommen mag jede dieser Tanzfiguren, Bewegungen, Stops und Sprünge eklatant lächerlich wirken. Sie sind lächerlich. Erst die Rhythmisierung, das Timing geben dem Grotesken, der abstrakten Bewegung, dem Showtanz Sinn. Und sei es nur, die Zeit angenehm zu strukturieren. Darüber hinaus scheint es sich hier aber auch um eine Art Ausdruckstanz zu handeln, der die vorangehend vorgestellte Hauptfigur noch einmal tänzerisch charakterisieren soll.

Bild: Eduardo Serra
Schnitt: Trevor Waite
Choreographie: Rob Ashford
Regie: Kevin Spacey

Bobby Darin: Kevin Spacey
Bobby Darin jr.: William Ullrich

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